Verfahrensgang
Hessischer VGH (Entscheidung vom 01.03.2001; Aktenzeichen 5 UE 2449/99) |
Tenor
Der Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 1. März 2001 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Gründe
Die zulässige Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem angefochtenen Beschluss hat Erfolg.
Der Beschluss leidet im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO an einem Verfahrensfehler, weil er die Berufung des Klägers unter Versagung von Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist als unzulässig verworfen (§ 125 Abs. 2 VwGO) hat. Denn zu Unrecht hat das Berufungsgericht die anwaltliche Versicherung des Bevollmächtigten des Klägers wegen eines Organisationsverschuldens im Zusammenhang mit der Ausgangskontrolle als unbeachtlich angesehen. In seinem Wiedereinsetzungsgesuch (Schriftsatz vom 9. November 1999, Seite 93 der Gerichtsakte) hatte der Prozessbevollmächtigte anwaltlich versichert, er habe gleich am Tage des Erhalts des die Berufung zulassenden Beschlusses – dem 20. August 1999 – den Berufungsbegründungsschriftsatz gleichen Datums gefertigt und auf den Postweg gebracht und davon ausgehen können, dass der ordnungsgemäß adressierte und frankierte Schriftsatz dem Gericht rechtzeitig vor Ablauf der Frist zugehe. Nach Aufforderung durch den Berichterstatter, die fristgemäße Absendung der Berufungsbegründung durch Vorlage des Postausgangsbuches glaubhaft zu machen, hat er mit Schriftsatz vom 12. Februar 2001 (Gerichtsakte Seite 111) noch erklärt, ein Postausgangsbuch werde in der Kanzlei nicht geführt, vielmehr werde die zur Versendung fertig gestellte Post ohne weiteren Vermerk in das hierfür bestimmte Postausgangsfach gelegt; die dortigen Briefe würden am Ende eines jeden Arbeitstages „entnommen, frankiert und in den Briefkasten gegenüber dem Büro … eingeworfen”; den Schriftsatz vom 20. August 1999 habe der Prozessbevollmächtigte selbst inhaltlich und technisch fertig gestellt und in das Postausgangsfach gelegt, was ihm deshalb erinnerlich sei, weil Zulassungsbeschlüsse ein nicht so häufiges Ereignis darstellten; wegen der sofortigen Erledigung sei eine Notierung im Fristenkalender nicht erfolgt. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Wiedereinsetzung mit der Begründung versagt, die anwaltliche Versicherung des Bevollmächtigten des Klägers, er habe den Berufungsbegründungsschriftsatz am 20. August 1999 gefertigt und in das Postausgangsfach der Kanzlei gelegt, genüge allein nicht zur Glaubhaftmachung, dass dieser Schriftsatz auch tatsächlich an diesem Tage aus der Kanzlei auf den Postweg gebracht worden sei; eine wirksame Postausgangskontrolle verlange vielmehr, dass der tatsächliche Abgang fristwahrender Schriftsätze in einem Postausgangsbuch oder auf ähnliche, gleich wirksame Weise vermerkt werde und somit kontrollierbar sei. Würden Fristen dagegen lediglich im Fristenkalender gestrichen oder Verfahren, die nicht einmal im Fristenkalender vermerkt seien, bearbeitet, ohne dass das Datum der Hinausgabe des Schriftsatzes vermerkt werde, sei die rechtzeitige Aufgabe fristwahrender Schriftsätze zur Post weder gewährleistet noch nachweisbar. Organisiere ein Rechtsanwalt in seiner Kanzlei die Postausgangskontrolle nicht derart, dass ihm die Kontrolle und der Nachweis über die Absendung fristwahrender Schriftsätze möglich sei, liege bereits darin ein Organisationsverschulden des Bevollmächtigten, das sich der Kläger zurechnen lassen müsse.
Das Berufungsgericht hätte die anwaltliche Versicherung des Bevollmächtigten nicht von vornherein wegen eines Organisationsverschuldens im Zusammenhang mit der Ausgangskontrolle als unbeachtlich ansehen dürfen. Auf das Bestehen einer wirksamen Ausgangskontrolle kommt es nämlich nicht an, wenn der rechtzeitige Abgang der Berufungsbegründung im konkreten Fall glaubhaft gemacht worden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 10. April 1991 – XII ZB 28/91 – ≪abgedruckt u.a. in MDR 1991, 905≫). Da die Vorinstanz nicht die Zuverlässigkeit der Postausgangsstelle oder den vom Bevollmächtigten geschilderten Ablauf in Frage gestellt, sondern das Fehlen einer beweiskräftigen Dokumentation des Abgangs als Organisationsverschulden bewertet hat, hätte es im konkreten Fall die Möglichkeit einer von dem festgestellten Organisationsmangel unabhängigen Glaubhaftmachung des Postabgangs in Betracht ziehen müssen. Diese Möglichkeit besteht nicht nur dann, wenn etwa ein Prozessbevollmächtigter versichert, einen fristwahrenden Schriftsatz persönlich zur Post gebracht zu haben, sondern auch dann, wenn er versichert, den Schriftsatz in postfähigem Zustand frühzeitig in das zuverlässig bediente Postausgangsfach gelegt zu haben.
Der Senat lässt dahingestellt, inwieweit eine wirksame Postausgangskontrolle, die den zweifelsfreien Nachweis des Zeitpunktes der Hinausgabe fristwahrender Schriftsätze gewährleisten soll (vgl. BVerwG, Beschluss vom 14. September 1999 – BVerwG 2 B 56.99 – ≪Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 230≫; Beschluss vom 14. Juli 1988 – BVerwG 2 C 6.88 – ≪Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 156≫), Kontrollmechanismen wie die Führung eines Postausgangsbuches, Vermerke in einem Fristenkalender oder „Ab”-Vermerke auf dem fraglichen Schriftsatz erfordert; auf diese Fragen kommt es nämlich nicht an, wenn im Einzelfall der Nachweis des Postausgangs durch anwaltliche Versicherung gelingt. Diese rechtliche Möglichkeit konnte der Verwaltungsgerichtshof dem Prozessbevollmächtigten nicht von vornherein abschneiden.
Der neben dem Verfahrensmangel geltend gemachte Zulassungsgrund der Divergenz liegt dagegen nicht vor. Das von der Beschwerde genannte Urteil des Bundesgerichtshofs vom 11. Januar 2001 – III ZR 148/00 – (NJW 2001, S. 1577 f.) ist keine divergenzfähige Entscheidung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO; eine Abweichung von dem genannten und in der angefochtenen Entscheidung zitierten Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. September 1999 ist nicht dargelegt. Grundsätzliche Bedeutung kommt der Rechtssache nicht zu, weil die Frage nach dem erforderlichen Umfang einer Dokumentation des Postausgangs sich nicht stellt, wenn der Nachweis im Einzelfall auf andere Weise geführt werden kann.
Da der angefochtene Beschluss an einem Verfahrensmangel im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO leidet, darauf auch beruhen kann und weitere Zulassungsgründe nicht eingreifen, macht der Senat von der Möglichkeit Gebrauch, auf die Nichtzulassungsbeschwerde gemäß § 133 Abs. 6 VwGO den angefochtenen Beschluss durch Beschluss aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung – auch über das Wiedereinsetzungsgesuch – an den Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen.
Unterschriften
Dr. Säcker, Schmidt, Dr. Franke
Fundstellen