Entscheidungsstichwort (Thema)
Werbeverbot an Taxen. Taxi, politisches und religiöses Werbeverbot. Informationsfreiheit. Glaubensfreiheit. „negative Informations- bzw. Glaubensfreiheit”. Religionsfreiheit. aufgezwungene Meinungs- bzw. Glaubensbekundungen
Leitsatz (amtlich)
Es verstößt nicht gegen die Verfassung, daß § 26 Abs. 4 BOKraft zwar Fremdwerbung an Taxen und Mietwagen für zulässig, politische sowie religiöse Werbung an Taxen aber für unzulässig erklärt.
Normenkette
BOKraft § 26 Abs. 4; GG Art. 4 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1
Verfahrensgang
Nachgehend
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin vom 25. März 1998 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 8.000 DM festgesetzt.
Gründe
Die Beschwerde ist unbegründet. Dem Beschwerdevorbringen läßt sich nicht entnehmen, daß sich mit dem Streitverfahren eine Frage von rechtsgrundsätzlicher Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO verbindet. Zwar wirft die Beschwerde sinngemäß die für klärungsbedürftig gehaltene Frage auf, ob es mit der Verfassung vereinbar ist, wenn das einschlägige Fachrecht Fremdwerbung an Taxen und Mietwagen auf den seitlichen Fahrzeugtüren für zulässig (§ 26 Abs. 4 Satz 1 der Verordnung über den Betrieb von Kraftfahrunternehmen im Personenverkehr vom 21. Juni 1975 ≪BGBl. I S. 1573≫; zuletzt geändert durch Verordnung vom 26. Mai 1998 ≪BGBl. I S. 1159≫ – BOKraft –) und politische und religiöse Werbung an Taxen für unzulässig erklärt (§ 26 Abs. 4 Satz 2 BOKraft). Zur Bejahung dieser Frage ist aber die Durchführung eines Revisionsverfahrens nicht notwendig.
Die Klägerin nimmt für sich das Recht in Anspruch, auf ihren Taxen werbende politische Aussagen anbringen zu dürfen, und leitet dies aus der Verfassung ab. Das Bundesverwaltungsgericht hat demgegenüber in seiner früheren Rechtsprechung ein politisches Werbeverbot an Taxen für verfassungsgemäß beurteilt (vgl. Beschluß vom 9. April 1987 – BVerwG 7 B 29.87 – Buchholz 442.015 BOKraft Nr. 4 m.w.N.). Zu Unrecht meint die Beschwerde, diese Rechtsprechung bedürfe einer Korrektur vor allem vor dem Hintergrund des Umstandes, daß – im Gegensatz zum früheren Recht – nunmehr die Fremdwerbung an Taxen zugelassen ist, wodurch der Zweck nicht mehr zu erreichen sei, durch ein möglichst neutrales Erscheinungsbild aller Taxen die Chancengleichheit der Taxenunternehmen und damit auch die Funktionsfähigkeit des Taxengewerbes zu gewährleisten. Ihr ist insoweit entgegenzuhalten, daß der tragende Grund für die – auch isolierte – Aufrechterhaltung eines politischen Werbeverbots nicht entfallen ist:
Werbende politische wie religiöse Aussagen sind in besonderer Weise geeignet, neben Zustimmung auch Ablehnung hervorzurufen und bergen damit – anders als gewöhnliche Werbeaussagen, weswegen der Vorwurf der Gleichheitswidrigkeit fehlgeht – die Gefahr, daß es ihretwegen zu Konflikten kommt, die über eine geistige Auseinandersetzung hinausgehen. Aus verfassungsrechtlicher Sicht werfen sie weniger die – ohne weiteres zu bejahende – Frage auf, ob sie vom Schutz der Grundrechte in Art. 4 und 5 GG erfaßt werden, als vielmehr die, ob und unter welchen Vorausetzungen sie der Gesetz- bzw. Verordnungsgeber vornehmlich unter Berufung auf das Recht ihrer Adressaten, von ihnen verschont zu bleiben („negative Informations- bzw. Glaubensfreiheit”), mit dem Ziel beschränken darf, von vornherein Konflikten über sie die Grundlage zu entziehen, die sogar verfassungsgeschützte Rechtsgüter gefährden oder verletzen könnten. Diese Frage ist im Grundsatz zu bejahen. Dem Recht auf Ablehnung von glaubensabhängigen Aussagen trägt die Verfassung dadurch Rechnung, daß sie den einzelnen jedenfalls dann vor fremden Glaubensbekundungen schützt, wenn er ihnen infolge staatlicher Veranlassung nicht ausweichen kann (vgl. BVerfG, Beschluß vom 16. Mai 1995 – 1 BvR 1087/91 – BVerfGE 93, 1 ≪16≫). Auch im Zusammenhang mit aufgezwungenen Meinungskundgaben politischen Inhalts kann es erforderlich sein, zur Vermeidung von Konflikten hierüber einen schonenden Ausgleich der berührten Interessen herbeizuführen.
Das Bundesverfassungsgericht hat dementsprechend beispielsweise gebilligt, daß ein Hauseigentümer im Interesse des friedlichen Zusammenlebens der Mieter einem von ihnen das Anbringen von Wahlplakaten am Haus untersagte (vgl. Urteil vom 15. Januar 1958 – 1 BvR 184/54 – BVerfGE 7, 230). Mit der Erwägung, daß ein Soldat beanspruchen könne, nicht gegen seinen Willen politischen Aktivitäten anderer Soldaten ausgesetzt zu werden, hat es ferner eine entsprechende Vorschrift des Soldatengesetzes für verfassungsgemäß beurteilt (vgl. Beschluß vom 2. März 1977 – 2 BvR 1319/76 – BVerfGE 44, 197 ≪203≫). Zwar ist die Lage desjenigen, der ein mit Meinungskundgaben versehenes Taxi nutzen soll, nur gelegentlich vom Fehlen einer Ausweichmöglichkeit geprägt. Unabhängig davon ist aber die Erwartung berechtigt, daß eine unbestimmte Anzahl von Kunden zu vermeiden suchen wird, in Taxen befördert zu werden, die mit von ihnen nicht geteilten oder mißbilligten werbenden politischen oder religiösen Aussagen versehen sind, und daß es hierüber zu Konflikten kommen kann.
Diese Erwartung lag der Novellierung der BOKraft im Jahre 1989 zugrunde. Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 30. Juni 1989 der Änderung der Verordnung nur unter der Voraussetzung zugestimmt, daß durch sie – neben politischen Aussagen, welche die Gefahr von Auseinandersetzungen insbesondere an Taxiständen hervorzurufen geeignet seien (vgl. BRDrucks 294/89 ≪S. 14≫) – auch die religiöse Werbung an Taxen für unzulässig erklärt wurde; dies wurde damit begründet, daß die Gründe, die für den Ausschluß einer politischen Werbung an Taxen sprächen, erst recht gälten, wenn es darum gehe, auf das religiöse Empfinden des einzelnen Taxenbenutzers Rücksicht zu nehmen (vgl. BRDrucks 294/89 ≪Beschluß≫ S. 3). Ergänzend läßt sich zur Rechtfertigung eines solchen Werbeverbots auch anführen, daß hierdurch angestellte Fahrer nicht in Verlegenheit geraten können, mit von ihnen nicht gebilligten Aussagen in Verbindung gebracht zu werden.
Demgegenüber wird den Betroffenen mit dem Verbot solcher Werbung nur ein geringfügiger Eingriff in das ihnen zustehende Recht zugemutet, ihre Überzeugung zu äußern. Insoweit macht sich der beschließende Senat die Ausführungen des Verwaltungsgerichts (NVwZ 1995, 822) und des Oberverwaltungsgerichts vornehmlich zu Art. 5 Abs. 1 GG zu eigen; namentlich trifft es zu, daß die durch § 26 Abs. 4 Satz 2 BOKraft bewirkte Einschränkung der Meinungsfreiheit (und Glaubensfreiheit) sich lediglich auf eine (von vielen denkbaren) bestimmte Form der Äußerung bezieht. Nach allem ist aus dem Blickwinkel der Verfassung nichts gegen das mit § 26 Abs. 4 Satz 2 BOKraft erkennbar verfolgte Ziel zu erinnern, von vornherein zu vermeiden, daß es im Zusammenhang mit auf – telefonisch angeforderten oder an Taxenständen wartenden – Taxen angebrachten politischen oder religiösen Werbeaussagen zu Auseinandersetzungen hierüber kommt, die zumindest den reibungslosen Verkehr stören könnten; unschädlich ist in diesem Zusammenhang, daß Mietwagen dem politischen Werbeverbot nicht unterliegen, weil bei ihnen die vom Verordnungsgeber in den Blick genommene Konfliktsituation an Taxenständen nicht auftreten kann.
Zu keinem anderen Ergebnis führt auch der von der Beschwerde hervorgehobene Umstand, daß gemäß § 43 BOKraft Ausnahmen auch vom vorbezeichneten Verbot vorgesehen sind. Es versteht sich nach dem Gesagten von selbst, daß eine Behördenpraxis, die nach dem Inhalt von politischen oder religiösen Werbeaussagen differenzierte, verfassungsrechtlich unzulässig wäre und die Vorschrift des § 26 Abs. 4 Satz 2 BOKraft jeden Sinnes entkleidete; ob die von der Beschwerde geschilderten Einzelfälle aus der Praxis der vergangenen Jahre in diesem Sinne unzulässig waren, kann offenbleiben, weil allein die Möglichkeit einer mißbräuchlichen Anwendung einer an sich verfassungsgemäßen Norm nicht deren Verfassungswidrigkeit hervorruft. Ebensowenig führt der der Beschwerde zuzugebende Umstand, daß es im Einzelfall schwierig abzugrenzen sein kann, ob eine werbende Aussage politischen oder religiösen Inhalts ist, zur Verfassungswidrigkeit der beanstandeten Regelung. In rechtsstaatswidriger Weise unbestimmt ist die Regelung nicht; maßgebliches Kriterium für die Unterscheidung zwischen erlaubter geschäftlicher und nicht erlaubter Werbung muß nach dem Dargelegten sein, ob die Aussage bei objektiver Betrachtung bei anderen einen Überzeugungs- oder gar Gewissenskonflikt auslösen kann.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO; die Streitwertfestsetzung folgt aus § 14 Abs. 1 und Abs. 3 i.V.m. § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG.
Unterschriften
Prof. Dr. Driehaus, van Schewick, Dr. Brunn
Fundstellen
NJW 1999, 805 |
NVwZ 1999, 422 |
DÖV 1999, 647 |
ZfS 1999, 126 |
BayVBl. 1999, 504 |
DVBl. 1999, 1062 |
NPA 1999 |
www.judicialis.de 1998 |