Entscheidungsstichwort (Thema)
Mutterkuhprämie. Mutterkuh. Färse. trächtige Färse. individuelle Höchstgrenze. einzelstaatliche Reserve. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
Leitsatz (amtlich)
Außergewöhnliche Umstände, die es rechtfertigen können, auf der Grundlage der Ausnahmevorschrift des Art. 33 Abs. 2 letzter Gedankenstrich der Verordnung (EWG) Nr. 3886/92 von einer Herabsetzung der individuellen Höchstgrenze für Prämienansprüche eines Rinderzüchters abzusehen, können dann vorliegen, wenn die tatsächliche Situation des Betriebes sich nicht verändert hat und die Nichtnutzung von Prämienansprüchen auf anderen Gründen beruht.
Normenkette
VO (EWG) Nr. 805/68 Art. 4a, Nr. 3886/92 Art. 33, Nr. 3887/92 Art. 10
Verfahrensgang
OVG für das Land NRW (Urteil vom 29.04.2004; Aktenzeichen 20 A 2983/02) |
VG Münster (Urteil vom 05.06.2002; Aktenzeichen 9 K 383/02) |
Tenor
Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 29. April 2004 und das Urteil des Verwaltungsgerichts Münster vom 5. Juni 2002 werden teilweise geändert. Der Bescheid des Beklagten vom 3. Mai 1999 und sein Widerspruchsbescheid vom 4. November 1999 werden aufgehoben.
Im Übrigen wird die Revision des Klägers zurückgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits vor dem Verwaltungsgericht tragen der Kläger zwei Fünftel und der Beklagte drei Fünftel, von den übrigen Verfahrenskosten tragen der Kläger zwei Drittel und der Beklagte ein Drittel.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten um Mutterkuhprämien.
Der Kläger beantragte am 20. April 1998 unter Hinweis auf seine individuelle Höchstgrenze von 65,3 Prämienansprüchen die Mutterkuhprämie für insgesamt 64 Mutterkühe im Wirtschaftsjahr 1998. Bei 17 Tieren gab er das Datum der ersten Abkalbung nicht an, bestimmte sie aber als Ersatztiere für Mutterkühe. Es handelte sich um trächtige Färsen. 10 von ihnen hatte der Kläger bereits im vorangegangenen Haltungszeitraum 1997 als Ersatz für Mutterkühe bestimmt, die am 21. Oktober 1997 aus seinem Bestand ausgeschieden waren; die 7 anderen sollten Mutterkühe ersetzen, die zwischen dem 21. Januar und dem 17. April 1998 aus dem Bestand ausgeschieden waren. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts kalbten 13 der Färsen noch vor dem Ende der Antragsfrist am 15. Mai 1998 ab.
Am 24. März 1999 zahlte der Beklagte Prämienvorschüsse für 47 Tiere in Höhe von 13 277,50 DM an den Kläger aus.
Mit Zuteilungsbescheid vom 3. Mai 1999 setzte der Beklagte die individuelle Höchstgrenze für Prämienansprüche mit Wirkung ab dem 10. Juni 1998 auf 47 herab. Der Kläger habe im Jahr 1998 weniger als 90 % seiner Prämienansprüche genutzt, weshalb der ungenutzte Anteil zugunsten der staatlichen Reserve freizusetzen sei. Die 17 trächtigen Färsen könnten nicht anerkannt werden; trächtige Färsen könnten nur anerkannt werden, wenn sie Mutterkühe nach Antragstellung während des 6-monatigen Haltungszeitraums ersetzten. Den Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 4. November 1999 zurück.
Mit weiterem Bescheid vom 23. August 2001 lehnte er den Prämienantrag für 1998 ab und forderte den gezahlten Vorschuss zuzüglich Zinsen in Höhe von 3 % über dem jeweiligen Basiszinssatz zurück. Die Differenz zwischen der Zahl der beantragten (64) und der prämienfähigen Tiere (47) liege über 20 %. Sie gehe auf fahrlässig falsche Angaben des Klägers zurück, weshalb überhaupt keine Prämie gewährt werden könne. Den hiergegen gerichteten Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 11. Januar 2002 zurück.
Mit seiner Klage begehrt der Kläger die Aufhebung des Zuteilungsbescheides sowie die Verpflichtung des Beklagten, ihm eine Mutterkuhprämie für 1998 für 64 Tiere zuzüglich 0,5 % Zinsen pro Monat seit Klageerhebung zu gewähren.
Das Verwaltungsgericht Münster hat den Beklagten mit Urteil vom 5. Juni 2002 zur Bewilligung einer Mutterkuhprämie für 1998 in Höhe von 8 757,84 DM verpflichtet und den angefochtenen Rückforderungsbescheid in dieser Höhe aufgehoben, die Klage im Übrigen aber abgewiesen. Dem Kläger stehe eine Prämie nur für 47 Tiere zu; denn seine Herde habe im Zeitpunkt der Antragstellung nur 47 Mutterkühe gezählt. Die trächtigen Färsen seien nicht prämienfähig. Der Prämienanspruch sei allerdings nicht auf Null, sondern lediglich um zweimal 17,04 % zu kürzen. Insofern komme nicht das Sanktionsrecht des Jahres 1998, sondern rückwirkend das dem Kläger günstigere Sanktionsrecht von 2001 zur Anwendung, nach dem zu einer Kürzung nur schuldhaft falsche Angaben im Antrag führten. Den Kläger treffe aber hinsichtlich der Färsen, die bereits im Vorjahreshaltungszeitraum zulässigerweise eine Mutterkuh ersetzt hatten, keine Schuld; nach der Formulierung der Belehrungen und der Gestaltung der Antragsformulare habe er vielmehr davon ausgehen können, dass eine derartige Färse ihren Status als Mutterkuhersatz auch im Folgejahr behalte. Das treffe auf 9 Färsen zu, so dass eine schuldhaft falsche Antragstellung nur hinsichtlich der 8 übrigen Färsen vorliege. Bezogen auf 47 prämienfähige Tiere entspreche dies einem Anteil von 17,04 %, was zu einer Kürzung des Prämienanspruchs um 34,08 % auf 8 757,84 DM führe. Dies sei nicht unverhältnismäßig und auch mit dem gemeinschaftsrechtlichen Subsidiaritätsprinzip vereinbar. Rückzahlung der erhaltenen Vorauszahlung nebst Zinsen schulde der Kläger daher nur in restlicher Höhe von 4 519,66 DM. In überschießender Höhe sei der Rückforderungsbescheid daher aufzuheben. Der Zuteilungsbescheid hingegen sei rechtmäßig. Der Beklagte habe die individuelle Höchstgrenze für Prämienansprüche mit Recht auf 47 Tiere herabgesetzt. Werde die Höchstgrenze in einem Prämienjahr nicht zu mindestens 90 % genutzt, so müsse die Behörde den nicht genutzten Anteil zur nationalen Reserve einziehen. Nutzen lasse sich die Höchstgrenze nur mit der Haltung prämienfähiger Tiere. 1998 habe der Kläger aber nur 47 prämienfähige Tiere gehalten. Auf Verschulden komme es nicht an, ein Ermessen habe die Behörde nicht.
Die Berufung des Klägers hat das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen mit Urteil vom 29. April 2004 zurückgewiesen. Das Verwaltungsgericht habe richtig erkannt, dass nur die 47 Kühe, nicht aber die 17 trächtigen Färsen prämienfähig gewesen seien. Das gelte auch für die 10 – nicht 9 – trächtigen Färsen, die im vorangegangenen Wirtschaftsjahr 1997 als prämienfähig anerkannt worden seien; jedes Wirtschaftsjahr sei nämlich für sich zu beurteilen. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts entfalle der Prämienanspruch aber vollständig, weil die Differenz zwischen der Zahl der beantragten und der Zahl der prämienfähigen Tiere mehr als 20 % betrage. Der Kläger könne sich für keines der 17 zu Unrecht beantragten Tiere auf den Sanktionsausschluss des neuen EG-Sanktionsrechts berufen, weil er sachlich unrichtige Angaben gemacht habe und – vor allem angesichts des vom Beklagten ausgegebenen Merkblatts – nicht auf andere Weise belegen könne, dass ihn keine Schuld treffe. Sei der Prämienanspruch für 1998 entfallen, so habe der Beklagte den ausgezahlten Vorschuss mit Recht zurückverlangt. Schließlich habe der Beklagte auch zu Recht die individuelle Höchstgrenze für den Kläger auf 47 Prämienansprüche festgelegt, weil er im Jahr 1998 nur diese Zahl von Ansprüchen und damit weniger als 90 % seiner bisherigen Höchstgrenze genutzt habe. Das Nutzen eines Anspruchs setze neben einer formgerechten Antragstellung voraus, dass die beantragten Tiere auch prämienfähig seien. Andernfalls würde der marktregulierende Zweck der Kontingentierung vereitelt. Der Einzug des ungenutzten Teilkontingents zur staatlichen Reserve stelle keine Sanktion, sondern eine verschuldensunabhängige Folge dar und sei auch nicht unverhältnismäßig, da der Kläger sein Kontingent bei zweckmäßigem Verhalten hätte ausschöpfen können.
Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Senat zugelassene Revision des Klägers. Er trägt im Wesentlichen vor: Nach dem Wortlaut der maßgeblichen Vorschrift seien neben Mutterkühen auch trächtige Färsen prämienfähig, die eine Mutterkuh ersetzten. Die Ersetzung müsse sich auf eine Mutterkuh aus dem Bestand des Züchters beziehen, die die Herde verlassen habe. Zum Zeitpunkt der Ersetzung besage die Vorschrift hingegen nichts. Die Auffassung des Berufungsgerichts zwinge den Züchter dazu, den geplanten Verkauf von Mutterkühen zu verschieben, bis eine trächtige Färse abgekalbt habe, selbst wenn dies unwirtschaftlich sei; lasse sich der Abgang der Mutterkuh nicht verschieben – etwa bei einer Notschlachtung –, so müsse der Züchter sogar herdenfremde Mutterkühe hinzukaufen, um – nach dem Rechtsstandpunkt des Berufungsgerichts – nicht noch eine Kontingentkürzung hinnehmen zu müssen. All dies liege nicht in der Absicht der EG-Verordnung. Deren Zweck bestehe zwar durchaus in der Einkommenssicherung; betrachtet werde die Herde des Züchters jedoch in ihrem kontinuierlichen Bestand und nicht lediglich in unverbunden nebeneinander stehenden Sechsmonatszeiträumen. Prämienfähig seien mithin alle 17 trächtigen Färsen, weil sie abgegangene Mutterkühe ersetzt hätten, jedenfalls aber diejenigen 10 Färsen, die bereits im Haltungszeitraum 1997 Mutterkühe ersetzt hätten und vom Beklagten als prämienfähig anerkannt worden seien. Sollte dem allem nicht zu folgen sein, so dürfe doch jedenfalls die individuelle Höchstgrenze nicht herabgesetzt werden. Denn er habe sein Kontingent auch 1998 vollständig “genutzt”. Ein Nutzen könne nicht schon dann geleugnet werden, wenn Fehler im Antrag oder spätere Fehler – etwa eine verzögerte Ersetzung einer abgegangenen Mutterkuh – dazu führten, dass einzelne Tiere nicht als prämienfähig anerkannt würden. Hier liege der Fehler allein darin, dass der Prämienantrag zu früh, nämlich vor dem Abkalben der hochträchtigen Färsen gestellt worden sei. 14 der 17 Färsen hätten noch innerhalb der Antragsfrist abgekalbt und wären dann auch nach der Auffassung des Berufungsgerichts prämienfähige Mutterkühe gewesen. Bei dieser Sachlage lasse sich nicht behaupten, das individuelle Kontingent sei nicht genutzt worden. Schließlich sei die Kontingentkürzung unverhältnismäßig. Der Fehler des zu frühen Antrags werde schon durch die Prämienkürzung sanktioniert; dann dürfe er aber nicht zusätzlich dadurch bestraft werden, dass die individuelle Höchstgrenze auf Dauer herabgesetzt werde.
Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil.
Mit Beschluss vom 23. August 2005 – BVerwG 3 C 12.05 – (Buchholz 451.90 Sonstiges Europäisches Recht Nr. 203) hat der Senat dem Europäischen Gerichtshof mehrere Fragen zur Gültigkeit und zur Auslegung sekundären Gemeinschaftsrechts vorgelegt. Der Europäische Gerichtshof hat die Fragen mit Urteil vom 4. Oktober 2007 – Rs. C-375/05 – (ABl 2007 Nr. C 297 S. 5 ≪Ls.≫) beantwortet.
Entscheidungsgründe
II
Soweit der Kläger eine höhere Prämienzahlung verlangt und sich gegen die Rückforderung des gezahlten Vorschusses wehrt, ist seine Revision unbegründet und zurückzuweisen (1.). Hinsichtlich des Zuordnungsbescheides hat die Revision hingegen Erfolg; insoweit führt sie zur Änderung der Urteile der Vorinstanzen und zur Aufhebung des Zuordnungsbescheides und des hierzu ergangenen Widerspruchsbescheides (2.).
1. Das Berufungsurteil lässt keinen Verstoß gegen revisibles Recht erkennen, soweit es den den Prämienanspruch des Klägers betreffenden Bescheid des Beklagten vom 23. August 2001 und den dazu ergangenen Widerspruchsbescheid vom 11. Januar 2002 als rechtmäßig erachtet hat.
a) Ob dem Kläger der geltend gemachte Prämienanspruch zusteht, beurteilt sich nach denjenigen Vorschriften des europäischen Gemeinschaftsrechts und des ergänzenden Bundesrechts, die sich für das in Rede stehende Wirtschaftsjahr 1998 Geltung beilegten, also nach der Verordnung (EWG) Nr. 805/68 des Rates vom 27. Juni 1968 über die gemeinsame Marktorganisation für Rindfleisch (ABl Nr. L 148/24) in der Fassung der Änderungsverordnung (EWG) Nr. 2066/92 vom 30. Juni 1992 (ABl Nr. L 215/49), bis zum hier maßgeblichen Zeitpunkt zuletzt geändert durch die Verordnung (EG) Nr. 2634/97 (ABl Nr. L 356/13), nach der Durchführungsverordnung (EWG) Nr. 3886/92 der Kommission vom 23. Dezember 1992 (ABl Nr. L 391/20), zuletzt geändert durch die Verordnung (EG) Nr. 2502/97 (ABl Nr. L 345/21), sowie nach der Verordnung über die Gewährung von Prämien an Erzeuger von Rind- und Schaffleisch (Rinder- und Schafprämien-Verordnung) vom 7. Oktober 1987 (BGBl I S. 2266) in der Fassung der Bekanntmachung vom 20. September 1995 (BGBl I S. 1146), zuletzt geändert durch Verordnung vom 9. Dezember 1997 (BGBl I S. 2873).
Nach Art. 4d Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 805/68 erhalten Erzeuger, die in ihrem Betrieb Mutterkühe halten, auf Antrag eine Prämie für die Erhaltung des Mutterkuhbestandes (Mutterkuhprämie). Nach Art. 4d Abs. 5 der Verordnung (EWG) Nr. 805/68 wird die Prämie Erzeugern gewährt, die während zwölf Monaten vom Tag des Prämienantrags an weder Milch noch Milcherzeugnisse aus ihrem Betrieb abliefern und die während mindestens sechs aufeinanderfolgenden Monaten vom Tag des Prämienantrags an mindestens die in dem Antrag angemeldete Zahl von Mutterkühen halten. Art. 4a dritter Gedankenstrich der Verordnung (EWG) Nr. 805/68 definiert als Mutterkuh (i) eine Kuh, die einer Fleischrasse angehört oder aus der Kreuzung mit einer dieser Rassen hervorgegangen ist und zu einem Bestand gehört, der zur Aufzucht von Kälbern für die Fleischerzeugung dient, und (ii) eine trächtige Färse, die dieselben Voraussetzungen erfüllt und eine Mutterkuh ersetzt.
b) Der Kläger meldete in seinem Antrag 47 Kühe und 17 trächtige Färsen an. Die Kühe waren Mutterkühe im Sinne von Art. 4a dritter Gedankenstrich Ziff. i der Verordnung (EWG) Nr. 805/68 und damit prämienfähig. Demgegenüber waren die 17 Färsen nicht prämienfähig.
Nach Art. 4a dritter Gedankenstrich Ziff. ii der Verordnung (EWG) Nr. 805/68 kann die Prämie für trächtige Färsen nur gewährt werden, wenn sie (jeweils) eine Mutterkuh ersetzen. Hierzu hat der Europäische Gerichtshof entschieden, dass Art. 4a dritter Gedankenstrich Ziff. ii der Verordnung (EWG) Nr. 805/68 dahin auszulegen ist, dass eine trächtige Färse nur dann als Mutterkuh im Sinne von Abschnitt 1 der Verordnung angesehen werden kann, wenn sie nach Einreichung des Prämienantrags für das Wirtschaftsjahr eine Mutterkuh ersetzt, die in diesem Antrag aufgeführt ist (Urteil vom 4. Oktober 2007 – Rs. C-375/05 – Rn. 15 ff., 21). Mit den 17 trächtigen Färsen wurden jedoch nicht nach Einreichung des Prämienantrags für das Wirtschaftsjahr 1998 Mutterkühe ersetzt, die in diesem Antrag aufgeführt waren. Vielmehr hat der Kläger den Prämienantrag sogleich für die Färsen gestellt. Mit den Färsen hat er dann aber keine Mutterkühe “ersetzt”.
Der Kläger meint, dass immerhin die 10 Tiere, die schon am 21. Oktober 1997 als trächtige Färsen Mutterkühe ersetzt hatten und deshalb im Wirtschaftsjahr 1997 prämienfähig gewesen waren, auch im Wirtschaftsjahr 1998 prämienfähig gewesen seien, obwohl sie erst nach Antragstellung abgekalbt haben, also auch bei Antragstellung für die Prämie 1998 noch trächtige Färsen waren. Auch dem kann nicht gefolgt werden. Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, dass zwar durchaus dieselbe trächtige Färse in zwei aufeinanderfolgenden Wirtschaftsjahren Mutterkühe ersetzen kann, dass sie jedoch in beiden Wirtschaftsjahren jeweils alle Voraussetzungen für die Prämienfähigkeit erfüllen muss (Urteil vom 4. Oktober 2007 ≪Rn. 22 ff., 25, 26≫). Damit war der Kläger zwar nicht gehindert, mit den 10 trächtigen Färsen, die bereits im Wirtschaftsjahr 1997 eine Mutterkuh ersetzt hatten und als prämienfähig anerkannt worden waren, auch im nachfolgenden Wirtschaftsjahr 1998 Mutterkühe zu ersetzen; doch durfte er auch diese Färsen im Wirtschaftsjahr 1998 nicht von vornherein im Antrag aufführen. Er hätte entweder vorübergehend Mutterkühe hinzuerwerben müssen, auch wenn dies wirtschaftlich wenig sinnvoll erscheinen mag, oder aber zuwarten müssen, ob die Färsen noch vor Ablauf der Antragsfrist abkalbten.
Schließlich meint der Kläger, jedenfalls die 13 (nicht 14) Färsen seien als prämienfähig anzuerkennen, die nach den Feststellungen des Berufungsgerichts noch bis zum Ablauf der Antragsfrist am 15. Mai 1998 abgekalbt haben. Es dürfe ihm nämlich nicht zum Nachteil gereichen, dass er seinen Antrag zu früh, nämlich schon am 20. April 1998 gestellt hatte. Auch damit dringt er nicht durch. Wie der Europäische Gerichtshof entschieden hat, ist Art. 4a dritter Gedankenstrich Ziff. ii der Verordnung (EWG) Nr. 805/68 dahin auszulegen, dass eine trächtige Färse, für die ein Prämienantrag gestellt wurde, nicht prämienfähig ist und auch dadurch nicht prämienfähig wird, dass sie vor Ablauf der Antragsfrist abkalbt (Urteil vom 4. Oktober 2007 ≪Rn. 27 ff., 33≫).
2. Demgegenüber hat die Revision Erfolg, soweit die Vorinstanzen den Zuteilungsbescheid vom 3. Mai 1999, mit dem der Beklagte die individuelle Höchstgrenze für Prämienansprüche des Klägers herabgesetzt hat, und den dazu ergangenen Widerspruchsbescheid vom 4. November 1999 als rechtmäßig beurteilt haben.
a) Gemäß Art. 4d der Verordnung (EWG) Nr. 805/68 des Rates gilt für den Prämienanspruch jedes Erzeugers eine individuelle Höchstgrenze. Diese Höchstgrenze wird nach bestimmten Regeln in Orientierung an ein Bezugsjahr festgelegt. Nach Art. 4f der Verordnung (EWG) Nr. 805/68 bildet jeder Mitgliedstaat eine einzelstaatliche Reserve, aus der bestimmten Erzeugern Prämienansprüche eingeräumt werden können. Die Durchführungsbestimmungen finden sich in der Verordnung (EWG) Nr. 3886/92 der Kommission vom 23. Dezember 1992 (ABl Nr. L 391/20). Deren Art. 33 Abs. 2 in der Fassung der Änderungsverordnung (EG) Nr. 2311/96 vom 2. Dezember 1996 (ABl Nr. L 313/9) bestimmt, dass, wenn ein Erzeuger in jedem Jahr nicht mindestens 70 % seiner Ansprüche genutzt hat, der nicht genutzte Anteil der nationalen Reserve zugeführt wird, außer wenn ein ordnungsgemäß begründeter Ausnahmefall vorliegt; daneben bestehen noch weitere Ausnahmefälle, die hier nicht interessieren. Nach Art. 33 Abs. 4 wird die in Absatz 2 genannte Zahl von 70 % auf 90 % angehoben; in diesem Fall können die der nationalen Reserve zugeführten Ansprüche in den Jahren 1998 und 1999 nicht wieder verteilt werden.
b) Die Voraussetzungen der allgemeinen Regel des Art. 33 Abs. 2 und 4 der Verordnung (EWG) Nr. 3886/92 sind gegeben. Der Kläger hat im Jahr 1998 nicht mindestens 90 % seiner Prämienansprüche genutzt. Ihm standen 65,3 Prämienansprüche zu, er hat aber nur 47 Prämienansprüche genutzt. Insofern ist gleichgültig, dass er Prämien für 64 Tiere beantragt hat; entscheidend ist allein, dass von diesen Tieren nur 47 prämienfähig waren. Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, dass Art. 33 Abs. 2 und 4 der Verordnung (EWG) Nr. 3886/92 dahin auszulegen ist, dass ein Erzeuger seine Prämienansprüche in einem Wirtschaftsjahr nicht genutzt hat, wenn er einen Prämienantrag gestellt hat, dieser Antrag aber abgelehnt worden ist, weil die betreffenden Tiere nicht prämienfähig waren, selbst wenn der Antrag nicht missbräuchlich gestellt worden ist (Urteil vom 4. Oktober 2007 ≪Rn. 34 ff., 50≫).
c) Der Beklagte und die Vorinstanzen haben jedoch verkannt, dass hinsichtlich der 13 Färsen, die noch vor dem Ablauf der Antragsfrist am 15. Mai 1998 abgekalbt haben, “ordnungsgemäß ein begründeter Ausnahmefall” vorliegt.
aa) Die Ausnahmevorschrift des Art. 33 Abs. 2 letzter Gedankenstrich der Verordnung (EWG) Nr. 3886/92 ist restriktiv auszulegen (EuGH, Urteil vom 4. Oktober 2007 ≪Rn. 52, 57≫). Sie stellt eine allgemeine Billigkeitsklausel dar, die es den Behörden und Gerichten der Mitgliedstaaten gestattet und gebietet, die besonderen Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen (EuGH ebd. ≪Rn. 54≫). Sie ist dazu bestimmt, Situationen zu erfassen, in denen die Anwendung des allgemeinen Grundsatzes eine außergewöhnliche Härte bedeuten würde, die aber in einer allgemeinen Regel nicht alle einzeln aufgeführt werden können. Dabei handelt es sich um Situationen, in denen es gerecht und billig ist, dem Erzeuger zu erlauben, seine Prämienansprüche, auch wenn er sie aufgrund außergewöhnlicher Umstände vorübergehend (d.h. in einem Wirtschaftsjahr) nicht nutzen kann, später (d.h. in den folgenden Wirtschaftsjahren wieder) geltend zu machen (EuGH ebd. ≪Rn. 53≫).
Die Anwendung der Billigkeitsklausel setzt damit dreierlei voraus.
Zum einen müssen außergewöhnliche Umstände vorliegen, die den Erzeuger an einer Nutzung seiner Prämienansprüche in einem Wirtschaftsjahr gehindert haben. Diese Umstände müssen nicht die Qualität höherer Gewalt haben (so aber offenbar VG Arnsberg, Urteil vom 29. April 2003 – 8 K 5042/01 – UA S. 9). Dem Erzeuger trotz der Nichtnutzung die Prämienansprüche zu erhalten, kann auch in anderen Fällen gerecht und billig sein. Dabei ist in Rechnung zu stellen, dass die Einziehung der Prämienansprüche nach der allgemeinen Regel des Art. 33 Abs. 2 und 4 der Verordnung (EWG) Nr. 3886/92 die zwingende Folge der Nichtnutzung ist, ohne Rücksicht auf deren Gründe. Mit der Billigkeitsklausel eröffnet die Verordnung den Weg, die Gründe der Nichtnutzung im Einzelfall zu berücksichtigen. Als außergewöhnlich und daher im Sinne der Billigkeitsklausel berücksichtigungsfähig stellen sich diese Gründe aber nur dann dar, wenn sie von den Gründen der Nichtnutzung abweichen, die der Normgeber bei seiner Regelung im Auge hatte. Der Europäische Gerichtshof hat den Zweck der Einziehungsregelung darin gesehen, die individuelle Höchstgrenze an die tatsächlichen Verhältnisse des Betriebes anzupassen (EuGH, Urteil vom 4. Oktober 2007 ≪Rn. 40≫). Der Regelung liegt demnach die Annahme zugrunde, die tatsächliche Situation des Betriebes habe sich verändert, und diese Veränderung komme in der Nichtstellung eines Prämienantrags oder in der Stellung eines unbegründeten Prämienantrags zum Ausdruck (vgl. EuGH ebd. ≪Rn. 37≫). Die Anwendung der Billigkeitsklausel kommt mithin in Betracht, wenn die tatsächliche Situation des Betriebes sich nicht verändert hat und die Nichtnutzung der Prämienansprüche in einem Wirtschaftsjahr auf anderen Gründen beruht. Das können subjektive wie objektive Gründe sein (EuGH ebd. ≪Rn. 54≫). Es kommen mithin auch Umstände in Betracht, die in der Sphäre des Erzeugers liegen. Die unzutreffende Auslegung der anwendbaren Rechtsvorschriften allein, ohne dass besondere Umstände vorliegen, kann freilich einen Ausnahmefall nicht begründen (EuGH ebd. ≪Rn. 55≫).
Die Billigkeitsklausel ist aber nicht schon allein deshalb anzuwenden, weil sich die tatsächliche Situation des Betriebes nicht verändert hat und die Nichtnutzung der Prämienansprüche in einem Wirtschaftsjahr andere Gründe hat. Hinzu kommen muss eine Bewertung der Folgen: Die Anwendung des allgemeinen Grundsatzes, dass die Nichtnutzung zur Einziehung der Prämienansprüche führt, muss für den Erzeuger zusätzlich eine außergewöhnliche Härte bedeuten (EuGH, Urteil vom 4. Oktober 2007 ≪Rn. 53≫). Eine außergewöhnliche Härte kann dabei nicht erst bei wirtschaftlicher Existenzvernichtung angenommen werden. Es handelt sich ohnehin nicht um einen absoluten, sondern um einen relativen Maßstab, der eine Abwägung zwischen Ursachen und Folgen erlaubt und erfordert. Eine außergewöhnliche Härte liegt vor, wenn die Einziehung der Prämienansprüche in Ansehung der Gründe für deren vorübergehende Nichtnutzung als ungerecht und unbillig erscheint (vgl. EuGH ebd. ≪Rn. 53≫). Damit wird den Behörden und Gerichten der Mitgliedstaaten gestattet, dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit auch im Einzelfall Rechnung zu tragen, wie es das primäre Gemeinschaftsrecht sowie in vielen Mitgliedstaaten und so auch in Deutschland das nationale Verfassungsrecht gebieten.
Der Ausnahmefall muss schließlich “ordnungsgemäß begründet” sein. Der Erzeuger muss alle Umstände vortragen, aus denen sich das Vorliegen eines Ausnahmefalles ergibt (EuGH, Urteil vom 4. Oktober 2007 ≪Rn. 56≫). Offen lässt der Europäische Gerichtshof, wann der Erzeuger dies tun muss, insbesondere ob eine Darlegung im Zusammenhang mit einem Rechtsmittel gegen die Einziehung von Prämienansprüchen zur nationalen Reserve noch rechtzeitig ist. Das braucht hier nicht weiter vertieft zu werden; denn der Kläger hatte alle Umstände bereits zuvor im Zuge seines Prämienantrags mitgeteilt.
bb) Bei Anwendung der vorstehenden Grundsätze auf den vorliegenden Fall ergibt sich, dass hinsichtlich der 13 Färsen, die noch vor dem Ablauf der Antragsfrist abgekalbt haben, ein begründeter Ausnahmefall vorliegt.
Dass der Kläger seine Prämienansprüche im Wirtschaftsjahr 1998 nicht vollständig genutzt hat, fand seinen Grund nicht darin, dass sich die tatsächliche Situation seines Betriebes verändert hätte; die Zahl seiner Stallplätze sowie der Bestand seiner Herde sind gegenüber 1997 unverändert geblieben. Die Nichtnutzung von Prämienansprüchen lag vielmehr daran, dass der Kläger seinen Prämienantrag zu früh gestellt hat. Der Kläger wollte seine Prämienansprüche auch im Wirtschaftsjahr 1998 annähernd vollständig ausnutzen; er hat – bei einer individuellen Höchstmenge von 65,3 Prämienansprüchen – für 64 Tiere einen Prämienantrag gestellt. Er hat seine Prämienansprüche aber nur zu 72 % ausgenutzt, weil 17 Tiere bei Antragstellung keine Mutterkühe, sondern trächtige Färsen waren. Sobald sie abgekalbt hatten, wurden die Färsen zu – an sich prämienfähigen – Mutterkühen. Da dieses Ereignis bei 13 der Färsen noch innerhalb der Antragsfrist eintrat, hätte der Kläger im Wirtschaftsjahr 1998 auch für diese Tiere begründete Prämienanträge stellen können. Die tatsächliche Situation seines Betriebes hatte sich auch im Wirtschaftsjahr 1998 mithin nicht maßgeblich verändert; er hatte eine hinlängliche Anzahl von Mutterkühen im Betrieb, mit denen er seine Prämienansprüche zu mehr als 90 % hätte ausschöpfen können.
Die verfrühte Antragstellung führte zum Verlust der Prämienzahlung für das Wirtschaftsjahr 1998, und zwar nicht nur in Ansehung dieser 13 Tiere, sondern – im Wege der Sanktion – auch für die 47 Tiere, die bei Antragstellung bereits Mutterkühe waren (oben 1.). Dem Kläger obendrein Prämienansprüche für die Folgejahre zu entziehen, erschiene unter diesen Umständen nicht mehr als gerecht und billig. Eine solche Folge stünde in keinerlei Verhältnis mehr zu dem Gewicht des Fehlers, der dem Kläger mit der verfrühten Antragstellung unterlaufen war. Dabei ist in Rechnung zu stellen, dass jedenfalls 10 dieser 13 Tiere im Vorjahr 1997 als prämienfähig anerkannt worden waren; dass sie im neuen Wirtschaftsjahr 1998 gleichwohl nicht sogleich prämienfähig sein würden, musste den Kläger überraschen. Insofern ist ihm zwar eine falsche Rechtsanwendung unterlaufen, die als solche eine Anwendung der Ausnahmevorschrift nicht zu rechtfertigen vermag (EuGH, Urteil vom 4. Oktober 2007 ≪Rn. 55≫); der Rechtsirrtum liegt aber geradezu nahe und war daher bis zur Klärung der Rechtslage im vorliegenden Rechtsstreit jedenfalls unverschuldet.
Der Kläger hat den Umstand, dass 13 – nicht wie in der Revision vorgetragen 14 – der 17 im Antrag aufgeführten trächtigen Färsen noch vor dem 16. Mai 1998, also vor dem Auslaufen der Antragsfrist abgekalbt hatten, auch mit seinem Schreiben vom 29. Juli 1998 zur weiteren Begründung seines Prämienantrages und damit für die Zwecke der Anwendung des Art. 33 Abs. 2 letzter Gedankenstrich der Verordnung (EWG) Nr. 3886/92 “ordnungsgemäß” geltend gemacht.
Nach allem lag hinsichtlich dieser 13 Tiere ein Ausnahmefall im Sinne des Art. 33 Abs. 2 letzter Gedankenstrich der Verordnung (EWG) Nr. 3886/92 vor. Deshalb ist der Kläger so zu behandeln, als habe er im Wirtschaftsjahr 1998 seine Prämienansprüche auch hinsichtlich dieser 13 Tiere und damit insgesamt zu mehr als 90 % genutzt. Dann aber kam eine Einziehung von Prämienansprüchen zur nationalen Reserve nicht in Betracht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO.
Unterschriften
Kley, van Schewick, Dr. Dette, Liebler, Prof. Dr. Rennert
Fundstellen