Verfahrensgang
OVG der Freien Hansestadt Bremen (Aktenzeichen 2 BA 118/94) |
Tenor
Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts der Freien Hansestadt Bremen vom 17. März 1999 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung in der Hauptsache bleibt der Schlußentscheidung vorbehalten.
Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt der Kostenentscheidung in der Hauptsache.
Gründe
Die Beschwerde ist begründet. Die Kläger rügen zu Recht eine Verletzung ihres Rechts auf rechtliches Gehör. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung ohne ausreichende Erfüllung seiner Hinweispflicht nach § 86 Abs. 3 VwGO auf einen im Verfahren nicht erörterten tatsächlichen Gesichtspunkt gestützt und damit dem Verfahren eine Wendung gegeben, mit der die Kläger unter den hier gegebenen Umständen nicht zu rechnen brauchten.
Das Berufungsgericht nimmt entscheidungstragend an, die Angaben der Kläger zu 1 und 2 zu ihren individuellen Vorfluchtgründen seien wegen Widersprüchlichkeit und Steigerung des Vorbringens im Verlauf des Verfahrens unglaubhaft (UA S. 35-39). Nach dem Verlauf der mündlichen Verhandlung hätte das Berufungsgericht den Klägern vor Erlaß seiner Entscheidung einen Hinweis auf seine Zweifel an der Glaubwürdigkeit und Gelegenheit geben müssen, zu der ihnen angelasteten Widersprüchlichkeit und Steigerung des Vorbringens Stellung zu nehmen. Zwar folgt aus dem Recht auf rechtliches Gehör nach unbestrittener Auffassung keine allgemeine Frage- und Aufklärungspflicht des Gerichts (vgl. z.B. BVerfG, Beschluß vom 29. Mai 1991 – 1 BvR 1383/90 – BVerfGE 84, 188, 190). Auch in der Ausprägung, die dieses Recht in § 86 Abs. 3 VwGO gefunden hat, wird dem Gericht keine umfassende Erörterung aller entscheidungserheblichen Gesichtspunkte abverlangt. Insbesondere muß das Gericht die Beteiligten grundsätzlich nicht vorab auf seine Rechtsauffassung oder die beabsichtigte Würdigung des Prozeßstoffs hinweisen, weil sich die tatsächliche und rechtliche Würdigung regelmäßig erst aufgrund der abschließenden Beratung ergibt (stRspr des Bundesverwaltungsgerichts, vgl. etwa Beschluß vom 10. Dezember 1998 – BVerwG 9 B 55.98 – und Urteil vom 13. Mai 1976 – BVerwG 2 C 26.74 – Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 87). Dies gilt auch für den Tatsachenvortrag des Asylbewerbers, der selbst für die Darlegung seiner Asylgründe verantwortlich ist. Das Gericht kann deshalb zu Lasten des Asylbewerbers berücksichtigen, daß dieser unter Verletzung der ihn treffenden Mitwirkungspflicht seine guten Gründe für seine Furcht vor politischer Verfolgung nicht in schlüssiger Form vorträgt. Fehlt es an einem solchen Sachvortrag, kann das Gericht verfahrensfehlerfrei nicht nur von einer weiteren Sachaufklärung, sondern regelmäßig auch von einem entsprechenden Hinweis nach § 86 Abs. 3 VwGO absehen. Denn die Hinweispflicht dispensiert den Asylbewerber nicht von der Obliegenheit, dem Gericht eine in sich stimmige Schilderung seines behaupteten Verfolgungsschicksals zu geben. Diese dient nämlich nicht der Auffüllung von Defiziten des Vorbringens des Asylbewerbers, sondern der Unterstützung des Asylbewerbers bei der Wahrnehmung seiner Mitwirkungspflicht.
Unter den besonderen Umständen des vorliegenden Falles hätte das Berufungsgericht den Klägern jedoch mit einem entsprechenden Hinweis Gelegenheit geben müssen, zu den ihnen angelasteten Widersprüchen und Steigerungen im Vortrag Stellung zu nehmen. Diese waren nicht so offenkundig, daß sich den Klägern oder ihrem Prozeßbevollmächtigten ein Erklärungsbedarf auch ohne einen Hinweis des Gerichts hätte aufdrängen müssen. Auch aus dem Prozeßverlauf konnten die Kläger nicht ersehen, daß hinsichtlich der Stimmigkeit ihres Vorbringens Zweifel bestehen. Das Verwaltungsgericht war auf die von ihnen behauptete individuelle Vorverfolgung nicht eingegangen, weil es aus seiner Sicht – wegen der Annahme einer Gruppenverfolgung der Kurden im Osten und Südosten der Türkei – hierauf nicht ankam. Auch im zweitinstanzlichen Verfahren wurde diese Frage weder in den Schriftsätzen der Beteiligten noch vom Berufungsgericht angesprochen. Insbesondere aus dem Verlauf der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht konnten die Kläger nicht entnehmen, daß die Stimmigkeit ihres Vortrags entscheidungserheblich in Zweifel gezogen werden könnte. Unter diesen Umständen durfte das Berufungsgericht nicht von einem entsprechenden Hinweis absehen. Auf einen solchen Hinweis hätten die Kläger Gelegenheit gehabt, ihre nunmehr im Beschwerdeverfahren vorgebrachten Gründe gegen die Ansicht des Berufungsgerichts vorzubringen. Es läßt sich nicht ausschließen, daß sie die Bedenken des Berufungsgerichts hinsichtlich der behaupteten individuellen Vorverfolgung hätten ausräumen können. Daß die Kläger auch für diesen Fall individuell erlittener Vorverfolgung wegen des Verdachts der Unterstützung der PKK im Westen der Türkei vor erneuter politischer Verfolgung hinreichend sicher wären, kann den Feststellungen des Berufungsgerichts zum Vorliegen einer inländischen Fluchtalternative in der Westtürkei (UA S. 40, 57 ff.) nicht entnommen werden.
Im Interesse der Beschleunigung des Verfahrens macht der Senat von der Möglichkeit Gebrauch, den Rechtsstreit unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 133 Abs. 6 VwGO).
Unterschriften
Seebass, Beck, Dr. Eichberger
Fundstellen