Verfahrensgang
OVG für das Land NRW (Urteil vom 17.12.2008; Aktenzeichen 10 A 3000/07) |
Tenor
Die Beschwerde der Beigeladenen gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 17. Dezember 2008 wird zurückgewiesen.
Die Beigeladene trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5 000 EUR festgesetzt.
Gründe
Rz. 1
Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
Rz. 2
Das Berufungsgericht hat auf die Klage eines Nachbarn die der Beigeladenen erteilte Befreiung zur Errichtung einer Mobilfunkstation in einem auf der Grundlage eines Bebauungsplans aus dem Jahr 1980 festgesetzten reinen Wohngebiet aufgehoben und zur Begründung ausgeführt: Die Befreiung von der Festsetzung des Bebauungsplans hinsichtlich der Art der Nutzung – WR – sei schon deshalb rechtswidrig, weil durch sie die Grundzüge der Planung berührt würden (UA S. 16 – 23). Da bereits die Grundzüge der Planung berührt seien, komme es nicht mehr darauf an, ob die Beigeladene sich auf einen Befreiungsgrund stützen könne und ob die Abweichung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar sei (UA S. 23). Schließlich sei die Befreiung auch deshalb rechtswidrig, weil der angefochtene Verwaltungsakt in Gestalt des Widerspruchsbescheides an einem Ermessensfehler leide. Denn der Beklagte bzw. die Widerspruchsbehörde hätten das ihnen eingeräumte Ermessen nicht ausgeübt (UA S. 24 – 25).
Rz. 3
Die von der Beigeladenen als grundsätzlich klärungsbedürftig aufgeworfene Frage,
ob der Zulassung einer Mobilfunkanlage in einem reinen Wohngebiet nach § 31 Abs. 2 BauGB „Grundzüge der Planung” regelhaft entgegenstehen können, wenn unter Beachtung der Grundentscheidung des Verordnungsgebers zu § 14 Abs. 2 Satz 2 BauNVO das Vorliegen der Befreiungsalternative „Wohl der Allgemeinheit” i.S.d. § 31 Abs. 2 Nr. 1 BauGB zu bejahen wäre,
rechtfertigt nicht die Zulassung der Berufung. Es fehlt an der Darlegung der Entscheidungserheblichkeit.
Rz. 4
Der Beschwerde geht es ungeachtet der allgemein gehaltenen Formulierung ersichtlich um die Frage, welche Bedeutung die Ergänzung der BauNVO im Jahr 1990 durch § 14 Abs. 2 Satz 2 für die Frage hat, inwieweit die Zulassung von Mobilfunkanlagen in einem reinen Wohngebiet „Grundzüge der Planung” berühren kann, wenn die Festsetzung auf der Grundlage eines vor Inkrafttreten der BauNVO 1990 beschlossenen Bebauungsplans erfolgt ist. Das ergibt sich zwar nicht aus dem Wortlaut der Frage, erschließt sich aber aus der Begründung. Wie darin ausgeführt wird, will die Beschwerde geklärt wissen, ob „diese seit 1990 eingetretene Rechtsentwicklung Einfluss darauf besitzt, was bei einem Bebauungsplan heute noch als ‚Grundzüge der Planung’ verstanden werden könne, wenn der Ortsgesetzgeber die Entwicklung des Mobilfunks im Zeitpunkt der planerischen Abwägung nicht einmal im Ansatz bedenken und darauf mit einer abwägenden Entscheidung reagieren konnte” (Beschwerdebegründung S. 11). Zur Entscheidungserheblichkeit führt die Beschwerde – zutreffend – aus, dass sich die Frage (nur) dann stelle, wenn die übrigen tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 Nr. 1 BauGB erfüllt seien. Das sei hier der Fall; jedenfalls habe das Berufungsgericht gegenläufige Feststellungen nicht getroffen. Für das Revisionsverfahren sei also zu unterstellen, dass das Berufungsgericht angenommen habe, im Sachverhalt „erforderten” die Belange des Wohls der Allgemeinheit die Befreiung (Beschwerdebegründung S. 14 f.). Auf diesem Wege lässt sich die Entscheidungserheblichkeit der Frage indes nicht begründen. Das Berufungsgericht hat die Frage, ob ein Befreiungsgrund vorliegt, ausdrücklich offen gelassen (UA S. 23), so dass es bereits an tatsächlichen Feststellungen fehlt, an Hand derer sich beurteilen ließe, ob die Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 Nr. 1 BauGB und damit für die „Unterstellung” der Beschwerde gegeben sind. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kommt die Zulassung der Grundsatzrevision aber dann nicht in Betracht, wenn die Vorinstanz eine Tatsache nicht festgestellt hat, die für die Entscheidung der angesprochenen Rechtsfrage erheblich sein würde, sondern lediglich die Möglichkeit besteht, dass die Rechtsfrage nach Zurückverweisung der Sache aufgrund weiterer Sachaufklärung entscheidungserheblich werden könnte (vgl. nur Beschlüsse vom 28. Dezember 1998 – BVerwG 9 B 197.98 – und vom 28. November 2005 – BVerwG 4 B 66.05 – ZfBR 2006, 159).
Rz. 5
Legt man allein den Wortlaut der Frage zugrunde, handelt es sich bei dem Nebensatz „wenn unter Beachtung der Grundentscheidung des Verordnungsgebers zu § 14 Abs. 2 Satz 2 BauNVO das Vorliegen der Befreiungsalternative ‚Wohl der Allgemeinheit’ i.S.d. § 31 Abs. 2 Nr. 1 BauGB zu bejahen wäre”, um eine der Frage nach den „Grundzügen der Planung” vorgelagerte, mit gestellte (Vor-) Frage. Dieser Frage liegt die Rechtsauffassung zugrunde, dass eine flächendeckende angemessene und ausreichende Versorgung mit Telekommunikationsdienstleistungen nach der Entwicklung der heutigen Lebensverhältnisse „vernünftigerweise” im Sinne des § 31 Abs. 2 Nr. 1 BauGB geboten sei (Beschwerdebegründung S. 13 f.) und daher – wie in der Frage formuliert – das Vorliegen der Befreiungsalternative „Wohl der Allgemeinheit” i.S.d. § 31 Abs. 2 Nr. 1 BauGB zu bejahen wäre. Auch diese Frage stellt sich indes nicht. In der Rechtsprechung des Senats ist geklärt, dass für alle drei Fallgruppen des § 31 Abs. 2 BauGB gilt, dass eine Befreiung nicht schon erteilt werden kann, wenn die jeweiligen Voraussetzungen der Befreiungsgründe vorliegen, sondern dass zusätzlich die Grundzüge der Planung nicht berührt werden dürfen (Beschlüsse vom 1. November 1999 – BVerwG 4 B 3.99 – Buchholz 406.12 § 14 BauNVO Nr. 15 – juris Rn. 13 und vom 5. März 1999 – BVerwG 4 B 5.99 – Buchholz 406.11 § 31 BauGB Nr. 39 – juris Rn. 4). Insofern hat der Umstand, dass ein Befreiungsgrund vorliegt, keine Bedeutung für die Frage, ob der Zulassung einer Mobilfunkanlage in einem reinen Wohngebiet „Grundzüge der Planung” regelhaft entgegenstehen können. Wenn – wie das Berufungsgericht festgestellt hat – die „Grundzüge der Planung” berührt werden, hat dies in der Tat die Konsequenz, dass eine Befreiung tatbestandsmäßig ausscheidet.
Rz. 6
Die von der Beschwerde kritisierte Nicht-Anwendbarkeit des § 31 Abs. 2 BauGB wegen Berührens der „Grundzüge der Planung” (Beschwerdebegründung S. 16) beruht auch nicht etwa – wie die Beschwerde es nahe legt – darauf, dass das Berufungsgericht „regelhaft” die „Grundzüge der Planung” nur deswegen als berührt angesehen hat, weil es sich bei dem festgesetzten Baugebiet um ein reines Wohngebiet i.S.d. § 3 BauNVO 1977 handelt. Die Einschätzung des Berufungsgerichts, dass die Zulassung der gewerblichen Mobilfunkanlage im Wege der Befreiung die Grundzüge der Planung berühre, beruht auf einer die konkreten Umstände würdigenden Einzelfallbetrachtung (UA S. 17 ff.). Das Berufungsgericht hat gerade nicht „regelhaft” angenommen, dass „Grundzüge der Planung” der Zulassung einer Mobilfunkanlage in einem reinen Wohngebiet entgegenstehen können, sondern zugrunde gelegt, dass in jedem Befreiungsfall eine Einzelentscheidung zu treffen sei, die die Besonderheiten der konkreten Planungssituation vollständig erfasse und die Auswirkungen des zur Befreiung gestellten Vorhabens umfassend bewerte (UA S. 17). Es hat festgestellt, dass auch dann, wenn das planerische Grundkonzept nicht von § 3 Abs. 1 bis 4 BauNVO 1977 abweiche und dementsprechend kein „kompromisslos” reines Wohngebiet festgesetzt sei, die Zulassung einer einzelnen Mobilfunksendeanlage mit einem Antennenmast unter Berücksichtigung der jeweiligen örtlichen Verhältnisse den Gebietscharakter im Einzelfall in einer Weise beeinträchtigen könne, dass die Grundzüge der Planung durch die Erteilung einer Befreiung berührt würden (UA S. 18). Es ist weiter davon ausgegangen, dass die Zulassung einer Mobilfunksendeanlage mit einem Antennenmast je nach den Umständen des Einzelfalles auch noch als Randkorrektur von minderem Gewicht einzustufen sein könne, die die Grundzüge der Planung nicht berühre (UA S. 19), hat nach den Auswirkungen der konkreten Anlage auf die nähere Umgebung gefragt und ist auf der Grundlage des vorgenommenen Augenscheins zu der – in tatsächlicher Hinsicht bindenden – Einschätzung gelangt, dass die Anlage zu einer nachhaltig störenden Dominanz und gewerblichen Überformung des reinen Wohngebiets führe (UA S. 21) und dass die städtebauliche Situation durch das Hinzutreten der streitigen Anlage zu Lasten des Wohngebietscharakters nicht unerheblich in Bewegung gebracht werde (UA S. 22).
Rz. 7
Die Grundsatzfrage, die die Beschwerde im Zusammenhang mit den ergänzenden Ausführungen des Berufungsgerichts zur Rechtmäßigkeit der Ermessensbetätigung aufwirft und mit der die unterschiedliche Rechtskraftwirkung der Begründungen thematisiert wird (Beschwerdebegründung S. 17 – 25), stellt sich nicht. Ist eine gerichtliche Entscheidung – wie hier – auf mehrere, jeweils für sich selbstständig tragfähige Gründe gestützt worden, kommt eine Zulassung der Revision nur in Betracht, wenn für jeden dieser Gründe ein Zulassungsgrund geltend gemacht wird und vorliegt. Da mit der Verneinung des Tatbestandsmerkmals „Grundzüge der Planung” – wie die Beschwerde es formuliert – ein „absoluter” Grund vorliegt und die darauf bezogene Grundsatzrüge erfolglos bleibt, stellt sich die Frage nicht, ob der festgestellte Ermessensfehler lediglich einen „relativen” Rechtsmangel darstellt.
Rz. 8
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Unterschriften
Prof. Dr. Rubel, Dr. Gatz, Dr. Bumke
Fundstellen