Entscheidungsstichwort (Thema)
Gerichtliche Bestätigung einer Disziplinarverfügung nach dem LDG BW bei nur teilweise erwiesenen Pflichtenverstößen
Leitsatz (amtlich)
1. Das mit einer Disziplinarklage oder Disziplinarverfügung angelastete Dienstvergehen i.S.v. § 47 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG kann sich aus einer Mehrzahl von Handlungen und Pflichtenverstößen zusammensetzen, die nach Möglichkeit durch eine einheitliche Disziplinarmaßnahme geahndet werden sollen. Es ist nicht erforderlich, dass zwischen den einzelnen Pflichtenverstößen ein inhaltlicher, zeitlicher oder örtlicher Zusammenhang besteht.
2. Die in § 10 Abs. 2 Satz 1 LDG BW für das behördliche Disziplinarverfahren eröffnete Möglichkeit der Beschränkung des Disziplinarverfahrens (durch Ausscheiden solcher Handlungen, die für die Art und Höhe der zu erwartenden Disziplinarmaßnahme nicht oder voraussichtlich nicht ins Gewicht fallen), kann auf das gerichtliche Disziplinarverfahren nach dem LDG BW nicht ohne Weiteres übertragen werden, weil die Disziplinargerichte in Verfahren nach dem LDG BW (anders als gemäß § 56 Satz 1 BDG) - jenseits der in § 21 Satz 2 AGVwGO BW geregelten Ersetzungsbefugnis - kein eigenes Ermessen ausüben.
3. Das Disziplinargericht kann eine in einer behördlichen Disziplinarverfügung gemäß § 31 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 38 Abs. 1 Satz 1 LDG BW ausgesprochene Entfernung aus dem Beamtenverhältnis auch dann aufrechterhalten, wenn es einzelne von mehreren dem Beamten vorgeworfene Handlungen für nicht erwiesen hält, die übrigen Tatvorwürfe aber - auch ohne die nicht erwiesenen - die Höchstmaßnahme tragen und sich dies mit der bereits in der Disziplinarverfügung zum Ausdruck kommenden Einschätzung des Dienstherrn deckt. Die Rechtswidrigkeit der den Beamten in seinen Rechten verletzenden disziplinaren Ahndung wegen des nicht erwiesenen Pflichtenverstoßes wird damit - durch die sich aus den Gründen des Urteils ergebende teilweise Änderung des zugrunde liegenden Tatvorwurfs - bei Aufrechterhaltung der im Ergebnis bestätigten Disziplinarverfügung beseitigt (§ 2 LDG BW i.V.m. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Verfahrensgang
VGH Baden-Württemberg (Urteil vom 25.03.2021; Aktenzeichen DL 16 S 2459/19) |
VG Freiburg i. Br. (Urteil vom 07.12.2016; Aktenzeichen DL 8 K 1332/15) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 25. März 2021 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe
Rz. 1
Die auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache sowie auf Verfahrensmängel gestützte Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision (§ 2 LDG BW und § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO) ist zulässig, aber nicht begründet.
Rz. 2
1. Der 1961 geborene Kläger steht als Kriminalhauptkommissar (Besoldungsgruppe A 12) im Dienst des beklagten Landes. Mit der angefochtenen Verfügung vom 19. Mai 2015 entfernte das Polizeipräsidium den Kläger aus dem Beamtenverhältnis. Zur Begründung führte das Polizeipräsidium aus, der Kläger habe die ihm als Polizeibeamten zur Verfügung stehenden dienstlichen Möglichkeiten missbraucht, indem er über mehrere Jahre hinweg mehrfach unberechtigt Halterdaten aus den polizeilichen Auskunftssystemen erhoben und diese gegen Entgelt an einen Dritten zur Verschaffung einer weiteren Einnahmequelle verkauft habe. Der Unbestechlichkeit als Bestandteil der Dienstpflicht zur uneigennützigen Amtsführung komme eine herausragende Bedeutung zu. Ferner sei der Kläger aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen, weil er die Durchführung einer verdeckten polizeilichen Maßnahme an den Überwachten verraten habe. Auch sei der Kläger aufgrund des Betrugs im Zusammenhang mit einem fingierten Verkehrsunfall von Mitte Februar 1999 und dem damit zusammenhängenden Versicherungsbetrug aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen. Die unberechtigten Abfragen aus den polizeilichen Informationssystemen Mitte August 2011 und die Weitergabe der Erkenntnisse an seine Bekannte stützten die Würdigung zum Vertrauensverlust, wenngleich die konkrete Schwere und der Umfang der unberechtigten Abfragen samt Weitergabe alleine betrachtet die Entfernung nicht trügen. Die Pflichtenverstöße stellten erst recht in ihrer Gesamtbewertung die Grundlage eines die Entfernung begründenden Vertrauensverlustes dar. Das einheitliche Dienstvergehen wiege besonders schwer, weil durch die Vielzahl, den zu betrachtenden Gesamtzeitraum der Pflichtverletzungen und den Gehalt der Kernpflichtverstöße das Vertrauen in die pflichtgemäße Amtsführung endgültig verloren sei.
Rz. 3
Das Verwaltungsgericht hat die hiergegen erhobene Klage abgewiesen. In einem ersten Berufungsverfahren hat der Verwaltungsgerichtshof die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom 13. November 2018 - DL 13 S 1965/17 -). Dieses erste Berufungsurteil hat das Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss vom 18. Juli 2019 - 2 B 7.19 - (Buchholz 303 § 295 ZPO Nr. 18) aufgehoben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.
Rz. 4
Auch im erneuten Berufungsverfahren hat der Verwaltungsgerichtshof die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zurückgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die Klage gegen die Disziplinarverfügung sei zulässig, aber nicht begründet. Die Verfügung sei rechtmäßig und verletze den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger habe die ihm obliegenden Dienstpflichten schuldhaft verletzt. Bereits durch die unberechtigten Halteranfragen und die Weitergabe der hierdurch ermittelten Daten an einen Zeugen gegen Bezahlung habe der Kläger vorsätzlich gegen seine Pflichten aus § 33 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 34 Satz 3 (a.F. - nunmehr § 34 Abs. 1 Satz 3), § 35 Abs. 1 Satz 2 sowie § 37 Abs. 1 BeamtStG verstoßen und damit ein innerdienstliches Dienstvergehen begangen. Dieses Dienstvergehen sei als schwerwiegend zu qualifizieren. Daneben trete die unerlaubte Abfrage in den polizeilichen Auskunftssystemen, wenngleich dieses Dienstvergehen bei isolierter Betrachtung eine Entfernung des Klägers aus dem Dienst nicht zu rechtfertigen vermöge. Dem habe bereits das Polizeipräsidium in der angegriffenen Disziplinarentscheidung Rechnung getragen. Keiner weiteren Aufklärung bedürfe vor diesem Hintergrund, ob der Kläger seinen Pkw einem Zeugen für einen fingierten Verkehrsunfall im Februar 1999 zur Verfügung gestellt und diesen im Jahr 2000 vor der gegen ihn laufenden Observation gewarnt habe. Hierzu hätten auch die nochmalige Vernehmung der Zeugen keine neuen, hinreichend belastbaren Erkenntnisse zutage gefördert, die geeignet seien, die zugunsten des Klägers bestehende Unschuldsvermutung zu widerlegen. Durch das Dienstvergehen habe der Kläger das Vertrauen des Dienstherrn und der Allgemeinheit in die pflichtgemäße Amtsführung endgültig verloren. Dementsprechend sei es nicht zu beanstanden, dass ihn der Beklagte nach § 31 Abs. 1 Satz 1 LBG BW aus dem Dienst entfernt habe.
Rz. 5
2. Die Sache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Beschwerde des Klägers beimisst. Dabei ist der Senat wegen des Darlegungserfordernisses nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO darauf beschränkt, ausschließlich auf der Grundlage der Beschwerdebegründung zu entscheiden, ob ein Revisionszulassungsgrund vorliegt. Rechtliche Gesichtspunkte, die der Beschwerdeführer nicht vorgetragen hat, können nicht berücksichtigt werden.
Rz. 6
Der Kläger sieht die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache in der Frage:
"Kann das Gericht in einem (...) Disziplinarverfahren (nach dem LDG BW) die in einer behördlichen Disziplinarverfügung vorgeworfenen und in einer Entlassungsverfügung mündenden Dienstvergehen nach Durchführung einer gerichtlichen Beweisaufnahme teilweise ausscheiden, da sie sich als nicht erwiesen herausstellen, und die Disziplinarverfügung dennoch (ggf. unter Anwendung von § 21 Satz 2 AGVwGO) aufrechterhalten?"
Rz. 7
a) Die so formulierte Frage könnte im angestrebten Revisionsverfahren nicht geklärt werden. Die konkrete Fragestellung und ihre Erläuterung unter der Überschrift "Grundsätzliche Bedeutung" in der Beschwerdebegründung sind zumindest durch zwei Aspekte geprägt, die mit den maßgeblichen rechtlichen Vorgaben für das gegen den Kläger geführte Disziplinarverfahren nicht in Einklang stehen.
Rz. 8
Zum einen geht die formulierte Frage von einer Mehrzahl von Dienstvergehen aus, die teilweise vom Gericht "ausgeschieden" und teilweise der disziplinarrechtlichen Ahndung zugrunde gelegt werden. Insoweit deckt sich die Fragestellung mit den teilweise ungenauen Formulierungen des Berufungsurteils (UA S. 38). Wie bereits der Wortlaut des § 47 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG belegt, geht es um ein Dienstvergehen, das sich ggf. aus einer Mehrzahl von Handlungen und Dienstpflichtverletzungen des Beamten zusammensetzt. Für den Begriff des Dienstvergehens kommt es insbesondere nicht darauf an, dass zwischen den einzelnen Pflichtenverstößen des Beamten ein inhaltlicher, zeitlicher oder örtlicher Zusammenhang besteht (BVerwG, Urteile vom 14. Februar 2007 - 1 D 12.05 - BVerwGE 128, 125 Rn. 21 ff. und vom 28. Juli 2011 - 2 C 16.10 - BVerwGE 140, 185 Rn. 19). Diese Mehrzahl von Handlungen und Pflichtenverstößen soll nach Möglichkeit durch eine einheitliche Disziplinarmaßnahme geahndet werden, die aufgrund einer Gesamtwürdigung des Verhaltens und der Persönlichkeit des Beamten zu bestimmen ist. Der Beklagte ist in der angegriffenen Entscheidung vom 19. Mai 2015 (S. 51 ff.) davon ausgegangen, dass der Kläger als aktiver Beamter ein Dienstvergehen i.S.v. § 47 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG begangen hat; in der Verfügung erfasst sind aber mehrere historische Sachverhalte, bei denen der Kläger nach Einschätzung des Beklagten die ihm obliegenden Dienstpflichten verletzt hat (unberechtigte Halteranfragen und Weitergabe dieser Daten gegen Entgelt, Beteiligung an einem fingierten Verkehrsunfall, Preisgabe verdeckter polizeilicher Maßnahmen und nicht dienstlich veranlasste Abfragen in polizeilichen Auskunftssystemen sowie die unberechtigte Weitergabe dieser Erkenntnisse).
Rz. 9
Zum anderen wird in der Fragestellung der Begriff "ausscheiden" verwendet. Im Kontext mit disziplinarrechtlichen Rechtsfiguren oder Vorschriften verweist dieser Begriff auf eine Vorschrift wie § 56 Satz 1 BDG über die Beschränkung des Disziplinarverfahrens durch das Gericht. Danach kann das Gericht im gerichtlichen Verfahren das Disziplinarverfahren beschränken, indem es solche Handlungen ausscheidet, die für die Art und Höhe der zu erwartenden Disziplinarmaßnahme nicht oder voraussichtlich nicht ins Gewicht fallen. Das für das streitgegenständliche Disziplinarverfahren maßgebliche Recht des beklagten Landes Baden-Württemberg kennt keine der Vorschrift des § 56 Satz 1 BDG entsprechende Bestimmung. Die in § 10 Abs. 2 Satz 1 LDG BW für das behördliche Disziplinarverfahren vorgesehene Beschränkung des Disziplinarverfahrens (im Bundesrecht § 19 Abs. 2 BDG) kann nicht ohne Weiteres auf das gerichtliche Disziplinarverfahren übertragen werden, weil die Disziplinargerichte in Baden-Württemberg - jenseits der in § 21 Satz 2 AGVwGO BW normierten Ersetzungsbefugnis - kein eigenes Ermessen ausüben. Den Gesetzesmaterialien (vgl. LT-Drs. 14/2996 S. 67 ff., 147 ff.) kann nicht entnommen werden, dass die Norm im gerichtlichen Verfahren entsprechend anwendbar sein soll (BVerwG, Urteil vom 21. April 2016 - 2 C 4.15 - BVerwGE 155, 6 Rn. 75). Im Übrigen geht die Beschwerde auch nicht von einem "Ausscheiden" voraussichtlich nicht ins Gewicht fallender Handlungen i.S.v. § 10 Abs. 2 Satz 1 LDG BW oder § 56 Satz 1 BDG aus. Vielmehr geht es darum, dass das Gericht einige der in der Disziplinarverfügung dem Kläger vorgeworfenen Handlungen nach der gerichtlichen Beweisaufnahme als nicht erwiesen angesehen hat.
Rz. 10
b) Der Sache nach wirft die Beschwerdebegründung als rechtsgrundsätzlich bedeutsam die Frage auf, ob das Gericht nach dem für das Disziplinarverfahren in Baden-Württemberg maßgeblichen Recht die Disziplinarverfügung der Behörde - ggf. unter Anwendung von § 21 Satz 2 AGVwGO BW - auch dann aufrechterhalten und die Klage gegen die Verfügung nach § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO abweisen kann, wenn es einige der in der Disziplinarverfügung dem Beamten vorgeworfenen Verhaltensweisen nach der gerichtlichen Beweisaufnahme als nicht erwiesen ansieht.
Rz. 11
Die so verstandene Frage vermag die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nicht zu rechtfertigen, weil sie bereits auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts beantwortet werden kann. Bezogen auf den Umfang der Verpflichtung des Disziplinargerichts zur Aufklärung des entscheidungserheblichen Sachverhalts hat das Bundesverwaltungsgericht bereits entschieden, dass eine Disziplinarverfügung, die auf mehrere Dienstpflichtverletzungen des Beamten gestützt ist und die Entfernung des Beamten aus dem Dienst ausspricht, mangels Rechtswidrigkeit und Rechtsverletzung des Beamten nicht der Aufhebung nach § 2 LDG BW i.V.m. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO unterliegt, wenn bereits einzelne Dienstpflichtverletzungen die disziplinarrechtliche Höchstmaßnahme begründen und durch die Nichtberücksichtigung anderer Dienstpflichtverletzungen Verteidigungsrechte des Beamten im Verfahren nicht verletzt werden (BVerwG, Urteil vom 21. April 2016 - 2 C 4.15 - BVerwGE 155, 6 Rn. 76 bis 78 m.w.N.).
Rz. 12
§ 21 Satz 2 AGVwGO BW schreibt vor, dass, sofern ein Dienstvergehen erwiesen ist, das Gericht die Verfügung auch aufrechterhalten oder zugunsten des Beamten ändern kann, wenn mit der gerichtlichen Entscheidung die Rechtsverletzung beseitigt ist. Dabei finden die Vorschriften des Landesdisziplinargesetzes über die Bemessung von Disziplinarmaßnahmen Anwendung (Satz 3). Auch diese Vorgaben dienen der Beschleunigung des Disziplinarverfahrens und gehen von der vollen Disziplinarbefugnis des Dienstherrn aus. Auf die Anfechtungsklage des betroffenen Beamten hin prüft das Gericht die Rechtmäßigkeit der Behördenentscheidung, nicht jedoch deren Zweckmäßigkeit. Erweist sich die Abschlussverfügung des Dienstherrn als rechtswidrig und verletzt diese den Kläger in seinen Rechten, soll das Gericht die Verfügung nicht nur aufheben, sondern im Interesse der Beschleunigung des Verfahrens auch bestätigen oder mildernd ändern können. Dabei tritt die gerichtliche Entscheidung nicht an die Stelle der behördlichen, sondern verändert diese lediglich vergleichbar einer Teilaufhebung des Verwaltungsakts. Das Gericht hat sich bei seiner Entscheidung innerhalb der Grenzen des Streitgegenstands zu halten, für den es nicht nur auf den in der Verfügung dargestellten Sachverhalt, sondern auch auf den Vorwurf der Verletzung einer konkreten Dienstpflicht ankommt. Dementsprechend ist es dem Gericht verwehrt, aus dem dargestellten Sachverhalt eine andere als die dem Beamten in der Verfügung zur Last gelegte Pflichtverletzung herzuleiten und dem Urteil zugrunde zu legen. Die Aufrechterhaltung oder Änderung der Abschlussverfügung des Dienstherrn ist dem Gericht nur dann möglich, wenn die festgestellte Rechtsverletzung mit der gerichtlichen Entscheidung beseitigt ist. Fehler im behördlichen Verfahren können durch Nachholung im gerichtlichen Verfahren geheilt werden. Ferner kann die Rechtsverletzung auch dadurch beseitigt werden, dass ein Fehler der Bemessungsentscheidung durch die gerichtliche Ermessensentscheidung gemäß § 21 Satz 2 AGVwGO BW korrigiert wird (Gesetzentwurf der Landesregierung, Gesetz zur Neuordnung des Landesdisziplinarrechts, LT-Drs. 14/2996, S. 147 bis 149).
Rz. 13
Die angegriffene Disziplinarverfügung lastet dem Kläger vier konkrete Verhaltensweisen an; demgegenüber geht das Berufungsurteil nach eigener Beweisaufnahme lediglich davon aus, dass zwei Tatkomplexe erwiesen sind (unberechtigte Halteranfragen nebst Weitergabe dieser Daten gegen Entgelt sowie nicht dienstlich veranlasste Abfragen in den polizeilichen Auskunftssystemen POLAS-BW und LABIS nebst unberechtigte Weitergabe dieser Erkenntnisse). Angesichts dieser Verletzung der Rechte des Klägers durch die Disziplinarverfügung vom 19. Mai 2015 - Anlastung von zwei Dienstpflichtverletzungen, die sich im Rahmen der gerichtlichen Sachaufklärung nicht haben erweisen lassen - war das Berufungsgericht nach den vorstehenden Ausführungen zur Funktion des § 21 Satz 2 AGVwGO BW befugt, die Verfügung aufrechtzuerhalten und die Klage gegen sie abzuweisen. Mit der Feststellung des Berufungsgerichts, die Beweisaufnahme habe nicht den Nachweis erbracht, dass der Kläger seinen Pkw einem Zeugen für einen fingierten Verkehrsunfall am 17. Februar 1999 zur Verfügung gestellt und diesen im Jahr 2000 vor der gegen ihn laufenden Observation gewarnt habe, ist die durch die Disziplinarverfügung begründete Verletzung der Rechte des Klägers - auch wenn sich dies nur aus den Gründen des Urteils ergibt - beseitigt.
Rz. 14
Bei der Anwendung von § 21 Satz 2 AGVwGO BW ist hier zu berücksichtigen, dass das Polizeipräsidium in der angegriffenen Disziplinarverfügung (S. 60 bis 63) deutlich zum Ausdruck gebracht hat, bereits der Tatkomplex der mehrmaligen unberechtigten Abfrage von Halterdaten aus den polizeilichen Auskunftssystemen nebst Weitergabe dieser Daten gegen Entgelt an einen Autohändler zur Verschaffung einer weiteren Einnahmequelle als solcher führe zu der der Behörde obliegenden Annahme, der Kläger habe durch ein schweres Dienstvergehen das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit in die pflichtgemäße Amtsführung i.S.v. § 31 Abs. 1 Satz 1 LDG BW endgültig verloren. Demgegenüber stützten die unberechtigten Abfragen aus den polizeilichen Auskunftssystemen und deren unberechtigte Weitergabe an Dritte die bisherigen Würdigungen zum Vertrauensverlust, trügen aber angesichts der konkreten Schwere und des Umfangs der unberechtigten Abfragen samt Weitergabe allein betrachtet eine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis nicht (Verfügung S. 69 f.). Diese Bewertungen der beiden - nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofs nachgewiesenen - Dienstpflichtverletzungen decken sich mit denen des Berufungsurteils (UA S. 38 ff.).
Rz. 15
Es besteht auch nicht der in der Beschwerdebegründung angedeutete Unterschied zwischen der Disziplinarverfügung und dem Berufungsurteil hinsichtlich des Zeitraums und der Intensität der Geschäftsbeziehung "Halterdaten gegen Geld". Das Berufungsurteil nimmt insoweit einen Zeitraum von 1998 bis Anfang 2000 und einen Austausch von dreimal jährlich an (UA S. 22). Die Disziplinarverfügung nennt zwar in der Überschrift (Verfügung S. 11) den Zeitraum zwischen 1997 und Frühjahr 2000, stellt aber im weiteren Verlauf der Ausführungen klar (Verfügung S. 13), dass wegen der Nichterweislichkeit des genauen Beginns wie des Endes der Geschäftsbeziehung von einem Gesamtgeschäftszeitraum von zwei bis drei Jahren und mindestens sechs entlohnten Halteranfragen auszugehen ist.
Rz. 16
Bei dieser Verfahrensweise ist auch dem Zweck der Beteiligung des Personalrats Rechnung getragen. Vor Erlass der Disziplinarverfügung hat das Polizeipräsidium den örtlichen Personalrat mit Schreiben vom 14. April 2015 um Mitwirkung gebeten. Auch in diesem Schreiben hat das Polizeipräsidium auf seine Absicht hingewiesen, den Kläger aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen. Ferner hat das Polizeipräsidium zum einen den Entwurf der Disziplinarverfügung beigefügt und zum anderen darauf hingewiesen, dass die im Disziplinarverfahren angefallenen Akten vom Vorsitzenden oder von einem von ihm beauftragten Mitglied des Personalrats eingesehen werden können. Damit war dem Personalrat, der der beabsichtigten Entfernung des Klägers aus dem Beamtenverhältnis zugestimmt hat, bei seiner Beschlussfassung die konkrete Begründung der vom Dienstherrn angestrebten disziplinarrechtlichen Ahndung bekannt. In der Verfügung hat der Dienstherr klargestellt, dass bereits der Tatkomplex der mehrmaligen Übermittlung der Halterdaten gegen Entgelt zur Entfernung des Klägers aus dem Beamtenverhältnis führen soll.
Rz. 17
3. Das Berufungsurteil leidet auch nicht an den vom Kläger geltend gemachten Verfahrensmängeln.
Rz. 18
a) Die Rüge der "zu extensiven Anwendung von § 21 Satz 2 AGVwGO BW" ist unbegründet. Bei dieser Norm handelt es sich nicht lediglich um eine "Verfahrensvorschrift". Vielmehr regelt sie als zentrale Norm die Befugnisse der Disziplinargerichte im Verhältnis zur Abschlussverfügung des Dienstherrn für den Fall, dass ein Dienstvergehen erwiesen ist, der betroffene Beamte durch die Verfügung zwar verletzt worden ist, die gerichtliche Entscheidung diese Rechtsverletzung aber beseitigt.
Rz. 19
b) Unbegründet ist ebenfalls die Verfahrensrüge, das Gericht habe gegen den Grundsatz der freien Beweiswürdigung nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO verstoßen, wonach das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung entscheidet.
Rz. 20
(Vermeintliche) Fehler in der Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Tatsachengerichts sind regelmäßig nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem sachlichen Recht zuzuordnen. Sie können daher grundsätzlich keinen Verfahrensmangel i.S.v. § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO begründen. Eine Ausnahme kommt nur bei Mängeln in Betracht, die allein die Tatsachenfeststellung und nicht auch die Subsumtion unter die materiell-rechtliche Norm betreffen. Zu diesen Mängeln gehören Verstöße gegen das Verbot selektiver Verwertung des Prozessstoffs sowie denkfehlerhafte, aus Gründen der Logik schlechterdings unmögliche oder sonst willkürliche Schlussfolgerungen von Indizien auf Haupttatsachen (stRspr; vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 6. März 2008 - 7 B 13.08 - Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 54, vom 22. Mai 2008 - 9 B 34.07 - Buchholz 442.09 § 18 AEG Nr. 65, vom 29. Juli 2010 - 8 B 106.09 - Rn. 31 und vom 21. April 2020 - 8 B 62.19 - ZOV 2020, 122 Rn. 11). Ein Denkfehler liegt nicht bereits dann vor, wenn die tatrichterliche Würdigung auch anders hätte ausfallen können. Denkgesetze werden durch unrichtige Schlussfolgerungen nur dann verletzt, wenn nach dem gegebenen Sachverhalt nur eine einzige Folgerung gezogen werden kann, jede andere Folgerung aus Gründen der Logik schlechterdings unmöglich ist und das Gericht die allein mögliche Folgerung nicht gezogen hat (BVerwG, Beschlüsse vom 18. Februar 1972 - 8 B 3.72/8 C 7.72 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 62 und vom 6. März 2008 - 7 B 13.08 - Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 54 Rn. 8). Solche Mängel zeigt die Beschwerdebegründung nicht auf.
Rz. 21
Die Beschwerdebegründung beanstandet, dass der Verwaltungsgerichtshof die Annahme, der Kläger habe Halterdaten unberechtigt abgefragt und gegen Entgelt an Dritte weitergegeben, auf die Aussagen des Zeugen M.S. gestützt hat. Insoweit sind die oben dargestellten Voraussetzungen für einen Verstoß gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht erfüllt. Denn das Berufungsgericht hat sich eingehend mit dem stark divergierenden Aussageverhalten dieses Zeugen im Zeitraum seit dem Gespräch mit einem Bediensteten der Landespolizeidirektion vom 9. August 2001 befasst und seine Einschätzung auch hinsichtlich des Verhaltens dieses Zeugen in der zweiten Berufungsverhandlung begründet, in der der Zeuge trotz der Erläuterung des Gerichts bewusst nicht zu einer verwertbaren Aussage bereit gewesen sei. Abgestellt hat das Berufsgericht auf die mehrfach wiederholten Aussagen dieses Zeugen aus den Jahren 2011 und 2014. Einen Logikverstoß begründen diese Erwägungen nicht. Tatsächlich wendet sich die Beschwerde gegen die von ihr als unzutreffend bewertete Überzeugungsbildung des Berufungsgerichts, die jedoch der Überprüfung durch das Bundesverwaltungsgericht grundsätzlich entzogen ist. Ob das Tatsachengericht seine freie, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnene Überzeugung hinsichtlich der Geschäftsbeziehung zwischen dem Kläger und dem Zeugen M.S. - "Halterdaten gegen Geld" - mehr oder weniger überzeugend begründet hat oder ob ein anderes Beweisergebnis nähergelegen hätte, hat das Bundesverwaltungsgericht nicht zu überprüfen.
Rz. 22
Auch die Überlegungen des Verwaltungsgerichtshofs im Hinblick auf die Aussagen des Zeugen M.S. gegenüber der Rechtsanwältin M. sind nicht aus Gründen der Logik zu beanstanden. Nach den oben aufgeführten Grundsätzen unzureichend ist auch das Vorbringen der Beschwerde, die Begründung des Berufungsgerichts, wonach den Angaben des Zeugen M.S. aus den Jahren 2011 und 2014 zu seinem Verhältnis zum Kläger Glauben zu schenken ist, nicht aber den anderslautenden Bekundungen dieses Zeugen aus den Jahren 2016 und 2021, wonach der Kläger ihm keine Halterdaten gegen Entgelt geliefert habe, sei "nicht schlüssig", "überzeuge nicht", "erschließe sich nicht" oder sei "verwunderlich". Dies gilt auch für den Verweis in der Beschwerdebegründung auf die Möglichkeit eines alternativen Geschehensablaufs.
Rz. 23
c) Nicht begründet ist schließlich der Vorwurf, das Berufungsgericht habe gegen die aus § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO folgende Verpflichtung verstoßen, wonach in dem Urteil die Gründe anzugeben sind, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. Denn der Verwaltungsgerichtshof hat in dem angegriffenen Berufungsurteil dargelegt, weshalb er die Angaben des Zeugen M.S. aus den Jahren 2011 und 2014 zu seiner Geschäftsbeziehung zum Kläger als inhaltlich zutreffend bewertet, nicht aber die anderen, gegenteiligen Bekundungen dieses Zeugen.
Rz. 24
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren bedarf es nicht, weil für das Verfahren streitwertunabhängig Gerichtsgebühren aus den analog anzuwenden Bestimmungen des Landesrechts erhoben werden (BVerwG, Urteile vom 21. April 2016 - 2 C 4.15 - BVerwGE 155, 6 Rn. 81 f. und - 2 C 13.15 - Buchholz 235.2 LDisziplinarG Nr. 42 Rn. 35 f. sowie Beschluss vom 25. Februar 2021 - 2 B 69.20 - NVwZ-RR 2021, 540 Rn. 35 f.).
Fundstellen
ZBR 2022, 164 |
DÖV 2022, 342 |
JZ 2022, 162 |
VR 2022, 144 |
NPA 2022 |