Entscheidungsstichwort (Thema)
Sondervermögen Reichsbahn;. Reichsbahn, Sondervermögen. Verwaltungsnutzung (im Sinne des Art. 21 Abs. 1 Satz 1 EV). überwiegende Verwaltungsnutzung. Vermögenszuordnung von Grundstücksteilflächen. „anteilige” Zuordnung. Buchgrundstück, Zuordnung bzw. Restitution einer Fläche eines –. Funktionsprinzip. Eigentumsübergang, gesetzlicher –. gesetzlicher Eigentumsübergang zum Beitrittszeitpunkt. Beitrittszeitpunkt, Zuordnungskonkurrenz zum –
Leitsatz (amtlich)
Die Nutzung eines früher volkseigenen Grundstücks für Verwaltungsaufgaben (Art. 21 Abs. 1 Satz 1 EV) führte auch dann zum Eigentumsübergang auf den zuständigen Träger öffentlicher Verwaltung, wenn es zuvor zum Sondervermögen Deutsche Reichsbahn (Art. 26 Abs. 1 Satz 1 EV) gehörte. Beschränkte sich die Verwaltungsnutzung auf die Teilfläche eines Buchgrundstücks, so kann der Verwaltungsträger die Abtrennung jedenfalls dann verlangen, wenn er die Teilfläche ausschließlich genutzt hat und deren Verselbständigung keine gravierenden Probleme aufwirft.
Einer Kommune stehen solche Teile eines Bahnhofsvorplatzes als Verwaltungsvermögen zu, die für Zwecke des öffentlichen Straßenverkehrs genutzt wurden (wie Straßenkörper, Straßenbahnhaltestelle, Verkehrsinsel u.Ä.).
Normenkette
EV Art. 21 Abs. 1 S. 1; EV Art. 26 Abs. 1 S. 1
Beteiligte
Rechtsanwälte Hennings, Lauenroth und Partner |
die Bundesrepublik Deutschland |
Oberfinanzpräsidenten der Oberfinanzdirektion Magdeburg – Vermögenszuordnungsstelle Magdeburg – |
Deutsche Bahn Immobiliengesellschaft mbH, Niederlassung Magdeburg |
Rechtsanwalt Christian Paschen |
Verfahrensgang
VG Magdeburg (Entscheidung vom 07.12.1999; Aktenzeichen A 5 K 248/99) |
Tenor
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Magdeburg vom 7. Dezember 1999 wird aufgehoben. Ferner wird der Bescheid der Beklagten vom 11. März 1999 insoweit aufgehoben, als darin die Zuordnung der Teilfläche des Flurstücks 154/3 mit einer Größe von etwa 1 200 qm abgelehnt wird. Die Beklagte wird verpflichtet, diese Teilfläche der Klägerin zuzuordnen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagte und die Beigeladene je zur Hälfte.
Tatbestand
I.
Gestützt auf Art. 21 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 des Einigungsvertrages – EV – beansprucht die klagende Stadt H. die Zuordnung einer ca. 1 200 qm großen Teilfläche eines fast 150 000 qm großen Grundstücks, auf dem sich hauptsächlich der Bahnhof H. mitsamt Gleisanlagen sowie dem Bahnhofsvorplatz befindet und welches der beigeladenen Deutschen Bahn insgesamt unter Berufung auf Art. 26 EV zugeordnet worden ist. Während das Gesamtgrundstück am 3. Oktober 1990 im Grundbuch als volkseigen mit der Rechtsträgerschaft der Deutschen Reichsbahn eingetragen war, ist seit 1995 die Bundesrepublik Deutschland (Bundeseisenbahnvermögen) als Eigentümerin im Grundbuch eingetragen.
Seit 1996/1997 bemühte sich die Klägerin, Eigentümerin einer dem Bahnhofsvorplatz zuzurechnenden ca. 4 000 qm großen Fläche des Gesamtgrundstücks zu werden, in welcher die nunmehr beanspruchte Teilfläche enthalten ist. Sie beantragte die Vermögenszuordnung; parallel dazu erwarb sie die Fläche im November 1997 vorsorglich durch Rechtsgeschäft.
Den Antrag der Klägerin auf Zuordnung mit der Begründung, die Fläche sei zu den Stichtagen als öffentliche Verkehrsfläche genutzt worden und damit handele es sich um kommunales Verwaltungsvermögen, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 11. März 1999 ab: Bei dem Vermögenswert handele es sich insgesamt um Sondervermögen Deutsche Reichsbahn im Sinne des Art. 26 Abs. 1 Satz 1 EV, der der Deutschen Bahn AG als Rechtsnachfolgerin der Deutschen Reichsbahn kraft Gesetzes als Eigentum zustehe. Solches Vermögen unterliege nicht der Vermögenszuordnung.
Die auf Zuordnung einer (nur noch) ca. 1 200 qm großen Teilfläche zielende Klage hat das Verwaltungsgericht abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Es komme nicht darauf an und könne daher offen bleiben, ob die beanspruchte Teilfläche dem öffentlichen Verkehr gedient habe und daher gemäß Art. 21 Abs. 2 EV dem Kommunalvermögen zuzuordnen sei. Denn das Gesamtgrundstück sei an den maßgeblichen Stichtagen (1. Oktober 1989, 3. Oktober 1990) der Deutschen Reichsbahn sachlich und funktionell zugeordnet gewesen, was gemäß Art. 26 Abs. 1 Satz 1 EV zum gesetzlichen Eigentumsübergang auf das Sondervermögen Deutsche Reichsbahn zum Beitrittszeitpunkt geführt habe. Deswegen sei mit dem In-Kraft-Treten des Gesetzes zur Zusammenführung und Neugliederung der Bundeseisenbahnen vom 27. Dezember 1993 (BGBl I S. 2378) – BENeuglG – gemäß dessen § 21 das Eigentum auf die Beigeladene übergegangen.
Mit der – unverändert auf Zuordnung der Teilfläche zielenden – Revision macht die Klägerin geltend, die beanspruchte Fläche habe sich zum Beitrittszeitpunkt als Verwaltungsaufgaben dienendes Verwaltungsvermögen dargestellt, weil sie dem örtlichen öffentlichen Verkehr gedient habe. Solches Vermögen unterliege der Regelung des Art. 21 Abs. 1 und 2 EV, nicht derjenigen des Art. 26 EV.
Beklagte und Beigeladene verteidigen das angefochtene Urteil und beantragen die Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist begründet. Die Klägerin kann die Zuordnung des umstrittenen Teilgrundstücks verlangen.
1. Die entscheidungstragende Beurteilung des Verwaltungsgerichts, bei dem beanspruchten Teil des Bahn-Grundstücks handele es sich um einen Vermögensgegenstand, der Art. 26 Abs. 1 Satz 1 des Einigungsvertrages – EV – unterfalle und damit kraft Gesetzes zum Beitrittszeitpunkt auf das Sondervermögen Deutsche Reichsbahn (Vermögen der Bundesrepublik Deutschland) übergegangen sei, verletzt Bundesrecht im Sinne des § 137 Abs. 1 VwGO. Sie verkennt, dass eine für die maßgeblichen Stichtage festzustellende Verwaltungsnutzung eines früher volkseigenen Vermögensgegenstandes i.S.d. Art. 21 Abs. 1 Satz 1 (i.V.m. Abs. 2) EV auch dann zu einem gesetzlichen Eigentumserwerb zugunsten des jeweiligen Trägers öffentlicher Verwaltung zum Beitrittszeitpunkt führt, wenn zugleich die Voraussetzungen des Art. 26 Abs. 1 Satz 1 EV vorliegen.
Bereits in seinem Beschluss vom 9. März 1999 (BVerwG 3 B 2.99 – Buchholz 111 Art. 21 Nr. 34 S. 9) hat der Senat entschieden, dass eine stichtagsbezogene Nutzung zu Verwaltungszwecken Vorrang vor Restitutionsansprüchen habe, was auch für das Sondervermögen Deutsche Reichsbahn und Ansprüche aus Art. 26 Abs. 1 Satz 1 EV gelte. Hieran hält er fest. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 26. Mai 1994 – BVerwG 7 C 33.93 – Buchholz 428.2 § 1 Nr. 1; Urteil vom 28. Dezember 1995 – BVerwG 7 C 84.94 – Buchholz 111 Art. 22 Nr. 15) hat sich nämlich jede Zuordnung eines zuvor volkseigenen Vermögensgegenstandes vorrangig nach der damit wahrgenommenen öffentlichen Aufgabe zu richten (vgl. BTDrucks 12/5553 S. 170). Dieser Vorrang hat in § 11 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 VZOG seinen Ausdruck gefunden. Er gilt im Verhältnis zwischen mehreren Trägern öffentlicher Verwaltung (Bund, Länder, Gemeinden; vgl. Art. 21 Abs. 1 Satz 1 sowie Abs. 2 EV) ebenso wie im Verhältnis zwischen Verwaltungsträgern und Restitutionsprätendenten (Art. 21 Abs. 3 i.V.m. Art. 22 Abs. 1 Satz 7 EV). Nichts anderes trifft auf das Verhältnis zwischen einem Träger öffentlicher Verwaltung und der Deutschen Bahn zu, die sich auf Art. 26 Abs. 1 Satz 1 EV beruft. Das Funktionsprinzip beansprucht auch Geltung für das Sondervermögen Deutsche Reichsbahn.
Ein Vorrang von Art. 26 Abs. 1 Satz 1 EV gegenüber Art. 21 Abs. 1 und 2 EV folgt entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts auch nicht etwa daraus, dass das Art. 26 Abs. 1 Satz 1 EV unterfallende Vermögen zum Zeitpunkt des Beitritts kraft Gesetzes in das Eigentum der Bundesrepublik Deutschland übergegangen ist (vgl. Urteil vom 15. Juli 1999 – BVerwG 3 C 15.98 – BVerwGE 109, 221). Denn auch den Bestimmungen in Art. 21 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 EV liegt die Vorstellung eines gesetzlichen Eigentumsübergangs zum Beitrittszeitpunkt zu Grunde. Da – wie gesagt – das Funktionalprinzip auch für die Sondervermögen Deutsche Reichsbahn und Deutsche Post Geltung beansprucht, setzt der Eigentumsübergang nach Art. 26 Abs. 1 Satz 1 EV stillschweigend voraus, dass der betreffende Vermögensgegenstand an den Stichtagen nicht im Sinne von Art. 21 Abs. 1 EV genutzt worden ist.
2. Das Urteil des Verwaltungsgerichts erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO).
Dem Erfolg der Klage steht insbesondere nicht entgegen, dass es sich bei dem in Rede stehenden Vermögensgegenstand nur um einen (unselbständigen) Teil eines Buchgrundstücks handelt, welches – als Ganzes gesehen – überwiegend für den Bahnbetrieb genutzt wurde. Wurde ein Grundstück an den maßgeblichen Stichtagen von mehreren Rechtsträgern genutzt, so kann daraus ein Anspruch der Nutzer auf Zuordnung einer Teilfläche nach Maßgabe der tatsächlichen Nutzung erwachsen sein. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die beanspruchte Teilfläche von einem Träger öffentlicher Verwaltung ausschließlich genutzt worden ist und eine entsprechende Realteilung nicht zu gravierenden praktischen Problemen führt. So liegt der Fall hier.
Der Senat knüpft insoweit an seine bisherige Rechtsprechung zur Zuordnungsfähigkeit von Teilflächen an, die er insbesondere in seinem Urteil vom 19. November 1998 (BVerwG 3 C 28.97 – Buchholz 115 Nr. 18) entwickelt hat. Er hat dort ausgeführt, dass in § 11 Abs. 2 Satz 2 TreuhG, wonach die Umwandlung volkseigener Wirtschaftseinheiten in Kapitalgesellschaften einen entsprechenden Vermögensübergang bewirkt, ein materieller Zuordnungs- und Teilungsanspruch zugunsten desjenigen Unternehmens angelegt sei, das die Teilfläche tatsächlich genutzt hatte, unabhängig davon, ob diese ein Buchgrundstück bildete oder nicht. Maßgeblich hierfür war die Überlegung, dass die gesetzgeberische Intention – Ausstattung der Unternehmen mit den von ihnen bisher genutzten Vermögensgegenständen zur Sicherung der betrieblichen Überlebensfähigkeit – nur bei Anerkennung eines Eigentumsübergangs an Grund und Boden im Umfang seiner betrieblichen Nutzung erreichbar sei.
Entsprechendes gilt nach Überzeugung des Senats auch im Rahmen des Art. 21 Abs. 1 Satz 1 EV. Die hier bezweckte Ausstattung der zuständigen Verwaltungsträger mit den stichtagsgerecht für deren Verwaltungsaufgaben genutzten – und daher nach Ansicht des Gesetzgebers hierfür auch künftig benötigten – Vermögensgegenständen würde sonst in Fällen leer laufen, in denen die so genutzte Fläche unselbständiger Teil eines wesentlich größeren Grundstücks war. So wäre beispielsweise die Zuordnung eines öffentlichen Sportplatzes, der sich an einem Waldrand ohne katastermäßige Verselbständigung auf einem ganz überwiegend den Wald erfassenden Buchgrundstück befindet, an den Forstfiskus offensichtlich nicht sachgerecht.
Freilich hat das Bundesverwaltungsgericht im Beschluss vom 12. Dezember 1995 (BVerwG 7 B 418.95 – Buchholz 428.2 § 11 Nr. 7) erkannt, dass bei „anteiliger” überwiegender Nutzung eines Vermögensgegenstands für Verwaltungsaufgaben eines Trägers öffentlicher Verwaltung der Gegenstand ausschließlich diesem Träger zuzuordnen ist und eine „anteilige” Zuordnung zu mehreren Trägern öffentlicher Verwaltung ausscheidet. Diese Entscheidung bezieht sich jedoch auf den Fall einer gemeinschaftlichen anteiligen Nutzung eines Vermögensgegenstands, speziell eines Rathauses, das teils für polizeiliche (also jetzt Landes-), teils für jetzt kommunale Zwecke genutzt wurde. Hiervon unterscheidet sich der vorliegende Fall einer jeweils getrennten ausschließlichen Teilnutzung vor allem deshalb, weil die in jener Entscheidung als maßgeblich hervorgehobenen Praktikabilitätsgründe hier einer Zuordnung nicht entgegenstehen, sondern im Gegenteil eine Zuordnung von Teilgrundstücken auf verschiedene Rechtsträger zumindest nahe legen, was im Übrigen durch die erfolgte rechtsgeschäftliche Veräußerung bestätigt wird.
3. Die tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts erlauben es dem Senat zugunsten der Klägerin in der Sache selbst zu entscheiden (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO). Das beanspruchte Teilgrundstück war zu den maßgeblichen Stichtagen in der von Art. 21 Abs. 1 Satz 1 (i.V.m. Abs. 2) EV vorausgesetzten Weise für Verwaltungsaufgaben bestimmt, für die nach dem Grundgesetz die Klägerin zuständig ist.
Insoweit enthält der Tatbestand des angefochtenen Urteils die Aussage, dass sich auf dem beanspruchten Teilgrundstück „Teile des Straßenkörpers der Bahnhofstraße bzw. der Richard-Wagner-Straße sowie eines Teiles einer Straßenbahnhaltestelle in Form einer Verkehrsinsel sowie des Bürgersteiges, welcher unmittelbar vor dem Bahnhofsgebäude verläuft” befänden. Damit diente das Grundstück Aufgaben des örtlichen öffentlichen Verkehrs, für die die Klägerin zuständig ist. Ob die Fläche als Teil des Bahnhofsvorplatzes – wie die Beigeladene vorträgt – eine Bahnanlage im Sinne der Eisenbahnbau- und Betriebsordnung darstellt, ist nicht entscheidungserheblich. Wenn sie es wäre, würde dies die Annahme nicht ausschließen, dass sie für kommunale Aufgaben genutzt worden ist.
Die tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts lassen darüber hinaus die Annahme zu, dass einer Abtrennung der Teilfläche von dem (im Übrigen weiterhin bahnmäßig genutzten) Buchgrundstück weder beachtliche tatsächliche noch rechtliche Hindernisse entgegenstehen. Die Sache ist daher spruchreif i.S.d. § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 und 3 VwGO.
Unterschriften
Prof. Dr. Driehaus, van Schewick, Dr. Borgs-Maciejewski, Kimmel, Dr. Brunn
Fundstellen
BVerwGE, 364 |
NJ 2000, 664 |