Entscheidungsstichwort (Thema)
Altersgrenze, Ausbildungsförderung nach Überschreiten der Altersgrenze. Ausbildungsförderung für ein Zusatzstudium zum, „Dipl.-Ing. (FH)” eines Ingenieurschulabsolventen der DDR. Maßgebliche Sach- und Rechtslage bei verzögerter Vorabentscheidung dem Grunde nach. Ausbildung, persönliche Hinderungsgründe bei Ingenieurschulabsolventen der DDR. Fach- und Ingenieurschulen der DDR, Nachdiplomierung
Leitsatz (amtlich)
Bei rechtzeitiger Antragstellung können für eine Vorabentscheidung dem Grunde nach (§ 46 Abs. 5 BAföG) Änderungen der Sach- und Rechtslage unter dem Gesichtspunkt der Effektivität der Anspruchsgewährleistung jedenfalls dann nicht mehr berücksichtigt werden, wenn sie nach Beginn des Ausbildungsabschnitts eintreten, für den die Vorabentscheidung begehrt wird.
Normenkette
BAföG § 7 Abs. 2 S. 2, § 10 Abs. 3 S. 2 Nr. 3, § 46 Abs. 5 S. 1 Nr. 4
Verfahrensgang
Thüringer OVG (Urteil vom 12.09.1996; Aktenzeichen 2 KO 233/95) |
VG Weimar (Entscheidung vom 02.02.1995; Aktenzeichen 3 K 434/92.WE) |
Tenor
Das Urteil des Thüringer Oberverwaltungsgerichts vom 12. September 1996 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Thüringer Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlußentscheidung vorbehalten.
Tatbestand
I.
Der am 1. Januar 1959 geborene Kläger schloß im August 1989 in der DDR erfolgreich ein dreijähriges Studium für Heizungs-, Lüftungs- und Sanitärtechnik an der Ingenieurschule für Bauwesen in E. ab. Seitdem steht er in einem Arbeitsverhältnis als Projektant bei einem mecklenburg-vorpommerischen Ingenieurbüro.
Mit Schreiben vom 22. Juli 1991 beantragte der Kläger unter Hinweis auf sein Alter eine Vorabentscheidung über die Förderungsfähigkeit eines einjährigen Aufbaustudiums mit Diplomabschluß an der Fachhochschule für Bauwesen in E. Die Zulassung zum Wintersemester 1991/92 zum Studiengang „Versorgungstechnik (Zusatzstudium)” erhielt der Kläger unter dem 30. Juli 1991. Mit Datum vom 7. August 1991 beantragte er Ausbildungsförderung für dieses Studium, worauf der Beklagte unter dem 15. August 1991 fehlende Unterlagen anforderte.
Am 11. September 1991 vereinbarte der Kläger mit seinem Arbeitgeber das Ruhen des Arbeitsverhältnisses vom 1. Oktober 1991 bis zum 31. August 1992. Am 23. September 1991 wurde er an der Fachhochschule E. für den Studiengang Versorgungstechnik zum Wintersemester 1991/92 immatrikuliert.
Mit Bescheid vom 17. Februar 1992 lehnte der Beklagte den Vorabentscheidungsantrag des Klägers ab, weil die Voraussetzungen, unter denen ein Studium nach Überschreiten der Altersgrenze nach § 10 Abs. 3 Satz 2 BAföG gefördert werden könnte, nicht vorlägen.
Die nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhobene Klage auf Verpflichtung des Beklagten zum Erlaß eines positiven Vorabentscheidungsbescheids und zur Gewährung von Ausbildungsförderung in gesetzlicher Höhe hat das Verwaltungsgericht durch Gerichtsbescheid abgewiesen, und zwar die Vorabentscheidungsklage als unbegründet und die Klage auf Ausbildungsförderung als unzulässig. Die Berufung des Klägers hiergegen hat das Oberverwaltungsgericht zurückgewiesen, im wesentlichen aus folgenden Gründen:
Die Klage auf positive Vorabentscheidung sei unbegründet. Ein entsprechender Anspruch ergebe sich weder aus dem Gesetz noch aus einer dem Kläger gegenüber abgegebenen wirksamen Zusicherung. Auf persönliche Rechtfertigungsgründe im Sinne des § 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 BAföG könne sich der Kläger nicht berufen. Persönliche Gründe könnten zwar auch solche im Zusammenhang mit den Veränderungen durch die Deutsche Einheit sein, etwa wenn der Auszubildende für die Anerkennung seines in der DDR erworbenen Berufsabschlusses eine ergänzende Ausbildung im Inland benötige (Tz. 10.3.4a BAföGVwV 1992). Der Kläger habe jedoch die Ausbildung, für die er Ausbildungsförderung beansprucht habe, nicht für die Anerkennung seines in der DDR erworbenen Abschlusses als Ingenieur benötigt. Mit dem Beschluß der Kultusministerkonferenz vom 11. Oktober 1991 habe festgestanden, daß bei vor 1991 erworbenen Ingenieurabschlüssen stets von der Gleichwertigkeit auszugehen gewesen sei und in allen Fällen eine Nachdiplomierung erfolgen würde, sofern der Betroffene nur eine dreijährige einschlägige Berufstätigkeit nachzuweisen in der Lage gewesen sei. Es hätte also keines Studiums zur Erlangung der Gleichwertigkeit der vom Kläger absolvierten Ausbildung bedurft. Daß die Rechtsgrundlagen für die Nachdiplomierung erst nach seiner Einschreibung geschaffen worden seien, sei unerheblich. Denn es habe zu diesem Zeitpunkt auch keine Rechtsgrundlage gegeben, auf der der Kläger hätte annehmen können, daß er mit dem Zusatzstudium die Gleichwertigkeit seiner Ausbildung oder die Nachdiplomierung hätte erreichen können und daß dies darüber hinaus der einzige Weg hierfür gewesen wäre. Es habe – außer dem Einigungsvertrag – insoweit eben noch gar keine Rechtsgrundlagen gegeben. Wenn sich der Kläger in dieser Situation zu einem Studium entschlossen habe, statt – wie viele tausend andere in Thüringen – die Klärung der Rechtslage abzuwarten, dann habe er dies auf eigenes Risiko getan. Ein persönlicher Grund im Sinne des § 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 BAföG könne hierin nicht gesehen werden.
Der Kläger habe auch keinen Anspruch auf positive Vorabentscheidung aus einer bindenden Zusicherung des Beklagten. Soweit der Kläger sich auf angebliche mündliche Zusagen durch Bedienstete des Beklagten berufe, fehle es bereits an der erforderlichen Schriftform. Der „Bescheinigung” des Beklagten vom 23. Oktober 1991 lasse sich ein entsprechender Rechtsbindungswille nicht entnehmen. Im übrigen wäre die Bindungswirkung einer etwaigen Zusicherung gemäß § 34 Abs. 3 SGB X durch den Kultusministerbeschluß vom Oktober 1991 entfallen, weil der Beklagte spätestens ab diesem Zeitpunkt die Zusicherung nicht hätte geben dürfen. Der Kläger könne sich auch nicht auf einen Herstellungsanspruch im Hinblick auf etwaige mündliche Zusagen berufen. Ein solcher Anspruch scheide bei Formvorschriften von vornherein aus, weil andernfalls deren Zweck verfehlt würde. Außerdem stünde einem Herstellungsanspruch auch der Wegfall der Bindungswirkung gemäß § 34 Abs. 3 SGB X entgegen.
Auch die Klage auf Verpflichtung des Beklagten zur Zahlung von Ausbildungsförderung habe keinen Erfolg. Sie sei jedenfalls unbegründet, da der Kläger, wie sich aus dem fehlenden Anspruch auf Vorabentscheidung dem Grunde nach ergebe, keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung habe.
Gegen dieses Urteil hat der Kläger Revision eingelegt, mit der er sein Klagebegehren weiterverfolgt. Er rügt vor allem die Verletzung materiellen Rechts: Bei der Vorabentscheidung über die Förderungsfähigkeit einer Ausbildung nach Vollendung des 30. Lebensjahres sei auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Antragstellung abzustellen und nicht auf Ereignisse, die zeitlich nach der Antragstellung und nach Semesterbeginn lägen. Hätte das Oberverwaltungsgericht auf die zum Zeitpunkt der Antragstellung geltende Rechtslage abgestellt, wäre es zu dem Ergebnis gekommen, daß der Kläger das einjährige Zusatzstudium benötigt hätte, um eine Gleichwertigkeit seines Fachschulabschlusses mit einem Fachhochschulabschluß der alten Bundesländer zu erreichen. Der vom Kläger absolvierte Studiengang sei auch ausschließlich zur Anerkennung der Gleichwertigkeit von DDR-Studienabschlüssen eingerichtet worden.
Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision des Klägers ist begründet. Das Berufungsgericht hat zu Unrecht angenommen, daß dem Anspruch des Klägers auf Vorabentscheidung dem Grunde nach über die Förderungsfähigkeit seines nach Erreichen der Altersgrenze aufgenommenen Aufbaustudiums der Beschluß der Kultusministerkonferenz vom 11. Oktober 1991 und § 130 a Abs. 1 a Satz 4 des Vorläufigen Thüringer Hochschulgesetzes i.d.F. des Änderungsgesetzes vom 27. Februar 1992 (GVBl S. 73) sowie § 4 Abs. 2 der Thüringer Verordnung zur Feststellung der Gleichwertigkeit von Bildungsabschlüssen im Sinne des Art. 37 Abs. 1 des Einigungsvertrages und über die Nachdiplomierung (ThürNachDiplVO) vom 26. Mai 1992 (GVBl S. 244) entgegenstehen. Infolgedessen hat es auch zu Unrecht den Förderungsanspruch des Klägers verneint. Da jedoch eine abschließende Entscheidung des Rechtsstreits noch tatsächliche Feststellungen erfordert, die zu treffen dem Revisionsgericht verwehrt ist (§ 137 Abs. 2 VwGO), muß die Sache zur weiteren Sachaufklärung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen werden.
Nach § 46 Abs. 5 Satz 1 Nr. 4 BAföG, das hier in der Fassung des 13. BAföG-Änderungsgesetzes vom 20. Dezember 1990 (BGBl I S. 2982) anzuwenden ist, hat das Amt für Ausbildungsförderung dem Grunde nach vorab zu entscheiden, ob die Förderungsvoraussetzungen für eine nach Fachrichtung und Ausbildungsstätte bestimmt bezeichnete Ausbildung nach Überschreiten der Altersgrenze nach § 10 Abs. 3 BAföG vorliegen. Da § 10 Abs. 3 BAföG mit der Altersgrenze nur eine Schranke des Förderungsanspruchs und die Ausnahmen von ihr regelt, kann die Vorabentscheidung nach § 46 Abs. 5 Satz 1 Nr. 4 BAföG nur beansprucht werden, wenn über das Vorliegen der Voraussetzungen eines der Privilegierungstatbestände des § 10 Abs. 3 Satz 2 BAföG hinaus die Förderungsfähigkeit der vom Antragsteller benannten Ausbildung dem Grunde nach feststeht (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Januar 1981 – BVerwG 5 C 44.78 – ≪Buchholz 436.36 § 46 BAföG Nr. 6 S. 4 f.≫).
Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, daß nach Lage des Falles ein Anspruch des Klägers auf eine Vorabentscheidung über die Förderungsfähigkeit des von ihm nach Überschreiten der Altersgrenze geplanten Aufbaustudiums nur auf § 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 i.V.m. § 7 Abs. 2 Satz 2 BAföG gestützt werden kann. Nach § 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 BAföG wird Ausbildungsförderung für eine dem Grunde nach förderungsfähige Ausbildung auch nach Überschreiten der Altersgrenze des § 10 Abs. 3 Satz 1 BAföG geleistet, wenn der Auszubildende aus persönlichen oder familiären Gründen, insbesondere der Erziehung von Kindern bis zu 10 Jahren, gehindert war, den Ausbildungsabschnitt rechtzeitig zu beginnen, und § 7 Abs. 2 Satz 2 BAföG erklärt eine einzige weitere Ausbildung für dem Grunde nach förderungsfähig, wenn die besonderen Umstände des Einzelfalles, insbesondere das angestrebte Ausbildungsziel, dies erfordern. Zuzustimmen ist dem Berufungsgericht weiter darin, daß die Interpretation dieser Bestimmungen durch den 3. Spiegelstrich der Tz. 10.3.4a E-BAföGÄndVwV 1992 (GMBl S. 710, endgültig bekanntgemacht durch die BAföGÄndVwV 1995 ≪GMBl S. 651≫), wonach persönliche Gründe, die eine Förderung nach Überschreiten der Altersgrenze rechtfertigen, auch anzunehmen sind, wenn der Auszubildende für die Anerkennung seines in der DDR erworbenen Berufsabschlusses eine ergänzende Ausbildung im Inland benötigt, sachgerecht ist und dem Gesetz schon vorher durch Auslegung zu entnehmen war. Zu Recht geht die Verwaltungsvorschrift davon aus, daß besondere Umstände des Einzelfalls i.S. des § 7 Abs. 2 Satz 2 BAföG dann vorliegen, wenn ein in der DDR erworbener Berufsabschluß infolge der Deutschen Einheit seine uneingeschränkte berufsqualifizierende Bedeutung verliert und die Erlangung eines im gesamten Bundesgebiet verwendbaren Abschlusses eine zusätzliche berufsqualifizierende Ausbildung erfordert.
Zu Unrecht ist jedoch das Berufungsgericht der Auffassung, der Kläger habe das Zusatzstudium, für das er Ausbildungsförderung beansprucht, für die Anerkennung seines in der DDR erworbenen Ingenieurabschlusses nicht „benötigt”, weil er die Nachdiplomierung zum „Dipl.-Ing. (FH)” nach dem Beschluß der Kultusministerkonferenz vom 11. Oktober 1991 und dem ihn vollziehenden § 130 a Abs. 1 a Satz 4 des Vorläufigen Thüringer Hochschulgesetzes i.d.F. des Änderungsgesetzes vom 27. Februar 1992 (GVBl S. 73) sowie § 4 Abs. 2 der Thüringer Verordnung zur Feststellung der Gleichwertigkeit von Bildungsabschlüssen im Sinne des Art. 37 Abs. 1 des Einigungsvertrages und über die Nachdiplomierung (ThürNachDiplVO) vom 26. Mai 1992 (GVBl S. 244) auch durch ein weiteres Jahr praktischer Berufstätigkeit hätte erreichen können.
Bei – wie im Falle des Klägers – rechtzeitiger Antragstellung können für eine Vorabentscheidung dem Grunde nach (§ 46 Abs. 5 BAföG) Änderungen der Sach- und Rechtslage unter dem Gesichtspunkt der Effektivität der Anspruchsgewährleistung (vgl. BVerwGE 96, 152 ≪155≫) jedenfalls dann nicht mehr berücksichtigt werden, wenn sie nach Beginn des Ausbildungsabschnitts (vgl. § 15 Abs. 1, § 15 b Abs. 1 BAföG) eintreten, für den die Vorabentscheidung begehrt wird. Das ergibt sich aus folgendem:
Vorabentscheidungen dem Grunde nach sind feststellende Verwaltungsakte, die grundlegende Fragen des Ausbildungsförderungsverhältnisses, die für einen Ausbildungsabschnitt nur einheitlich beantwortet werden können, vorab mit Bindungswirkung für den ganzen Ausbildungsabschnitt entscheiden (vgl. § 46 Abs. 5 Satz 2 BAföG und BVerwGE 82, 235 ≪238≫; 95, 138 ≪144≫). Durch den Anspruch auf Vorabentscheidung nach § 46 Abs. 5 BAföG soll vor allem das berechtigte Interesse des Auszubildenden an der Planbarkeit seines Ausbildungsvorhabens geschützt werden; der Auszubildende soll bei der oft aufwendigen Vorbereitung eines Ausbildungsvorhabens die förderungsrechtlichen Folgen sicher überblicken können (vgl. die Begründung zu § 46 Abs. 5 des Regierungsentwurfs zum 2. BAföGÄndG, BTDrucks 7/2098, S. 23 zu Nr. 30 sowie BVerwGE 82, 235 ≪238≫; 95, 138 ≪140, 144≫). Mit dem Anspruch auf eine für den gesamten Ausbildungsabschnitt geltende Vorabentscheidung über die Förderungsfähigkeit einer Ausbildung will das Gesetz den Auszubildenden davor bewahren, eine einmal in Übereinstimmung mit dem Ausbildungsförderungsrecht begonnene Ausbildung wegen Fehlens der hierfür erforderlichen Mittel abbrechen zu müssen. Das Gesetz stattet deshalb jedenfalls rechtmäßige Vorabentscheidungen dem Grunde nach mit einer besonderen Bestandsgarantie aus und stabilisiert sie gegen spätere Gesetzesänderungen (vgl. Kreutz, in: Rothe/Blanke, BAföG, 5. Aufl. ≪Std.: 12. Lfg. März 1998≫, § 46 Rn. 20.1). Denn im Gegensatz zu § 34 Abs. 3 SGB X, der die Bindungswirkung einer Zusicherung bei späterer Änderung der Sach- oder Rechtslage entfallen läßt, enthält § 46 Abs. 5 BAföG einen entsprechenden Vorbehalt nicht. Er folgt auch nicht aus § 53 BAföG oder § 48 SGB X. § 53 BAföG ist auf Bescheide über Leistungsanträge zugeschnitten und gilt für positive Vorabentscheidungen dem Grunde nach wegen deren Bindungswirkung (§ 46 Abs. 5 Satz 2 BAföG) nicht. Aus dem gleichen Grunde, also weil die Vorabentscheidung dem Grunde nach die festgestellte Rechtslage zugunsten des Auszubildenden für den gesamten Ausbildungsabschnitt festschreibt, scheidet auch eine Aufhebung nach § 48 SGB X aus.
Angesichts dieser Stabilisierungs- und Vertrauensschutzfunktion der Vorabentscheidung dem Grunde nach kann es für das Verpflichtungsbegehren jedenfalls dann, wenn das Amt für Ausbildungsförderung die Entscheidung erst nach Beginn des Ausbildungsabschnitts getroffen hat, nicht auf die Sach- und Rechtslage zu dem Zeitpunkt ankommen, in dem das Amt tatsächlich entschieden hat. Maßgebend muß vielmehr der Zeitpunkt sein, zu dem das Amt spätestens über den Vorabentscheidungsantrag hätte entscheiden müssen. Dies war hier jedenfalls der 1. Oktober 1991, an dem die Ausbildung des Klägers begann (vgl. § 15 b Abs. 1 BAföG) und von dem ab ihm Ausbildungsförderung dem Grunde nach zustand (vgl. § 15 Abs. 1 BAföG).
Nach Art. 37 Abs. 1 Satz 2 Einigungsvertrag vom 31. August 1990 (BGBl II S. 889) – EV – stehen in dem in Art. 3 EV genannten Gebiet oder in den anderen Ländern der Bundesrepublik Deutschland einschließlich Berlin (West) abgelegte Prüfungen oder erworbene Befähigungsnachweise einander gleich und verleihen die gleichen Berechtigungen, wenn sie gleichwertig sind. Diese nach Art. 45 Abs. 2 EV als Bundesrecht geltende Bestimmung enthält eine eigenständige, abschließende und nicht auf die Ergänzung oder Ausführung durch den Landesgesetzgeber angelegte Regelung der Gleichstellung von beruflichen Abschlüssen und Befähigungsnachweisen (vgl. BVerwG, Urteile vom 10. Dezember 1997 – BVerwG 6 C 10.97 – ≪DVBl 1998, 961≫ und vom 19. März 1998 – BVerwG 2 C 2.97 – ≪UA S. 6≫, beide zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung vorgesehen). Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes hierzu ergab sich aus der Natur der Sache der den Bund nach Art. 23 Satz 2 GG a.F. treffenden Aufgabe, die unaufschiebbaren gesetzlichen Regelungen für den Beitritt der ehemaligen DDR zu schaffen (vgl. neben BVerfGE 84, 133 ≪148≫ die Urteile des BVerwG vom 10. Dezember 1997 ≪a.a.O. S. 962≫ und vom 19. März 1998 ≪a.a.O. S. 8≫).
Der im Zentrum des Art. 37 Abs. 1 Satz 2 EV stehende Begriff der Gleichwertigkeit unterliegt als unbestimmter Rechtsbegriff der vollständigen gerichtlichen Nachprüfung ohne normative Bindung an die Beschlüsse der Kultusministerkonferenz (vgl. BVerwG, Urteile vom 10. Dezember 1997 ≪a.a.O. S. 962≫ und vom 19. März 1998 ≪a.a.O. S. 8≫ – sowie Beschluß vom 9. Juli 1997 – BVerwG 6 B 80.96 – ≪Buchholz 111 Art. 37 EV Nr. 2 = NJ 1997, 551≫). Gleichwohl bedarf er der rechtlichen Konkretisierung durch gleichheitssichernde Interpretation. Hierbei können die sachverständigen Beschlüsse der Kultusministerkonferenz wertvolle Hilfen geben. Für die hier in Rede stehenden Fach- und Ingenieurschulabschlüsse hat die Kultusministerkonferenz am 10./11. Oktober 1991 (Beschlüsse der KMK Nr. 1965.1) unter Ziffer IV beschlossen, daß die in der Anlage IV aufgeführten Abschlüsse (u.a. auf dem Gebiet „Technische Gebäudeausrüstung Fachrichtung Heizungs-, Lüftungs- und Sanitärtechnik”)
(1) grundsätzlich wie die entsprechenden Abschlüsse an Vorläufereinrichtungen der Fachhochschulen (Ingenieurschulen und Höhere Fachschulen) bewertet werden,
(2) eine Bewertung wie Fachhochschulabschlüsse dann durchgreift, wenn der Inhaber des Abschlusses eine mindestens einjährige, evtl. auch berufsbegleitende, zu einer Abschlußprüfung hinführende Zusatzausbildung an einer Fachhochschule absolviert und damit die dem Fachhochschulabschluß entsprechende Qualifikation (Diplomgrad mit dem Zusatz „Fachhochschule” ≪”FH”≫) erworben hat,
(3) bei Abschlüssen dagegen, die vor 1991 erworben wurden, im Wege der Nachdiplomierung der Diplomgrad mit dem Zusatz „Fachhochschule” „FH”) dann zuerkannt wird, wenn eine mindestens dreijährige einschlägige Berufsausbildung nachgewiesen wird.
Zu diesen Aussagen, die das beklagte Land im Verfahren BVerwG 6 C 10.97 in die Form von Verwaltungsvorschriften, im hier vorliegenden Verfahren dagegen in die Form eines Landesgesetzes mit Ausführungsverordnung gegossen hat, hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts festgestellt, daß sie eine im Grundsatz zutreffende Interpretation des Art. 37 Abs. 1 Satz 2 EV darstellen (Urteil vom 10. Dezember 1997 ≪a.a.O. S. 965≫).
Geht man hiervon aus, so hat sich die Rechtslage in der Zeit zwischen Antragstellung im Juli 1991 und Entscheidung des Beklagten im Februar 1992 im eigentlichen nicht geändert. Geändert hat sich allerdings der Grad der Rechtsgewißheit über den Inhalt des Art. 37 Abs. 1 Satz 2 EV. Als der Kläger seine weitere berufliche Qualifizierung plante, konnte und mußte ihm das von der Fachhochschule E. angebotene einjährige Aufbaustudium mit Abschlußprüfung als der einzige sichere Weg erscheinen, zu der von ihm erstrebten Nachdiplomierung zum „Dipl.-Ing. (FH)” zu gelangen. Daß eine unmittelbare Gleichstellung von in der DDR erworbenen Fach- und Ingenieurabschlüssen mit bundesdeutschen Fachhochschulabschlüssen ausschied, war offensichtlich und ergab sich aus der Tatsache, daß die Fach- und Ingenieurschulen der DDR, deren Qualifikationsniveau zwischen der Facharbeiter- und der Hochschulausbildung angesetzt war, in den westlichen Bundesländern keine direkte Entsprechung hatten (vgl. Begründung des KMK-Beschlusses vom 11. Oktober 1991 zu IV.). Klar war damit aber lediglich, daß es für die Feststellung der Gleichwertigkeit i.S. des Art. 37 Abs. 1 Satz 2 EV des Erwerbs einer zusätzlichen Qualifikation bedurfte, wie insbesondere eines entsprechenden Aufbaustudiums. Ob und inwieweit hiervon mit Rücksicht auf Fach- und Ingenieurschulabsolventen der ehemaligen DDR, die bereits seit vielen Jahren im Beruf standen und denen der Erwerb einer weiteren Qualifikation nicht in jedem Fall zugemutet werden konnte, Abstriche zu machen waren, bedurfte einer sorgfältigen Analyse der vom Einigungsvertrag verfolgten Zwecke und ihrer Abwägung mit den durch die Vorschriften über die Verleihung des Fachhochschulgrades geschützten öffentlichen Interessen. Daß hierbei schließlich „im Hinblick auf den im Einigungsvertrag verfolgten Integrationszweck und im Interesse der Förderung der Mobilität der Fach- und Ingenieurschulabsolventen” (Begründung des KMK-Beschlusses vom 11. Oktober 1991 zu IV.) eine mindestens dreijährige einschlägige Berufstätigkeit als ausreichend angesehen werden würde, war Anfang Oktober 1991 ebensowenig vorhersehbar wie die Erstreckung dieser Vergünstigung auch auf Fach- und Ingenieurschulabsolventen, die – wie der Kläger – ihre Ausbildung in der DDR erst vor kurzem abgeschlossen hatten und bisher erst zwei Jahre im Beruf standen. Nach den Erfahrungen mit der Nachdiplomierungspraxis in den westlichen Bundesländern nach Überführung der Ingenieurausbildung auf die Fachhochschulebene, die z.T. eine mindestens fünfjährige praktische Tätigkeit verlangte (vgl. z.B. Art. 131 Abs. 2 BayHochschulG, § 81 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 und Satz 2 HessHochschulG, § 22 Abs. 9 Satz 1 NdsHochschulG), war auch die Annahme nicht von vornherein ausgeschlossen, die Gleichwertigkeit werde von einer längeren praktischen Qualifikationszeit abhängig gemacht werden. Ebensowenig konnte Anfang Oktober 1991 ausgeschlossen werden, daß die Vergünstigung einer praktischen Qualifikationszeit denjenigen Fach- und Ingenieurschulabsolventen versagt werden würde, denen mit Rücksicht darauf, daß sie ihre Ausbildung in der DDR vor nicht mehr als zwei Jahren abgeschlossen hatten, die Absolvierung einer zusätzlichen Fachhochschulausbildung zugemutet werden konnte.
In einer solchen, von Rechtsungewißheiten über den Inhalt des Art. 37 Abs. 1 Satz 2 EV geprägten Situation sind an die Erforderlichkeit einer weiteren Ausbildung für die angestrebte Berufsqualifikation nur den besonderen Umständen dieses Einzelfalles angepaßte Anforderungen zu stellen. Entscheidend kann nicht sein, was nach Abschluß des Rechtsklärungsprozesses objektiv sich als erforderlich herausstellte, sondern was aus der Sicht eines seine Berufschancen gewissenhaft abwägenden Fach- und Ingenieurschulabsolventen der DDR als erforderlich erscheinen mußte. Dies war das vom Kläger gewählte einjährige Aufbaustudium an der Fachhochschule mit dem Ziel des Erwerbs eines Fachhochschulgrades als berufsqualifizierendem Abschluß als der zu diesem Zeitpunkt einzig sicher erscheinende Weg.
Hat nach alledem der Kläger Anspruch auf eine positive Vorabentscheidung, so durfte das Berufungsgericht die Verpflichtungsklage auf Bewilligung von Ausbildungsförderung in gesetzlicher Höhe nicht als bereits dem Grunde nach unbegründet abweisen. Das Berufungsurteil erweist sich insoweit auch nicht wegen mangelnder Zulässigkeit der Klage aus anderen Gründen als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO). Zu Recht ist das Berufungsgericht nicht der Rechtsansicht des Verwaltungsgerichts gefolgt, die Anhängigkeit eines Vorabentscheidungsstreits stelle einen zureichenden Grund i.S. des § 75 Satz 1 VwGO dar, der eine Untätigkeitsklage als verfrüht erscheinen lasse. Denn wenn nach Ansicht des Amtes für Ausbildungsförderung der Förderungsanspruch dem Grunde nach zu verneinen ist, steht damit, ohne daß es weiterer Ermittlungen zur Anspruchshöhe bedarf, auch die Entscheidungsreife des Bewilligungsbegehrens fest. Konkrete Anhaltspunkte dafür, daß der Beklagte im Falle des klägerischen Obsiegens im Vorabentscheidungsstreit ohne weiteres Ausbildungsförderung gewähren würde und deshalb das Rechtsschutzbedürfnis für die Bewilligungsklage fehlen könnte, hat das Berufungsgericht nicht festgestellt.
Allerdings hat das Berufungsgericht – von seinem abweichenden Rechtsstandpunkt aus folgerichtig – bisher tatsächliche Feststellungen zur Höhe des Bedarfs nicht getroffen. Das nötigt zur Zurückverweisung.
Unterschriften
Dr. Säcker, Dr. Pietzner, Schmidt, Dr. Rothkegel, Dr. Franke
Fundstellen
FamRZ 1999, 618 |
LKV 1999, 227 |
SGb 1999, 253 |
ZfSH/SGB 2001, 154 |
DVBl. 1999, 481 |