Überdenken von Prüfungsleistungen in der Steuerberaterprüfung
Die Prüfung zum Steuerberater ist eine hohe Hürde. Grundsätzlich ist schon das Bestehen der Prüfungen eine Leistung für sich. Deutlich wird dies an den bundesweiten Ergebnissen der Steuerberaterprüfung. Diese weisen für die Kampagne 2022/2023 eine Bestehensquote von nur 45,1 % auf. Umso nachvollziehbarer ist es, wenn Kandidaten alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen, Zugang zu ihrem Wunschberuf zu erhalten.
In dem Verfahren zur Entscheidung des BFH, kämpfte eine Kandidatin nach 2 fehlgeschlagenen Versuchen um das Bestehen der Steuerberaterprüfung. Die Kandidatin beantragte bei der zuständigen Kammer eine Überprüfung ihrer Prüfungsleistung, eine Neubewertung und monierte Aufgaben als missverständlich. Nach § 29 DVStB sind bei einem solchen Antrag die Prüfungsergebnisse zu „überdenken“. Das gemeinsame Überdenken der Prüfungsergebnisse durch die Prüfer führte nicht zum gewünschten Ergebnis. Die gerichtliche Überprüfung half der Kandidaten ebenfalls nicht. Schließlich wehrte sie sich mit 2 weiteren Einwänden gegen ihr Ergebnis:
- Die fehlende Anonymisierung der Prüfungen nach § 18 Abs. 1 Satz 4 DVStB verstoße gegen den Anonymitätsgrundsatz und benachteilige weibliche Kandidaten aufgrund ihres Geschlechts, da Prüfer aufgrund eines antiquierten Rollenverständnisses Männer bei der Bewertung bevorzugen würden.
- Das Verfahren zum Überdenken von Prüfungsleistungen nach § 29 DVStB erlaube keine Abstimmung zwischen den Prüfern, die der schriftlichen Fixierung der einzelnen Bewertung des jeweiligen Prüfers vorausgeht.
Der BFH hatte somit über diese Punkte zu entscheiden.
Durchführung des Überdenkens von Prüfungsleistungen nach § 29 DVStB
Der BFH hebt die Bedeutung des Antragsverfahrens und der unabhängigen Herleitung von Prüfungsergebnissen hervor. Aus Art. 12 GG gehe hervor, dass Prüfer ihre Bewertung eigenständig und unabhängig erarbeiten müssen. Ein Verfahren, in dem Erst- und Zweitprüfer gemeinsam eine Bewertung entwickeln, verstoße gegen diesen Grundsatz, vgl. BVerwG, Beschluss v. 09.10.2012, 6 B 39.12. Die Bedeutung der Unabhängigkeit begründe sich daraus, dass durch die Prüfung bzw. die Ergebnisse in das Recht auf die Berufswahl eingegriffen wird. Dieses Recht wurde im zugrundeliegenden Fall durch das gemeinsame Abstimmen der Prüfer im Überprüfungsverfahren verletzt.
Der Ablauf der Überprüfung nach § 29 DVStB unterliege keinen speziellen Vorgaben. Ihre Durchführung sei aber bedeutsam für den Rechtsschutz der Betroffenen, weil Prüfungsergebnisse nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbar sind. Der BFH hob zusätzlich die Grenzen des Verschlechterungsverbots bei der Überprüfung von Prüfungsleistungen hervor. Im ersten Bewertungsdurchgang übersehene Fehler dürften demnach nicht bei der Neubewertung direkt herangezogen werden. Kommt es aber im Rahmen der Überprüfung dazu, dass ein Kandidat zusätzliche Punkte erhalten würde, dürfen die übersehenen Fehler mit diesen „saldiert“ werden, solange dadurch keine Gesamtverschlechterung des Ergebnisses eintritt, vgl. BVerwG, Urteil v. 14. 7. 1999, 6 C 20/98.
Mittelbare Benachteiligung aufgrund des Geschlechts durch nicht anonymisierte Prüfungen
Der BFH stellt klar, dass die Anonymisierung vor dem Hintergrund der allgemeinen Chancengleichheit keine Notwendigkeit ist, vgl. BFH, Beschluss v. 8.5.2014, VII B 41/13. Hinsichtlich der mittelbaren Benachteiligung konnte die Kandidatin nicht darlegen, dass Anhaltspunkte hierfür bestehen würden. Insbesondere die Betrachtung der Prüfungsstatistiken vermittelte im vorliegenden Fall nicht den Eindruck einer systemischen Benachteiligung weiblicher Kandidaten.
Bestätigung der bisherigen Rechtsprechung
Durch seine Entscheidung festigt der BFH seine bisherige Rechtsprechung zu den hier aufgeworfenen Fragen und hebt die besondere Schutzbedürftigkeit der Prüflinge hervor, über deren berufliche Zukunft entschieden wird.
(BFH, Urteil v. 11.7.2023, VII R 10/20)
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