Entscheidungsstichwort (Thema)
Öffentlich-rechtlicher Vertrag. Erschließungsvertrag. Schriftform. Urkundeneinheit. Grundsatz der Einheitlichkeit der Urkunde. notarielle Beurkundung. Sachzusammenhang. Grundstücksübertragungsvertrag
Leitsatz (amtlich)
Aus dem Grundsatz der Urkundeneinheit oder Einheitlichkeit der Urkunde (§ 126 Abs. 2 Satz 1 BGB), soweit er auf öffentlich-rechtliche Verträge anwendbar ist (§ 57, § 62 Satz 2 VwVfG), folgt nicht, dass ein (hier: aus einem Erschließungs-, einem Ablöse- und einem Umlegungsvertrag) bestehendes komplexes Vertragswerk wegen des zwischen diesen Verträgen bestehenden Sachzusammenhangs in einer einzigen Urkunde zusammengefasst werden muss.
Normenkette
BauGB § 124 Abs. 1, 4; VwVfG §§ 57, 62 S. 2; BGB a.F. §§ 125, 126 Abs. 2 S. 1, § 313; BGB n.F. § 311b Abs. 1
Verfahrensgang
OVG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 19.03.2009; Aktenzeichen 6 A 11224/08) |
VG Mainz (Entscheidung vom 15.07.2008; Aktenzeichen 3 K 274.08.MZ) |
Tenor
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 19. März 2009 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Kläger.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.
Gründe
Rz. 1
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Der Rechtssache kommt nicht die von der Beschwerde geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zu. Die Beschwerde hält die Frage für rechtsgrundsätzlich bedeutsam:
“Verstößt die Aufspaltung eines einheitlichen öffentlich-rechtlichen Erschließungsvertrages in einen notariell zu beurkundenden grundstücksbezogenen Teilvertrag (eigenständige Urkunde) und in nicht der notariellen Beurkundung unterliegende übrige Teilverträge (eigenständige Urkunden) gegen den Grundsatz der Einheitlichkeit der Urkunde im Sinne des § 124 Abs. 4 BauGB in Verbindung mit § 57 VwVfG und § 126 BGB ?”
Rz. 2
Diese Frage rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision, weil sie auch ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens anhand des Gesetzes und bereits vorliegender Rechtsprechung beantwortet, nämlich verneint werden kann und im Übrigen nicht entscheidungserheblich ist.
Rz. 3
1. Die Frage beruht auf einem unzutreffenden Verständnis des Grundsatzes der Urkundeneinheit oder Einheitlichkeit der Urkunde. Dieser aus § 126 Abs. 2 Satz 1 BGB folgende und über §§ 57, 62 Satz 2 VwVfG auch auf öffentlich-rechtliche Verträge anwendbare Grundsatz betrifft die Frage, ob bei einem Vertragsschluss die Unterschriften auf derselben Urkunde geleistet werden müssen oder ob – im Gegensatz und als Minus dazu – auch von einem entsprechenden Erklärungsbewusstsein getragene, mit Bindungswillen abgegebene schriftliche Vertragserklärungen durch Schriftwechsel einen formgültigen öffentlich-rechtlichen Vertrag zustande bringen können (vgl. Urteile vom 24. August 1994 – BVerwG 11 C 14.93 – BVerwGE 96, 326 ≪333≫ und vom 19. Mai 2005 – BVerwG 3 A 3.04 – Buchholz 300 § 164 GVG Nr. 2 S. 3; Bonk in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl. 2008, § 57 Rn. 19). Aus § 126 Abs. 2 Satz 1 BGB folgt dagegen nicht, dass ein komplexes Rechtsgeschäft, das aus mehreren miteinander zusammenhängenden Verträgen besteht und bei dem sich die Unterschriften der Vertragspartner jeweils auf derselben Urkunde befinden, in einer einzigen Urkunde gegenständlich zusammengefasst werden muss. Formvorschriften sind kein Selbstzweck und deshalb unter Berücksichtigung ihres Sinngehalts auszulegen und anzuwenden. Der Sinngehalt des § 57 VwVfG und der in Bezug genommenen Formvorschriften des Bürgerlichen Rechts liegt in der Warn- und Beweisfunktion der Schriftform (Urteile vom 24. August 1994 und 19. Mai 2005, jeweils a.a.O.). Es ist nichts dafür ersichtlich, dass diese Warn- und Beweisfunktion vereitelt oder erschwert wird, wenn ein umfangreiches und komplexes Vertragswerk nicht in einer Urkunde zusammengefasst ist, zumal wenn – wie hier – die drei Vertragsurkunden (des Erschließungs-, des Ablöse- und des Umlegungsvertrags) am gleichen Tage bei derselben Veranstaltung unterzeichnet wurden.
Rz. 4
Gegenteiliges ergibt sich auch nicht aus den von der Beschwerde angeführten Gerichtsentscheidungen und Literaturstimmen. Zwar kann nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein allein nicht formbedürftiger Vertrag, der mit einem notariell zu beurkundenden Grundstücksvertrag (§ 313 Satz 1 BGB a.F., § 311b Abs. 1 Satz 1 BGB n.F.) rechtlich zusammenhängt, weil die Vereinbarungen nach dem Willen der Parteien miteinander “stehen und fallen”, ebenfalls notariell zu beurkunden sein (vgl. BGH, Urteile vom 24. September 1987 – VII ZR 306/86 – BGHZ 101, 393 ≪396 f.≫ und vom 12. Februar 2009 – VII ZR 230/07 – NJW-RR 2009, 953 ≪954≫). Doch folgt daraus lediglich die Ausweitung der Beurkundungsbedürftigkeit auch auf den weiteren Vertrag, nicht aber, dass die Verträge in einer einzigen Urkunde zusammengefasst werden müssten.
Rz. 5
Auch insoweit besteht im Streitfall kein Klärungsbedarf. Der Erschließungsvertrag vom 19. August 1999, der selbst keine Verpflichtung zur Übereignung von Grundeigentum enthält, ist nicht notariell beurkundet worden. Selbst wenn man annimmt, dass dieser Vertrag wegen des Sachzusammenhangs mit dem notariellen Umlegungsvertrag vom selben Tage, in dem sich die Vertragsparteien zur Übertragung von Grundstücken verpflichtet haben, ebenfalls der notariellen Beurkundung bedurft hätte, wovon das Oberverwaltungsgericht mit Blick auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zugunsten des Klägers ausgeht, wäre dieser – unterstellte – Formmangel gemäß § 313 Satz 2 BGB a.F. (§ 311b Abs. 1 Satz 2 BGB n.F.) durch die nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts zwischenzeitlich erfolgte Auflassung der fraglichen Grundstücke und Eintragung des Eigentumswechsels im Grundbuch geheilt worden (vgl. Urteil vom 9. November 1984 – BVerwG 8 C 77.83 – BVerwGE 70, 247 ≪257≫).
Rz. 6
2. Aus dem Vorstehenden folgt weiter, dass die aufgeworfene Frage in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht entscheidungserheblich wäre. Selbst wenn man der Ansicht der Beschwerde folgte, wäre der von ihr angenommene Verstoß gegen § 126 BGB durch die Auflassung und Eintragung im Grundbuch geheilt. Denn die Heilung gemäß § 313 Satz 2 BGB a.F. (§ 311b Abs. 1 Satz 2 BGB n.F.) erfasst nicht nur Formmängel nach Satz 1 (notarielle Beurkundung), sondern auch Verstöße gegen andere Formvorschriften, die – wie hier – keinen weitergehenden Schutzzweck verfolgen (BGH, Urteil vom 17. März 1978 – V ZR 217/75 – NJW 1978, 1577; Jauernig/Stadler, BGB, 12. Aufl. 2007, § 311b Rn. 42), mithin auch einen – hier behaupteten – Verstoß gegen § 126 BGB.
Rz. 7
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Werts des Streitgegenstandes beruht auf § 52 Abs. 2, § 47 Abs. 1 und 3 GKG.
Unterschriften
Dr. Storost, Domgörgen, Buchberger
Fundstellen
ZMR 2010, 571 |
DNotZ 2010, 549 |
DVBl. 2010, 523 |