Verfahrensgang
Sächsisches OVG (Urteil vom 09.03.2023; Aktenzeichen 1 C 22/22) |
Tenor
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 9. März 2023 ergangenen Urteil des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 20 000 € festgesetzt.
Gründe
Rz. 1
Die auf alle Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde bleibt erfolglos. Sie verfehlt überwiegend die Darlegungsanforderungen und ist im Übrigen unbegründet.
Rz. 2
I. Die Revision ist nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Beschwerde beimisst.
Rz. 3
Grundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrunde liegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), also näher ausgeführt werden, dass und inwieweit eine bestimmte Rechtsfrage des revisiblen Rechts im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und warum ihre Klärung in dem beabsichtigten Revisionsverfahren zu erwarten ist (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 2. Oktober 1961 - 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 ≪91≫ und vom 14. Oktober 2019 - 4 B 27.19 - Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 225 Rn. 4).
Rz. 4
1. Die Beschwerde möchte rechtsgrundsätzlich klären lassen,
ob die Gemeinde bei Erlass einer Veränderungssperre verpflichtet ist, nach außen hin eine rudimentäre Planungsabsicht und ein Planungsziel erkennen zu lassen, sowie,
ob eine Veränderungssperre allein und ausschließlich zur Verhinderung eines Bauvorhabens zulässig ist.
Rz. 5
Die Fragen haben keine grundsätzliche Bedeutung, weil sie in der Rechtsprechung geklärt sind. Eine Veränderungssperre darf nur erlassen werden, wenn die Planung, die sie sichern soll, ein Mindestmaß dessen erkennen lässt, was Inhalt des zu erwartenden Bebauungsplans sein soll. Wesentlich ist dabei, dass die Gemeinde im Zeitpunkt des Erlasses einer Veränderungssperre bereits positive Vorstellungen über den Inhalt des Bebauungsplans entwickelt hat. Eine Negativplanung, die sich darin erschöpft, einzelne Vorhaben auszuschließen, reicht nicht aus (stRspr, vgl. BVerwG, Urteile vom 9. August 2016 - 4 C 5.15 - BVerwGE 156, 1 Rn. 19 m. w. N. und vom 25. April 2023 - 4 CN 9.21 - juris Rn. 32). Dass diese Rechtsprechung einer Weiterentwicklung oder der Korrektur bedürfte, zeigt die Beschwerde nicht auf.
Rz. 6
2. Die Beschwerde wirft die Frage auf,
ob die Gemeindeverwaltung verpflichtet ist, den Stadtrat vor Beschluss einer Veränderungssperre vollständig über den Inhalt des in Aufstellung befindlichen Bebauungsplans zu informieren sowie darüber, ob es gegenüber den ursprünglichen Planungszielen Änderungen gegeben hat.
Rz. 7
Sie legt indes keinen Klärungsbedarf dar. Das Oberverwaltungsgericht hat den Einwand, der Gemeinderat sei bei seiner Beschlussfassung unzureichend informiert gewesen, am Maßstab des irrevisiblen sächsischen Kommunalrechts beurteilt und zurückgewiesen (UA Rn. 33 ff.). Mit Blick auf welche Vorschrift des revisiblen Rechts insoweit Klärungs- oder Korrekturbedarf bestehen könnte, erläutert die Beschwerde nicht.
Rz. 8
3. Auch die weiteren als rechtsgrundsätzlich bezeichneten Fragen führen nicht zur Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
Rz. 9
a) Die Beschwerde möchte klären lassen, ob eine Veränderungssperre nach § 14 Abs. 1 BauGB noch erlassen werden darf, wenn der Aufstellungsbeschluss für den Bebauungsplan bereits mehrere Jahre zurückliegt. Die Frage ist in der Rechtsprechung des Senats beantwortet: Das Baugesetzbuch regelt nicht, welche Zeitspanne längstens zwischen der Beschlussfassung über die Aufstellung eines Bebauungsplans und dem Erlass der Veränderungssperre liegen darf. Dieser Zeitraum kann auch länger sein als die in § 17 BauGB geregelte Dauer der Veränderungssperre (BVerwG, Beschluss vom 26. Juni 1992 - 4 NB 19.92 - Buchholz 406.11 § 14 BauGB Nr. 21 S. 10).
Rz. 10
b) Das Baugesetzbuch beantwortet die als grundsätzlich aufgeworfene Frage, ob die Gemeinde auf die Anregung einer Fachbehörde einen Planentwurf nach dessen öffentlicher Auslegung verändern darf. Die Gemeinde hat diese Befugnis (vgl. § 4a Abs. 3 Satz 1 BauGB).
Rz. 11
c) Es ist nicht klärungsbedürftig, dass eine Gemeinde eine Veränderungssperre erlassen darf, wenn sie im Baugenehmigungsverfahren die vollständige "Genehmigungshoheit" hat. Auch solche Gemeinden können eine Veränderungssperre zur Sicherung ihrer Planung erlassen, die Trägerinnen der Baugenehmigungsbehörde und daher verpflichtet sind, Bauanträge abzulehnen, die - aus welchen Gründen immer - die Genehmigungsvoraussetzungen nicht erfüllen.
Rz. 12
II. Die Revision ist nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO wegen einer Abweichung von Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts zuzulassen.
Rz. 13
Nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO ist die Revision zuzulassen, wenn das Urteil von einer Entscheidung (u. a.) des Bundesverfassungsgerichts oder des Bundesverwaltungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Diese Abweichung setzt einen Widerspruch in einem abstrakten Rechtssatz voraus, also einen prinzipiellen Auffassungsunterschied über den Bedeutungsgehalt einer bestimmten Rechtsvorschrift oder eines Rechtsgrundsatzes (BVerwG, Beschluss vom 21. Dezember 2017 - 6 B 43.17 - Buchholz 421.2 Hochschulrecht Nr. 198 Rn. 4). In der Beschwerdebegründung muss nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO die Entscheidung bezeichnet werden, von der das Urteil abweicht. Der Beschwerde obliegt es, aus einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts einen tragenden, abstrakten Rechtssatz zu einer revisiblen Rechtsvorschrift zu benennen und darzulegen, dass die Entscheidung der Vorinstanz auf einem abweichenden abstrakten Rechtssatz zu derselben Rechtsvorschrift beruht. Für eine Abweichung nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO genügt nicht der Vorwurf, die Vorinstanz habe einen abstrakten Rechtssatz des Bundesverwaltungsgerichts fehlerhaft oder gar nicht angewandt (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 ≪n. F.≫ VwGO Nr. 26 S. 14 f. und vom 23. August 2021 - 4 BN 10.21 - NVwZ 2021, 1702 Rn. 11).
Rz. 14
Die Beschwerde macht eine Abweichung von dem Senatsurteil vom 19. Februar 2004 - 4 CN 16.03 - (BVerwGE 120, 138 ≪148≫) und von dem Senatsbeschluss vom 16. Dezember 2013 - 4 BN 18.13 - (BRS 81 Nr. 130 S. 732) geltend und erwähnt weitere Entscheidungen des beschließenden Senats (BVerwG, Urteil vom 10. September 1976 - 4 C 39.74 - BVerwGE 51, 121 und Beschlüsse vom 1. Oktober 2009 - 4 BN 34.09 - Buchholz 406.11 § 14 BauGB Nr. 29 Rn. 9, vom 15. März 2012 - 4 BN 9.12 - ZfBR 2012, 477 Rn. 3 und vom 8. September 2016 - 4 BN 22.16 - BRS 84 Nr. 52 S. 318). Sie benennt aber keinen abstrakten Rechtssatz aus dem angegriffenen Urteil, mit dem sich die Vorinstanz zu einem Rechtssatz aus diesen Entscheidungen in Widerspruch gesetzt hätte. Sie beschränkt sich darauf, das Urteil des Oberverwaltungsgerichts im Stile eines zulassungsfreien Rechtsmittels zu beanstanden und einzelne Äußerungen der Berichterstatterin aus der mündlichen Verhandlung zu kritisieren. Dies verfehlt die Anforderungen an die Darlegung einer Abweichung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO. Dies gilt auch, soweit die Beschwerde eine Abweichung von dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Januar 1967 - 1 BvR 1969/63 - (BVerfGE 21, 73 ≪82 ff.≫) geltend macht.
Rz. 15
Der Verweis auf Entscheidungen eines Oberverwaltungsgerichts und eines Verwaltungsgerichtshofs führt nicht zur Zulassung der Revision, weil diese Entscheidungen nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO divergenzfähig sind.
Rz. 16
III. Die Revision ist nicht wegen eines Verfahrensmangels nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen. Die Beschwerde legt keine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG und § 108 Abs. 2 VwGO dar.
Rz. 17
Eine Entscheidung ist eine das rechtliche Gehör verletzende Überraschungsentscheidung, wenn das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf - selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen - nicht zu rechnen brauchte (stRspr, vgl. etwa BVerwG, Beschlüsse vom 25. Mai 2001 - 4 B 81.00 - Buchholz 310 § 108 Abs. 2 VwGO Nr. 34 S. 20 f. und vom 15. Juli 2022 - 4 B 32.21 - juris Rn. 24). Die Beschwerde weist indes selbst darauf hin, dass die Frage der ordnungsgemäßen Ausfertigung der Veränderungssperre in der mündlichen Verhandlung durch eine Zweitausfertigung der Satzung erörtert worden ist. Die Beteiligten mussten damit rechnen, dass das Oberverwaltungsgericht diese Frage behandeln und wie geschehen (vgl. UA Rn. 48 ff.) beantworten würde. Dass die Antragstellerin die Auffassung der Vorinstanz für falsch hält, verletzt ihren Anspruch auf rechtliches Gehör nicht.
Rz. 18
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Fundstellen
Dokument-Index HI15941004 |