Entscheidungsstichwort (Thema)
Flächennutzungsplan. Windenergieanlage. Konzentrationszone. Eingriff in Natur und Landschaft. Eingriffsregelung. Ausgleich. Abwägung
Leitsatz (amtlich)
Weist ein Flächennutzungsplan Konzentrationszonen für Windenergieanlagen aus, ist es im Allgemeinen mit dem Gebot gerechter Abwägung vereinbar, die Regelung des Ausgleichs der zu erwartenden Eingriffe in Natur und Landschaft dem Verfahren der Vorhabengenehmigung und, wenn die Bereitstellung der für den Ausgleich erforderlichen Flächen nicht auf andere Weise gesichert ist, der Aufstellung eines Bebauungsplans vorzubehalten.
Normenkette
BauGB § 1a Abs. 3, § 5 Abs. 2a, § 8 Abs. 2 S. 1, § 9 Abs. 1a, § 35 Abs. 3 S. 1 Nr. 1, S. 3, § 135a Abs. 1-2; BNatSchG 1993 §§ 8, 8a Abs. 1, 7; BNatSchG 1998 §§ 8, 8a Abs. 1, 2 S. 1; BNatSchG 2002 § 19 Abs. 2 S. 1, § 20 Abs. 2 S. 2, § 21 Abs. 1
Verfahrensgang
Niedersächsisches OVG (Urteil vom 08.11.2005; Aktenzeichen 1 LB 133/04) |
VG Hannover (Entscheidung vom 28.08.2003; Aktenzeichen 4 A 3108/99) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 8. November 2005 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 60 000 € festgesetzt.
Gründe
Die auf den Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr der Kläger beimisst.
Der Kläger möchte im Revisionsverfahren rechtsgrundsätzlich geklärt wissen,
ob auch bei der Flächennutzungsplanung mit dem Ziel, durch Darstellung von Konzentrationsflächen im übrigen Gemeindegebiet Windenergieanlagen auszuschließen, eine “Abarbeitung” der Eingriffsregelung erforderlich ist.
In dieser Allgemeinheit würde sich die Frage in einem Revisionsverfahren nicht stellen.
Der Flächennutzungsplan, der dem Vorhaben des Klägers gemäß § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB als öffentlicher Belang entgegengehalten wird, stellt sechs Konzentrationszonen für Windenergieanlagen dar. Das Oberverwaltungsgericht hat den Flächennutzungsplan als wirksam angesehen. Es hat eine Pflicht der Beigeladenen, schon im Flächennutzungsplan Maßnahmen zum Ausgleich der Eingriffe darzustellen, die eine Aufstellung der Windenergieanlagen zu Lasten des Naturhaushaltes und des Landschaftsbildes hervorrufen kann, verneint (UA S. 22). Die in § 8 BNatSchG in der im Zeitpunkt der Beschlussfassung über die Änderung des Flächennutzungsplans und deren Bekanntmachung geltenden Fassung vom 21. September 1998 (BGBl I S. 2994) genannten Belange seien erst im Einzelgenehmigungsverfahren und nicht schon im Bauleitplanverfahren zur Ausweisung von Konzentrationszonen nach § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB zu berücksichtigen. Das Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetz vom 22. April 1993 (BGBl I S. 466) habe die Eingriffsregelung nur für solche Vorhaben in die Bauleitplanung vorverlegen wollen, welche erst auf der Grundlage dieser Bauleitplanung zugelassen werden könnten. Nach § 8a Abs. 1 BNatSchG in der Fassung sowohl vom 22. April 1993 als auch vom 21. September 1998 sei im Bauleitplanverfahren über die Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege bzw. über die Vermeidung des Eingriffs, den Ausgleich und den Ersatz nur zu entscheiden, wenn “auf Grund” der Aufstellung, Änderung oder Aufhebung des Bauleitplans Eingriffe in Natur und Landschaft zu erwarten seien. Diese Kausalität bestehe bei Vorhaben, die – wie Windenergieanlagen – schon auf der Grundlage des § 35 BauGB verwirklicht werden könnten, nicht. Die durch § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB ermöglichte Bauleitplanung solle die Aufstellung von Windenergieanlagen nur einschränken. Ein Bedürfnis, schon im Flächennutzungsplan Ausgleichsmaßnahmen zu ergreifen, bestehe deshalb nicht (vgl. UA S. 22 f.).
Ob Eingriffe in Natur und Landschaft durch die Aufstellung von Windenergieanlagen auf Flächen, die der Flächennutzungsplan hierfür als Konzentrationszonen ausweist, nicht “auf Grund” der Darstellung im Flächennutzungsplan zu erwarten sind und ob schon aus diesem Grund nicht im Verfahren zur Änderung des Flächennutzungsplans, sondern erst im Einzelgenehmigungsverfahren über die Eingriffsvermeidung, den Ausgleich und den Ersatz zu entscheiden ist, bräuchte in dem Revisionsverfahren nicht entschieden zu werden. Entscheidungserheblich wäre allein die Frage, ob in einem Flächennutzungsplan, der Konzentrationszonen für Windenergieanlagen ausweist, Maßnahmen zum Ausgleich der zu erwartenden Eingriffe in Natur und Landschaft dargestellt werden müssen. Diese Frage kann auf der Grundlage des Gesetzeswortlauts mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Interpretation und auf der Grundlage der entstandenen Rechtsprechung auch ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantwortet werden.
Die Richtigkeit der Begründung des Oberverwaltungsgerichts ergibt sich freilich nicht – wie die Beigeladene meint – ohne weiteres aus dem Gesetz. Nach § 8a BNatSchG in der Fassung sowohl vom 22. April 1993 als auch vom 21. September 1998 (jetzt: § 21 Abs. 1 BNatSchG in der Fassung vom 25. März 2002, BGBl I S. 1193) ist nach den Vorschriften des Baugesetzbuchs über die Vermeidung, den Ausgleich und den Ersatz zu entscheiden, wenn auf Grund der Aufstellung, Änderung, Ergänzung oder Aufhebung von Bauleitplänen Eingriffe in Natur und Landschaft zu erwarten sind. Dass der Eingriff erst durch den Bauleitplan zulässig wird, ist hiernach nicht erforderlich. Es genügt, dass der Eingriff auf Grund des Bauleitplans “zu erwarten” ist. Der Flächennutzungsplan ist als nur vorbereitender Bauleitplan ohnehin nicht geeignet, einen Anspruch auf Zulassung eines Vorhabens zu begründen; im Außenbereich kann er einem Vorhaben als öffentlicher Belang lediglich entgegenstehen (vgl. § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und Satz 3 BauGB). Dennoch sehen § 8 BNatSchG 1993/1998 und § 21 Abs. 1 BNatSchG 2002 die Entscheidung über die Eingriffsvermeidung, den Ausgleich und den Ersatz bei der Aufstellung oder der Änderung nicht nur von Bebauungsplänen, sondern auch des Flächennutzungsplans vor. Ein Flächennutzungsplan, der Konzentrationszonen für Windenergieanlagen ausweist, dürfte auch nicht – wie das Oberverwaltungsgericht meint – nur die Funktion haben, die Aufstellung von Windenergieanlagen einzuschränken. Der Ausschluss der Anlagen auf Teilen des Plangebiets lässt sich nach der Wertung des Gesetzgebers nur rechtfertigen, wenn der Plan sicherstellt, dass sich die betroffenen Vorhaben an anderer Stelle gegenüber konkurrierenden Nutzungen durchsetzen; die negative und die positive Komponente der festgelegten Konzentrationszonen bedingen einander (vgl. BVerwG, Urteile vom 17. Dezember 2002 – BVerwG 4 C 15.01 – BVerwGE 117, 287 ≪294≫, vom 13. März 2003 – BVerwG 4 C 4.02 – BVerwGE 118, 33 ≪27≫ und vom 21. Oktober 2004 – BVerwG 4 C 2.04 – BVerwGE 122, 109 ≪111≫). Weist die Gemeinde in ihrem Flächennutzungsplan Konzentrationszonen für Windenergieanlagen aus, dürfte in der Regel zu erwarten sein, dass gerade auf diesen Flächen Windenergieanlagen errichtet werden.
Die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, dass die Beigeladene in ihrem Flächennutzungsplan Maßnahmen zum Ausgleich der Eingriffe nicht darstellen musste, ist jedoch unabhängig hiervon im Ergebnis richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO). Ob der Flächennutzungsplan überhaupt – wie der Bebauungsplan (vgl. § 9 Abs. 1a BauGB) – Maßnahmen und nicht nur Flächen zum Ausgleich (vgl. § 5 Abs. 2a BauGB) darstellen kann (so Mitschang, ZfBR 1999, 125 ≪130≫; Krautzberger, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 1a Rn. 90 – Stand September 2004), mag ebenfalls auf sich beruhen. Bei Aufstellung oder Änderung der Bauleitpläne hat die Gemeinde die Eingriffsregelung nicht – wie die Beschwerde meint – unmittelbar anzuwenden; sie hat nach den Vorschriften des Baugesetzbuchs über die Vermeidung des Eingriffs, den Ausgleich und den Ersatz zu entscheiden. Gemäß § 1a Abs. 3 Satz 1 BauGB sind die Vermeidung und der Ausgleich voraussichtlich erheblicher Beeinträchtigungen des Landschaftsbildes sowie der Leistungs- und der Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts in seinen in § 1 Abs. 6 Nr. 7 Buchst. a BauGB bezeichneten Bestandteilen (Eingriffsregelung nach dem Bundesnaturschutzgesetz) in der Abwägung nach § 1 Abs. 7 BauGB zu berücksichtigen. Durch diese Vorschrift werden die in der Abwägung zu berücksichtigenden Naturschutzbelange über das Integritätsinteresse hinaus, falls dieses nicht gewahrt werden kann, auf das Kompensationsinteresse erweitert (vgl. BVerwG, Beschluss vom 31. Januar 1997 – BVerwG 4 NB 27.96 – BVerwGE 104, 68 ≪73≫). Eine Verpflichtung, bereits im Flächennutzungsplan Flächen zum Ausgleich darzustellen und diese den Flächen, auf denen Eingriffe in Natur und Landschaft zu erwarten sind, zuzuordnen, folgt aus dieser fachrechtlichen Anreicherung des allgemeinen bauplanungsrechtlichen Abwägungsgebots nicht (vgl. Mitschang, a.a.O. S. 129, 131; Bunzel, NuR 1997, 583 ≪589≫). Hat eine Gemeinde, die in ihrem Flächennutzungsplan Konzentrationszonen für Windenergieanlagen ausweisen möchte, – wie hier die Beigeladene – Art und Umfang der zu erwartenden Eingriffe sowie den Bedarf an Flächen für Kompensationsmaßnahmen ermittelt und im Erläuterungsbericht die hierfür in Betracht kommenden Flächen benannt (vgl. Erläuterungsbericht S. 21), wäre es allenfalls dann abwägungsfehlerhaft, diese Flächen nicht bereits im Flächennutzungsplan ganz oder teilweise als Flächen zum Ausgleich darzustellen, wenn bei der Vorhabengenehmigung ohne diese Darstellung nicht sichergestellt werden könnte, dass der Eingriff tatsächlich ausgeglichen wird. Für Vorhaben im Außenbereich nach § 35 BauGB bleibt die Geltung der Vorschriften über die Eingriffsregelung unberührt (vgl. § 8a Abs. 7 Satz 1 BNatSchG 1993, § 8a Abs. 2 Satz 2 BNatSchG 1998, § 20 Abs. 2 Satz 2 BNatSchG 2002). Nach § 8 Abs. 2 Satz 1 BNatSchG 1993/1998 (jetzt § 19 Abs. 2 Satz 1 BNatSchG 2002) ist der Verursacher eines Eingriffs zu verpflichten, vermeidbare Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft zu unterlassen sowie unvermeidbare Beeinträchtigungen innerhalb einer zu bestimmenden Frist durch Maßnahmen des Naturschutzes und der Landschaftspflege auszugleichen, soweit es zur Verwirklichung der Ziele des Naturschutzes und der Landschaftspflege erforderlich ist. Ist der Ausgleich auf dem Grundstück des Eingriffs möglich, können die erforderlichen Ausgleichsmaßnahmen dem Vorhabenträger mit Erteilung der bau- oder immissionsschutzrechtlichen Genehmigung auferlegt werden. Die Darstellung der Flächen im Flächennutzungsplan als Flächen zum Ausgleich ist hierfür nicht erforderlich. Ist der Ausgleich auf dem Grundstück des Eingriffs nicht möglich, kann der Vorhabenträger zu Ausgleichsmaßnahmen nur verpflichtet werden, wenn die Gemeinde eigene Flächen bereitstellt oder wenn in einem Bebauungsplan an anderer Stelle Maßnahmen zum Ausgleich festgesetzt sind (vgl. § 135a Abs. 1 BauGB). Soweit Maßnahmen zum Ausgleich an anderer Stelle den Grundstücken nach § 9 Abs. 1a BauGB zugeordnet sind, soll die Gemeinde diese an Stelle und auf Kosten der Vorhabenträger oder der Eigentümer der Grundstücke durchführen und auch die hierfür erforderlichen Flächen bereitstellen, soweit dies nicht auf andere Weise gesichert ist (§ 135a Abs. 2 Satz 1 BauGB).
Zu Ausgleichsmaßnahmen auf nicht gemeindeeigenen Grundstücken an anderer Stelle als dem Ort des Eingriffs kann der Vorhabenträger mithin nur verpflichtet oder zu den Kosten hierfür nur herangezogen werden, wenn die Gemeinde in einem Bebauungsplan Maßnahmen zum Ausgleich festsetzt und gegebenenfalls die Flächen oder Maßnahmen zum Ausgleich den Eingriffsgrundstücken zuordnet. Die Darstellung von Flächen zum Ausgleich und die Zuordnung dieser Flächen zu den Eingriffsflächen im Flächennutzungsplan genügt hierfür nicht. Der Flächennutzungsplan darf, wenn er Konzentrationszonen für Windenergieanlagen ausweist, für die in Betracht kommenden Ausgleichsflächen jedoch keine Darstellungen enthalten, aus denen sich die Festsetzung von Flächen oder Maßnahmen zum Ausgleich in einem Bebauungsplan nicht gemäß § 8 Abs. 2 Satz 1 BauGB entwickeln lässt (vgl. Mitschang, a.a.O. S. 128). Nach den Umständen des Einzelfalls kann auch eine Darstellung von Flächen zum Ausgleich bereits im Flächennutzungsplan erforderlich sein, z.B. wenn zu erwarten ist, dass auf den für Ausgleichsmaßnahmen vorgesehenen Flächen andere im Außenbereich privilegiert zulässige Vorhaben verwirklicht werden sollen. Weist ein Flächennutzungsplan Konzentrationszonen für Windenergieanlagen aus, ist es aber im Allgemeinen mit dem Gebot gerechter Abwägung vereinbar, die Regelung des Ausgleichs der zu erwartenden Eingriffe in Natur und Landschaft dem Verfahren der Vorhabengenehmigung und, wenn die Bereitstellung der Flächen nicht auf andere Weise gesichert ist, der Aufstellung eines Bebauungsplans vorzubehalten. Feststellungen, aus denen sich Anhaltspunkte dafür ergeben, dass es hier geboten gewesen sein könnte, die für den Ausgleich in Betracht kommenden Flächen im Flächennutzungsplan als solche darzustellen, hat das Oberverwaltungsgericht nicht getroffen. Auch der Kläger hat weder im Berufungs- noch im Beschwerdeverfahren dargelegt, warum es hier abwägungsfehlerhaft gewesen sein sollte, die Regelung des Ausgleichs dem bau- bzw. immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren und gegebenenfalls der Aufstellung eines Bebauungsplans vorzubehalten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 § 162 Abs. 3 VwGO, die Streitwertentscheidung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1, § 72 Nr. 1 GKG.
Unterschriften
Dr. Paetow, Gatz, Dr. Philipp
Fundstellen
BauR 2006, 1265 |
ZAP 2006, 956 |
NuR 2006, 573 |
VR 2006, 323 |
DVBl. 2006, 1057 |
Städtetag 2006, 44 |
UPR 2006, 352 |
ZNER 2006, 171 |
BBB 2006, 47 |
EurUP 2006, 158 |
FSt 2007, 19 |
FuBW 2006, 894 |
FuB 2006, 192 |
FuHe 2006, 745 |