Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen des Rechtsstaatsprinzips an die Ausfertigung einer Prüfungsordnung. Revisionszulassung bei auslaufendem Recht;. Ausnahmen vom prüfungsrechtlichen Anonymitätsprinzip
Leitsatz (amtlich)
1. Das bundesrechtliche Rechtsstaatsprinzip gebietet es nicht, dass bei der Ausfertigung einer als Satzung erlassenen universitären Prüfungsordnung die Erteilung der staatlichen Genehmigung dokumentiert wird.
2. Soweit prüfungsrechtliche Bestimmungen für schriftliche Arbeiten ein Kennziffersystem vorsehen, sind Einschränkungen der Wahrung des Kennziffergeheimnisses zulässig, wenn sie ihrerseits der Gewährleistung der Chancengleichheit dienen.
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3; VwGO § 132 Abs. 2 Nr. 1
Verfahrensgang
Sächsisches OVG (Entscheidung vom 22.02.2000; Aktenzeichen 4 B 4139/98) |
VG Leipzig (Entscheidung vom 29.04.1997; Aktenzeichen 4 K 928/96) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 22. Februar 2000 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 10 000 DM festgesetzt.
Gründe
Die allein auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision hat keinen Erfolg. Der vorliegenden Rechtssache kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu.
1. Die Frage, ob das bundesrechtliche Rechtsstaatsprinzip es gebietet, dass bei der Ausfertigung einer als Satzung erlassenen universitären Prüfungsordnung die Erteilung der staatlichen Genehmigung dokumentiert wird, ist anhand bereits vorliegender Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts eindeutig zu verneinen.
Die Ausfertigung einer Satzung, hier die Unterzeichnung des von den zuständigen Hochschulgremien beschlossenen Satzungstextes durch den Rektor, ist rechtsstaatlich geboten. Sie bestätigt die Identität des Normtextes mit dem vom Normgeber Beschlossenen („Identitätsfunktion”). Demgegenüber gehört die Bestätigung der Legalität des Normsetzungsverfahrens („Legalitätsfunktion”) nicht zum Mindeststandard des bundesrechtlichen Rechtsstaatsgebotes (Beschluss vom 16. Mai 1991 – BVerwG 4 NB 26.90 – BVerwGE 88, 204, 208 f.; Urteil vom 16. Dezember 1993 – BVerwG 4 C 22.92 – Buchholz 406.11 § 29 BauGB Nr. 52 S. 20 f.; Beschluss vom 27. Januar 1998 – BVerwG 4 NB 3.97 – Buchholz 406.12 § 1 BauNVO Nr. 24 S. 16).
Die vorgenannten zur Ausfertigung von Bebauungsplänen entwickelten Grundsätze im Bereich des Prüfungsrechts zu modifizieren, besteht kein Anlass. Für die Grundrechte des Prüflings, namentlich seinen Anspruch auf Durchführung eines fairen Prüfungsverfahrens, ist es entgegen der Ansicht der Beschwerde ohne Belang, ob die Ausfertigung durch den Rektor den förmlichen Vermerk umfasst, dass und unter welchem Datum die Prüfungsordnung vom zuständigen Ministerium genehmigt wurde. Eine derartige Bestätigung der Genehmigung wäre allenfalls geeignet, eine widerlegbare Vermutung für ihre Erteilung zu begründen (§ 418 ZPO; vgl. Beschluss vom 16. Mai 1991 a.a.O. S. 209).
2. Die in den Unterabschnitten 3.2 und 3.3 der Beschwerdebegründung aufgeworfenen Rechtsfragen sind bereits deshalb nicht klärungsbedürftig, weil sie lediglich auslaufendes Recht betreffen.
Rechtsfragen bei auslaufendem Recht haben regelmäßig keine grundsätzliche Bedeutung, da die Zulassungsvorschrift des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nur eine für die Zukunft geltende Klärung herbeiführen soll. Dies gilt nur dann nicht, wenn die Klärung noch für einen nicht überschaubaren Personenkreis in nicht absehbarer Zukunft von Bedeutung ist (Beschluss vom 20. Dezember 1995 – BVerwG 6 B 35.95 – Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 9). Nach den Grundsätzen über auslaufendes Recht beurteilen sich auch Rechtsfragen, die sich aus dem Übergangsstadium der Wiedervereinigung ergeben (Beschluss vom 5. Juni 1998 – BVerwG 11 B 45.97 – Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 18 S. 25; Beschluss vom 11. August 1999 – BVerwG 11 B 61.98 – RdL 1999, 275).
a) Bei der in Unterabschnitt 3.2 der Beschwerdebegründung aufgeworfenen Frage geht es letztlich um die Reichweite der Übergangsbestimmungen in Anlage I Kapitel III Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 8 Buchst. y (hh) und Anlage II Kapitel III Sachgebiet A Abschnitt I Nr. 4 des Einigungsvertrages im Verhältnis zu später in Kraft getretenem Landeshochschulrecht. Betroffen sind ausschließlich Personen, die vor dem 1. September 1990 in der DDR ein rechtswissenschaftliches Studium aufgenommen haben. Hierbei handelt es sich angesichts dessen, dass der maßgebliche Stichtag nunmehr bereits fast zehn Jahre zurückliegt, um einen überschaubaren Personenkreis. Die Beschwerde hat nichts Gegenteiliges dargelegt. Damit bedarf es keiner Klärung für die Zukunft.
b) Bei der weiteren Frage geht es darum, ob zu den gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung vom 5. September 1990 (GBl DDR I S. 1426) fortgeltenden Grundsätzen – gegebenenfalls im Lichte des allgemeinen Gleichheitssatzes – auch die in § 37 Abs. 3 der Prüfungsordnung vom 3. Januar 1975 (GBl DDR I S. 183) vorgesehene Zulässigkeit einer zweiten Wiederholungsprüfung gehört. Auch insoweit ist ausschließlich der oben unter a) bezeichnete Personenkreis betroffen, sodass die dortigen Ausführungen auch hier gelten.
3. Die von der Beschwerde angesprochenen Fragen im Zusammenhang mit dem prüfungsrechtlichen Anonymitätsprinzip sind, soweit sie über den Einzelfall hinaus Bedeutung haben, in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt.
Prüfungsrechtliche Bestimmungen, die für schriftliche Arbeiten ein Kennziffersystem vorsehen, sollen der Gefahr vorbeugen, dass ein Prüfer seine Pflicht verletzen könnte, die Prüfungsleistung ohne Ansehen der Person des Prüflings zu beurteilen. Mit Rücksicht darauf, dass diese Gefahr als geringfügig einzustufen ist, schreibt der Grundsatz chancengleicher Prüfungsbedingungen indes nicht vor, ein Prüfungsverfahren stets und in allen Stadien anonym durchzuführen. Vielmehr sind sachlich gebotene Einschränkungen der Wahrung des Kennziffergeheimnisses zulässig. Dies gilt vor allem, wenn solche Einschränkungen ihrerseits der Gewährleistung der Chancengleichheit dienen (Beschluss vom 14. September 1981 – BVerwG 7 B 30.81 – Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 152; Urteil vom 9. Juli 1982 – BVerwG 7 C 51.79 – a.a.O. Nr. 161 S. 85 ff.; Beschluss vom 22. Januar 1987 – BVerwG 7 B 16.87 – a.a.O. Nr. 236 S. 4). Eine Durchbrechung des Anonymitätsgebots kann unter Umständen auch dann unvermeidlich sein, wenn sich unter den Kandidaten einer schriftlichen Prüfung ein einziger Wiederholer befindet, dem wegen unterschiedlicher Prüfungsanforderungen eine andere Prüfungsarbeit gestellt wird als den übrigen Kandidaten. Dies ergibt sich aus der zitierten Rechtsprechung und bedarf keiner Klärung durch eine Revisionsentscheidung.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes für das Beschwerdeverfahren entspricht Nr. 35.1 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NVwZ 1996, 563, 566) und beruht auf § 13 Abs. 1 Satz 1, § 14 Abs. 1 und 3 GKG.
Unterschriften
Niehues, Gerhardt, Büge
Fundstellen
Haufe-Index 566482 |
SächsVBl. 2000, 263 |