Entscheidungsstichwort (Thema)

Offenbare Unrichtigkeit eines computergefertigten Verwaltungsakts. Offensichtlichkeit der Unrichtigkeit für die Beteiligten;. „objektiver Empfängerhorizont”;. Verhältnis zur Berichtigung nach der Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Frage, wie der Begriff der offenbaren Unrichtigkeit „in einem Verwaltungsakt” (§ 42 Satz 1 VwVfG) zu verstehen ist.

 

Normenkette

VwVfG § 42 S. 1; AO § 129 S. 1

 

Verfahrensgang

Hessischer VGH (Entscheidung vom 14.08.1985; Aktenzeichen 6 UE 655/85)

VG Wiesbaden (Entscheidung vom 25.02.1985; Aktenzeichen VI/1 E 840/83)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluß des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 14. August 1985 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstands wird für das Beschwerdeverfahren auf 4 000 DM festgesetzt.

 

Gründe

Der Kläger wendet sich gegen einen Bescheid der Beklagten, der seinen Studentenausweis nebst Stammdatenausdruck und Studienbescheinigungen dahin berichtigt, daß das Studienfach nicht Zahnmedizin, sondern Wirtschaftswissenschaften lautet. Der Kläger will festgestellt wissen, daß er in dem Studienfach Zahnmedizin eingeschrieben ist. Klage und Berufung blieben ohne Erfolg.

Die Beschwerde, mit der der Kläger die Zulassung der Revision gegen den Beschluß des Verwaltungsgerichtshofs erstrebt, ist nicht begründet. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil es an den geltend gemachten Zulassungsgründen der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und der Abweichung von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) fehlt.

1. Der Verwaltungsgerichtshof habe – so meint die Beschwerde – die Frage, ob computergefertigte Verwaltungsakte wegen offensichtlicher Unrichtigkeit zu berichtigen sind, wenn der Fehler auf ein mechanisches Versehen im Willensbildungsbereich zurückgeht, falsch entschieden. Er habe verkannt, daß die Berichtigungsregelung des § 42 Satz 1 VwVfG diesen Fall im Gegensatz zu § 129 Satz 1 AO nicht erfasse. Die vom Verwaltungsgerichtshof angenommene Unrichtigkeit komme im Studentenausweis nicht zum Ausdruck. Sie könne daher nur berücksichtigt werden, wenn man § 42 Satz 1 VwVfG entgegen seinem Wortlaut die in § 129 Satz 1 AO normierte Befugnis zur Berichtigung auch solcher Unrichtigkeiten entnehme, die der Behörde beim Erlaß des Verwaltungsakts unterlaufen sind. Die Fragen, ob das zulässig sei und ob es für die Beurteilung der offensichtlichen Unrichtigkeit des Verwaltungsakts auf die Sicht des Verfügungsempfängers oder auf die eines objektiven Dritten ankomme, seien rechtsgrundsätzlich bedeutsam und klärungsbedürftig.

In einem Revisionsverfahren sind die von der Beschwerde aufgeworfenen Fragen indessen nicht zu klären; sie würden sich dort so nicht stellen.

Die Beschwerde bemängelt an dem vorinstanzlichen Beschluß, daß aus der Eintragung des Studienfachs Zahnmedizin in den Studentenausweis nicht dessen Unrichtigkeit gefolgert werden könne und daß es deshalb an der in § 42 Satz 1 VwVfG normierten Voraussetzung für eine Berichtigung der offenbaren Unrichtigkeit „in einem Verwaltungsakt” fehle. Die Beschwerde verkennt hierbei, daß die Tatsachen, die die Unrichtigkeit eines Verwaltungsakts offenkundig machen, sich nicht sämtlich aus diesem Verwaltungsakt selbst ergeben müssen. Zu berichtigen ist ein Verwaltungsakt nach § 42 Satz 1 VwVfG nämlich auch dann, wenn erst durch weitere im Zusammenhang mit dem Erlaß des Verwaltungsakts stehende Umstände die in dem Verwaltungsakt zum Ausdruck kommende inhaltliche Unrichtigkeit für die Beteiligten unverkennbar und augenfällig wird. Davon geht der Verwaltungsgerichtshof aus, der in Würdigung des auf die Zulassung zum Studium der Wirtschaftswissenschaften gerichteten Immatrikulationsantrags des Klägers und des dem Studentenausweis beigefügten Stammdatenausdrucks, der dem Kläger die Wahlberechtigung im Fachbereich Wirtschaftswissenschaften bescheinigt, zu der Überzeugung gelangt ist, daß die Eintragung „Zahnmedizin” im Studentenausweis des Klägers offensichtlich unrichtig ist. Entscheidend ist, daß den Beteiligten aus einer solchen Konstellation heraus die Unrichtigkeit ohne weiteres auffällt. Denn Unrichtigkeiten sind dann offenbar, wenn sich der Irrtum aus dem Zusammenhang des Verwaltungsakts oder den Vorgängen bei seiner Bekanntgabe ergibt (Stelkens/Bonk/Leonhardt, VwVfG, Kommentar, 2. Auflage 1983, RdNr. 12 zu § 42). Auf den „objektiven Empfängerhorizont” eines „Außenstehenden”, auf den die Beschwerde abgestellt haben möchte, kommt es nicht an. Der Standpunkt unbeteiligter Dritter ist nur insofern von Bedeutung, als sich die Unrichtigkeit jedermann aufdrängen muß, der in die Lage der Beteiligten versetzt wird und von daher urteilt, ob der Verwaltungsakt inhaltlich unrichtig ist. Daß § 42 Satz 1 VwVfG dies fordert, liegt auf der Hand und ist daher nicht weiter klärungsbedürftig.

Hiernach ist es auch nicht entscheidungserheblich, ob Unrichtigkeiten, die beim Erlaß computergefertigter Verwaltungsakte unterlaufen sind und von der Steuerverwaltung nach § 129 Satz 1 AO berichtigt werden könnten, ebenso nach § 42 Satz 1 VwVfG zu berichtigen wären. Diese Frage würde sich in einem Revisionsverfahren nur unter der hier nicht gegebenen Voraussetzung stellen, daß sich eine versehentlich verursachte Unrichtigkeit nicht bereits aus dem Verwaltungsakt und etwaigen weiteren den Beteiligten bekannten Umständen seines Erlasses ergibt.

2. Die Beschwerde meint, der vorinstanzliche Beschluß weiche von den Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts vom 12. Juli 1972 – BVerwG 6 C 24.69 – und vom 11. Juni 1975 – BVerwG 8 C 12.74 – ab. Die offenbare Unrichtigkeit eines Verwaltungsakts sei nach der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtshofs aus der Sicht des Adressaten zu beurteilen, während nach den Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts der objektive Empfängerhorizont eines Außenstehenden zum Maßstab für die Offensichtlichkeit genommen werden müsse. Eine solche Divergenz ist nicht gegeben. In den Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts wird der Begriff der offenbaren Unrichtigkeit verdeutlichend umschrieben; ein Rechtssatz des Inhalts, daß es für die Offensichtlichkeit nicht auf den Standpunkt der Beteiligten, sondern den eines Außenstehenden ankomme, ist ihnen nicht zu entnehmen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 14 Abs. 1 Satz 1 GKG in Verbindung mit § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG.

 

Unterschriften

Prof. Dr. Sendler, Kreiling, Seebass

 

Fundstellen

Dokument-Index HI651842

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