Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensmangel im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO. Mangel des behördlichen Disziplinarverfahrens oder der Klageschrift. Mangelbeseitigung gemäß § 55 BDG. Vorstand der Deutschen Telekom AG als oberste Dienstbehörde
Leitsatz (amtlich)
Ein wesentlicher Mangel des behördlichen Disziplinarverfahrens oder der Klageschrift zieht einen Verfahrensmangel im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO nach sich, wenn das Verwaltungsgericht ein gemäß § 55 BDG erforderliches Mangelbeseitigungsverfahren nicht ordnungsgemäß durchgeführt hat.
Der Vorstand der Deutschen Telekom AG darf die ihm obliegenden Befugnisse einer obersten Dienstbehörde nur dann auf andere Organisationseinheiten der Gesellschaft oder Außenstehende übertragen, wenn er hierzu durch Rechtsschutz ermächtigt ist.
Normenkette
BDG § 34 Abs. 2, §§ 55, 65 Abs. 1, § 69; PostPersRG § 1 Abs. 2, 7; VwGO § 132 Abs. 2 Nr. 3
Verfahrensgang
OVG für das Land NRW (Urteil vom 15.08.2007; Aktenzeichen 21d A 3599/06.BDG) |
VG Düsseldorf (Entscheidung vom 05.07.2006; Aktenzeichen 37 K 567/06.BDG) |
Tenor
Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 15. August 2007 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe
Die Beschwerde der Beklagten kann keinen Erfolg haben. Die Beklagte hat nicht gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO, § 69 BDG dargelegt, dass ein Revisionszulassungsgrund gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 VwGO, § 69 BDG gegeben ist.
Das Oberverwaltungsgericht hat die vom Verwaltungsgericht ausgesprochene Aberkennung des Ruhegehalts der Beklagten bestätigt. Es sei nachgewiesen, dass die Beklagte in dem Zeitraum von Mai 2002 bis August 2003 unter Ausnutzung ihrer dienstlichen Kenntnisse und Möglichkeiten durch Manipulationen von Datenerfassungssystemen unberechtigte Zahlungen an sich und ihren Lebensgefährten in Höhe von insgesamt 6 111,63 € veranlasst habe. Dadurch habe die Beklagte das Vertrauensverhältnis zum Dienstherrn zerstört. Es lägen keine entlastenden Gesichtspunkte solchen Gewichts vor, dass eine günstigere Beurteilung gerechtfertigt wäre (§ 13 Abs. 2 Satz 1 und 2 BDG).
Zu den verschiedenen Rügen der Beklagten, das behördliche Disziplinarverfahren sei rechtsfehlerhaft durchgeführt worden – in diesen Fällen ist neben der Verfahrensrüge gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zugleich Grundsatzrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) erhoben worden –, ist vorab zu bemerken: Der Begriff des Verfahrensmangels im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO erfasst Verstöße des Gerichts gegen verwaltungsprozessrechtliche Vorschriften und Rechtsgrundsätze, die den äußeren Ablauf des gerichtlichen Verfahrens, d.h. den Weg zur abschließenden Sachentscheidung und die Art und Weise ihres Erlasses betreffen (stRspr; vgl. nur Beschlüsse vom 27. Juni 1994 – BVerwG 6 B 17.94 – Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziffer 3 VwGO Nr. 3 und vom 2. November 1995 – BVerwG 9 B 710.94 – Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 266). Ein davon prinzipiell zu unterscheidender Mangel des behördlichen Disziplinarverfahrens oder der Klageschrift zieht einen Verfahrensmangel im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO nach sich, wenn das Verwaltungsgericht die sich aus § 55 BDG ergebende Verpflichtung verletzt hat, auf die Beseitigung eines solchen Mangels durch den Dienstherrn hinzuwirken. Diese Verpflichtung gilt gemäß § 65 Abs. 1 Satz 1 BDG auch für das Berufungsgericht. Im Hinblick auf das behördliche Disziplinarverfahren und die Klageschrift kann Verfahrensmangel im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO nur der Verstoß gegen § 55 BDG sein.
1. Die Beklagte rügt als wesentlichen Mangel des behördlichen Disziplinarverfahrens im Sinne von § 55 Abs. 1 BDG, dass der Ermittlungsführer dienstliche Auskünfte des damaligen Vorgesetzten der Beklagten, des Zeugen N…, eingeholt habe, anstatt diesen zu vernehmen. Auf diese Weise habe der Ermittlungsführer das in § 24 Abs. 4 Satz 1 BDG verankerte Recht der Beklagten vereitelt, an der Zeugenvernehmung teilzunehmen und Fragen zu stellen. Dieser behauptete Mangel liegt nicht vor, so dass das Oberverwaltungsgericht insoweit im Ergebnis zu Recht kein Verfahren gemäß § 55 Abs. 1 und 3 BDG durchgeführt hat:
Allerdings steht die Begründung des Oberverwaltungsgerichts, ein Teilnahme- und Fragerecht des Beamten bestehe nur im Rahmen von (mündlichen) Vernehmungen, nicht in Einklang mit der Rechtsprechung des Senats. Danach vermittelt der in Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG verankerte Anspruch auf ein faires Disziplinarverfahren dem Beamten das Recht auf umfassende Beweisteilhabe, insbesondere das Recht auf Zugang zu den Quellen der Sachverhaltsermittlung. Dies gilt im behördlichen Disziplinarverfahren nicht nur für die Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen, sondern auch für die an deren Stelle mögliche Einholung einer schriftlichen Äußerung oder einer schriftlichen dienstlichen Auskunft (§ 24 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 2 BDG). Die Entscheidung des verfahrensleitenden Dienstvorgesetzten bzw. des in seinem Auftrag tätigen Ermittlungsführers, im behördlichen Disziplinarverfahren die schriftliche Äußerung eines Zeugen oder Sachverständigen einzuholen anstatt diesen zu vernehmen, darf nicht zu einer Beeinträchtigung des Rechts auf Beweisteilhabe führen. Vielmehr erwächst aus einem solchen Vorgehen in aller Regel die Pflicht, die eingeholte schriftliche Erklärung dem Beamten rechtzeitig vor Verfahrensabschluss vollständig zugänglich zu machen, um ihm Gelegenheit zur Stellungnahme und zur Stellung ergänzender Beweisanträge zu geben (Urteil vom 15. Dezember 2005 – BVerwG 2 A 4.04 – Buchholz 235.1 § 24 BDG Nr. 1).
Im vorliegenden Fall scheidet eine Verletzung des Rechts der Beklagten auf Beweisteilhabe jedoch schon deshalb aus, weil der Ermittlungsführer keine schriftliche dienstliche Äußerung des Zeugen N… eingeholt hat. In den Verfahrensakten findet sich lediglich der schriftliche Ausdruck einer e-Mail des Zeugen, in der er den Ermittlungsführer darum bittet, ihm vor der Beantwortung weiterer Fragen die Einsetzung “als Untersuchungsführer” zu bestätigen. Daraus kann zwar geschlossen werden, dass der Ermittlungsführer mit dem Zeugen in Kontakt getreten ist. Es ist aber nicht ersichtlich, dass die Kontaktaufnahme Bedeutung für das weitere Verfahren erlangt hat. Auch die Disziplinarklageschrift vom 5. Februar 2006 lässt nicht erkennen, dass eine schriftliche Äußerung des Zeugen N… verwertet worden ist. Vielmehr enthält sie nur das Beweisangebot, eine solche Äußerung im gerichtlichen Verfahren einzuholen.
Nach alledem liegt weder ein Verfahrensmangel des Gerichtsverfahrens vor noch ist die aufgeworfene Frage nach der Gehörsgewährung bei Einholung schriftlicher Äußerungen rechtsgrundsätzlich bedeutsam im Sinne § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, weil sie sich in einem Revisionsverfahren nicht stellen würde. Zudem ist sie durch das Urteil des Senats vom 15. Dezember 2005 (a.a.O.) hinreichend geklärt.
2. Die Beklagte rügt als wesentlichen Mangel des behördlichen Disziplinarverfahrens im Sinne von § 55 Abs. 1 BDG, die Beteiligung des Betriebsrats sei rechtsfehlerhaft durchgeführt worden. Der beteiligte Betriebsrat der Personal Service Agentur Vivento der Deutschen Telekom AG sei nicht mitwirkungsbefugt gewesen, weil ihre Zuweisung zu Vivento rechtsunwirksam gewesen sei. Diese Rechtsauffassung der Beklagten trifft nicht zu:
In der Rechtsprechung des Senats ist geklärt, dass die Mitwirkungsbefugnis bei der Erhebung der Disziplinarklage gemäß § 78 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 Satz 2 BPersVG, § 28 Abs. 1, § 29 Abs. 5 PostPersRG von dem Betriebsrat desjenigen Betriebes wahrzunehmen ist, bei dem der Beamte zur Zeit der Klageerhebung beschäftigt ist (sog. örtlicher Betriebsrat). Es kommt darauf an, bei welchem Betrieb der Beamte Dienst zu leisten hat. Die Versetzung oder Zuweisung des Beamten an einen Betrieb begründet die Mitwirkungsbefugnis des dort bestehenden Betriebsrats bereits dann, wenn die Verfügung bis zur endgültigen Klärung ihrer Rechtmäßigkeit von dem Beamten zu befolgen ist (Urteil vom 22. Juni 2006 – BVerwG 2 C 11.05 – Buchholz 235.1 § 34 BDG Nr. 2).
Danach war vorliegend der Betriebsrat der Personal Service Agentur Vivento, der der Disziplinarklageerhebung ausdrücklich widersprochen hat, für die Mitwirkung zuständig. Denn die Beklagte war seit 1. November 2003 Vivento zugewiesen. Zwar sind derartige Zuweisungen nach der Rechtsprechung des Senats in aller Regel rechtswidrig, weil der verfassungsrechtlich verankerte Anspruch der Beamten auf amtsangemessene Beschäftigung bei Vivento nicht erfüllt werden kann (Urteil vom 22. Juni 2006 – BVerwG 2 C 26.05 – BVerwGE 126, 182 ≪189 ff.≫). Jedoch haben jedenfalls Zuweisungen, die – wie diejenige der Beklagten – vor der Klärung der Rechtslage durch das Urteil vom 22. Juni 2006 (a.a.O.) vorgenommen worden sind, Rechtswirkungen entfaltet. Sie sind von den Beamten bis zur Gewährung gerichtlichen Rechtsschutzes zu befolgen gewesen.
Nach alledem liegt weder ein Mangel des Gerichtsverfahrens vor noch ist die aufgeworfene Frage nach der Beteiligung des Betriebsrats der Personal Service Agentur Vivento rechtsgrundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, weil insoweit kein Klärungsbedarf besteht. Die Frage kann aufgrund der Rechtsprechung des Senats beantwortet werden.
3. Die Beklagte rügt als wesentlichen Mangel im Sinne von § 55 Abs. 1 BDG, das behördliche Disziplinarverfahren sei von einem unzuständigen Dienstvorgesetzten eingeleitet und durchgeführt worden. Der Leiter der Technikniederlassung B… sei nicht der Dienstvorgesetzte der Beklagten gewesen, weil ihr die Verfügung über ihre Versetzung von der Technikniederlassung D… nach B… nicht bekannt gegeben worden sei. Auch diese Rechtsauffassung trifft nicht zu. Zudem wäre der behauptete Mangel nicht wesentlich im Sinne von § 55 Abs. 1 BDG. Ein Fehler des Gerichtsverfahrens kommt schon aus diesem Grunde nicht in Betracht. Daher kann dahingestellt bleiben, ob das Tätigwerden eines unzuständigen Dienstvorgesetzten stets in entsprechender Anwendung von § 46 VwVfG unbeachtlich ist, wie das Oberverwaltungsgericht meint.
Die Klägerin hat erläutert, dass die Technikniederlassung D…, bei der die Beklagte zunächst beschäftigt war, mit Wirkung vom 1. August 2003 aufgelöst und die Beschäftigten einschließlich des Niederlassungsleiters zu anderen Niederlassungen der Deutschen Telekom AG versetzt worden waren. Die Beschäftigten derjenigen Organisationseinheit, der die Beklagte angehörte, wechselten zum 1. August 2003 zur Technikniederlassung B…. Zu diesem Zeitpunkt war das behördliche Disziplinarverfahren gegen die Beklagte noch nicht eingeleitet. Hierfür kam der Leiter der Technikniederlassung D… als Dienstvorgesetzter nicht mehr in Betracht, weil diese Stelle weggefallen war. Die Aufgaben des Dienstvorgesetzten konnte nur der Leiter der Technikniederlassung B… wahrnehmen. Ungeachtet der Frage der wirksamen Bekanntgabe der Versetzungsverfügung war die Beklagte dieser Niederlassung seit 1. August 2003 organisationsrechtlich zugeordnet. Ab diesem Zeitpunkt war eine Zuordnung zur Technikniederlassung D… ausgeschlossen, weil diese aufgelöst war.
Nach alledem ist die aufgeworfene verfahrensrechtliche Frage nach den Folgen des Tätigwerdens eines unzuständigen Dienstvorgesetzten nicht rechtsgrundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, weil sie sich in einem Revisionsverfahren nicht stellen würde.
4. Mit der Rüge, die Disziplinarklage sei nicht von dem hierfür zuständigen Personalvorstand der Deutschen Telekom AG erhoben worden, macht die Beklagte einen wesentlichen Mangel der Disziplinarklageschrift im Sinne von § 55 Abs. 1 BDG geltend (vgl. Beschluss vom 18. Dezember 2007 – BVerwG 2 B 113.07 – juris Rn. 7). Nach ihrer Rechtsauffassung ist Postoberrätin S…, die die Disziplinarklageschrift im Auftrag des Vorstandes verfasst und unterzeichnet hat, nicht befugt, für diesen tätig zu werden. Diese Rechtsauffassung trifft nicht zu:
Gemäß § 34 Abs. 2 Satz 1 BDG wird die Disziplinarklage bei aktiven Beamten durch die oberste Dienstbehörde erhoben. Die Vorschrift regelt die sachliche Zuständigkeit für die Erhebung der Disziplinarklage. Sie wird durch diejenigen organisationsrechtlichen Regelungen des jeweiligen Verwaltungsbereichs ergänzt, die eine konkrete Behörde als oberste Dienstbehörde bestimmen.
Es entspricht allgemeiner Verwaltungspraxis, dass der Leiter einer Behörde die in deren Zuständigkeit fallenden hoheitlichen Aufgaben nicht persönlich wahrnehmen muss. Vielmehr können diejenigen Beamten tätig werden, die nach den internen Regelungen über die behördliche Organisation und Geschäftsverteilung mit der eigenverantwortlichen Wahrnehmung der jeweiligen Aufgabe betraut sind (Beschluss vom 21. August 1995 – BVerwG 2 B 83.95 – Buchholz 237.95 § 4 S-HLBG Nr. 1). Der Behördenleiter darf die Wahrnehmung von Behördenzuständigkeiten im hoheitlichen Bereich nur dann auf andere Behörden oder auf nicht seiner Behörde angehörende Personen übertragen, wenn er hierzu durch Rechtssatz ermächtigt ist (Urteil vom 28. September 1961 – BVerwG 2 C 168.60 – Buchholz 238.41 § 46 SVG Nr. 1; Beschluss vom 22. August 2007 – BVerwG 2 PKH 2.07 – juris Rn. 7).
Im Bereich der Deutschen Telekom AG nimmt der Vorstand die Befugnisse der obersten Dienstbehörde wahr (§ 1 Abs. 2 PostPersRG). Er kann sie auf den Arbeitsdirektor (Personalvorstand) übertragen (§ 1 Abs. 7 Satz 3 PostPersRG). Bei der gesetzlichen Übertragung der Aufgaben der obersten Dienstbehörde auf den Vorstand bzw. Personalvorstand handelt es sich um eine Beleihung Privater mit hoheitlichen Befugnissen. Daher ist die weitere Übertragung nur auf gesetzlicher Grundlage unter Einhaltung der darin aufgestellten Voraussetzungen möglich (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 20. Februar 1986 – 1 BvR 859, 937/81 – NJW 1987, 2501 ≪2502≫; BVerwG, Urteil vom 23. Mai 1995 – BVerwG 1 C 32.92 – BVerwGE 98, 280 ≪297 f.≫). Eine solche Übertragungsmöglichkeit für die Erhebung der Disziplinarklage eröffnet § 34 Abs. 2 Satz 2 BDG; hiervon hat der Vorstand der Deutschen Telekom AG jedoch keinen Gebrauch gemacht.
Daher können Aufgaben der obersten Dienstbehörde derzeit nur von Beamten aus dem Bereich der Organisationseinheit “Vorstand” der Deutschen Telekom AG wahrgenommen werden, die nach den dort geltenden Regeln über Organisation und Geschäftsverteilung damit betraut sind. Dies ist hinsichtlich der Disziplinarklageerhebung durch Postoberrätin S… im Auftrag des Vorstandes der Fall:
Die Klägerin hat nachvollziehbar dargelegt, die Beamtin gehöre dem Personalmanagement Telekom (zum Zeitpunkt der Disziplinarklageerhebung “Competence Center Personal Management”) an. Dieser Bereich sei Bestandteil der Organisationseinheit “Vorstand”; er nehme Aufgaben der Personalabteilung einer obersten Dienstbehörde wahr. Die Beamtin sei als sog. Disziplinarbevollmächtigte damit betraut, für den Vorstand Disziplinarklageschriften zu erstellen und bei den Verwaltungsgerichten einzureichen. Der Senat sieht keinen Anlass, an der Richtigkeit dieser Angaben zu zweifeln.
Nach alledem liegt weder ein Mangel der Klageschrift vor noch ist die aufgeworfene Frage nach der Wahrnehmung der Zuständigkeit für die Disziplinarklageerhebung rechtsgrundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, weil im vorliegenden Fall kein Klärungsbedarf besteht. Die Frage kann, soweit hier entscheidungserheblich, aufgrund der Rechtsprechung des Senats beantwortet werden.
5. Die Beklagte wirft als rechtsgrundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO die Frage auf,
“ob und inwieweit bei einer computermäßigen Manipulation des Beamten, die nur mittelbar die Zahlung eines Geldbetrages zur Folge haben kann, die Grundsätze im Rahmen eines Zugriffsdelikts zur Anwendung kommen”.
Diese Frage kann die Revisionszulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, § 69 BDG nicht rechtfertigen, weil kein Klärungsbedarf besteht. Die Frage kann für den vorliegenden Fall aufgrund der Rechtsprechung des Senats zu den Grundsätzen für die Bemessung der Disziplinarmaßnahme beantwortet werden.
Nach dieser Rechtsprechung verpflichten die Bemessungsregelungen gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG die Verwaltungsgerichte, über die Disziplinarmaßnahme aufgrund einer prognostischen Gesamtwürdigung aller im Einzelfall belastenden und entlastenden Gesichtspunkte zu entscheiden. Maßgebendes Bemessungskriterium ist die Schwere des Dienstvergehens gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 BDG; sie ist richtungweisend für die Bestimmung der Disziplinarmaßnahme. Dies bedeutet, dass das festgestellte Dienstvergehen im Regelfall nach seiner Schwere einer der gesetzlich vorgesehenen Disziplinarmaßnahmen zuzuordnen ist. Dabei kann auf die vom Disziplinarsenat des Bundesverwaltungsgerichts für bestimmte Fallgruppen herausgearbeiteten Regeleinstufungen zurückgegriffen werden. Auf der Grundlage dieser Zuordnung kommt es für die Festlegung der angemessenen Disziplinarmaßnahme darauf an, ob Erkenntnisse zum Persönlichkeitsbild des Beamten gemäß § 13 Abs. 1 Satz 3 BDG und zum Umfang der Vertrauensbeeinträchtigung gemäß § 13 Abs. 1 Satz 4 BDG im Einzelfall derart ins Gewicht fallen, dass eine andere als die durch die Schwere des Dienstvergehens indizierte Disziplinarmaßnahme geboten ist. Diese allgemeinen Bemessungsvorgaben gelten auch für sog. Zugriffsdelikte. Unter Geltung des § 13 Abs. 1 BDG ist es nicht mehr möglich, die in der Rechtsprechung des Disziplinarsenats anerkannten Milderungsgründe als abschließenden Kanon der bei Zugriffsdelikten allein beachtlichen Entlastungsgründe anzusehen (Urteile vom 20. Oktober 2005 – BVerwG 2 C 12.04 – BVerwGE 124, 252 ≪258 ff.≫ und vom 3. Mai 2007 – BVerwG 2 C 9.06 – Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 3).
In den Fällen innerdienstlicher Betrugs- oder Untreuehandlungen zum Nachteil des Dienstherrn lässt sich aus der Rechtsprechung des Disziplinarsenats der Grundsatz ableiten, dass bei einem Gesamtschaden von über 10 000 DM bzw. 5 000 € die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis auch dann geboten sein kann, wenn keine besonderen Erschwerungsgründe hinzutreten. Erschwerungsgründe können sich z.B. aus Anzahl und Häufigkeit der Verfehlungen, der Höhe des Gesamtschadens, der missbräuchlichen Ausnutzung der dienstlichen Stellung oder der dienstlich erworbenen Kenntnisse ergeben (stRspr; vgl. nur Urteil vom 4. Mai 2006 – BVerwG 1 D 13.05 – juris Rn. 29 m.w.N.).
Davon ausgehend ist im Ergebnis nicht zu beanstanden, dass das Oberverwaltungsgericht das Dienstvergehen der Beklagten hinsichtlich der Schwere einem Zugriffsdelikt gleichgestellt hat. Da die Beklagte nach den tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts durch eine Vielzahl von Manipulationen einen Gesamtschaden von mehr als 5 000 €, nämlich von 6 111,63 € verursacht hat, ist auch bei Anwendung der Bemessungsgrundsätze für innerdienstliche Betrugs- und Untreuehandlungen die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis Richtschnur für die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme. Das Oberverwaltungsgericht hat zutreffend geprüft, ob bemessungsrelevante entlastende Gesichtspunkte eine mildere Disziplinarmaßnahme rechtfertigen könnten, und seine Überprüfung nicht auf einen abschließenden Kanon sog. klassischer Milderungsgründe beschränkt.
6. Die Beklagte rügt, das Oberverwaltungsgericht habe seine Aufklärungspflicht dadurch verletzt, dass es kein weiteres Sachverständigengutachten zur Frage der Schuldfähigkeit der Beklagten im Tatzeitraum eingeholt habe. Das im behördlichen Disziplinarverfahren vom Ermittlungsführer eingeholte psychologische Gutachten der Sachverständigen Dr. J… vom 31. Dezember 2004 habe das Oberverwaltungsgericht nicht verwerten dürfen. Die Gutachterin habe ihre Aussagen auf einer unzulänglichen Grundlage, nämlich aufgrund eines Gesprächs mit der Beklagten von nur einer Stunde Dauer erstellt. Sie sei nicht in der Lage gewesen, die psychische Verfassung der Beklagten im Tatzeitraum zu beurteilen. Das testpsychologische Zusatzgutachten des Sachverständigen Prof. Dr. S… vom 16. Dezember 2004 sei nicht vom Auftrag des Ermittlungsführers gedeckt gewesen.
Der geltend gemachte Verstoß gegen die Pflicht zur umfassenden Sachaufklärung gemäß § 86 Abs. 1 VwGO, § 58 Abs. 1, § 65 Abs. 1 Satz 1 BDG liegt aus mehreren Gründen nicht vor:
Über Art und Zahl der einzuholenden Sachverständigengutachten hat das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen zu bestimmen (vgl. § 98 VwGO, § 412 Abs. 1 ZPO, § 3 BDG). Seine Weigerung, ein weiteres Gutachten einzuholen, findet im Prozessrecht nur dann keine Stütze, wenn das bereits vorliegende Gutachten nicht geeignet ist, dem Gericht die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen zu vermitteln. Dies ist etwa der Fall, wenn das Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, unlösbare inhaltliche Widersprüche enthält oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde oder Unparteilichkeit des Gutachters besteht. Die Verpflichtung zur Einholung eines weiteren Gutachtens folgt nicht schon daraus, dass ein Beteiligter ein vorliegendes Gutachten als Erkenntnisquelle für unzureichend hält (stRspr; vgl. Beschlüsse vom 28. Januar 2003 – BVerwG 4 B 4.03 – Buchholz 310 § 86 Abs. 2 VwGO Nr. 53 und vom 4. Januar 2007 – BVerwG 10 B 20.06 – Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 353).
Diese Grundsätze gelten auch für die Verwertung von Gutachten, die wie hier von der zuständigen Behörde im vorausgehenden Verwaltungsverfahren eingeholt worden sind (Urteile vom 15. April 1964 – BVerwG 5 C 45.63 – BVerwGE 18, 216 ≪218≫ und vom 7. Juli 1978 – BVerwG 4 C 79.76 – BVerwGE 56, 110 ≪127≫; Beschluss vom 18. Januar 1982 – BVerwG 7 B 254.81 – Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 137).
Das Oberverwaltungsgericht hat dargelegt, dass sich die Aussagen Dr. J… nachvollziehbar aus dem Gutachten selbst, aus der Kenntnis und Auswertung der umfangreichen Akten, der Erhebung und Würdigung der Vorgeschichte einschließlich der persönlichen Darstellung der Beklagten, der psychiatrischen Untersuchung vom 29. November 2004 und der testpsychologischen Zusatzbegutachtung vom 16. Dezember 2004 ergäben. Demgegenüber hat die Beklagte keinen Mangel dargelegt, der die Einholung eines weiteren Gutachtens erforderlich gemacht hätte. In Anbetracht der vom Oberverwaltungsgericht festgestellten tatsächlichen Grundlagen des Gutachtens ist der Verweis auf die Kürze des Gesprächs der Gutachterin mit der Beklagten für sich genommen nicht geeignet, die Aussagen der Gutachterin in Zweifel zu ziehen. Auch ist nicht nachvollziehbar, warum der Gutachterin Rückschlüsse auf die psychische Verfassung der Beklagten während des Tatzeitraums unmöglich gewesen sein sollen.
Hinzu kommt, dass die Beklagte in der Beschwerdebegründung nicht darauf eingegangen ist, an welcher seelischen Störung im Sinne von §§ 20, 21 StGB sie im Tatzeitraum gelitten haben will. Nach diesen Vorschriften kommt nur bei einer krankhaften seelischen Störung, einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung, bei Schwachsinn oder einer schweren anderen seelischen Abartigkeit unter Umständen eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit in Betracht (vgl. Urteil vom 3. Mai 2007 – BVerwG 2 C 9.06 – a.a.O.). Nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts hat dies auch der behandelnde Arzt der Beklagten verneint.
7. Das Oberverwaltungsgericht hat angenommen, aus den glaubhaften Aussagen der von ihm vernommenen Zeugen N… und W… ergäben sich keine Anhaltspunkte für eine starke dienstliche Überforderung der Beklagten oder sonstige Umstände, die die Vorgesetzten zum Einschreiten zugunsten der Beklagten hätten veranlassen müssen. Insoweit rügt die Beklagte, das Oberverwaltungsgericht habe nicht berücksichtigt, dass der Zeuge N… nach seinen Angaben gar keine Zeit gehabt habe, um sich um die Zustände in seiner Dienststelle und die Arbeitssituation der dort Beschäftigten zu kümmern. Auch habe es außer Acht gelassen, dass der Zeuge W… ersichtlich jede Verantwortung für Mitarbeiterführung und Kontrolle von sich gewiesen habe. Das Oberverwaltungsgericht hätte dem Umstand Bedeutung beimessen müssen, dass sich beide Zeugen während einer Verhandlungspause vor dem Sitzungssaal hätten absprechen können.
Die tatrichterliche Beweiswürdigung ist aufgrund des § 137 Abs. 2 VwGO vom Senat als Revisionsgericht nur daraufhin überprüfbar, ob Beweiswürdigungsgrundsätze wie etwa Auslegungsregeln (§§ 133, 157 BGB), gesetzliche Beweisregeln, Denkgesetze und allgemeine Erfahrungssätze verletzt sind (stRspr; vgl. Urteile vom 6. Februar 1975 – BVerwG 2 C 68.73 – BVerwGE 47, 330 ≪361≫, vom 27. November 1980 – BVerwG 2 C 38.79 – BVerwGE 61, 176 ≪188≫; Beschluss vom 19. Februar 2007 – BVerwG 2 B 19.07 – Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 49). Ein Verstoß gegen die Denkgesetze liegt nur dann vor, wenn eine Schlussfolgerung aus Gründen der Logik schlechthin nicht gezogen werden kann. Es reicht nicht aus, dass das Gericht andere Schlüsse gezogen hat, als sie nach Auffassung eines der Verfahrensbeteiligten hätten gezogen werden müssen. Dies gilt selbst dann, wenn die von diesem favorisierte Schlussfolgerung näher liegen sollte als diejenige des Gerichts (stRspr; vgl. Beschluss vom 19. Februar 2007 a.a.O.).
Das Oberverwaltungsgericht hat die Aussage des Zeugen N… plausibel und nachvollziehbar gewürdigt. Es hat sich mit dessen Angaben über die Situation am Arbeitsplatz, die Arbeitsbelastung der Beklagten, ihr Verhältnis zu den Kollegen und über ein Gespräch zur Verbesserung der Arbeitssituation auseinandergesetzt. Demgegenüber hat die Beklagte einen Verstoß gegen einen Grundsatz der Beweiswürdigung nicht dargelegt. Dies folgt bereits daraus, dass der Zeuge nicht, wie von der Beklagten behauptet, angegeben hat, er habe sich aus Zeitgründen nicht um die Situation in der Dienststelle kümmern können. Vielmehr hat er ausgesagt, er habe relativ wenig Zeit gehabt, um sich um alle Einzelheiten zu kümmern und deshalb den Zeugen W… als Teamleiter eingesetzt. Dies steht nicht in Widerspruch zu den Schlussfolgerungen des Oberverwaltungsgerichts.
Hinsichtlich der Aussage des Zeugen W… setzt die Beklagte der Beweiswürdigung des Oberverwaltungsgerichts ihre eigene, ihr naturgemäß günstigere Würdigung entgegen. Die Annahme der Beklagten, der Zeuge W… habe jede Verantwortung für die Arbeitssituation von sich weisen wollen, findet in den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts keine Stütze. Die Beschwerde hat auch nicht im Einzelnen dargelegt, inwiefern sich dies aus der protokollierten Aussage des Zeugen ergeben soll.
Den Einwand der Beklagten, die Zeugen hätten ihre Aussagen inhaltlich abgestimmt, hat das Oberverwaltungsgericht im Rahmen der Beweiswürdigung nachvollziehbar abgehandelt. Insoweit wiederholt die Beklagte lediglich ihren Vortrag aus der Berufungsinstanz, ohne einen revisiblen Beweiswürdigungsfehler darzulegen.
8. Mit ihrem Vorbringen, es sei nicht zwingend geboten gewesen, den erstinstanzlichen Entscheidungsausspruch in dem Berufungsurteil neu zu fassen, macht die Beklagte offensichtlich keinen Revisionszulassungsgrund gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 VwGO, § 69 BDG geltend.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, § 77 Abs. 4 BDG. Gerichtsgebühren werden gemäß § 78 Abs. 1 Satz 1 BDG nicht erhoben.
Unterschriften
Albers, Dr. Müller, Dr. Heitz
Fundstellen
Haufe-Index 1971176 |
ZBR 2008, 257 |
ZfPR 2009, 10 |
DVBl. 2008, 666 |