Entscheidungsstichwort (Thema)
Bebauungsplan. Festsetzungen. Baugebiet, Gemeinbedarfsfläche. Berufsgenossenschaft, Verwaltungsgebäude. Baunutzungsverordnung, Typenzwang
Leitsatz (amtlich)
Das Verwaltungsgebäude einer Berufsgenossenschaft als eines Trägers der gesetzlichen Sozialversicherung ist als Anlage des Gemeinbedarfs auf einer gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 5 BauGB im Bebauungsplan festgesetzten Fläche zulässig.
Die Art der baulichen Nutzung kann im Bebauungsplan außer durch Baugebietsfestsetzungen nach der BauNVO auch durch anderweitige Flächenfestsetzungen nach § 9 Abs. 1 BauGB (hier: Nr. 5, Gemeinbedarf) bestimmt werden; Baugebietsfestsetzungen haben keinen Vorrang.
Normenkette
BauGB § 9 Abs. 1 Nr. 5
Verfahrensgang
Niedersächsisches OVG (Urteil vom 24.04.1997; Aktenzeichen 6 K 288/96) |
Tenor
Die Beschwerde der Antragsteller gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 24. April 1997 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen die Antragsteller zu 1, zu 4 und zu 5 jeweils allein zu einem Fünftel und die Antragsteller zu 2 und 3 sowie zu 6 und 7 jeweils als Gesamtschuldner zu einem Fünftel.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 100.000 DM festgesetzt.
Gründe
Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde ist unbegründet. Aus dem Beschwerdevorbringen ergibt sich kein Grund, der die Zulassung der Revision rechtfertigen könnte.
1. Auf die beiden Fragen zur Begründung eines Bebauungsplans kommt es nicht an. Ob die Widersprüchlichkeit von Festsetzungen eines Bebauungsplans durch die Begründung des Plans geheilt werden kann und ob eine sich aus der zeichnerischen Darstellung ergebende Festsetzung – hier: Viergeschossigkeit – wegen der Begründung unbeachtlich werden kann, ist für das Beschwerdeverfahren unerheblich. Die Fragen beruhen auf einer Würdigung der Festsetzungen über die Geschoßzahl im streitigen Bebauungsplan durch die Antragsteller, die das Normenkontrollgericht nicht geteilt hat. Es hält die zeichnerische Darstellung zwar für nicht eindeutig, meint jedoch, daß die maximal zulässige Dreigeschossigkeit letztlich genügend deutlich zum Ausdruck gebracht worden sei; dabei stützt es sich – auch – auf die Begründung des Bebauungsplans. Das Normenkontrollgericht geht somit nicht davon aus, daß sich schon aus der zeichnerischen Darstellung mehrerer kleiner römischer Ziffern (auch „IV”) neben einer großen „III” eine Viergeschossigkeit ergibt, und es wertet diese Darstellungen auch nicht als widersprüchlich, sondern nur als „nicht eindeutig”. Hiervon müssen die Antragsteller und Beschwerdeführer, aber auch das Beschwerdegericht ausgehen. Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist nämlich das Normenkontrollurteil, nicht etwa der den Gegenstand des Normenkontrollverfahrens bildende Bebauungsplan in der Auslegung durch die Antragsteller.
Auf der Grundlage der Würdigung des Normenkontrollgerichts stellen sich keine grundsätzlichen Fragen. Denn es ist geklärt, daß die Begründung des Bebauungsplans zwar nicht normativer Bestandteil der Satzung nach § 10 BauGB und mithin nicht „Planinhalt” ist (vgl. Beschluß vom 21. Februar 1986 – BVerwG 4 N 1.85 – BVerwGE 74, 47 ≪50≫), daß sie aber eine wesentliche Hilfe für die Verdeutlichung und Auslegung des Bebauungsplans darstellt, also in ihrer Funktion nicht auf die bloße Dokumentation der für den Plan maßgeblichen Motive beschränkt ist (vgl. Urteil vom 22. Mai 1987 – BVerwG 4 C 57.84 – BVerwGE 77, 300 ≪306≫).
2. Nicht entscheidungserheblich sind ferner die zum Begriff der Einrichtungen des Gemeinbedarfs gestellten Fragen. Ob und wann eine „Versicherung” eine Einrichtung des Gemeinbedarfs ist, braucht aus Anlaß des vorliegenden Normenkontrollverfahrens nicht allgemein geklärt zu werden. Die hier festgesetzte Fläche für den Gemeinbedarf soll einer Berufsgenossenschaft dienen. Berufsgenossenschaften sind als Körperschaften des öffentlichen Rechts Träger der gesetzlichen Unfallversicherung; ihre Mitglieder und ihre Versicherten gehören ihnen regelmäßig nicht freiwillig, sondern kraft Gesetzes an; zu ihren Aufgaben gehört der Versicherungsschutz bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten, aber auch deren Verhütung. Damit unterscheiden sich Berufsgenossenschaften, soweit sie überhaupt Versicherungen sind, erheblich von zahlreichen anderen Versicherungen. Es spricht deshalb alles dafür, daß die Frage, ob auf einem als Fläche für den Gemeinbedarf gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 5 BauGB festgesetzten Grundstück ein Versicherungsgebäude errichtet werden darf, nicht für sämtliche Versicherungsarten einheitlich beantwortet werden kann; mangels Entscheidungserheblichkeit braucht dem aber nicht weiter nachgegangen zu werden.
Nicht klärungsbedürftig ist dagegen, daß das Verwaltungsgebäude einer Berufsgenossenschaft zu den auf Flächen für den Gemeinbedarf im Sinne von § 9 Abs. 1 Nr. 5 BauGB zulässigen Gebäuden gehört. Auf diesen Flächen sind bauliche Anlagen und Einrichtungen zulässig, die – wie Schulen und Kirchen der Allgemeinheit dienen; zulässig sind ferner sonstige Gebäude und Einrichtungen, die kirchlichen, sozialen, gesundheitlichen und kulturellen Zwecken dienen (vgl. § 5 Abs. 2 Nr. 2 BauGB). Der Allgemeinheit dient eine Anlage, wenn sie, ohne daß die Merkmale des Gemeingebrauchs erfüllt zu sein brauchen, einem nicht fest bestimmten wechselnden Teil der Bevölkerung dient (BVerwG, Beschluß vom 18. Mai 1994 – BVerwG 4 NB 15.94 – DVBl 1994, 1139 ≪1140≫). Dies ist auch bei dem Verwaltungsgebäude einer Berufsgenossenschaft der Fall. Sie erfüllt als Trägerin der gesetzlichen Sozialversicherung eine öffentliche Aufgabe für einen Teil der Bevölkerung. Bedenken gegen diese Einordnung werden, soweit ersichtlich, weder in der veröffentlichten Rechtsprechung noch in der Literatur geltend gemacht (Grauvogel ≪in: Brügelmann, BauGB, § 5 Rn. 48≫ rechnet Verwaltungsbauten von Versicherungsträgern sogar ausdrücklich zum Gemeinbedarf; nicht eindeutig Gierke, in: Brügelmann, BauGB, § 9 Rn. 168 und 169). Die Beschwerde beschränkt sich auf eine unsubstantiierte Kritik an dieser auch vom Normenkontrollgericht vertretenen Rechtsauffassung; ein Klärungsbedarf, der die Zulassung der Revision rechtfertigen könnte, wird nicht dargelegt.
3. Keine grundsätzliche Bedeutung haben die Fragen der Beschwerde zum Verhältnis der Festsetzung nach § 9 Abs. 1 Nr. 5 BauGB zur Festsetzung eines Baugebiets nach der Baunutzungsverordnung.
§ 9 Abs. 1 Nr. 5 BauGB bestimmt ausdrücklich, daß im Bebauungsplan Flächen für den Gemeinbedarf festgesetzt werden können. In seinem Beschluß vom 13. Juli 1989 – BVerwG 4 B 140.88 – (Buchholz 406.11 § 236 BauGB Nr. 1 – NVwZ 1990, 459) hat der Senat hierzu ausgeführt, daß durch eine solche Festsetzung die Art der baulichen Nutzung (im Sinne von § 30 Abs. 1 BauGB) festgelegt wird und daß demgemäß die Nutzungsart nicht nur durch die Festsetzung von Baugebieten im Sinne der BauNVO, sondern auch durch Festsetzungen aufgrund einzelner Bestimmungen des § 9 Abs. 1 BauGB bestimmt werden kann, also auch durch die Festsetzung einer Fläche für den Gemeinbedarf mit einer besonderen Zweckbestimmung. Daß vorrangig ein Baugebiet festzusetzen sei, hat der Senat dagegen nicht angenommen.
Ein Vorrang der Gebietsfestsetzung folgt auch nicht aus der Rechtsprechung zum sog. „Typenzwang”. Mit ihr hat der Senat betont, daß der Gemeinde kein „Festsetzungsfindungsrecht” zusteht, sondern daß sie einer gesetzlichen Grundlage bedarf, wenn sie den Inhalt und die Schranken des Eigentums durch Bauleitplanung bestimmt; diese Ermächtigungsgrundlage findet sich in § 9 BauGB und in den ergänzenden Vorschriften der nach § 2 Abs. 5 BauGB erlassenen Baunutzungsverordnung (vgl. BVerwG, Beschluß vom 31. Januar 1995 – BVerwG 4 NB 48.93 – DVBl 1995, 520 ≪521≫, m.w.N.). „Typenzwang” bedeutet deshalb nicht, daß in den Bebauungsplänen regelmäßig oder vorrangig Baugebiete entsprechend den Baugebietstypen der Baunutzungsverordnung festgesetzt werden müssen, sondern, daß sich die gemeindliche Bauleitplanung gemäß Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG des gesetzlich zur Verfügung gestellten Instrumentariums bedienen muß. Verboten sind Festsetzungen im Bebauungsplan, zu denen die Gemeinde nicht durch § 9 BauGB oder durch die Baunutzungsverordnung ermächtigt ist (vgl. BVerwG, Beschluß vom 15. August 1991 – BVerwG 4 N 1.89 – DVBl 1992, 32 ≪34≫). Ob und wann statt einer Festsetzung nach § 9 Abs. 1 Nr. 5 BauGB ein bestimmtes Baugebiet nach der BauNVO festgesetzt werden muß, ist dagegen keine Frage des Typenzwangs.
Welche Festsetzungstypen von der Gemeinde bei ihrer Bauleitplanung verwendet werden, steht grundsätzlich in ihrem planerischen Ermessen. Entscheidend ist allein, ob das gesetzte Planungsziel mit dem gewählten Instrumentarium erreicht werden kann. Dabei sind zwar die sich aus dem materiellen Planungsrecht, insbesondere aus dem Abwägungsgebot, ergebenden Bindungen zu beachten. Rechtsgrundsätzliche Fragen hierzu sind jedoch weder ersichtlich noch von der Beschwerde aufgeworfen.
4. Insbesondere braucht nicht geklärt zu werden, „ob eine Einrichtung des Gemeinbedarfs gegenüber benachbarten reinen Wohngrundstücken im Rahmen der Abwägung einen ‚bonus’ genießt, der die Rechte für benachbarte Wohngrundstücke gegenüber anderen Nutzungen verringert”. Die Frage ist wegen ihrer Allgemeinheit abstrakt nicht klärungsfähig. Auch das Normenkontrollgericht hat hier vornehmlich auf die gewachsene Situation und auf das „vergleichsweise geringe Störpotential” der hier streitigen Gemeinbedarfseinrichtung abgestellt. Die Frage wäre deshalb auch nicht entscheidungserheblich. Denn selbst wenn man den von der Beschwerde angesprochenen Satz in der angefochtenen Entscheidung so verstehen wollte, daß der öffentliche Zweck von Gemeinbedarfseinrichtungen nach der Rechtsauffassung des Normenkontrollgerichts generell zu einem „bonus” in der Abwägung führe, so ist nicht erkennbar, daß es dem Normenkontrollgericht hierauf bei der Prüfung der Abwägung angekommen wäre. Der Satz ist Bestandteil der Argumentation des Gerichts, mit der es seine – zutreffende – Rechtsauffassung begründet, daß die Gemeinde die Wahl der Festsetzung für die Art der baulichen Nutzung nach Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten treffen dürfe.
Schließlich fehlt der Frage, „ob für die von einer Berufsgenossenschaft benötigte Erweiterung eines Baubestandes zunächst auf die Möglichkeiten zurückgegriffen werden muß, die bisherige Festsetzungen eines Bebauungsplans geben, oder ob der vom OVG für richtig gehaltene „Bonus” einen Bebauungsplan trägt, der ausschließlich auf architektonische Vorstellungen der Tiefbauberufsgenossenschaft abstellt”, jegliche grundsätzliche Bedeutung. Mit der Frage versucht die Beschwerde nur, die nach ihrer Auffassung für den vorliegenden Fall wichtigen besonderen Umstände verallgemeinernd zu formulieren. Ob für ein Bauvorhaben, das eine Gemeinde aus städtebaulichen Gründen fördern möchte, die Festsetzungen eines vorhandenen Bebauungsplans ausreichen, oder ob es nur nach einer Planänderung zugelassen werden darf, hängt von zahlreichen Umständen ab; generalisierende Aussagen hierzu sind nicht möglich.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 VwGO. Den Wert des Streitgegenstandes setzt der Senat gemäß § 14 Abs. 3, § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG fest.
Unterschriften
Gaentzsch, Lemmel, Rojahn
Fundstellen
Haufe-Index 1474718 |
BauR 1998, 406 |
BauR 1998, 515 |
DÖV 1998, 515 |
BRS 1997, 245 |
BRS 1998, 245 |
DVBl. 1998, 601 |
Städtetag 1998, 602 |
UPR 1998, 346 |