Tenor
Der Antrag des Antragstellers wird abgelehnt.
Tatbestand
I
Rz. 1
Der Antragsteller begehrt mit dem diesem Zwischenverfahren zugrundeliegenden Verfahren die Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Bundesamt für Verfassungsschutz, ihm eine neue Identität zu verschaffen sowie ihm und seiner Familie neue Pässe und Papiere zu erteilen. Mit Beschluss vom 23. Mai 2011 hat das Verwaltungsgericht die Antragsgegnerin verpflichtet, die über den Kläger geführten Verwaltungsakten vorzulegen. Daraufhin gab das Bundesministerium des Innern in seiner Eigenschaft als oberste Aufsichtsbehörde unter dem 28. September 2011 eine Sperrerklärung ab.
Entscheidungsgründe
II
Rz. 2
Der gegen die Sperrerklärung gerichtete Antrag des Antragstellers, über den gemäß § 99 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 i.V.m. § 189 VwGO der Fachsenat des Bundesverwaltungsgerichts zu beschließen hat, ist unbegründet. Die Weigerung des Bundesministeriums des Innern, dem Verwaltungsgericht die angeforderten Akten vorzulegen, ist rechtmäßig.
Rz. 3
Nach § 99 Abs. 1 Satz 1 VwGO sind Behörden zur Vorlage von Urkunden oder Akten und zu Auskünften an das Gericht verpflichtet. Wenn das Bekanntwerden des Inhalts der Akten dem Wohl des Bundes oder eines deutschen Landes Nachteile bereiten würde oder wenn die Vorgänge nach einem Gesetz oder ihrem Wesen nach geheim gehalten werden müssen, kann die zuständige oberste Aufsichtsbehörde gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO die Vorlage der Urkunden oder Akten oder die Erteilung der Auskünfte verweigern.
Rz. 4
1. Akten und Unterlagen der Sicherheitsbehörden sind nicht schon wegen ihres Wesens geheimhaltungsbedürftig; vielmehr richtet sich die Geheimhaltungsbedürftigkeit nach den materiellen Maßstäben des § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO (Beschluss vom 19. April 2010 – BVerwG 20 F 13.09 – BVerwGE 136, 345 Rn. 21 m.w.N.). Bereitet das Bekanntwerden des Inhalts zurückgehaltener Dokumente dem Wohl des Bundes Nachteile, ist ihre Geheimhaltung ein legitimes Anliegen des Gemeinwohls. Ein Nachteil in diesem Sinne ist nach der ständigen Rechtsprechung des Senats insbesondere dann gegeben, wenn und soweit die Bekanntgabe des Akteninhalts die künftige Erfüllung der Aufgaben der Sicherheitsbehörden einschließlich ihrer Zusammenarbeit mit anderen Behörden erschweren oder Leben, Gesundheit oder Freiheit von Personen gefährden würde (Beschlüsse vom 29. Juli 2002 – BVerwG 2 AV 1.02 – BVerwGE 117, 8 = Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 27, vom 25. Februar 2008 – BVerwG 20 F 43.07 – juris Rn. 10, vom 3. März 2009 – BVerwG 20 F 9.08 – juris Rn. 7, vom 2. Juli 2009 – BVerwG 20 F 4.09 – Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 54 Rn. 8, vom 25. Juni 2010 – BVerwG 20 F 1.10 – Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 59 Rn. 17 und vom 6. April 2011 – BVerwG 20 F 20.10 – juris Rn. 15; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 26. Mai 1981 – 2 BvR 215/81 – BVerfGE 57, 250 ≪284≫).
Rz. 5
Derartige Geheimhaltungsgründe hat das Bundesministerium des Innern in seiner Eigenschaft als oberste Aufsichtsbehörde i.S.d. § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO hier geltend gemacht. In der Sperrerklärung wird ausgeführt, dass es sich bei der nicht vorgelegten Akte um eine so genannte Operativakte handelt, die Informationen über die Arbeitsweise der Verfassungsschutzbehörden sowie den Inhalt, die Art und den Zeitpunkt der Erlangung bestimmter Erkenntnisse enthalte. Eine Offenlegung selbst einzelner Teile würde die Aufgabenerfüllung des Bundesamtes für Verfassungsschutz in hohem Maße gefährden. Aus den Unterlagen könnten Rückschlüsse gezogen werden auf die nachrichtendienstliche Arbeitsweise bei der Rekrutierung und Führung von Quellen sowie die strategische Ausrichtung und Einsatztaktik des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Darüber hinaus enthalte die Akte eine Vielzahl personenbezogener Daten.
Rz. 6
2. Der Senat hat sich bei Durchsicht der vom Bundesministerium des Innern im Original vorgelegten Akte des Bundesamtes für Verfassungsschutz davon überzeugt, dass die mit der Sperrerklärung vom 28. September 2011 geltend gemachten Geheimhaltungsgründe vorliegen.
Rz. 7
Grundsätzlich ist die oberste Aufsichtsbehörde gehalten, in der Sperrerklärung eine konkrete Zuordnung der Geheimhaltungsgründe zu den jeweiligen Aktenbestandteilen vorzunehmen (Beschlüsse vom 8. März 2010 – BVerwG 20 F 11.09 – Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 56, vom 19. April 2010 – BVerwG 20 F 13.09 – BVerwGE 136, 345 = Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 58 Rn. 15 und vom 5. Oktober 2011 – BVerwG 20 F 24.10 – juris Rn. 10). Von einer solchen Aufbereitung kann jedoch ausnahmsweise dann abgesehen werden, wenn sich der Geheimhaltungsgrund auf den gesamten Akteninhalt erstreckt, es also nicht erst der Zuordnung je Aktenseite zu je unterschiedlichen Geheimhaltungsgründen bedarf, um eine effektive gerichtliche Überprüfung durch den Fachsenat zu ermöglichen.
Rz. 8
So liegt der Fall hier. Die Durchsicht hat bestätigt, dass der gesamte Akteninhalt mit Blick auf die Bedeutung der operativen Arbeit des Bundesamtes für Verfassungsschutz geheimhaltungsbedürftig ist. Durch bloße Schwärzungen von Teilen der Akten hätte den Geheimhaltungsinteressen nicht hinreichend Rechnung getragen werden können. Entgegen dem Einwand des Antragstellers handelt es sich – wie in der Sperrerklärung ausgeführt – um eine Operativakte, in der konkrete Einsätze des Bundesamtes für Verfassungsschutz gesammelt sind. Die Akte enthält Angaben zur Rekrutierung von Quellen, Vermerke und Mitteilungen über Kontakte, Auswertungen der gesammelten Informationen und Einschätzungen zum weiteren Vorgehen sowie personenbezogene Daten und Abrechnungsunterlagen. Solche Informationen sind geeignet, Rückschlüsse auf den Erkenntnisstand und die Vorgehensweise der Sicherheitsbehörden zu ermöglichen und ihnen so die künftige Erfüllung ihrer Aufgaben im Bereich der Abwehr von Gefahren zu erschweren. Von einer weiteren Begründung muss der Senat gemäß § 99 Abs. 2 Satz 10 VwGO absehen.
Rz. 9
3. Die Entscheidung über die Verweigerung der Aktenvorlage bei Geheimhaltungsbedarf erfordert grundsätzlich eine Ermessensausübung gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO. Durch die Ermessenseinräumung wird der obersten Aufsichtsbehörde die Möglichkeit eröffnet, dem öffentlichen Interesse und dem individuellen Interesse der Prozessparteien an der Wahrheitsfindung in dem vom Untersuchungsgrundsatz beherrschten Verwaltungsprozess den Vorrang vor dem Interesse an der Geheimhaltung der Schriftstücke zu geben.
Rz. 10
Die Sperrerklärung vom 28. September 2011 genügt diesen Anforderungen. Das Bundesministerium des Innern in seiner Eigenschaft als oberste Aufsichtsbehörde hat das ihm durch § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO eingeräumte Ermessen erkannt und die Interessen des Bundes an der Geheimhaltung mit den geläufigen privaten und öffentlichen Interessen an effektivem Rechtsschutz und umfassender Aufklärung des Sachverhalts abgewogen. Dass das Bundesministerium des Innern den Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik einen höheren Stellenwert eingeräumt hat, ist nicht zu beanstanden. Erwägungen – wie vom Antragsteller gefordert – über eine teilweise Schwärzung musste das Bundesministerium des Innern angesichts der Beschaffenheit der Unterlagen nicht anstellen. Dass die Ermessenserwägungen – wie der Antragsteller rügt – sehr allgemein gehalten sind, ist ebenfalls der Beschaffenheit der Unterlagen geschuldet.
Rz. 11
Einer eigenständigen Kostenentscheidung bedarf es im Verfahren vor dem Fachsenat nach § 99 Abs. 2 VwGO nicht (vgl. dazu Beschluss vom 16. Dezember 2010 – BVerwG 20 F 15.10 – Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 62 ≪Rn. 11≫).
Einer Streitwertfestsetzung bedarf es ebenfalls nicht, da Gerichtsgebühren mangels Gebührentatbestand im Verfahren vor dem Fachsenat nicht anfallen.
Unterschriften
Neumann, Dr. Bumke, Brandt
Fundstellen