Entscheidungsstichwort (Thema)
Verwaltungsrechtsweg für Klage gegen kirchliches Glockengeläute. Begriff der kirchlichen Körperschaft des öffentlichen Rechts. Eigenschaft der Kirchenglocken als öffentliche Sachen. Anwendung des Bundesimmissionsschutzgesetzes auf kirchliches Glockenläuten. Liturgisches Glockengeläute regelmäßig keine erhebliche Belästigung für Nachbarn
Leitsatz (amtlich)
1. Für die Klage eines Nachbarn gegen das liturgische Glockengeläute einer als Körperschaft des öffentlichen Rechtes anerkannten Kirche ist der Verwaltungsrechtsweg gegeben.
2. § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BImSchG ist auf Schallimmissionen durch kirchliches Glockenläuten anwendbar.
3. Geräuschimmissionen durch liturgisches Glockengeläute der Kirchen im herkömmlichen Rahmen sind regelmäßig keine erhebliche Belästigung im Sinne des § 3 Abs. 1 BImSchG, sondern eine zumutbare, sozialadäquate Einwirkung.
Normenkette
GG Art. 2 Abs. 2, Art. 4 Abs. 2, Art. 140; WRV Art. 137 Abs. 3, 5; VwGO § 40 Abs. 1; GVG § 13; BImSchG § 22 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 3 Abs. 1, 5
Verfahrensgang
VGH Baden-Württemberg (Urteil vom 10.03.1981; Aktenzeichen 10 S 2339/80) |
VG Karlsruhe (Urteil vom 17.09.1980; Aktenzeichen 7 K 35/80) |
Tenor
Das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 10. März 1981 wird aufgehoben.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 17. September 1980 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
I.
Zwischen den Beteiligten ist streitig, inwieweit das kirchliche Glockenläuten zulässig ist. Nach der Läuteordnung der beklagten katholischen Kirchengemeinde wird die Angelus-Glocke der Pfarrkirche in der Sommerzeit vom 15. April bis 15. Oktober um 6.00 Uhr morgens eine Minute lang geläutet, im Winter erst um 7.00 Uhr, nicht dagegen an Sonn- und Feiertagen. Der Kläger, ein Arzt, der etwa 200 m Luftlinie entfernt von der Pfarrkirche ein Eigenheim bewohnt, fühlt sich durch das frühmorgendliche Geläut um 6.00 Uhr gestört. Er begehrt mit seiner Klage die Verurteilung der Beklagten, auch in der Sommerzeit das Angelus-Läuten vor 7.00 Uhr zu unterlassen.
Das Verwaltungsgericht wies die Klage ab. Es hielt den Verwaltungsrechtsweg für gegeben: Die angegriffene Maßnahme, das Glockenläuten, wurzele im öffentlichen Recht, da die beklagte Pfarrgemeinde als Körperschaft des öffentlichen Rechts hier hoheitliche Funktionen wahrnehme. Es verneinte aber einen Abwehranspruch des Klägers. Dieser sei verpflichtet, die Beeinträchtigungen durch das Glockengeläut zu dulden. Das Angelus-Läuten um 6.00 Uhr morgens während der Sommerzeit könne nicht als eine erhebliche Störung angesehen werden. Bei Abwägung der Freiheitsrechte des Klägers aus Art. 2 GG mit dem Recht der Kirche auf ungestörte Religionsausübung nach Art. 4 Abs. 2 GG müßten die Rechtspositionen des Klägers zurücktreten.
Der Verwaltungsgerichtshof Mannheim hielt in seinem Berufungsurteil (Die Justiz 1981, 255) die Klage für unzulässig, weil der Verwaltungsrechtsweg nicht gegeben sei. Das liturgische Glockengeläut der Beklagten sei keine Ausübung öffentlichrechtlicher Gewalt. Zwar billige das Grundgesetz den Kirchen den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts zu. Ihre Einordnung in das öffentliche Recht aber sei nur eine historisch bedingte, „verbale” Verlegenheitslösung. Sie handelten damit nicht staatlich-hoheitlich bzw. öffentlich-rechtlich. Vielmehr sei der materielle, verwaltungsrechtliche Körperschaftsbegriff – die Einbeziehung in den Funktionsbereich der mittelbaren Staatsverwaltung – unter der Geltung des Grundgesetzes unanwendbar auf die Kirchen; sie könnten funktional nicht zum staatlichen Organisationsraum gerechnet werden. Kirchliches Glockengeläute wie das hier streitige Angelus-Läuten zähle als spezifische Kulthandlung zur Religionsausübung. Im Verhältnis zu den Nachbarn, welche sich dadurch gestört fühlten, ständen die Kirchen nicht anders als andere Nachbarn da. Ihr Rechtsverhältnis richte sich daher nach bürgerlichem Recht. Der Umstand, daß die Glocke eine „res sacra”, also eine öffentliche Sache sei, reiche allein nicht aus, eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit anzunehmen.
Die Beklagte hat Revision eingelegt, mit der sie die Aufhebung des Berufungsurteils und die Zurückweisung der Berufung begehrt. Sie rügt eine Verletzung des § 40 Abs. 1 VwGO und des Art. 137 Abs. 5 WRV in Verbindung mit Art. 140 GG.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen. Er verteidigt das Berufungsurteil.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision hat Erfolg; sie führt zur Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
1. Der Rechtsstreit fällt in die staatliche Gerichtsbarkeit. Zwar gehört das hier streitige Angelus-Läuten als kultische Handlung zu den inneren kirchlichen Angelegenheiten im Sinne des Art. 137 Abs. 3 WRV in Verbindung mit Art. 140 GG. Glockengeläut berührt aber auch staatliche Belange, denn es kann mit dem Ruhebedürfnis der Nachbarn kollidieren; der Schutz der Nachbarn vor schädlichen Immissionen ist Aufgabe des Staates. Daher ist für Streitigkeiten der vorliegenden Art – entgegen früherer Auffassung (vgl. RGZ 56, 25) – der Rechtsweg zu den staatlichen Gerichten eröffnet.
2. Die vorliegende Immissionsabwehrklage ist eine öffentlichrechtliche Streitigkeit nach § 40 Abs. 1 VwGO, für die der Verwaltungsrechtsweg gegeben ist. Das Berufungsurteil, welches im Anschluß an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (BayVBl. 1980, 563) eine bürgerliche Rechtsstreitigkeit nach § 13 GVG annimmt, verletzt Bundesrecht.
Die Beklagte ist nach Art. 137 Abs. 5 WRV in Verbindung mit Art. 140 GG eine Körperschaft des öffentlichen Rechts; aufgrund dieser Privilegierung sind die Kirchenglocken, soweit sie – wie hier – widmungsgemäß kultischen Zwecken dienen, als „res sacrae” öffentliche Sachen. Das Rechtsverhältnis, das der Kläger mit seiner Klage beeinflussen will, gehört damit dem öffentlichen Recht an.
Durch die Zuerkennung des Status von Körperschaften des öffentlichen Rechts gemäß Art. 137 Abs. 5 WRV in Verbindung mit Art. 140 GG hat der Staat die Kirchen aus dem Kreis der Religionsgesellschaften, deren Wirken er der Privatrechtsordnung unterstellt, hervorgehoben und diesen gegenüber rechtlich abgegrenzt. Er hat damit nicht nur anerkannt, daß die Kirchen wie alle Religionsgesellschaften das Recht der Selbstbestimmung haben und vor staatlichen Eingriffen in ihre inneren Verhältnisse geschützt sind – dies folgt bereits aus Art. 137 Abs. 3 WRV in Verbindung mit Art. 140 GG –; vielmehr hat er darüber hinaus die Rechtsstellung der Kirchen wie auch deren öffentliches Wirken dem öffentlichen Recht zugeordnet. Dem trägt die Auffassung des Berufungsgerichts und des der „privatrechtlichen” Betrachtungsweise zuneigenden Schrifttums (vgl. von Campenhausen in DVBl. 1972, 316 ff.; Stolleis in BayVBl. 1972, 23 f.; ders. in ZevKR 17 [1972], 150 ff.; Schatzschneider in BayVBl. 1980, 564 f.; Rüfner in HdBStKR Bd. I [1974] S. 759/768 f.; Martens in Wacke-Festschrift 1972 S. 343/348 ff.) nicht ausreichend Rechnung.
Es trifft zu, daß die Rechtsstellung der Kirchen sich von derjenigen anderer juristischer Personen, die als öffentlichrechtliche Körperschaften Aufgaben der mittelbaren Staatsverwaltung wahrnehmen, grundlegend unterscheidet. Weder sind die Kirchen in die Staatsverwaltung eingegliedert, noch läßt sich ihre Rechtsstellung mit dem Begriff „Hoheitsträger” hinreichend kennzeichnen. Wenn als „hoheitlich” nur die Funktionen bezeichnet werden können, mit denen Staat und Gemeinden die Kirchen – wie z. B. bei der Kirchensteuer und im Friedhofswesen – beliehen haben, so zeigt dies lediglich, daß die das Über- und Unterordnungsverhältnis von Staat und Bürger bezeichnenden Begriffe („hoheitlich”, „schlicht hoheitlich” usw.) für die Betätigung der Kirchen außerhalb dieser Funktionen nicht passen. Aus der Aussage, Gottesdienst sei keine hoheitliche Tätigkeit und kirchliche Kulthandlungen – wie das liturgische Glockengeläut – seien auch nicht als schlicht hoheitliches Handeln zu betrachten, läßt sich deshalb für die Frage des anzuwendenden Rechts und damit des Rechtsweges nichts herleiten. Insbesondere rechtfertigt sie nicht die Schlußfolgerung, die immissionsrechtlichen Beziehungen zwischen Kirche und Nachbarn hätten ihre Grundlage im Privatrecht und die Kirchen stünden gegenüber ihren Nachbarn, die sich auf Lärmschutz berufen, nicht anders da als jeder Private. Diese Auffassung wird dem geltenden Verfassungsrecht nicht gerecht, wie Isensee in seiner aus Anlaß dieser Streitigkeit erstatteten gutachtlichen Stellungnahme (Gedächtnisschrift für Constantinesco 1983 S. 301 – 318) überzeugend dargelegt hat. Die Rechtsformgarantie der Verfassung für kirchliche Körperschaften liefe leer, wenn nur solche kirchlichen Akte, die auf vom Staat verliehene Befugnisse zurückgehen, als öffentlich-rechtlich qualifiziert würden und die Kirchen insoweit keine andere Stellung hätten als ein beliehener Unternehmer.
Der verfassungsrechtlich garantierte Körperschaftsstatus der Kirchen hat hiernach nicht nur – wie das Berufungsgericht meint – „verbale” Bedeutung. Vielmehr ist es verfassungsrechtlich geboten, neben den Körperschaften des öffentlichen Rechts im verwaltungsrechtlichen Sinn die kirchlichen Körperschaften des öffentlichen Rechts als Rechtssubjekte anzuerkennen, deren Wirken, soweit es der staatlichen Rechtsordnung unterliegt, grundsätzlich dem öffentlichen Recht angehört. Auch das Bundesverfassungsgericht bezeichnet die „kirchliche Gewalt” außerhalb des Bereichs der vom Staat verliehenen Befugnisse als zwar nicht staatliche, aber doch „öffentliche” Gewalt (BVerfGE 18, 385 [387]).
Kirchliche Streitigkeiten der hier in Frage stehenden Art, für die staatliche Gerichte zuständig sind, sind deshalb grundsätzlich als öffentlich-rechtlich gemäß § 40 Abs. 1 VwGO zu behandeln; die Vermutung spricht für die öffentlich-rechtliche Qualifikation (Isensee, a.a.O. S. 317), wobei hier offenbleiben kann, welche Ausnahmen in Betracht kommen. Das liturgische Glockengeläut ist eine typische Lebensäußerung der öffentlichrechtlichen Körperschaft Kirche und damit nach der Natur des Rechtsverhältnisses öffentlich-rechtlich. Auch die Widmung der Kirchenglocken als öffentliche Sachen, zu der die Kirchen aufgrund ihres Körperschaftsstatus befähigt sind, begründet zwischen dem öffentlich-rechtlichen Träger der Sache und dem Nachbarn, dessen Rechte durch den widmungsgemäßen Gebrauch der Sache betroffen werden, eine öffentlich-rechtliche Beziehung. Es leuchtet nicht ein, die Widmung und den Sachbesitz dem öffentlichen Sonderrecht zu unterstellen, dagegen den widmungsgemäßen Sachgebrauch als privatrechtlich zu beurteilen (vgl. Isensee, a.a.O. S. 318; ferner Renck in BayVBl. 1982, 329 f.).
Das Berufungsurteil ist mithin aufzuheben, weil es auf einer Verletzung des § 40 Abs. 1 VwGO und des Art. 137 Abs. 5 WRV in Verbindung mit Art. 140 GG beruht. Für die vorliegende Klage auf Unterlassung des kirchlichen Glockenläutens steht der Verwaltungsrechtsweg offen.
3. In der Sache selbst ist das erstinstanzliche Urteil wiederherzustellen. Das Verwaltungsgericht hat die Klage im Ergebnis zutreffend abgewiesen.
Dem Kläger steht der von ihm geltend gemachte Unterlassungsanspruch nur nach Maßgabe dessen zu, was § 22 Abs. 1 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes – BImSchG – vom 15. März 1974 (BGBl. I S. 721) dem Nachbarn nicht genehmigungsbedürftiger Anlagen an Schutz gewährt (a); danach kann der Kläger nicht verlangen, daß in der Sommerzeit das Angelus-Läuten erst um 7.00 Uhr morgens stattfinden darf (b).
a) Nach Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV ordnen die Kirchen ihre Angelegenheiten innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes selbständig; sie sind dabei also an die Schranken gebunden, die ihnen die für alle geltenden Gesetze des Staates ziehen. Dieser muß seinerseits die wertsetzende Bedeutung des verfassungsrechtlich garantierten kirchlichen Selbstbestimmungsrechts achten (vgl. BVerfGE 42, 312 [332 ff.]; 53, 366 [404]). Demgemäß ist es in erster Linie Sache der Beklagten, darüber zu befinden, ob, wann und wie sie zu kultischen Zwecken läuten will. Dieses Läuten ist aber mit Geräuschimmissionen verbunden, die zu schädlichen Umwelteinwirkungen führen und damit staatlich zu wahrende Belange oder Rechtspositionen Dritter beeinträchtigen können. Im Hinblick hierauf darf und muß der Staat auch dem Läuten, das kultischen Zwecken dient, Grenzen setzen. Eine solche Grenze bildet die Vorschrift des § 22 Abs. 1 Satz 1 BImSchG, die dem Betreiber einer nicht genehmigungsbedürftigen Anlage im Interesse des Immissionsschutzes bestimmte Grundpflichten auferlegt. Diese gelten, was Geräuschimmissionen anlangt, nach § 22 Abs. 1 Satz 2 BImSchG auch für Anlagen, die nicht gewerblichen Zwecken dienen und nicht im Rahmen wirtschaftlicher Unternehmungen Verwendung finden. Als Inhalt eines für alle geltenden Gesetzes im Sinne des Art. 137 Abs. 3 WRV sind jene Pflichten – jedenfalls grundsätzlich – für die Kirchen verbindlich und damit auch auf Schallimmissionen anwendbar, die durch kirchliches Glockenläuten verursacht werden. Kirchenglocken unterfallen nämlich dem weiten Anlagenbegriff des § 3 Abs. 5 BImSchG; sie sind als Teile des kirchlichen Gebäudes ortsfeste Einrichtungen im Sinne von § 3 Abs. 5 Nr. 1 BImSchG. Als solche dürfen sie gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 BImSchG nicht so betätigt werden, daß von ihnen nach dem Stand der Technik vermeidbare Geräuschimmissionen ausgehen, die schädliche Umwelteinwirkungen darstellen, also nach Art, Ausmaß oder Dauer geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen (§ 3 Abs. 1 BImSchG). Es kann hier offenbleiben, ob und auf welche Weise staatliche Behörden gegen ein solches übermäßiges Glockengeläut der Kirchen einschreiten können; der Kläger als Nachbar kann sich jedenfalls auf diesen gesetzlichen Schutz vor Geräuschimmissionen berufen.
b) Die Beklagte hat mit ihrem sommerlichen Angelus-Läuten dem Kläger gegenüber die ihr durch § 22 Abs. 1 BImSchG gezogenen Grenzen nicht verletzt. Das Läuten beeinträchtigt ihn nicht in einer Weise, die als erhebliche Belästigung im Sinne von § 3 Abs. 1 BImSchG gewertet werden kann. Das wäre nur dann der Fall, wenn es – bezogen auf das Empfinden eines verständigen Durchschnittsmenschen, nicht auf die individuelle Einstellung eines besonders empfindlichen Nachbarn – das zumutbare Maß überschritte (vgl. BVerwGE 50, 49 [55]). Eine solche Fallgestaltung ist hier zu verneinen. Mit dem herkömmlichen täglichen Glockenläuten wird in aller Regel die Grenze des Zumutbaren nicht überschritten. Das kultische Glockengeläut ist eine jahrhundertealte kirchliche Lebensäußerung, die, wenn sie sich nach Zeit, Dauer und Intensität im Rahmen des Herkömmlichen hält, auch in einer säkularisierten Gesellschaft bei Würdigung der widerstreitenden Interessen hinzunehmen ist. Das morgendliche Angelus-Läuten soll nach dem Vortrag der Beklagten die Gemeindemitglieder zu Beginn des Tagewerks zum Gebet aufrufen und damit der Verkündigung der christlichen Botschaft als der zentralen Aufgabe der Kirche dienen wie auch ein Zeichen der Präsenz der Kirche in der Gesellschaft sein. Eine solche sich im Rahmen des Herkömmlichen haltende kirchliche Lebensäußerung ist vom verfassungsrechtlich garantierten Selbstbestimmungsrecht der Kirche gedeckt und stellt zugleich einen vom Schutz des Art. 4 Abs. 2 GG erfaßten Akt freier Religionsausübung dar (vgl. BVerfGE 24, 236 [246]; BVerwGE 18, 341 [344]). Sie überschreitet nicht die Grenzen des Angemessenen und muß daher von sich gestört fühlenden Einzelpersonen oder Personengruppen – auch unter dem Gebot gegenseitiger Toleranz – als sozialadäquat ertragen werden.
Der Rahmen des Angemessenen wird im vorliegenden Fall nicht überschritten. Das Angelus-Läuten findet nicht vor Tagesanbruch statt. Die Zeit der Nachtruhe kann – zumal im Sommerhalbjahr – um 6.00 Uhr regelmäßig als beendet gelten. Davon geht auch die Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm (TA Lärm) vom 16. Juli 1968 (Beilage zum BAnz. Nr. 137 vom 26. Juli 1968) in Nr. 2.321 aus. Es ist deshalb nicht rechtswidrig, daß die Beklagte das Angelus-Läuten in der Sommerzeit auf 6.00 Uhr angesetzt hat; daran ändert der Umstand nichts, daß im Winterhalbjahr und auch an anderen Kirchen das Angelus-Läuten erst um 7.00 Uhr stattfindet, die kultische Notwendigkeit des Angelus-Läutens – was seinen Zeitpunkt anlangt – innerkirchlich also unterschiedlich beurteilt wird. Auch die Dauer des Geläuts von einer Minute ist nicht zu beanstanden. Schließlich sind keine Anhaltspunkte dafür vorhanden, daß die Stärke des Geläuts über das Übliche hinausgeht. Nach dem von der Beklagten dem Verwaltungsgericht vorgelegten Bericht über die am 20. Februar 1980 von dem erzbischöflichen Glockeninspektor durchgeführte Lautstärkemessung verursacht die Angelus-Glocke tagsüber einen Geräuschpegel von maximal 52 dB (A). Damit wird der für allgemeine Wohngebiete nach Nr. 2.321 der TA Lärm zulässige Immissionsrichtwert nicht überschritten. Der Kläger hat die Richtigkeit des von der Beklagten vorgelegten Meßergebnisses in den Vorinstanzen nicht bestritten; erst in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat hat er insoweit Zweifel angemeldet. Dem braucht der Senat jedoch nicht nachzugehen; auch ist es nicht nötig, die Frage zu vertiefen, welche Grenzen nach der Wertordnung des Grundgesetzes dem Läuterecht der Kirchen als einem durch Art. 4 Abs. 2 GG geschützten Akt der Religionsausübung gesetzt sind. Selbst wenn man nämlich unterstellt, daß das Angelus-Läuten vor der Wohnung des Klägers zu stärkeren Geräuschimmissionen führt als von der Beklagten angenommen, so ist doch nichts dafür dargetan, daß diese den üblichen Rahmen einer sozialadäquaten Einwirkung übersteigen oder ein Mißbrauch des Läuterechts vorliegt oder gar von dem Läuterecht ein derart exzessiver Gebrauch gemacht wird, daß für den Kläger die Gefahr eines gesundheitlichen Schadens herbeigeführt und damit das Grundrecht des Art. 2 Abs. 2 GG auf körperliche Unversehrtheit beeinträchtigt würde. Bewegt sich aber die Beklagte innerhalb einer ihr zustehenden Rechtsposition, so wird der Kläger durch ihr Tun nicht in einer rechtlich bedeutsamen Weise gestört und demgemäß auch nicht im Sinne von § 3 Abs. 1 BImSchG erheblich belästigt.
Die Klage muß demnach abgewiesen werden, ohne daß es noch auf die Frage ankommt, ob der Kläger mit seinem Begehren auch deshalb – wegen widersprüchlichen Verhaltens – keinen Erfolg hätte haben können, weil er sein Eigenheim in Kenntnis des regelmäßigen Glockenläutens unweit der Pfarrkirche der Beklagten errichtet hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Unterschriften
Prof. Dr. Sendler, Klamroth, Willberg, Kreiling, Seebass
Fundstellen