Verfahrensgang

VG Berlin (Aktenzeichen 16 A 48.95)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 6. Dezember 2000 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 1 Million DM festgesetzt.

 

Gründe

Die Beschwerde ist unbegründet. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, vgl. 1.). Das verwaltungsgerichtliche Urteil weicht nicht von einer der in der Beschwerde bezeichneten Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts ab (§ 132 Abs. 2 Nr. 2, vgl. 2.). Ein Verfahrensmangel (vgl. § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) wird nicht prozessordnungsgemäß dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO, vgl. 3.).

1. Grundsätzlich bedeutsam ist eine Rechtssache nur dann, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrunde liegenden Einzelfall hinausgehenden klärungsbedürftigen Rechtsfrage des revisiblen Rechts zu erwarten ist. Daran fehlt es hier. Die Beschwerde hält für grundsätzlich klärungsbedürftig die Frage,

ob die Enteignung eines Grundstückes zugunsten einer GmbH und deren nachfolgende Rechtsträgerbestellung „mangels offensichtlich bestehender Gesetzesgrundlage” als machtmissbräuchlich im Sinne des § 1 Abs. 3 VermG anzusehen ist und eine bewusste Abkehr vom Gesetzesrecht als Teil der gelebten Rechtswirklichkeit begriffen werden kann.

Soweit diese Frage revisibles Recht (§ 137 Abs. 1 VwGO) betrifft, ist sie durch die umfangreiche Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 1 Abs. 3 VermG – von der auch das Verwaltungsgericht ausgeht – bereits geklärt. Nach dieser Rechtsprechung erfasst die Bestimmung des § 1 Abs. 3 VermG Vorgänge, bei denen im Einzelfall in manipulativer, sittlich vorwerfbarer Weise unter Verstoß gegen die Rechtsordnung der DDR auf bestimmte Vermögenswerte zugegriffen wurde. Ein derartiges qualifiziertes Einzelfallunrecht liegt dann nicht vor, wenn bei dem Erwerbsvorgang – gemessen an den in der DDR gültigen Rechtsvorschriften und den sie tragenden ideologischen Grundvorstellungen – „alles mit rechten Dingen zugegangen ist” (vgl. Urteil vom 20. März 1997 – BVerwG 7 C 23.96 – BVerwGE 104, 186 ≪188≫ m.w.N.). Ein Verstoß gegen Rechtsvorschriften der DDR unterhalb der Schwelle der Willkürlichkeit genügt also nicht (vgl. Urteil vom 28. Juli 1994 – BVerwG 7 C 41.93 – Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 28 S. 57 ≪60≫). Eine zum Vermögensverlust führende unlautere Machenschaft kann auch in einer manipulativen Enteignung liegen. Enteignungen auf der Grundlage des Aufbaugesetzes oder des Baulandgesetzes der DDR stellen vor allem bei zwei Fallgruppen eine unlautere Machenschaft (§ 1 Abs. 3 VermG) dar: Zum einen liegt in der Regel eine unlautere Machenschaft vor, wenn der geltend gemachte Enteignungszweck nur vorgeschoben worden war, also die bereits von vornherein beabsichtigte zweckwidrige Verwendung verschleiert werden sollte (vgl. Urteil vom 26. Juni 1997 – BVerwG 7 C 25.96 – Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 113 S. 344 ≪346≫). Diese Fallgruppe ist für die von der Beschwerde aufgeworfene Frage nicht einschlägig. Zum anderen liegt in der Regel eine unlautere Machenschaft vor, wenn der wahrheitsgemäß angegebene, also beabsichtigte und umgesetzte Enteignungszweck, offenkundig von keiner Rechtsgrundlage gedeckt war (vgl. Urteil vom 31. August 1995 – BVerwG 7 C 39.94 – Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 53 S. 142 ≪145 f.≫).

Im vorliegenden Fall hat das Verwaltungsgericht eine unlautere Machenschaft im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht darin gesehen, dass hier die Grundstücke zugunsten eines privatrechtlich organisierten Betriebs in Anspruch genommen wurden. Die Grundstücke seien in Volkseigentum überführt worden. Der „Internationale Handelszentrum GmbH” sei die Rechtsträgerschaft übertragen worden. Nach der Anordnung über die Rechtsträgerschaft an volkseigenen Grundstücken habe der Rechtsträger keine dem Eigentum vergleichbare Position erhalten. Auch war – nach Auffassung des Verwaltungsgerichts – die genannte GmbH ein dem staatlichen Sektor zuzuordnender Betrieb. Begründet hat das Verwaltungsgericht dies u.a. mit verschiedenen Verfügungen staatlicher Stellen der DDR (u.a. des Vorsitzenden des Ministerrates) und den Bestimmungen der Verordnung über die Aufgaben, Rechte und Pflichten der volkseigenen Außenhandelsbetriebe vom 10. Januar 1974 (GBl I S. 77). Dagegen ist revisionsrechtlich nichts zu erinnern.

2. Der Zulassungsgrund der Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) ist nur dann hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einen in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten ebensolchen Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat (stRspr, vgl. u.a. Beschluss vom 1. September 1997 – BVerwG 8 B 144.97 – Buchholz 406.11 § 128 BauGB Nr. 50 S. 7 ≪11≫). Die Beschwerde muss also die angeblich widersprüchlichen abstrakten Rechtssätze einander gegenüberstellen. Die Beschwerde benennt zwar einige in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellte Rechtssätze. Davon abweichende vom Verwaltungsgericht aufgestellte Rechtssätze benennt sie jedenfalls nicht ausdrücklich. Insoweit kann jedoch dahinstehen, ob die Beschwerde dem Darlegungsgebot (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO) genügt. Jedenfalls weicht das verwaltungsgerichtliche Urteil nicht von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ab. Vielmehr folgt es dieser ausdrücklich und wendet diese – wie oben dargelegt – unter Auslegung und Anwendung des irrevisiblen Rechts der DDR auf den vorliegenden Einzelfall an. Selbst wenn diese Anwendung im Einzelfall fehlerhaft wäre, läge darin keine Abweichung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO.

Soweit die Beschwerde in diesem Zusammenhang meint, das Bundesverwaltungsgericht habe in zwei Urteilen (Urteil vom 28. Juli 1994 – BVerwG 7 C 41.93 – Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 28 S. 57 und vom 5. März 1998 – BVerwG 7 C 30.97 – Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 142 S. 432 ≪434≫) Rechtssätze zur Auslegung des Aufbaurechts der DDR aufgestellt, von denen das Verwaltungsgericht abgewichen sei, verkennt sie den Inhalt dieser Entscheidungen. Das Urteil vom 28. Juli 1994 (– BVerwG 7 C 41.93 – a.a.O.) gelangt nicht zu dem Ergebnis, dass die Inanspruchnahme von Grundstücken nach dem Aufbaugesetz nur zugunsten von volkseigenen Betrieben, Organen und Institutionen sozialistischer Genossenschaften, Parteien und Massenorganisationen zulässig war. Das Urteil vom 5. März 1998 (– BVerwG 7 C 30.97 – a.a.O.) befasst sich mit einer – hier nicht vorliegenden – Enteignung nach dem Baulandgesetz.

3. Die geltend gemachte Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) ist nicht prozessordnungsgemäß dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO). Eine Aufklärungsrüge setzt die Darlegung voraus, welche Tatsachen auf der Grundlage der materiellrechtlichen Auffassung des Verwaltungsgerichts ermittlungsbedürftig gewesen wären, welche Beweismittel zu welchen Beweisthemen zur Verfügung gestanden hätten, welches Ergebnis diese Beweisaufnahme voraussichtlich gehabt hätte, inwiefern das verwaltungsgerichtliche Urteil unter Zugrundelegung der materiellrechtlichen Auffassung des Gerichts auf der unterbliebenen Sachaufklärung beruhen kann und dass die Nichterhebung der Beweise vor dem Tatsachengericht rechtzeitig gerügt worden ist oder aufgrund welcher Anhaltspunkte sich die unterbliebene Beweisaufnahme dem Gericht hätte aufdrängen müssen.

Die Beschwerde meint, das Verwaltungsgericht hätte den Politbüro-Beschluss vom 27. Januar 1976 ermitteln müssen, es hätte sich ihm aufdrängen müssen, auch die Politbüro-Beschlüsse vom 20. November 1973 und vom 18. März 1975 zu ermitteln, außerdem hätte es aufklären müssen, nach welchen Maßgaben Enteignungen von Westeigentum in den Bezirken Potsdam-Land und Potsdam-Stadt erfolgt seien und ob diese Maßgaben auch bei den streitigen Grundstücken in Berlin Anwendung gefunden hätten. Nach der materiellrechtlichen Auffassung des Verwaltungsgerichts waren diese Umstände nicht ermittlungsbedürftig; denn nach der Rechtsansicht des Verwaltungsgerichts, das insoweit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts folgt (vgl. Urteil vom 28. April 1999 – BVerwG 8 C 3.98 – Buchholz 428 § 1 Abs. 1 VermG Nr. 4 S. 9 ≪11 f.≫), kann der Tatbestand des § 1 Abs. 1 Buchst. b VermG nur vorliegen, wenn bereits im Zeitpunkt der Enteignung ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dervorgesehenen, diskriminierend geringen Entschädigung und dem Zugriff auf das Eigentum bestanden hat. Dies verneint das Verwaltungsgericht im vorliegenden Fall und führt zur Begründung aus: Zum Zeitpunkt der Inanspruchnahme sei man ausweislich eines Schreibens des Magistrats von Groß-Berlin an die „Internationale Handelszentrum GmbH” vom 17. November 1976 noch von einem höheren Quadratmeterpreis ausgegangen. So habe nach dem genannten Schreiben der Wert der streitgegenständlichen Grundstücke 181 440 Mark bzw. 674 460 Mark betragen. Zum Zeitpunkt der Enteignung habe noch kein Wertgutachten und auch keine Wertvorstellung hinsichtlich der Baulichkeiten bestanden, aus denen man auf die Absicht einer diskriminierend niedrigen Entschädigung zum Zeitpunkt der Inanspruchnahme schließen könnte. Entscheidend für das Verwaltungsgericht war somit, dass im Zeitpunkt der Enteignung keine diskriminierend geringe Entschädigung vorgesehen war. Ob bereits im Zeitpunkt der Enteignung Politbüro-Beschlüsse oder sonstige Maßgaben existierten, die eine diskriminierend niedrige Entschädigung ermöglicht hätten, war für das Verwaltungsgericht nicht entscheidungserheblich.

Im Übrigen legt die Beschwerde nicht dar, wieso sich die vermisste Beweisaufnahme dem Verwaltungsgericht hätte aufdrängen müssen, obwohl der bereits im erstinstanzlichen Verfahren anwaltlich vertretene Kläger keinen Beweisantrag gestellt hatte. Allein der Umstand, dass der Kläger dem Verwaltungsgericht einige Politbüro-Beschlüsse vorgelegt hatte, führt nicht dazu, dass sich dem Verwaltungsgericht aufdrängen musste, die genannten weiteren Politbüro-Beschlüsse oder gar die für Potsdam-Land und Potsdam-Stadt geltenden Maßregeln zu ermitteln.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf den §§ 13, 14 GKG.

 

Unterschriften

Dr. Müller, Krauß, Golze

 

Fundstellen

Dokument-Index HI604775

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge