Entscheidungsstichwort (Thema)
kinderpornografische Schriften. außerdienstlicher Besitz. Zugänglichmachen. Dienstbezug außerdienstlichen Fehlverhaltens. Strafandrohung. Freiheitsstrafe. Orientierungsrahmen. Entfernung aus dem Beamtenverhältnis
Leitsatz (amtlich)
Hat ein Beamter kinderpornografische Schriften nicht nur besessen, sondern diese auch zugänglich gemacht, so ist die Disziplinarmaßnahme auch bei Fehlen eines Dienstbezugs wegen der gegenüber § 184b Abs. 4 StGB erheblich höheren Strafandrohung des § 184b Abs. 1 StGB anhand eines Orientierungsrahmens zu bestimmen, der bis zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis reicht (im Anschluss an das Urteil vom 19. August 2010 – BVerwG 2 C 13.10 – Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 12).
Normenkette
BDG § 13; StGB § 184b Abs. 1, 4; HDG § 16
Verfahrensgang
Hessischer VGH (Urteil vom 07.02.2012; Aktenzeichen 28 A 995/11.D) |
VG Wiesbaden (Entscheidung vom 16.02.2011; Aktenzeichen 28 K 705/10.WI.D) |
Tenor
Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 7. Februar 2012 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 40 768,78 € festgesetzt.
Gründe
Rz. 1
Die auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache sowie auf Divergenz gestützte Beschwerde (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO sowie § 73 HDG) hat keinen Erfolg.
Rz. 2
1. Der Beklagte steht als Oberinspektor (Besoldungsgruppe A 10 g.D.) im Dienst der Klägerin. Im Jahr 2009 wurde er durch Strafbefehl wegen zweier selbstständiger Vergehen nach § 184b Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 4 StGB zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 11 Monaten verurteilt. Der Beklagte hatte sich im Zeitraum von 2001 bis April 2009 mindestens 200 000 kinderpornografische Schriften verschafft und diese besessen sowie im April 2009 eine kinderpornografische Schrift öffentlich zugänglich gemacht. Im sachgleichen Disziplinarverfahren hat das Verwaltungsgericht den Beklagten wegen des außerdienstlich begangenen Dienstvergehens aus dem Dienst entfernt. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Zur Begründung hat er ausgeführt:
Rz. 3
Der Beklagte habe durch sein Verhalten das Vertrauen der Klägerin endgültig verloren. Aus den vom Beklagten nicht bestrittenen strafgerichtlichen Feststellungen ergebe sich, dass er ein Dienstvergehen begangen habe, das wegen der Zahl der kinderpornografischen Darstellungen und des Tatzeitraums besonders schwer wiege. Auch habe er sich in einem Fall an der Verbreitung dieser Dateien beteiligt. Aus dem Persönlichkeitsbild des Beklagten ergäben sich keine durchgreifenden Anhaltspunkte für eine andere Einschätzung. Auch die geringen Erfolge der Verhaltenstherapie, die der Beklagte zudem erst nach Kenntnis des gegen ihn eingeleiteten Disziplinarverfahrens begonnen habe, führten nicht zu einer milderen Disziplinarmaßnahme.
Rz. 4
2. Die Revision ist nicht wegen Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO, § 73 HDG) zuzulassen. Eine die Revision eröffnende Divergenz ist nur dann im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO, § 73 HDG hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten ebensolchen die Entscheidung tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat (stRspr, Beschluss vom 21. Juni 1995 – BVerwG 8 B 61.95 – Buchholz 310 § 133 ≪n.F.≫ VwGO Nr. 18). Die Rüge einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen, die das Bundesverwaltungsgericht in seiner Rechtsprechung aufgestellt hat, genügt weder den Zulässigkeitsanforderungen einer Divergenz- noch denen einer Grundsatzrüge (stRspr, Beschluss vom 17. Januar 1995 – BVerwG 6 B 39.94 – Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 342 S. 55).
Rz. 5
Das Berufungsurteil weicht nicht von den Bemessungsgrundsätzen ab, die der Senat in den Urteilen vom 19. August 2010 (– BVerwG 2 C 5.10 – Buchholz 235.2 LDisziplinarG Nr. 12 und – BVerwG 2 C 13.10 – Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 12) für die Bestimmung der Disziplinarmaßnahme bei einem außerdienstlichen Dienstvergehen im Zusammenhang mit kinderpornografischen Schriften aufgestellt hat.
Rz. 6
Nach der Rechtsprechung des Senats folgt aus § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG und den inhaltsgleichen Bemessungsregelungen der Landesdisziplinargesetze (hier § 16 Abs. 1 Satz 2 bis 4 HDG), dass die erforderliche Disziplinarmaßnahme aufgrund einer prognostischen Gesamtwürdigung aller im Einzelfall bedeutsamen be- und entlastenden Umstände zu bestimmen ist. Erst aufgrund des Ergebnisses dieser Gesamtwürdigung kann festgestellt werden, ob ein Beamter aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen ist, weil er das erforderliche Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit endgültig verloren hat. Der Schwere des Dienstvergehens nach § 13 Abs. 1 Satz 2 BDG kommt als dem maßgebenden Bemessungskriterium richtungweisende Bedeutung zu. Bestimmte Fallgruppen von Dienstvergehen können aufgrund der ihnen typischerweise zukommenden Schwere einer bestimmten Disziplinarmaßnahme als Regelmaßnahme zugeordnet werden. Es kommt dann für die Bestimmung der Disziplinarmaßnahme im Einzelfall darauf an, ob Erkenntnisse zum Persönlichkeitsbild und zum Umfang der Vertrauensbeeinträchtigung derart ins Gewicht fallen, dass eine andere als die durch die Schwere des Dienstvergehens indizierte Maßnahme geboten ist.
Rz. 7
Die Berücksichtigung des Persönlichkeitsbildes ist Ausdruck des Schuldprinzips und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 18. Januar 2008 – 2 BvR 313/07 – NVwZ 2008, 669). Davon abgesehen ist das Persönlichkeitsbild für die Bewertung bedeutsam, ob der Beamte trotz des Dienstvergehens weiterhin im Beamtenverhältnis tragbar ist (stRspr; vgl. nur Urteile vom 20. Oktober 2005 – BVerwG 2 C 12.04 – BVerwGE 124, 252 ≪258 f.≫ = Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 1 Rn. 21 ff.; vom 3. Mai 2007 – BVerwG 2 C 9.06 – Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 3 Rn. 16 f. und vom 25. März 2010 – BVerwG 2 C 83.08 – BVerwGE 136, 173 = Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 11 jeweils Rn. 9 f.). Lässt sich für eine Fallgruppe wegen der Variationsbreite der Schwere des Fehlverhaltens ein Orientierungsrahmen zwischen einer milderen und einer härteren Disziplinarmaßnahme bilden, sind die Erkenntnisse zum Persönlichkeitsbild und der Umfang der Vertrauensbeeinträchtigung für die Ausfüllung dieses Rahmens von Bedeutung (Urteil vom 19. August 2010 – BVerwG 2 C 13.10 – a.a.O. Rn. 23 f.).
Rz. 8
Für die disziplinarrechtliche Relevanz außerdienstlicher Straftaten (Disziplinarwürdigkeit) und für die Bestimmung der hierfür angemessenen Disziplinarmaßnahme kommt dem gesetzlichen Strafrahmen maßgebende Bedeutung zu. Die Orientierung am Strafrahmen gewährleistet eine rationale und gleichmäßige disziplinarrechtliche Bewertung außerdienstlichen Fehlverhaltens (stRspr, vgl. Urteile vom 25. März 2010 a.a.O. jeweils Rn. 18 und vom 19. August 2010 – BVerwG 2 C 13.10 – a.a.O. Rn. 17). Disziplinarwürdigkeit und Schwere außerdienstlichen Fehlverhaltens hängen maßgebend davon ab, ob ein Bezug zur
Rz. 9
Dienstausübung des Beamten gegeben ist. Dies setzt voraus, dass das Fehlverhalten nachteilige Schlüsse auf die Wahrnehmung der dienstlichen Aufgaben zulässt oder eine Beschädigung von Autorität und Ansehen des Beamten zur Folge hat, die ihn in der Amtsführung dauerhaft beeinträchtigt (Urteile vom 19. August 2010 – BVerwG 2 C 5.10 – a.a.O. Rn. 14 f. und 23 und – BVerwG 2 C 13.10 – a.a.O. Rn. 14 ff.).
Rz. 10
Für die disziplinarrechtliche Ahndung des außerdienstlichen Besitzes kinderpornografischer Schriften hat der Senat aus dem seit 2004 geltenden Strafrahmen des § 184b Abs. 4 StGB von bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe geschlossen, dass für die Maßnahmebemessung jedenfalls dann auf einen Orientierungsrahmen bis zur Zurückstufung abzustellen ist, wenn das Dienstvergehen keinen Bezug zu den dienstlichen Aufgaben des Beamten aufweist (Urteil vom 19. August 2010 – BVerwG 2 C 13.10 – a.a.O. Rn. 26). Entgegen der Annahme der Beschwerde betrifft auch das weitere Urteil vom 19. August 2010 – BVerwG 2 C 5.10 – (a.a.O.) einen Fall des außerdienstlichen Dienstvergehens des Besitzes kinderpornografischer Schriften. Der betroffene Beamte war wegen eines Vergehens nach § 184 Abs. 5 StGB in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. November 1998 (BGBl I S. 3322) verurteilt worden. § 184 StGB in dieser Fassung hatte zwar die Bezeichnung “Verbreitung pornographischer Schriften”. Absatz 5 betraf jedoch den Besitz von pornografischen Schriften, die den sexuellen Missbrauch von Kindern zum Gegenstand haben, wenn die Schriften ein tatsächliches oder wirklichkeitsnahes Geschehen wiedergeben.
Rz. 11
Von diesen Grundsätzen ist der Verwaltungsgerichtshof ausgegangen. Er hat einen konkreten Bezug zwischen dem strafrechtlich geahndeten außerdienstlichen Verhalten des Beklagten verneint und hat sich bei der Beurteilung der Disziplinarwürdigkeit als auch der Schwere des Dienstvergehens an der Strafandrohung der verwirklichten Straftatbestände orientiert. Das Berufungsgericht hat aber zutreffend berücksichtigt, dass der Beklagte nicht nur kinderpornografische Schriften besessen, sondern in einem Fall eine solche Schrift öffentlich zugänglich gemacht hat. § 184b Abs. 1 StGB in der Fassung des Gesetzes vom
Rz. 12
31. Oktober 2008 (BGBl I S. 2149) sieht für dieses Vergehen eine Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren vor. Dieser höhere Strafrahmen ist nach den dargestellten Grundsätzen bei der Maßnahmebemessung erschwerend zu berücksichtigen. In Einklang mit der Rechtsprechung des Senats hat der Verwaltungsgerichtshof angenommen, dass der Orientierungsrahmen schon aus diesem Grund bis zur Dienstentfernung reicht.
Rz. 13
Auch soweit der Verwaltungsgerichtshof bei der Bewertung der Schwere des Dienstvergehens den Umstand berücksichtigt hat, dass die gegen den Beklagten ausgesprochene Strafe nur wenig hinter einer Freiheitsstrafe nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BeamtStG zurückbleibt, deren Verhängung das Beamtenverhältnis beendet, wird keine Divergenz dargelegt. Den Urteilen vom 19. August 2010 ist keine Aussage zur Bedeutung der Höhe einer wegen einer vorsätzlichen Straftat verhängten Freiheitsstrafe für die disziplinarische Würdigung zu entnehmen, von der das Berufungsgericht rechtssatzmäßig abgewichen sein könnte.
Rz. 14
In Bezug auf das Vorbringen, der Verwaltungsgerichtshof habe bei der Würdigung sämtlicher Umstände entgegen der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht berücksichtigt, dass der Beklagte zuvor weder disziplinarnoch strafrechtlich in Erscheinung getreten sei, fehlt es an der nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO, § 73 HDG erforderlichen Bezeichnung der Entscheidung, von der das Berufungsgericht abgewichen sein soll.
Rz. 15
Für die weiteren Divergenzrügen weist der Senat darauf hin, dass eine Divergenz im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO, § 73 HDG nicht damit begründet werden kann, das Tatsachengericht habe die be- und entlastenden Umstände im Rahmen der Gesamtwürdigung gemäß § 16 HDG fehlerhaft gewürdigt und gewichtet (vgl. Beschlüsse vom 3. Juli 2007 – BVerwG 2 B 18.07 – juris Rn. 7 und Buchholz 235.1 § 69 BDG Nr. 1 LS 1 und vom 5. Februar 2008 – BVerwG 2 B 127.07 – juris Rn. 4). Letztlich beanstandet der Beklagte die tatrichterliche
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Würdigung seines Dienstvergehens, legt jedoch nicht dar, dass sich das Berufungsgericht dabei von einem Maßstab habe leiten lassen, der mit den vom Bundesverwaltungsgericht aufgestellten Bemessungsgrundsätzen unvereinbar ist.
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3. Die Revision ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, § 73 HDG zuzulassen. Dieser Zulassungsgrund liegt vor, wenn der Beschwerdeführer gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO eine konkrete, in dem zu entscheidenden Fall erhebliche, noch ungeklärte Frage des revisiblen Rechts mit einer über den Einzelfall hinausgehenden allgemeinen Bedeutung aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Rechtsfortbildung der Klärung in einem Revisionsverfahren bedarf (Beschluss vom 2. Oktober 1961 – BVerwG 8 B 78.61 – BVerwGE 13, 90 ≪91≫ = Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 18 S. 21 f.). Dies ist hier nicht der Fall.
Rz. 18
Die Beschwerde sieht die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache in der Frage, ob bei der disziplinarrechtlichen Würdigung des Dienstvergehens des Besitzes kinderpornografischer Schriften eine rechtliche Differenzierung danach vorzunehmen ist, ob eine Person solche Dateien nur für theoretische Sekunden der Allgemeinheit öffentlich zugänglich gemacht hat oder ob ein aktives Tun, z.B. durch Anbieten einer entsprechenden Plattform zum Austausch solcher Dateien für die Bewertung der dienstrechtlichen Maßnahmen entscheidend ist.
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Diese Frage rechtfertigt die Zulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nicht, weil sie sich in einem Revisionsverfahren nicht stellen würde. Der Beklagte wirft in der Sache keine Frage von fallübergreifender allgemeiner Bedeutung auf, sondern wendet sich gegen die Sachverhaltswürdigung des Berufungsgerichts. Für die Bestimmung der Disziplinarmaßnahme ist von maßgebender Bedeutung, ob der Beamte neben dem Straftatbestand des Besitzes kinderpornografischer Schriften (§ 184b Abs. 4 StGB) vorsätzlich weitere, mit einem höheren Strafrahmen belegte Straftatbestände erfüllt hat. Dies ist im Rahmen der Gesamtwürdigung der be- und entlastenden Umstände erschwerend zu berücksichtigen.
Rz. 20
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 81 Abs. 4 HDG, § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 82 Abs. 1 HDG, § 52 Abs. 5 Satz 1 GKG.
Unterschriften
Dr. Heitz, Dr. Hartung, Dr. Kenntner,
Fundstellen
Haufe-Index 3201835 |
DÖV 2012, 895 |
VR 2012, 431 |
NPA 2013 |