Verfahrensgang
OVG für das Land NRW (Beschluss vom 13.08.2001; Aktenzeichen 9 A 2246/99) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 13. August 2001 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 129 918 Euro festgesetzt.
Gründe
Die allein auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gestützte Beschwerde (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) bleibt erfolglos. Die von der Beschwerdeführerin aufgeworfenen Rechtsfragen bedürfen nicht der Klärung in einem Revisionsverfahren.
1. Geklärt wissen möchte die Beschwerde zum einen die Frage:
„Ist eine Nebenbestimmung in einem Verwaltungsakt, die zum Zeitpunkt des Erlasses des Verwaltungsaktes nach allgemeiner Ansicht die bestehende Rechtslage wiedergab, bei der Umsetzung des Verwaltungsaktes auch dann zu berücksichtigen, wenn zwischenzeitlich die Rechtslage durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes in einem anderen Sinne konkretisiert worden ist und sich im Übrigen durch eine Gesetzesänderung die Rechtslage auch geändert hat?”
Diese Frage kann nicht zur Zulassung der Revision führen, weil sie nicht die Erwägungen berührt, die dem angefochtenen Beschluss des Oberverwaltungsgerichts zugrunde liegen.
Die Beschwerde unterstellt mit ihrer Fragestellung stillschweigend, dass die darin erwähnte „Nebenbestimmung” den Widerruf der Beihilfe – in Übereinstimmung mit der zur Zeit der Bewilligung geltenden Rechtslage – an eine Ermessensausübung geknüpft habe, während erst nach neuerer Rechtslage ein Widerruf in vergleichbaren Fällen zwingend vorgeschrieben sei. Demgegenüber hat das Berufungsgericht auf S. 9 des Urteilsabdrucks ausgeführt, dass die Annahme, die Beklagte habe sich durch eine Nebenbestimmung ihres Beihilfebescheides zu einer Ermessensausübung verpflichtet, neben der Sache liege. Die Beschwerde verkehrt also mit ihrer Fragestellung die berufungsgerichtliche Auslegung in ihr Gegenteil. Die Rechtsfrage muss aber selbst – so wie sie entschieden worden ist – von grundsätzlicher Bedeutung sein, und nicht erst die Rechtsfrage, die sich stellen würde, wenn die Rechtssache anders entschieden worden wäre. Zwar wendet sich die Beschwerde auch gegen die Auslegung der Nebenbestimmung durch das Oberverwaltungsgericht; sie verbindet damit aber keine – revisibles Recht betreffende – Frage von grundsätzlicher Bedeutung. Der beschließende Senat hat daher von der Unerheblichkeit der Nebenbestimmung und – daraus folgend – der von der Beschwerde aufgeworfenen Frage auszugehen.
2. Zum anderen stellt die Beschwerde die Gültigkeit von Art. 15 der VO (EWG) Nr. 1272/88 i.d.F. der VO (EWG) Nr. 466/92 in Frage, weil diese Bestimmung keine schuldangemessene Sanktionierung ermögliche und daher gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (u.a.) verstoße. Der Senat vermag diese Zweifel nicht zu teilen und sieht daher auch keinen Bedarf für eine Klärung durch den Europäischen Gerichtshof.
Unzutreffend ist bereits die Unterstellung, die Bestimmung messe dem Verschulden keine hinreichende Bedeutung für das Ausmaß der zu verhängenden Sanktionen bei. Art. 15 differenziert sehr wohl nach schuldhaftem und schuldlosem Verhalten des Beihilfeempfängers: Gemäß Abs. 1 letzter Halbsatz und Abs. 2 Satz 2 werden Beihilfezahlungen für die Jahre vor Aufdeckung der unrichtigen Angaben dann nicht nachträglich gekürzt bzw. zurückgefordert, wenn der Begünstigte beweisen kann, dass der Unterschied weder auf Vorsatz noch auf Vernachlässigung der Obliegenheitspflichten bzw. Fahrlässigkeit zurückzuführen ist. Die Verhängung von Geldstrafen ist nach Absatz 3 bei Vorliegen höherer Gewalt oder anderen dem Beihilfeempfänger nicht anzulastender Ursachen ausgeschlossen; zugleich sieht diese Regelung besonders strenge Sanktionen bei schweren – insbesondere in betrügerischer Absicht begangenen – Unregelmäßigkeiten vor.
Diese Differenzierungen werden den Anforderungen gerecht, die der Europäische Gerichtshof aus dem gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entwickelt hat.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs verlangt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, dass die Rechtsakte der Gemeinschaftsorgane nicht die Grenzen dessen überschreiten, was für die Erreichung des verfolgten Zieles geeignet und erforderlich ist. Bei der Beurteilung eines komplexen Sachverhaltes, wie er bei der gemeinsamen Agrarpolitik gegeben ist, verfügen die Gemeinschaftsorgane über einen weiten Ermessensspielraum. Bei der Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Ausübung einer solchen Befugnis haben sich die Gerichte auf die Prüfung zu beschränken, ob der Behörde ein offensichtlicher Fehler oder ein Ermessensmissbrauch unterlaufen ist oder ob sie die Grenzen ihres Ermessens offensichtlich überschritten hat. Nach dieser Rechtsprechung kann ein Verstoß gegen Verpflichtungen, deren Einhaltung für das ordnungsgemäße Funktionieren eines Gemeinschaftssystems von grundlegender Bedeutung ist, mit dem Verlust des gesamten durch die Gemeinschaftsregelung verliehenen Anspruchs, etwa eines Beihilfeanspruchs, geahndet werden. Die Ahndung einer Unregelmäßigkeit ist somit nicht auf die Kürzung des Zuschusses in Höhe des der Unregelmäßigkeit entsprechenden Betrags begrenzt, weil nur so die für eine ordnungsgemäße Mittelverwaltung erforderliche abschreckende Wirkung erzielt werden kann (EuGH, Urteile vom 17. Juli 1997 – Rs. C-354/95 – Slg. 11997 Seite I-04559 RN 49 f; sowie vom 24. Januar 2002 – Rs. C-500/99 P –).
Die vorgenannten Maßstäbe hat das Berufungsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt, wobei es von einer fahrlässigen Verletzung der vom verstorbenen Ehemann der Klägerin eingegangenen Hauptverpflichtung ausgegangen ist. Die umfassende Auseinandersetzung im Urteil mit den – in der Beschwerdebegründung wiederholten – Einwänden der Klägerin lässt einen Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht nicht erkennen. Der Beschwerdevortrag enthält keine überzeugenden Ansätze, mit denen sich wenigstens eine der entscheidungserheblichen Annahmen des Berufungsgerichts infrage stellen ließen. Der Senat sieht daher insoweit von einer weiteren Begründung unter Bezugnahme auf § 133 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 VwGO ab.
3. Schließlich hält es die Beschwerde für klärungsbedürftig, ob die Klägerin den gegenüber ihrem Rechtsvorgänger erklärten Widerruf der Beihilfegewährung gegen sich gelten lassen müsse.
Es versteht sich von selbst, dass diese Frage zu bejahen ist. Da ein Erbe oder ein anderer Gesamtrechtsnachfolger in vollem Umfang in die Rechte und Pflichten des Erblassers oder des sonstigen Rechtsvorgängers eintritt, gilt dies auch für das durch Verwaltungsakt begründete Rechtsverhältnis und die damit verbundene Inanspruchnahme durch einen Rücknahmebescheid (vgl. Senatsurteil vom 26. August 1999 – BVerwG 3 C 17.98 – Buchholz 316 § 48 VwVfG Nr. 95 S. 5). Die gegen die Anwendung dieses Prinzips auf den vorliegenden Fall von der Beschwerde vorgebrachten Einwände sind nicht geeignet, die Richtigkeit des angefochtenen Urteils in diesem Punkt ernstlich in Zweifel zu ziehen. Als offensichtlich verfehlt erweist sich insbesondere der Versuch, den Widerruf der Beihilfe als einen den Rechtsvorgänger der Klägerin höchstpersönlich betreffenden Vorgang zu qualifizieren. Dies widerspricht bereits dem in anderem Zusammenhang erhobenen Vorwurf der Beschwerde, die zugrunde liegende EWG-Verordnung erlaube entgegen den Erfordernissen des Verhältnismäßigkeitsprinzips auch die Verhängung verschuldensunabhängiger Sanktionen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.
Unterschriften
Prof. Dr. Driehaus, Dr. Borgs-Maciejewski, Kimmel
Fundstellen