Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfolgungszeit. soziale Gleichwertigkeit beruflicher Tätigkeit. Einkommen. entgangene Steuervorteile
Leitsatz (amtlich)
Mit der Möglichkeit einen sozial gleichwertigen Beruf auszuüben, endet die nach dem Beruflichen Rehabilitierungsgesetz anerkennungsfähige Verfolgungszeit gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 in Verbindung mit § 1 Abs. 1 BerRehaG (Bestätigung des Urteils vom 12. Februar 1998 – BVerwG 3 C 25.97 –).
Für die Auslegung des Betriffs „sozial gleichwertiger Beruf” kann auf die Rechtsprechung zu § 30 Abs. 2 Satz 2 Buchst. a Bundesversorgungsgesetz zurückgegriffen werden. Hiernach ist in der Regel ab einer Einkommenseinbuße von etwa 20 v.H. davon auszugehen, daß ein sozialer Abstieg vorliegt, und die soziale Gleichwertigkeit zu verneinen ist.
Normenkette
BerRehaG § 1 Abs. 1, § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, §§ 17, 22
Verfahrensgang
VG Potsdam (Entscheidung vom 30.07.1999; Aktenzeichen 2 K 169/97) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 30. Juli 1999 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
I.
Zwischen den Parteien besteht Streit über die Dauer der dem Kläger nach dem Beruflichen Rehabilitierungsgesetz anzuerkennenden Verfolgungszeit.
Der 1936 geborene Kläger war nach erlerntem Schlosserberuf und Abschluß des Studiums an einem Institut für Berufsschullehrerausbildung am 1. September 1957 als Berufsschullehrer im VEB Braunkohlenwerk „Franz Mehring” in B. eingestellt worden. Er bezog ein Gehalt von 548 Mark pro Monat. Am 29. September 1958 wurde ihm fristlos gekündigt mit der Begründung, er habe anläßlich einer nicht gemeldeten Reise nach West-Berlin Literatur eingeführt, in der „gegen fortschrittliche Kräfte des Friedenslagers Greuelmärchen verbreitet” würden.
Von Oktober 1958 bis Januar 1966 arbeitete der Kläger in verschiedenen Betrieben zunächst als Schlosser, später als Elektriker. Seit dem 15. Januar 1966 war er Offertbearbeiter beim VEB Werkzeugmaschinenfabrik N. Von September 1966 bis Juli 1971 absolvierte er ein Fernstudium zum Ingenieur für Werkzeugmaschinenbau. Ab dem 1. Juli 1971 bezog der Kläger ein Bruttoverdienst von zunächst 955 Mark monatlich, im November und Dezember 1971 von 1 055 Mark.
Mit Bescheid vom 16. Dezember 1996 bescheinigte das beklagte Ministerium dem Kläger, daß er Verfolgter im Sinne des § 1 Abs. 1 BerRehaG sei und stellte eine Verfolgungszeit vom 30. September 1958 bis 23. Juli 1971 fest. Den weitergehenden Antrag, ihm berufliche Rehabilitierung bis „heute” zu gewähren, lehnte es mit der Begründung ab, er habe mit Abschluß des Ingenieurstudiums am 23. Juli 1971 eine seiner Qualifikation entsprechende Erwerbstätigkeit ausgeübt.
Das Verwaltungsgericht Potsdam hat die auf Festsetzung der Verfolgungszeit bis zum 2. Oktober 1990 gerichtete Klage mit Urteil vom 30. Juli 1999 abgewiesen: Aus § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BerRehaG lasse sich ableiten, daß die Verfolgungszeit erst ende, wenn keine der beiden dort vorgesehenen Alternativen mehr erfüllt sei. Der Aufnahme der bisherigen oder angestrebten Tätigkeit stehe eine sozial gleichwertige Tätigkeit gleich. Der vom Kläger seit 1966 ausgeübte Beruf des Offertbearbeiters sei zumindest mit Beendigung des Fernstudiums im Juli 1971 sozial gleichwertig mit der Tätigkeit eines Berufsschullehrers gewesen. Das habe auch der Kläger nicht in Abrede gestellt. Entgegen seiner Auffassung habe der Kläger jedoch spätestens zu diesem Zeitpunkt auch nicht mehr ein „geringeres Einkommen” erzielt, als er im Falle einer Fortsetzung seiner Tätigkeit als Berufsschullehrer gehabt hätte. Zwar sei für die Vergleichsbewertung auf alle Einkünfte, die aufgrund des Arbeitsverhältnisses gewährt werden, abzustellen. Entgegen der Annahme des Klägers könne der in § 2 Abs. 1 Satz 2 BerRehaG verwendete Begriff „Einkommen” aber nicht so ausgelegt werden, daß etwa auch die Gewährung eines Steuerfreibetrages oder die Gewährung einer beitragsfreien Altersversorgung in einen Gesamtvergleich miteinzubeziehen seien. Die Verminderung steuerlicher Abzüge sei keine Einnahme, sondern – ebenso wie ersparte Aufwendungen für die Altersvorsorge – lediglich eine Minderausgabe. Die Gewährung einer beitragsfreien Altersversorgung als Alternative zu einer freiwilligen Zusatzrentenversicherung könne darüber hinaus schon deshalb nicht zum Einkommen gezählt werden, weil jedenfalls keine Pflichtbeiträge erspart würden und sich die Vorteile mithin erst zum Zeitpunkt der Auszahlung der Rente auf das verfügbare Einkommen auswirken könnten. Da die vom Kläger als anrechnungsfähig bezeichneten Faktoren außer Betracht zu bleiben hätten, habe das vom Kläger als Offertbearbeiter erzielte Bruttomonatsgehalt um etwa 20 Mark unter dem Einkommen eines Berufsschullehrers gelegen. Die geringfügige Differenz rechtfertige nicht die Anerkennung weiterer Verfolgungszeiten. Dafür sei nämlich auch ohne ausdrücklichen Hinweis im Gesetz ein erheblicher Minderverdienst notwendig.
Mit der vom Verwaltungsgericht zugelassenen Revision macht der Kläger geltend, das Verwaltungsgericht habe einen zu restriktiven Einkommensbegriff zugrunde gelegt und sei deswegen zu unrichtigen Vergleichswerten gekommen. § 2 Abs. 1 Satz 3 BerRehaG sei so auszulegen, daß alle faktischen Einkommensnachteile einzubeziehen seien. Beziehe man in den Vergleich den mit der Klage vorgetragenen Verlust der Vergünstigungen des Bergbaus, den Verlust der zusätzlichen bergmännischen Entlohnung sowie den Verlust der Vergünstigungen für Lehrer ein, so ergebe sich eine Differenz von ca. 29 %, die berücksichtigt werden müsse.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist nicht begründet. Das angefochtene Urteil verstößt jedenfalls im Ergebnis nicht gegen Bundesrecht. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Anerkennung einer längeren Verfolgungszeit.
Als Verfolgungszeit definiert § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BerRehaG die Zeit, in der der Verfolgte seine bisherige oder eine angestrebte Erwerbstätigkeit nicht ausgeübt oder ein geringeres Einkommen als aus der bisherigen Erwerbstätigkeit erzielt hat. Die Anerkennung einer Verfolgungszeit ist somit von dem Zeitpunkt an ausgeschlossen, an dem der Verfolgte (wieder) eine entsprechende Erwerbstätigkeit ausgeübt oder ein gleich hohes Einkommen erzielt hat. Ob eine dieser Voraussetzungen im Falle des Klägers gegeben ist und wenn ja, von welchem Zeitpunkt an, kann entgegen der Argumentation des Verwaltunsgerichts allerdings dahingestellt bleiben, denn eine Verfolgungszeit liegt darüber hinaus auch dann nicht mehr vor, sobald dem Verfolgten – im vorliegenden Fall dem Kläger – ein sozial gleichwertiger Beruf offen stand. Wie der erkennende Senat bereits in seinem Urteil vom 12. Februar 1998 – BVerwG 3 C 25.97 – (Buchholz 115 Nr. 11) ausgeführt hat, entfällt die Annahme einer Verfolgung gemäß § 1 Abs. 1 BerRehaG u.a. dann, wenn der Verfolgte einen sozial gleichwertigen Beruf wieder ausüben konnte. Damit ist die Ausgrenzung des Einzelnen, die durch eine politische Verfolgung hervorgerufen wird, welche das Rechtsgut der ungehinderten beruflichen Betätigung schwerwiegend beeinträchtigt (vgl. BVerfGE 54, 341, 357), beendet. Mit Beendigung der Verfolgung ist zugleich die Verfolgungszeit abgeschlossen, und zwar selbst dann, wenn der Verfolgte zu diesem Zeitpunkt ein geringeres Einkommen als vor der Verfolgung erzielt hat.
Das Verwaltungsgericht und die Beteiligten sind zu Recht davon ausgegangen, daß die vom Kläger jedenfalls nach Abschluß seines Fernstudiums ausgeübte Tätigkeit als Offertbearbeiter einen im Hinblick auf seine frühere Berufsschullehrertätigkeit sozial gleichwertigen Beruf darstellte.
Die Aufzählung der die Anerkennung der Verfolgteneigenschaft rechtfertigenden beruflichen Nachteile in § 1 Abs. 1 letzter Halbsatz BerRehaG ist an § 30 Abs. 2 Satz 2 lit. a Bundesversorgungsgesetz angelehnt (vgl. Lehmann/Wimmer, NJ 1994, 350, 354), in dem ebenfalls auf die Unmöglichkeit der Ausübung eines sozial gleichwertigen Berufs abgestellt wird. Bei der Prüfung der Frage, ob die nach der verfolgungsbedingten Herabstufung ausgeübte Tätigkeit noch oder wieder als sozial gleichwertig anzusehen ist, kann die zu der genannten Bestimmung des Bundesversorgungsgesetzes ergangene Rechtsprechung herangezogen werden (vgl. Lehmann/Wimmer, a.a.O.; Leutheusser-Schnarrenberger, DtZ 1993, 162, 166). Hiernach ist in der Regel bei einer Einkommenseinbuße von ca. 20 v.H. davon auszugehen, daß ein sozialer Abstieg vorliegt, der das Tatbestandsmerkmal der fehlenden sozialen Gleichwertigkeit ausfüllt (vgl. BSG, Urteil vom 14. März 1975 – 10 RV 189/74 – SozR 3100 § 30 Nr. 6; Lehmann/Wimmer a.a.O. m.w.N.; Wimmer, Komm. zum VerwRehaG, S. 361 Rn. 7 zu § 8). Das schließt in besonderen Fällen – wie etwa bei einer Herabstufung vom Fach- zum Hilfsarbeiter – nicht aus, daß die soziale Gleichwertigkeit auch ohne das Vorliegen einer Einkommensminderung zu verneinen sein kann.
Bei dem im Regelfall vorzunehmenden Einkommensvergleich ist abzustellen auf den frühesten Zeitpunkt, zu dem sich das Einkommen aus der neuen Berufstätigkeit im Verhältnis zu den potentiellen Einkünften aus dem früheren oder angestrebten Beruf als sozial gleichwertig erweist. Eventuell später eintretende Veränderungen innerhalb dieses Gleichgewichtsverhältnisses haben – soweit sie sich nicht ihrerseits als Verfolgungsmaßnahmen darstellen – unberücksichtigt zu bleiben, denn von da an bemißt sich der berufliche Status des ehemals Verfolgten nach dem allgemeinen Schicksal der Angehörigen seiner neuen Berufsgruppe. Schon aus diesem Grund kann der Kläger nicht verlangen, daß in dem anzustellenden Einkommensvergleich zu seinen Gunsten die erst 1976 in der DDR eingeführte beitragsfreie Zusatzversorgung für Pädagogen berücksichtigt wird.
Die vom Verwaltungsgericht in Zusammenhang mit der Revisionszulassung u.a. aufgeworfene Frage, ob die Gewährung von Steuerfreibeträgen beim Einkommensvergleich von Bedeutung sei, kann dahingestellt bleiben. Selbst wenn sie zu bejahen sein sollte, hätte sich das vom Kläger ab Juli 1971 bezogene Gehalt auch nicht annähernd unterhalb der erwähnten 20 v.H.-Schwelle belaufen. Nach den vom Verwaltungsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen, an die der Senat mangels durchgreifender Revisionsrügen gebunden ist (§ 137 Abs. 2 VwGO), blieben die Bruttobezüge des Klägers als Offertbearbeiter lediglich um etwa 20 Mark hinter denen zurück, die er bei Wiederaufnahme seiner Berufsschullehrertätigkeit bezogen hätte. Daß der Kläger – wie er behauptet – als Berufsschullehrer einen zusätzlichen Anspruch auf ein „Bergmannsgeld” in Höhe von 99,– Mark gehabt hätte, ist von ihm weder substantiiert vorgetragen, noch vom Verwaltungsgericht festgestellt worden. Bei dieser Sachlage fiele die eventuelle Berücksichtigungsfähigkeit des vom Kläger in Anspruch genommenen Steuervorteils nicht entscheidend ins Gewicht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Unterschriften
Prof. Dr. Driehaus, van Schewick, Dr. Borgs-Maciejewski, Kimmel, Dr. Brunn
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 06.04.2000 durch Riebe Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
ZAP-Ost 2000, 364 |
NJ 2000, 497 |
DVBl. 2000, 1453 |
ThürVBl. 2000, 276 |