Leitsatz (amtlich)
Ein gemeinsamer gebietsübergreifender Bebauungsplan zweier Gemeinden kann nur durch einen Planungsverband nach § 205 Abs. 1 BauGB oder einen dem Planungsverband in der Organisationsform gleichwertigen Zusammenschluss im Sinne von § 205 Abs. 6 BauGB erlassen werden (im Anschluss an BVerwG, Urteil vom 17. Mai 2018 - 4 CN 9.17 u. a. - Buchholz 406.11 § 205 BauGB Nr. 2 Rn. 16).
Verfahrensgang
OVG des Landes Sachsen-Anhalt (Urteil vom 25.11.2021; Aktenzeichen 2 K 34/20) |
Tenor
Die Beschwerde der Antragsgegnerinnen gegen die Nichtzulassung der Revision in dem auf die mündliche Verhandlung vom 25. November 2021 ergangenen Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt wird zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerinnen tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens je zur Hälfte.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 20 000 € festgesetzt.
Gründe
Rz. 1
Die Antragstellerin wendet sich gegen einen Änderungsbebauungsplan, den die Antragsgegnerinnen - zwei Nachbargemeinden - wie den ursprünglichen Plan als gemeinsamen gebietsübergreifenden Bebauungsplan beschlossen haben. Die Planung dient der Neutrassierung einer Verbindungsstraße, die auf den Gebieten der Antragsgegnerinnen verläuft. Zur technischen Vorbereitung und Durchführung des Plans haben sie Zweckvereinbarungen geschlossen. Das Oberverwaltungsgericht hat den Änderungsbebauungsplan für unwirksam erklärt, weil weder das Baugesetzbuch noch Landesrecht einen gemeinsamen Bebauungsplan auf der Grundlage einer Zweckvereinbarung zuließen. Die Revision hat es nicht zugelassen.
Rz. 2
Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO gestützte Beschwerde bleibt erfolglos.
Rz. 3
1. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Beschwerde beimisst.
Rz. 4
Grundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrunde liegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), also näher ausgeführt werden, dass und inwieweit eine bestimmte Rechtsfrage des revisiblen Rechts im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und warum ihre Klärung in dem beabsichtigten Revisionsverfahren zu erwarten ist (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 2. Oktober 1961 - 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 ≪91≫ und vom 14. Oktober 2019 - 4 B 27.19 - Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 225 Rn. 4).
Rz. 5
a) Die Beschwerde formuliert fünf Fragen, mit denen sie der Sache nach geklärt wissen will,
ob zwei Gemeinden in Übereinstimmung mit § 205 Abs. 6 oder § 4b Satz 1 BauGB oder anderen Regelungen des Baugesetzbuchs einen gebietsübergreifenden gemeinsamen Bebauungsplan auf der Grundlage einer Zweckvereinbarung unter Beibehaltung der jeweiligen Planungshoheit aufstellen können.
Rz. 6
Die Frage führt nicht zur Zulassung der Revision. Auf sie lässt sich - soweit sie revisibles Recht betrifft - auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung antworten, ohne dass es der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedarf (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 24. August 1999 - 4 B 72.99 - BVerwGE 109, 268 ≪270≫).
Rz. 7
aa) Die Zuständigkeit für die Bauleitplanung ist in § 2 Abs. 1, §§ 203 ff. BauGB umfassend und erschöpfend geregelt. Träger der Bauleitplanung im Sinne der §§ 1 ff. BauGB ist grundsätzlich die Gemeinde. Diese hat die Bauleitpläne in eigener Verantwortung aufzustellen (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 1 BauGB). Aufgabe der Bauleitplanung ist nach § 1 Abs. 1 BauGB, die Nutzung der Grundstücke "in der Gemeinde" nach Maßgabe des Baugesetzbuchs vorzubereiten und zu leiten (BVerwG, Beschluss vom 21. August 1995 - 4 N 1.95 - BVerwGE 99, 127 ≪130≫). Nur unter genau umschriebenen besonderen Voraussetzungen können nach den §§ 203 ff. BauGB abweichende Zuständigkeitsregeln getroffen und eine teilweise oder vollständig einheitliche Bauleitplanung für den Raum mehrerer Gemeinden vorgenommen werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 9. Dezember 1987 - 2 BvL 16/84 - BVerfGE 77, 288 ≪299 f., 301 f.≫).
Rz. 8
Gemeinden, die abweichend von der Zuständigkeitsregelung des § 2 Abs. 1 BauGB einen gemeinsamen Bebauungsplan mit Wirkung über ihr jeweiliges Gemeindegebiet hinaus erlassen wollen, eröffnet § 205 Abs. 1 Satz 1 BauGB die Möglichkeit, sich zu einem Planungsverband zusammenzuschließen. Dieser bildet eine gegenüber seinen Mitgliedern selbstständige Körperschaft des öffentlichen Rechts und tritt gemäß § 205 Abs. 1 Satz 2 BauGB nach Maßgabe seiner Satzung für die Bauleitplanung und ihre Durchführung an die Stelle der Gemeinden. Einen solchen Planungsverband wollten die Antragsgegnerinnen nicht gründen.
Rz. 9
Gemäß § 205 Abs. 6 BauGB wird ein Zusammenschluss nach dem Zweckverbandsrecht oder durch besondere Landesgesetze durch diese Vorschriften nicht ausgeschlossen. Die Norm nimmt den ausschließlichen Geltungsanspruch der Zuständigkeitsvorschriften des Baugesetzbuchs für die Bauleitplanung zurück und lässt dem Landesrecht einen Bereich, in dem dieses eigene Vorschriften zur Übertragung der Zuständigkeit für die Bauleitplanung vorsehen kann. Der Spielraum des Landesgesetzgebers ist jedoch begrenzt. Regelungen des Landesrechts über Zusammenschlüsse nach dem Zweckverbandsrecht oder durch besondere Landesgesetze werden durch § 205 Abs. 1 BauGB nur dann nicht verdrängt, wenn sie in gleicher Weise die Gewähr für den wirksamen Vollzug des materiellen Städtebaurechts bieten. Für Zusammenschlüsse, die an die Stelle von Planungsverbänden nach § 205 Abs. 1 BauGB treten sollen, setzt dies voraus, dass sie dieselben Entscheidungsstrukturen wie "echte" Verbände aufweisen und dem Planungsverband gegenüber gleichwertig sind (vgl. BVerwG, Urteile vom 3. Juli 1998 - 4 CN 5.97 - Buchholz 406.11 § 165 BauGB Nr. 4 S. 21 und vom 17. Mai 2018 - 4 CN 9.17 u. a. - Buchholz 406.11 § 205 BauGB Nr. 2 Rn. 16; Runkel, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand August 2022, § 205 Rn. 91; Schmidt-Eichstaedt, in: Brügelmann, BauGB, Stand Oktober 2022, § 205 Rn. 171, 187 f.). Eine gemeinsame Bauleitplanung ohne einen Planungsverband oder einen gleichwertigen Zusammenschluss ist in § 204 Abs. 1 BauGB nur für den Flächennutzungsplan vorgesehen. Eine analoge Anwendung dieser Vorschrift scheidet aber schon angesichts der unterschiedlichen Rechtsqualität und Funktion von Flächennutzungsplan und Bebauungsplan aus (vgl. Runkel, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand August 2022, § 204 Rn. 21 m. w. N.). Ein gemeinsamer gebietsübergreifender Bebauungsplan zweier Gemeinden kann daher nur durch einen Planungsverband nach § 205 Abs. 1 BauGB oder einen dem Planungsverband in der Organisationsform gleichwertigen Zusammenschluss im Sinne von § 205 Abs. 6 BauGB erlassen werden.
Rz. 10
Die danach erforderliche Gleichwertigkeit in der Organisationsform hat das Oberverwaltungsgericht verneint. Nach seiner für den Senat gemäß § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 560 ZPO bindenden Auslegung des Landesrechts führen die von den Antragsgegnerinnen auf der Grundlage von § 3 Abs. 1 Satz 1 GKG-LSA getroffenen Zweckvereinbarungen nicht zur Bildung einer selbstständigen Körperschaft und begründen daher keinen Zusammenschluss im Sinne von § 205 Abs. 6 BauGB (vgl. UA S. 16 f.; im Ergebnis ebenso OVG Weimar, Urteil vom 21. August 2001 - 1 KO 1240/97 - juris Rn. 42; OVG Koblenz, Urteil vom 28. Oktober 2003 - 8 C 10303/03 - UPR 2004, 78 ≪79 f.≫).
Rz. 11
Einen darüber hinausgehenden Klärungsbedarf im Hinblick auf revisibles Recht zeigt die Beschwerde nicht auf. Aus dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. November 2007 - 9 C 10.07 - (BVerwGE 130, 52 Rn. 24) folgt nichts Anderes. Es befasst sich nicht mit der Aufstellung und dem Erlass eines gemeinsamen Bebauungsplans. Die Frage, ob Zweckvereinbarungen unter § 205 Abs. 6 BauGB gefasst werden können, wenn die Art der zu erfüllenden Aufgabe die Gründung eines Verbandes nicht notwendig macht (vgl. dazu VGH München, Beschluss vom 25. Juni 2012 - 4 CE 12.1224 - BayVBl. 2013, 19 Rn. 33; Runkel, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand August 2022, § 205 Rn. 94), stellt sich vorliegend nicht.
Rz. 12
bb) § 4b Satz 1 BauGB scheidet als Rechtsgrundlage für einen gemeinsamen gebietsübergreifenden Bebauungsplan aus. Danach kann die Gemeinde insbesondere zur Beschleunigung des Bauleitplanverfahrens die Vorbereitung und Durchführung von Verfahrensschritten nach den §§ 2a bis 4a BauGB einem Dritten übertragen. Die gemeindliche Verantwortung als Planungsträgerin bleibt davon aber unberührt (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. November 2005 - 4 C 15.04 - BVerwGE 124, 385 ≪394≫; Krautzberger/Wagner, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand August 2022, § 4b Rn. 3, 14, 37). Auf die von der Beschwerde aufgeworfene Frage, ob Gebietskörperschaften Dritte im Sinne von § 4b Satz 1 BauGB sein können, kommt es daher nicht an.
Rz. 13
b) Die Frage,
ob ein gemeinsamer Bebauungsplan mindestens zweier Gemeinden auf der Grundlage einer Zweckvereinbarung in jedem Fall nichtig, unwirksam und ungültig ist,
führt, soweit sie sich verallgemeinernd beantworten lässt, nicht zur Zulassung der Revision, weil ihre grundsätzliche Bedeutung nicht dargelegt ist. Die Beschwerde wendet sich der Sache nach gegen die Würdigung der Vorinstanz, dass der Änderungsbebauungsplan mangels Planungskompetenz der Antragsgegnerinnen für einen gemeinsamen gebietsübergreifenden Bebauungsplan unheilbar unwirksam ist. Für einen Flächennutzungsplan hat der Senat dies mit Beschluss vom 18. Dezember 1991 - 4 N 2.89 - (Buchholz 406.11 § 8 BauGB Nr. 11 S. 2) bereits entschieden. Aus welchen Gründen für einen Bebauungsplan bei fehlender Planungskompetenz Abweichendes gelten sollte, zeigt die Beschwerde nicht auf. Aus ihrem Hinweis auf das Urteil des Senats vom 17. Mai 2018 - 4 CN 9.17 u. a. - (Buchholz 406.11 § 205 BauGB Nr. 2 Rn. 19) folgt mangels Vergleichbarkeit nichts Anderes. Dort ging es um einen nicht wirksam gegründeten Planungs- oder Zweckverband. Dagegen war die Gründung eines solchen Verbands hier von vornherein nicht beabsichtigt.
Rz. 14
2. Die Revision ist nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO wegen Divergenz zuzulassen.
Rz. 15
Eine die Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO eröffnende Divergenz zu einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ist nur dann im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten, gleichermaßen entscheidungstragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat (BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 ≪n. F.≫ VwGO Nr. 26 S. 14).
Rz. 16
Eine solche Abweichung zeigt die Beschwerde nicht auf. Das in Bezug genommene Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. November 2007 - 9 C 10.07 - (BVerwGE 130, 52) ist nicht zu § 205 Abs. 6 BauGB, sondern zu § 203 Abs. 1 BauGB ergangen. Es befasst sich mit Fragen der Erschließungslast nach § 123 Abs. 1 BauGB und der Befugnis zur Erhebung von Erschließungsbeiträgen nach § 127 Abs. 1 BauGB. Ein abstrakter Rechtssatz zu den Wirksamkeitsvoraussetzungen eines gemeinsamen Bebauungsplans lässt sich der Entscheidung nicht entnehmen.
Rz. 17
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 1 VwGO, § 100 Abs. 1 ZPO. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i. V. m. § 52 Abs. 1 GKG.
Fundstellen
NVwZ 2023, 10 |
NVwZ 2023, 1910 |
JZ 2023, 343 |
LKV 2023, 162 |
VR 2023, 288 |
ZfBR 2023, 467 |
UPR 2023, 309 |
BBB 2023, 49 |
FSt 2023, 693 |
FuHe 2023, 598 |