Verfahrensgang
Niedersächsisches OVG (Beschluss vom 07.03.2002; Aktenzeichen 8 LB 7/02) |
Tenor
Auf die Beschwerde des Klägers zu 1 wird der Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 7. März 2002 aufgehoben, soweit es hinsichtlich des Klägers zu 1 ein Abschiebungshindernis zu § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG verneint hat.
Die Sache wird insoweit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
Im Übrigen werden die Beschwerde des Klägers zu 1 und die Beschwerden der Kläger zu 3 bis 11 verworfen.
Die Kläger zu 3 bis 11 tragen 9/10, der Kläger zu 1 trägt 1/12 der Kosten des Beschwerdeverfahrens. Im Übrigen bleibt die Kostenentscheidung in der Hauptsache der Schlussentscheidung vorbehalten. Die Entscheidung über die restlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens (1/60) folgt der vorbehaltenen Kostenentscheidung in der Hauptsache.
Gründe
1. Die Beschwerde ist hinsichtlich der Rüge, dass das Berufungsgericht bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG bei dem Kläger zu 1 entscheidungserhebliches Vorbringen nicht berücksichtigt hat, zulässig und begründet. Der Kläger zu 1 rügt zu Recht, dass das Berufungsgericht seinen Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt hat (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO i.V.m. Art. 103 Abs. 1 GG und § 108 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 VwGO).
Der Kläger zu 1 hat eine psychische Erkrankung geltend gemacht, die wegen fehlender Behandlungsmöglichkeit im Kosovo zu den in § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG genannten Gefahren für Leib und Leben führen könne. Dieses Vorbringen ist entscheidungserheblich. Dennoch ist das Berufungsgericht in seiner Entscheidung weder im Tatbestand noch in den Gründen hierauf eingegangen. Es kann deshalb nicht ausgeschlossen werden, dass der entsprechende Vortrag des Klägers zu 1 vom Berufungsgericht nicht in Erwägung gezogen wurde. Dies liegt umso näher, als sich das Berufungsgericht mit dem Vortrag zu den Krankheiten der Kinder des Klägers zu 1, nämlich der Kläger zu 3 bis 11 sowie deren möglicher psychologischer Betreuung im Kosovo im Einzelnen auseinander gesetzt hat. Der Umstand, dass der Vorsitzende bzw. Berichterstatter sich im Laufe des Berufungsverfahrens in den Verfügungen vom 15. Mai und 10. August 2001 mit diesem Vorbringen befasst hat, enthebt das Gericht nicht der Verpflichtung, in den Entscheidungsgründen auf dieses erhebliche Vorbringen einzugehen.
Im Interesse der Verfahrensbeschleunigung macht der Senat von der Möglichkeit Gebrauch, den Rechtsstreit insoweit gemäß § 133 Abs. 6 VwGO an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
2. Die Beschwerde war im Übrigen zu verwerfen. In der Beschwerdebegründung wird nicht in der nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO erforderlichen Weise ein (weiterer) Zulassungsgrund im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO dargelegt bzw. bezeichnet.
a) Die Beschwerde macht geltend, das Berufungsgericht habe zu Unrecht über die Berufung durch Beschluss nach § 130a VwGO entschieden. Es habe nicht beachtet, dass es von einer Entscheidung durch Beschluss im vorliegenden Verfahren habe absehen müssen, nachdem das Verwaltungsgericht verfahrensfehlerhaft die Teilnahme der Kläger an einer mündlichen Verhandlung versagt habe. Das Berufungsgericht habe in seinem Zulassungsbeschluss vom 29. Januar 1998 die Gehörsverletzung ausdrücklich bestätigt. Damit sei den Klägern in beiden Instanzen die gebotene mündliche Verhandlung vorenthalten worden.
Mit diesem Vorbringen wird der behauptete Verfahrensverstoß nicht schlüssig dargetan. Denn Voraussetzung einer begründeten Rüge der Versagung rechtlichen Gehörs ist die (erfolglose) Ausschöpfung sämtlicher verfahrensrechtlich eröffneten und nach Lage der Dinge tauglichen Möglichkeiten, sich rechtliches Gehör zu verschaffen (stRspr; vgl. u.a. BVerfGE 74, 220 ≪225≫, BVerwG, Beschlüsse vom 7. April 1999 – BVerwG 9 B 999.98 – Buchholz 11 Art. 103 Abs. 1 GG Nr. 55 und vom 21. Januar 1997 – BVerwG 8 B 2.97 – Buchholz 310 § 102 VwGO Nr. 21; Urteil vom 3. Juli 1992 – BVerwG 8 C 58.90 – Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 248). Das gilt namentlich dann, wenn Verfahrensvorschriften verletzt werden, deren Haupt- oder Nebenzweck gerade darin besteht, entsprechend dem verfassungsrechtlichen Gebot des Art. 103 Abs. 1 GG den Beteiligten die Gewährung rechtlichen Gehörs zu gewährleisten. Auch ein solcher Verfahrensverstoß rechtfertigt nur dann die Rüge der Versagung rechtlichen Gehörs, wenn es der betroffenen Partei oder ihrem Prozessbevollmächtigten nicht möglich war, sich mit den Mitteln des Prozessrechts rechtliches Gehör zu verschaffen. Eine Partei, die von einer ihr insoweit eingeräumten Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht hat, kann sich später nicht darauf berufen, ihr sei das rechtliche Gehör versagt worden (stRspr; vgl. Beschluss vom 21. Januar 1997, a.a.O., m.w.N.). So verhält es sich hier.
Die Kläger wurden mit der Anhörungsmitteilung vom 19. Februar 2002 auf die Absicht des Berufungsgerichts hingewiesen, über die Berufung nach § 130a VwGO durch Beschluss zu entscheiden. Die anwaltlich vertretenen Kläger hatten insoweit Gelegenheit vorzutragen, warum ihrer Auffassung nach eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nicht ergehen darf. Die Beschwerde hat nicht dargelegt, ob und wie sie nach der Anhörungsmitteilung dem behaupteten Anspruch auf eine mündliche Verhandlung Geltung verschafft hat.
Dem Berufungsgericht musste sich im Übrigen die Notwendigkeit einer mündlichen Verhandlung nicht schon wegen des Grundes für die Berufungszulassung aufdrängen. Denn ausweislich des Wortlauts des Beschlusses vom 29. Januar 1998, mit dem die Berufung zugelassen wurde, hat es den erstinstanzlichen Gehörsverstoß hinsichtlich des Klägers zu 1 lediglich damit begründet, dass diesem keine Gelegenheit gegeben worden war, den Umfang seiner exilpolitischen Tätigkeit darzulegen; angesichts der zwischenzeitlich eingetretenen Änderung der politischen Lage im Kosovo, auf die die Kläger mit Verfügung vom 15. Mai 2001 hingewiesen worden waren, konnte die Notwendigkeit einer entsprechenden mündlichen Äußerungsmöglichkeit des Klägers zu 1 als überholt angesehen werden.
b) Soweit die Beschwerde außerdem rügt, das Berufungsgericht habe schon deshalb nicht durch Beschluss nach § 130a VwGO entscheiden dürfen, weil “sich der Streitgegenstand in Bezug auf Abschiebungshindernisse i.S. des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG insoweit wesentlich geändert (habe), als erstmalig im Berufungsverfahren individuell-konkrete Gefahren in Gestalt von psychischen und organischen Krankheitsbildern geltend gemacht wurden”, legt sie den behaupteten Verfahrensfehler ebenfalls nicht in der nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO erforderlichen Weise dar. Im Hinblick darauf, dass bereits das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge in seinem Bescheid vom 4. August 1994 Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG verneint und das Verwaltungsgericht die Klage auch hinsichtlich § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG zurückgewiesen hat, hat sich der durch die Anspruchsgrundlage bestimmte Streitgegenstand nicht verändert. Darauf, ob in der Berufungsinstanz ein veränderter Lebenssachverhalt vorgetragen wurde, kommt es entgegen der Auffassung der Beschwerde nicht an. Der von der Beschwerde insoweit zitierten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. September 1998 (BVerwG 8 B 102.98 – NVwZ 1999, 1000 = Buchholz 401.9 Beiträge Nr. 40) ist lediglich zu entnehmen, dass nicht im Wege des beschleunigten Verfahrens nach § 130a VwGO ohne mündliche Verhandlung entschieden werden darf, wenn sich im Berufungsverfahren der Streitgegenstand durch eine mittels Anschlussberufung erfolgte Klageänderung wesentlich geändert hat. Ein solcher Fall liegt hier indes nicht vor.
3. Soweit über die Kosten entschieden wurde, beruht dies auf § 154 Abs. 2, § 159 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b Abs. 1 AsylVfG nicht erhoben; der Gegenstandswert ergibt sich aus § 83b Abs. 2 AsylVfG.
Unterschriften
Eckertz-Höfer, Richter, Beck
Fundstellen