Entscheidungsstichwort (Thema)
Energieversorgung, öffentliche. Errichtung einer 110 kV-Stromfreileitung. Enteignung zu Gunsten privater Energieversorgungsunternehmen. Gemeinwohlbindung. Fehlen eines Fachplanungsvorbehalts. Genehmigung, raumordnerische. Bedarfsfeststellung, aufsichtsbehördliche. Vorhabenkontrolle durch Enteignungsbehörde
Leitsatz (amtlich)
1. Die Enteignung für Zwecke der öffentlichen Energieversorgung zu Gunsten privatrechtlich organisierter Energieversorgungsunternehmen nach § 11 EnWG 1935 und § 12 EnWG 1998 war und ist mit Art. 14 GG vereinbar (im Anschluss an BVerfGE 66, 248).
2. Die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG zwingt nicht dazu, Bau und Betrieb einer 110 kV-Stromfreileitung generell einem fachplanerischen Planfeststellungsverfahren mit enteignungsrechtlicher Vorwirkung zu unterwerfen.
3. Nach § 11 Abs. 1 EnWG 1935 bzw. § 12 Abs. 1 und 2 EnWG 1998 stellt die Energieaufsichtsbehörde mit Bindungswirkung für die Enteignungsbehörde fest, dass das Wohl der Allgemeinheit den Entzug oder die Beschränkung von Grundeigentum für eine Stromfreileitung generell (dem Grunde nach) rechtfertigt. Diese Entscheidung schließt die Feststellung des energiewirtschaftlichen Bedarfs mit ein.
4. Im Übrigen hat die Enteignungsbehörde die Vorhabenplanung grundsätzlich uneingeschränkt zu überprüfen (wie BVerwGE 72, 365 ≪367≫).
Normenkette
GG Art. 14 Abs. 1, 3, Art. 100 Abs. 1 S. 1; EnWG 1935 § 11; EnWG 1998 § 12
Verfahrensgang
VGH Baden-Württemberg (Urteil vom 08.09.1999; Aktenzeichen 10 S 1406/98) |
Nachgehend
Tenor
Die Revision der Kläger gegen das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 8. September 1999 wird zurückgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Revisionsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Tatbestand
I.
Die Kläger wenden sich gegen Enteignungs- und Besitzeinweisungsbeschlüsse des beklagten Landes.
Sie sind Eigentümer oder Pächter von Grundstücken, die für die Errichtung einer etwa 12 km langen Hochspannungsfreileitung mit einer Nennspannung von 110 kV zwischen T. und F. zu Gunsten des beigeladenen Energieversorgungsunternehmens beansprucht werden. Die raumordnerische Genehmigung für die Errichtung der Freileitung wurde der Beigeladenen 1992 erteilt. Mit Bescheid vom 7. Juni 1996 stellte das Wirtschaftsministerium des Beklagten fest, dass die Beschränkung von Grundeigentum für den Bau und den Betrieb des Leitungsvorhabens im Wege der Enteignung zulässig ist. Daraufhin belastete das zuständige Regierungspräsidium mit Beschlüssen vom 5. Februar 1997 die Grundstücke der Kläger zu Gunsten der Beigeladenen jeweils mit einem dinglichen Leitungsrecht (beschränkt persönliche Dienstbarkeit) und wies die Beigeladene in den Besitz der Grundstücke ein. Die Widersprüche der Kläger wies es mit Widerspruchsbescheiden vom 23. April 1998 zurück, die an die Kläger zu 17 am 30. April 1998, an die Klägerin zu 30 am 29. April 1998 und an die übrigen Kläger früher (ab 24. April 1998) zugestellt wurden:
Die Enteignungen seien zum Wohl der Allgemeinheit erforderlich. Die vorhandenen Stromkapazitäten reichten zur Energieversorgung des Raumes … bereits jetzt und erst recht in der Zukunft nicht aus. Alternative Trassenführungen, (Teil-)Verkabelungen, die Verstärkung des bestehenden 20 kV-Stromnetzes sowie alternative Formen der Energieerzeugung (Blockheizkraftwerk, Windenergie) könnten den Energiebedarf aus technischen oder wirtschaftlichen Gründen nicht ausreichend decken. Grundeigentum bzw. Pachtland der Kläger werde nur in geringem Umfang beansprucht. Gesundheitsgefahren für die betroffenen Anwohner seien nicht zu befürchten. Die Eingriffe in Natur und Landschaft sowie die Gefahr für den Vogelflug (insbesondere im Donautal) seien zwar schwerwiegend; sie seien nicht zu vermeiden und auch nicht auszugleichen. Gleichwohl sei dem öffentlichen Interesse an einer gesicherten Stromversorgung der Bereiche F. und A. der Vorrang gegenüber den Beeinträchtigungen des Naturhaushaltes und des Landschaftsbildes einzuräumen. Außerdem werde durch den vorgesehenen Abbau mehrerer 20 kV-Leitungen in einem anderen ökologisch äußerst wertvollen Bereich im Donautal ein ausgleichender Ersatz an anderer Stelle bewirkt. Die Freileitung wurde inzwischen errichtet.
Der Verwaltungsgerichtshof hat die Anfechtungsklagen der Kläger nach Einnahme eines Augenscheins an ausgewählten Punkten der Freileitung mit Urteil vom 8. September 1999 (NuR 2000, 455) abgewiesen, im Wesentlichen mit der folgenden Begründung:
Rechtsgrundlage der Enteignungsmaßnahmen seien die Vorschriften des Landesenteignungsgesetzes (LEntG). § 11 Abs. 1 des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) 1935 lasse die Enteignung für Zwecke der öffentlichen Energieversorgung nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 66, 248) auch zu Gunsten (wie hier) privatrechtlich organisierter Energieversorgungsunternehmen zu. Die Enteignungsbehörde (Regierungspräsidium) habe umfassend geprüft, ob das Vorhaben zum Wohl der Allgemeinheit erforderlich sei und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspreche. Sie habe die Vorhabenplanung der Beigeladenen abwägend nachvollzogen. Die Feststellung des Energiebedarfs in dem betroffenen Raum sei nicht zu beanstanden. Der von den Klägern erhobene Einwand unzureichender Sachverhaltsermittlung greife nicht durch. Technische Versorgungsalternativen seien erwogen und mit Recht verworfen worden. Auch die von den Klägern befürwortete Versorgung des Raumes A. vom Umspannwerk B. aus habe sich nicht als geeignete Alternative aufgedrängt. Die Trassenführung und ihre Ausgestaltung seien rechtlich einwandfrei. Die Linienführung entspreche der raumordnerischen Genehmigung, der eine umfangreiche Variantenprüfung vorausgegangen sei. Diese Linienführung habe sich die Enteignungsbehörde in zulässiger Weise zu Eigen gemacht. Die privaten Belange der Kläger seien hinreichend und zutreffend gewürdigt worden. Auch aus der Sicht des Natur- und Landschaftsschutzes seien die angefochtenen Entscheidungen nicht zu beanstanden.
Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision verfolgen die Kläger ihr Anfechtungsbegehren weiter. Sie machen im Wesentlichen geltend: § 11 EnWG 1935 sei ebenso wie § 12 EnWG 1998 verfassungswidrig. Mit Art. 14 Abs. 3 GG sei eine Enteignung zu Gunsten eines privatrechtlich organisierten Energiewirtschaftsunternehmens nicht vereinbar. Die Bindungskraft des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 20. März 1984 (BVerfGE 66, 248) sei entfallen, da sich die diesem Beschluss zugrunde liegenden tatsächlichen Verhältnisse zwischenzeitlich geändert hätten. Mit Art. 14 Abs. 3 GG unvereinbar sei ferner, dass der Enteignung nach § 11 EnWG 1935 (§ 12 EnWG 1998) in Verbindung mit dem Landesenteignungsgesetz kein fachplanerisches Planfeststellungsverfahren mit enteignungsrechtlicher Vorwirkung vorgeschaltet sei. Nur in einem Planfeststellungsverfahren sei der notwendige „Grundrechtsschutz durch Verfahren” gewährleistet, der eine umfassende Abwägung der öffentlichen und der privaten Belange des enteignungsbegünstigten Unternehmens sowie der enteignungsbetroffenen Grundeigentümer erfordere. Außerdem müsse bei der Enteignung zu Gunsten eines privaten Versorgungsunternehmens entweder im Verwaltungsverfahren oder im gerichtlichen Verfahren ein Sachverständiger zur Kapazität des vorhandenen Leitungsnetzes, zum Energiebedarf sowie zur Zweckmäßigkeit der geplanten Freileitung und etwaiger technischer Alternativen gehört werden. Das sei hier versäumt worden. Ein Sachverständigengutachten hätte ergeben, dass die von den Klägern vorgeschlagene Alternative, das Hammerwerk F. über ein 20 kV-(Doppel-)Kabel anzubinden und den Raum A. über das Umspannwerk B. zu versorgen, die energiewirtschaftlich sinnvollere und billigere Lösung gewesen wäre. Schließlich müsse die behördliche Energiebedarfsprognose einer uneingeschränkten gerichtlichen Kontrolle unterliegen.
Der Beklagte und die Beigeladene verteidigen das angefochtene Urteil und beantragen Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
II.
Die zulässige Revision ist nicht begründet. Der Verwaltungsgerichtshof hat zu Recht entschieden, dass die angefochtenen Enteignungs- und Besitzeinweisungsbeschlüsse in der Fassung der jeweiligen Widerspruchsbescheide rechtmäßig sind und die Kläger nicht in ihren Rechten verletzen. Die Entscheidungen der Enteignungsbehörde finden ihre Rechtsgrundlage in § 11 Abs. 1 und 2 des Energiewirtschaftsgesetzes vom 13. Dezember 1935 (RGBl I S. 1451, BGBl III S. 752-1) in Verbindung mit dem Landesenteignungsgesetz vom 6. April 1982 (GBl S. 97 – mit späteren Änderungen), die am 29. und 30. April 1998 zugestellten Widerspruchsbescheide auch in § 12 des Energiewirtschaftsgesetzes in der Fassung des Art. 1 des Gesetzes zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts vom 24. April 1998 (BGBl I S. 730), das am 29. April 1998 in Kraft getreten ist. Entgegen der Revision sind die bundesgesetzlichen Grundlagen der Enteignungsmaßnahmen mit der Eigentumsgarantie in Art. 14 GG vereinbar. Die inhaltliche Überprüfung der Enteignungsmaßnahmen durch den Verwaltungsgerichtshof ist revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden.
1. Nach § 11 Abs. 1 EnWG 1935 hatte die Energieaufsichtsbehörde die Zulässigkeit der Enteignung festzustellen, soweit für Zwecke der öffentlichen Energieversorgung die Entziehung oder die Beschränkung von Grundeigentum oder Rechten am Grundeigentum im Wege der Enteignung erforderlich wurde. Eine inhaltsgleiche Regelung enthielt § 12 Abs. 1 und 2 EnWG 1998. Diese Regelungen trafen die gesetzgeberische Grundentscheidung, Enteignungen für Zwecke der öffentlichen Energieversorgung zuzulassen (vgl. nunmehr § 12 Abs. 1 und 2 EnWG i.d.F. des Änderungsgesetzes vom 27. Juli 2001 – BGBl I S. 1950). Sie enthielten eine gesetzliche Konkretisierung des Enteignungszwecks (Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG). Nach diesen Vorschriften war die Enteignung für Zwecke der öffentlichen Energieversorgung auch zu Gunsten solcher Energieversorgungsunternehmen zulässig, die – wie hier die Beigeladene – privatrechtlich organisiert waren (vgl. § 2 Abs. 2 Satz 1 und 2 EnWG 1935, § 2 Abs. 3 EnWG 1998). Unter der Geltung dieser Vorschriften bedurfte die Errichtung einer Hochspannungsfreileitung mit einer Nennspannung von 110 kV nicht der Planfeststellung (anders nunmehr § 11 a Abs. 1 EnWG 2001). Die dagegen erhobenen verfassungsrechtlichen Einwände der Revision greifen nicht durch.
1.1 Nach dem auf Richtervorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG ergangenen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 20. März 1984 (BVerfGE 66, 248) ist es mit dem Grundgesetz vereinbar, dass § 11 Abs. 1 EnWG 1935 die Enteignung für Zwecke der öffentlichen Energieversorgung auch zu Gunsten privatrechtlich organisierter Energieversorgungsunternehmen zulässt. An die Entscheidungsformel und die tragenden Entscheidungsgründe dieses Beschlusses ist das Bundesverwaltungsgericht nach § 31 Abs. 1 BVerfGG gebunden. Eine erneute Richtervorlage nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG ist zwar nicht ausgeschlossen, wenn tatsächliche oder rechtliche Veränderungen eingetreten sind, welche die Grundlage der früheren Entscheidung berühren oder deren Überprüfung nahe legen. Zu den Veränderungen, die eine erneute Vorlage stützen können, gehört auch ein grundlegender Wandel in einer für die Vorlagefrage maßgeblichen Rechtsauffassung oder in der Auslegung der Norm, die bereits Gegenstand der Vorlage war. In Betracht kommt aber auch ein Wandel der allgemeinen Lebensverhältnisse und der sie prägenden Lebensanschauungen selbst (BVerfGE 87, 341 ≪346≫; 65, 179 ≪181 f.≫; 39, 169 ≪181 ff.≫ m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind hier jedoch nicht erfüllt.
Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 20. März 1984 beruht auf den folgenden tragenden Erwägungen: Die Enteignung zu Gunsten eines privatrechtlich organisierten Unternehmens sei jedenfalls dann zulässig, wenn einem solchen Unternehmen durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes die Erfüllung einer dem Gemeinwohl dienenden Aufgabe zugewiesen und zudem sichergestellt sei, dass es zum Nutzen der Allgemeinheit geführt werde. Die Sicherstellung der Energieversorgung sei eine öffentliche Aufgabe von größter Bedeutung. Die Energieversorgung gehöre zum Bereich der Daseinsvorsorge; sie sei eine Leistung, deren der Bürger zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz unumgänglich bedürfe. Das Energiewirtschaftsgesetz 1935 (§ 2 Abs. 2) weise die Erfüllung dieser öffentlichen Aufgabe auch den privatrechtlich organisierten Energieversorgungsunternehmen zu. Die Führung dieser Unternehmen zum Nutzen der Allgemeinheit werde durch die in § 6 Abs. 1 EnWG 1935 statuierte allgemeine Anschluss- und Versorgungspflicht sowie durch die Instrumente der in § 1 EnWG 1935 angeordneten staatlichen Energieaufsicht gewährleistet (vgl. BVerfGE 66, 248 ≪257 – 258≫. Hier setzt der Angriff der Revision an. Nach Ansicht der Kläger ist aufgrund zwischenzeitlich eingetretener tatsächlicher und rechtlicher Entwicklungen die Gemeinwohlbindung privater Energieversorgungsunternehmen nicht (mehr) gewährleistet. Dieses Vorbringen gibt dem erkennenden Senat keinen Anlass, gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG erneut eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Zulässigkeit der Enteignung zu Gunsten eines privaten Energieversorgungsunternehmens einzuholen. Das Revisionsvorbringen ist nicht geeignet, die Bindungswirkung des § 31 BVerfGG entfallen zu lassen.
1.1.1 Die Kläger machen zunächst geltend, die Instrumente der Energieaufsicht nach dem Energiewirtschaftsgesetz 1935 seien nicht so effektiv, wie es die gesetzlichen Formulierungen, auf die das Bundesverfassungsgericht allein abgestellt habe, nahe legten. Die vermeintlich intensive Kontrolle der Versorgungsunternehmen habe nie funktioniert und auch nicht funktionieren können. Das gelte insbesondere für die Preis- und Investitionskontrolle. Das wird im Anschluss an das wissenschaftliche Schrifttum (u.a. J.-P. Schneider, Liberalisierung der Stromwirtschaft durch regulative Marktorganisation, 1999, S. 93 ff., 104 ff.; G. Hermes, Staatliche Infrastrukturverantwortung, 1998, S. 506 ff. m.w.N.) näher begründet.
Dieser Revisionsvortrag beruht auf Tatsachen, die der Verwaltungsgerichtshof nicht festgestellt hat. Sie sind im Revisionsverfahren (im Hinblick auf Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG) gleichwohl zu berücksichtigen, soweit sie allgemeinkundig sind. Der Senat kann unterstellen, dass das energierechtliche Aufsichtsinstrumentarium unter der Geltung des Energiewirtschaftsgesetzes 1935 bis zum In-Kraft-Treten der Neufassung 1998 mit Mängeln behaftet war. Das wissenschaftliche Schrifttum lässt hieran kaum Zweifel (vgl. hierzu die vorgenannten Autoren sowie F. Hölzer, Der Energiesektor zwischen Marktwirtschaft und öffentlicher Aufgabe, 2000, S. 90 ff., 180 ff. m.w.N.). Die mit der Revision gerügten Mängel der staatlichen Energieaufsicht sind nicht neu. Die Effektivität der „Kontrolle durch Aufsicht” wird seit langem infrage gestellt (vgl. G. Hermes, a.a.O., S. 509). Sie war bereits in den Jahren vor der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom März 1984 Gegenstand wissenschaftlicher Auseinandersetzung und Kritik (vgl. u.a. M. Bullinger, Der Staat 1962, S. 449 ≪459, 472≫; H. D. Jarass, Der Staat 1978, S. 507 ≪519 f., 525≫ m.w.N.). Vor diesem rechtlichen und tatsächlichen Hintergrund hat das Bundesverfassungsgericht gleichwohl die Enteignung zu Gunsten privatrechtlich organisierter Energieversorgungsunternehmen für zulässig gehalten und ihre Führung zum Nutzen der Allgemeinheit als gewährleistet angesehen. Der von der Revision nunmehr herausgestellte „Mängelkatalog” der staatlichen Energieaufsicht bezeichnet deshalb keine neuen Umstände, aus denen sich eine Veränderung der vom Bundesverfassungsgericht im Jahr 1984 festgestellten verfassungsrechtlichen Lage ergibt.
1.1.2 Die Kläger sehen sich in ihrer Rechtsauffassung, die in § 11 Abs. 1 EnWG 1935 und § 12 Abs. 1 EnWG 1998 zugelassene Enteignung zu Gunsten privater Energieversorgungsunternehmen sei mit Art. 14 GG unvereinbar, durch die Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts (Gesetz vom 24. April 1998, BGBl I S. 730) bestätigt. Sie machen geltend: Infolge der Liberalisierung des Strommarkts hätten die Unternehmen endgültig ihren ohnehin fragwürdigen Status als Träger einer Aufgabe der Daseinsvorsorge verloren. Sie agierten als gewinnorientierte Unternehmen im Wettbewerb. Von einer Gemeinwohlbindung sei nichts mehr erkennbar. Der Gesetzgeber habe es versäumt, den Status der Energienetzbetreiber im Sinne eines dem Allgemeinwohl verpflichteten neutralen Trägers des Transportnetzes auszugestalten.
Dieses Revisionsvorbringen ist von Bedeutung auch für die angefochtenen Enteignungsbeschlüsse in der Fassung der Widerspruchsbescheide vom 23. April 1998, die den Klägern bereits vor In-Kraft-Treten des Gesetzes zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts am 29. April 1998 zugestellt worden sind. Die Enteignung zu Gunsten privater Versorgungsunternehmen setzt voraus, dass ihre Gemeinwohlbindung dauerhaft gewährleistet ist. Im April 1998 hätte auf der Grundlage von § 11 Abs. 1 EnWG 1935 nicht mehr zu Gunsten der Beigeladenen enteignet werden dürfen, wenn ihre Gemeinwohlbindung unter den neuen Rahmenbedingungen der Energierechtsreform 1998 in wesentlicher Hinsicht abgeschwächt oder ganz entfallen wäre. Das ist jedoch nicht der Fall. Die Verpflichtung der Versorgungsunternehmen auf eine möglichst sichere, preisgünstige und umweltverträgliche leitungsgebundene Versorgung mit Elektrizität (und Gas) im Interesse der Allgemeinheit besteht nach wie vor (vgl. § 1, § 2 Abs. 3, § 4 Abs. 1 EnWG 1998). Geändert haben sich allerdings die Rahmenbedingungen und Instrumente der Energie- und Wirtschaftsaufsicht:
Vor der Energierechtsreform 1998 war die leitungsgebundene Stromversorgung durch ein Geflecht von Konzessions-, Demarkations- und Verbundverträgen zwischen Versorgungsunternehmen und Gemeinden über die Zuweisung bestimmter Versorgungsgebiete gekennzeichnet, die durch die §§ 103, 130 a GWB a.F. vom Kartellverbot der §§ 1, 15, 18 GWB a.F. freigestellt waren, jedoch der kartellrechtlichen Missbrauchsaufsicht unterlagen und im rechtlichen Kern ein System geschlossener Versorgungsgebiete darstellten. Die kartellrechtliche Missbrauchsaufsicht wurde durch Instrumente der staatlichen Energieaufsicht einschließlich der Preiskontrolle ergänzt; es bestand allgemeine Anschluss- und Versorgungspflicht (vgl. §§ 3 bis 9 EnWG 1935). Das Gesetz zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts vom 24. April 1998 hat die wettbewerbsrechtlichen Ausnahmevorschriften für den Energiesektor gestrichen (Art. 2). Demarkations- und Konzessionsverträge, die dem Wettbewerb im Energiesektor entgegenstanden, fallen nunmehr (nach Maßgabe von Übergangsvorschriften) unter das kartellrechtliche Steuerungsinstrumentarium. Rechtliche Voraussetzungen für die Monopolversorgungszuständigkeit in einem bestimmten Gebiet werden so beseitigt. Ein weiteres Kernstück der Reform ist die Ermöglichung von Wettbewerb über Durchleitungen. Nach § 6 Abs. 1 EnWG 1998 haben Betreiber von Elektrizitätsversorgungsnetzen anderen Unternehmen das Versorgungsnetz für Durchleitungen unter bestimmten Bedingungen zur Verfügung zu stellen. Der Bundesminister für Wirtschaft kann die Gestaltung der Durchleitungsverträge unter bestimmten Voraussetzungen regeln, insbesondere Kriterien zur Bestimmung von Durchleitungsentgelten festlegen (§ 6 Abs. 2 EnWG 1998).
Eine weitere Änderung betrifft die Investitionsaufsicht (§ 4 EnWG 1935), die abgeschafft wird. Das neue Recht enthält ferner Entflechtungsregelungen. Die Unternehmen sind nunmehr zur getrennten Rechnungslegung zwischen den Bereichen Erzeugung, Verteilung und Übertragung verpflichtet (§ 9 EnWG 1998). Das Versorgungsnetz ist als eigene Betriebsabteilung zu führen (§ 4 Abs. 4 EnWG 1998). Diese Vorschriften dienen ebenso wie die Auskunfts- und Überprüfungsbefugnisse nach § 18 EnWG 1998 dazu, die Transparenz der Energieversorgung im Interesse einer wirksamen Aufsicht und eines wirksamen Wettbewerbs zu erhöhen. Die Anschluss- und Versorgungspflicht bleibt für Unternehmen, die in Gemeindegebieten die allgemeine Versorgung von Letztverbrauchern durchführen, aufrechterhalten (§ 10 EnWG 1998). Auch die Preiskontrolle bleibt bestehen (§ 11 EnWG 1998).
Selbst wenn davon auszugehen wäre, dass die Energierechtsreform vom April 1998 sich so grundlegend auf den Status der Energieversorgungsunternehmen als Enteignungsbegünstigte ausgewirkt hat, dass die Bindungskraft des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom März 1984 in Frage stünde, könnte dies der Revision nicht zum Erfolg verhelfen. Die gesetzlichen Änderungen sind nach der Überzeugung des Senats jedenfalls nicht so einschneidend, dass sie die Zulässigkeit der Enteignung zu Gunsten der privatrechtlich organisierten Versorgungsunternehmen in dem hier maßgeblichen Zeitpunkt (April 1998) ernsthaft infrage gestellt haben. Die Führung der Versorgungsunternehmen zum Nutzen der Allgemeinheit ist durch die allgemeine Anschluss- und Versorgungspflicht sowie durch die Instrumente der staatlichen Energieaufsicht nach wie vor gewährleistet. Die Energierechtsreform 1998 hat zwar im Zuge der Deregulierung die Rahmenbedingungen für mehr Wettbewerb im Energiesektor geschaffen und die staatlichen Aufsichtsmittel in ihrer Reichweite modifiziert und teilweise in ihrer Intensität zurückgenommen. Der Gesetzgeber hat jedoch auf die Aufsicht und Steuerung der leitungsgebundenen Energieversorgung nicht verzichtet. Er hat die bisherigen Aufsichtsmittel im Wesentlichen beibehalten und lediglich auf die neuen Marktbedingungen zugeschnitten. Die staatliche Gewährleistungsverantwortung für eine sichere und preisgünstige Energieversorgung auch durch privatrechtlich organisierte Versorgungsunternehmen ist damit gewahrt worden.
1.2 Die Revision ist ferner der Ansicht, § 11 Abs. 1 EnWG 1935 und § 12 Abs. 1 EnWG 1998 seien verfassungswidrig, weil sie die Enteignung zu Gunsten privater Energieversorgungsunternehmen für zulässig erklärten, ohne dass der (Bundes-)Gesetzgeber dem enteignenden Zugriff auf das Privateigentum generell ein fachplanerisches Planfeststellungsverfahren mit enteignender Vorwirkung vorangestellt habe.
1.2.1 Das Bundesverwaltungsgericht hat § 11 EnWG 1935 in seiner Rechtsprechung stets als verfassungsgemäß betrachtet. Es hat allerdings § 11 Abs. 2 EnWG 1935 im Hinblick auf Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG dahin ausgelegt, dass die Enteignungsbehörde das Leitungsvorhaben einer grundsätzlich nicht eingeschränkten Prüfung zu unterwerfen habe: Soweit dabei eine Würdigung der für und wider das Vorhaben streitenden öffentlichen Belange untereinander und im Verhältnis zu den privaten Belangen erforderlich sei, habe die Behörde die Vorhabenplanung „abwägend nachzuvollziehen” (BVerwG, Urteil vom 17. Januar 1986 – BVerwG 4 C 6. und 7.84 – BVerwGE 72, 365 ≪367≫; vgl. auch Beschluss vom 9. September 1988 – BVerwG 4 B 37.88 – BVerwGE 80, 201 ≪207≫). Das Verwaltungsgericht hat die angefochtenen Enteignungsmaßnahmen sodann daraufhin zu überprüfen, ob die Enteignungsbehörde die Enteignungsvoraussetzungen zutreffend erkannt und im Einzelfall hinreichend beachtet hat.
Diese Rechtsprechung greift die Revision wiederum im Anschluss an G. Hermes (a.a.O., S. 358 ff., 433 ff.) an: Enteignungsbehörde und Verwaltungsgerichte dürften sich auf eine „nachvollziehende” Abwägungskontrolle erst zurückziehen, wenn ein öffentlicher Planungsträger in einem Planfeststellungsverfahren von der ihm eingeräumten planerischen Gestaltungsfreiheit Gebrauch gemacht habe. Der Versuch des Bundesverwaltungsgerichts, „bundesverfassungsrechtliche Minimalstandards planerischer Entscheidungsstrukturen” in das Energiewirtschaftsgesetz „zu implantieren”, sei eine „Notoperation”, die das verfahrensrechtliche Defizit dieses Gesetzes nicht beseitigen könne. Die Enteignungsentscheidung als letztes Glied in der bei anderen Infrastrukturplanungen vorhandenen Kette vorangegangener Planungsentscheidungen sei nicht in der Lage, die Last einer vollen planerischen Prüfung zu tragen. Eine Abwägung auf der Enteignungsstufe komme zu spät, da dann die Würfel längst gefallen seien. Das Raumordnungsverfahren könne nach seiner Funktion und seiner rechtlichen Struktur die fachplanerische Aufgabe nur zu einem sehr kleinen Teil erfüllen. Die Entscheidung der Energieaufsichtsbehörde über die Erforderlichkeit der Enteignung (§ 11 Abs. 1 EnWG 1935, § 12 Abs. 1 und 2 EnWG 1998) könne die erforderliche fachplanerische Entscheidung nicht ersetzen, weil ihr der verfahrensrechtliche Rahmen, insbesondere die notwendige Beteiligung der Träger öffentlicher Belange, fehle. Die Planung von Energieversorgungsleitungen sei zwangsläufig mit wertenden Prioritäts- und Prognoseentscheidungen verknüpft. Die Energieaufsichtsbehörde könne nicht aus Anlass eines einzelnen Vorhabens am Maßstab der energiewirtschaftlichen Erforderlichkeit weitreichende, die Dimensionen des zu entscheidenden Falles weit übersteigende energiepolitische Strukturentscheidungen treffen.
Nach Überprüfung dieser Einwände hält der Senat an seinen im Urteil vom 17. Januar 1986 (a.a.O.) zu § 11 EnWG 1935 entwickelten Grundsätzen fest. Das in dieser Entscheidung im Einzelnen gekennzeichnete Prüfungsverfahren der Enteignungsbehörde trägt den Anforderungen Rechnung, die an die behördliche Zulassung eines öffentliche und private Belange berührenden raumbedeutsamen Vorhabens zu stellen sind, und gewährleistet hiervon nachteilig Betroffenen auch wirksamen Rechtsschutz. Der Revision ist zwar einzuräumen, dass die Festlegung einer Leitungstrasse im Raumordnungsverfahren, die Entscheidung der Energieaufsichtsbehörde über die Erforderlichkeit der Enteignung und der Enteignungsbeschluss der Enteignungsbehörde jeweils für sich betrachtet nicht dazu bestimmt und geeignet sind, ein fachplanerisches Planfeststellungsverfahren für Energiefreileitungen zu ersetzen. Die Revision verkennt jedoch im Ansatz, dass die verfassungsrechtlichen Anforderungen des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 GG (und Art. 19 Abs. 4 GG) auch durch ein Zusammenwirken mehrerer aufeinander folgender Verfahrensstufen erfüllt werden können. Es steht dem Gesetzgeber ungeachtet der verfahrensrechtlichen Garantiefunktion des Eigentumsgrundrechts und des Gemeinwohlerfordernisses jeder Enteignung frei, zur planerischen Bewältigung komplexer raumgreifender und konfliktträchtiger Infrastrukturvorhaben „Systeme vorausliegender Planungsstufen und mehrstufiger Entscheidungsverfahren” einzuführen und die Beteiligungs- sowie Klagerechte betroffener Dritter (insbesondere der Grundeigentümer) auf die letzte zur außenverbindlichen Entscheidung führende Verfahrensstufe zu begrenzen, soweit von den vorausliegenden Ebenen keine irreversiblen nachteiligen Rechtswirkungen ausgehen (vgl. H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig, Kommentar zum GG, Stand Juli 2001, Rn. 55 zu Art. 14; BVerwG, Urteil vom 19. Juli 2001 – BVerwG 4 C 4.00 – BVerwGE 115, 17 ≪30≫; zum Bau von Energieversorgungsleitungen im Ergebnis ebenso U. Steiner, in: Festschrift für F. Fabricius, 1989, S. 271 – 290). So liegt es hier. Das Revisionsvorbringen gibt dem Senat in diesem Zusammenhang Anlass zu den folgenden Klarstellungen und Ergänzungen.
1.2.2 Die Energieversorgungsunternehmen besitzen kein „staatsfreies Trassenselbstfindungsrecht” (U. Steiner a.a.O., S. 289). Einer ersten Grobtrassierung dienen die Ziele der Regionalplanung. Hauptinstrument der Grobtrassierung ist das Raumordnungsverfahren. Nach § 1 Nr. 14 der Raumordnungsverordnung (RoV) vom 13. Dezember 1990 (BGBl I S. 2766) war für die Errichtung von Freileitungen mit 110 kV und mehr Nennspannung ein Raumordnungsverfahren durchzuführen. Das ist im vorliegenden Streitfall geschehen. Nach Art. 1 Nr. 1 der Änderungsverordnung vom 15. August 1994 (BGBl I S. 2116) ist für diese Vorhaben ein Raumordnungsverfahren durchzuführen, wenn sie im Einzelfall raumbedeutsam sind und überörtliche Bedeutung haben. Entgegen der Revision ist das Raumordnungsverfahren durchaus geeignet, die Trassenführung unter Abwägung der Raumansprüche der Versorgungsunternehmen, öffentlicher (oder sonstiger) Planungsträger sowie der Gemeinden und Gemeindeverbände auf einer ersten Stufe (im Maßstab von 1: 25 000) festzulegen.
Nach § 5 Abs. 4 in Verbindung mit § 4 Abs. 5 des Raumordnungsgesetzes vom 8. April 1965 (BGBl I S. 306) richteten sich die Ziele der Raumordnung und Landesplanung an die öffentlichen Planungsträger des Bundes und der Länder, die Gemeinden und Gemeindeverbände sowie an mit Planungsaufgaben betraute Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts, nicht hingegen an die im Einzelfall für die Genehmigung eines Vorhabens zuständigen Behörden und auch nicht an die Enteignungsbehörden. Das Raumordnungsgesetz 1965 verlieh diesen Zielen auch keine Rechtswirkungen gegenüber dem privaten Einzelnen (BVerwG, Urteil vom 11. Februar 1993 – BVerwG 4 C 15.92 – ZfBR 1993, 191 ≪192≫). Das Raumordnungsverfahren ist Gegenstand der Landesgesetzgebung. Es endet in der Regel mit einer raumordnerischen Beurteilung durch die höhere Raumordnungsbehörde. Diese Beurteilung hat gegenüber privaten Einzelnen ebenfalls keine unmittelbare Rechtswirkung; sie besitzt auch keine Konzentrationswirkung (vgl. § 13 LPlG BW i.d.F. vom 25. Februar 1992 ≪GBl 1992, 120≫).
Das Land Baden-Württemberg kennt in § 14 LPlG ein raumordnerisches Genehmigungsverfahren für Freileitungen mit 110 kV und mehr Nennspannung, das mit einer Genehmigung abschließt, die für den Träger des Vorhabens und für die an dem Verfahren beteiligten öffentlichen Planungsträger verbindlich ist (Trassengenehmigung). Nach dem Senatsbeschluss vom 9. September 1988 – BVerwG 4 B 37.88 – (BVerwGE 80, 201) ist es mit dem Raumordnungsgesetz 1965 sowie mit § 4 Abs. 2 Satz 2 und § 11 Abs. 1 EnWG 1935 vereinbar, dass ein landesrechtlich geregeltes Raumordnungsverfahren das Ergebnis der landesplanerischen Beurteilung gegenüber den beteiligten Trägern öffentlicher Belange durch Verwaltungsakt rechtsverbindlich festlegt. Die Trassengenehmigung besitzt jedoch keine Konzentrationswirkung. Private Eigentümer werden zwar im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung in das Verfahren einbezogen; die Genehmigung ergeht jedoch unbeschadet der privaten Rechte Dritter (Senatsbeschluss vom 9. September 1988 a.a.O., S. 203 f.). Die Trassengenehmigung bindet auch die Enteignungsbehörde nicht. Von ihr gehen daher keine nachteiligen Rechtswirkungen zu Lasten potentieller Enteignungsbetroffener aus.
1.2.3 Mit der Entscheidung nach § 11 Abs. 1 EnWG 1935 bzw. § 12 Abs. 1 und 2 EnWG 1998 stellt die nach Landesorganisationsrecht zur Energieaufsicht berufene Behörde (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 7. Juni 1967 – BVerwG 4 C 153.65 – Buchholz 451.17 Energiewirtschaftsgesetz Nr. 2) mit Bindungswirkung für die Enteignungsbehörde fest, dass das Wohl der Allgemeinheit den Entzug oder die Beschränkung von Grundeigentum für ein Leitungsvorhaben generell rechtfertigt. Damit steht die energiewirtschaftliche Notwendigkeit des Vorhabens, das realisiert werden soll, dem Grunde nach fest. Dem Enteignungsverfahren verbleibt die Prüfung, ob das so konkretisierte Gemeinwohl den Zugriff auf das einzelne Grundstück erfordert (in diesem Sinne zu § 11 EnWG 1935 bereits BVerwG, Beschluss vom 28. Mai 1974 – BVerwG 4 B 73.73 – Buchholz 451.17 EnergG Nr. 7; vgl. auch BVerfGE 66, 248 ≪250≫). Für die Bindung der Enteignungsbehörde an die aufsichtsbehördliche Feststellung sprechen der Wortlaut des Gesetzes und der Gesichtspunkt des aufsichtsbehördlichen (ministeriellen) Sachverstands, der die Zuständigkeitsregelung offensichtlich trägt (vgl. auch die Begründung zum Regierungsentwurf des EnWG 1998, BTDrucks 13/7274, S. 20); offen gelassen in BVerwGE 72, 365).
Die aufsichtsbehördliche Entscheidung enthält in ihrem Kern die Feststellung eines energiewirtschaftlichen Bedarfs. Diese Bedarfsfeststellung hat keine enteignungsrechtliche Vorwirkung zu Lasten betroffener Grundeigentümer. Sie ergeht unbeschadet der Rechte Privater und ist ihnen gegenüber nicht unmittelbar rechtsverbindlich (vgl. bereits Senatsbeschluss vom 28. Mai 1974 a.a.O.). Etwaige Mängel der Bedarfsfeststellung schlagen jedoch auf das nachfolgende Enteignungsverfahren durch. Nach außen hat die Enteignungsbehörde für deren Rechtmäßigkeit einzustehen. Übernimmt die Enteignungsbehörde eine fehlerhafte Bedarfsfeststellung, ohne erreicht zu haben, dass der Mangel behoben wird, so überträgt sie den Fehler in die nach außen verbindliche abschließende Enteignungsentscheidung. Deren verwaltungsgerichtliche Überprüfung schließt die Frage nach der Rechtmäßigkeit der Bedarfsfeststellung mit ein (vgl. auch BVerwG, Urteil vom 10. April 1997 – BVerwG 4 C 5.96 – BVerwGE 104, 236 ≪252≫ = Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 130 ≪S. 197 f.≫ – zur Kontrolle der Linienbestimmung im straßenrechtlichen Fachplanungsrecht).
Energiewirtschaftlich erforderlich im Sinne von § 11 Abs. 1 EnWG 1935 (§ 12 Abs. 1 EnWG 1998) ist ein Leitungsvorhaben, wenn es eine vorhandene Versorgungslücke schließen soll oder wenn es der Versorgungssicherheit dient. Eine Versorgungslücke besteht, wenn der Energiebedarf in einem Versorgungsraum gegenwärtig oder in absehbarer Zeit nicht ausreichend gedeckt werden kann. Besteht ein Energiebedarf, ist zu fragen, ob technische Alternativen der Bedarfsdeckung bestehen, die das Leitungsvorhaben erübrigen. Die Versorgungssicherheit ist z.B. gefährdet, wenn der Ausfall einer Stromleitung (oder eines Kraftwerkes) im Versorgungsraum nicht sicher beherrscht werden kann. Auch hier stellt sich die Frage, ob technische Alternativen zur Herstellung der Versorgungssicherheit ein Leitungsvorhaben überflüssig machen. Die Energierechtsreform 1998 hat das System der geschlossenen Versorgungsgebiete aufgegeben und den Zugang zum Elektrizitätsversorgungsnetz dem Wettbewerb geöffnet (§ 6 EnWG 1998). Bei der aufsichtsbehördlichen Bedarfsprüfung nach § 12 Abs. 1 EnWG 1998 waren daher Durchleitungen als Alternativen der Bedarfsdeckung ohne den Bau zusätzlicher Freileitungen zu untersuchen. Die Möglichkeiten eines verhandelten Netzzugangs waren prognostisch abzuschätzen. Kann ein Energiebedarf im Wege der Durchleitung gedeckt werden, bedarf es nicht des Neubaus einer Freileitung. Ein energiewirtschaftlicher Bedarf wäre z.B. auch zu verneinen, falls ein Freileitungsvorhaben allein die Wettbewerbsfähigkeit (Marktanteile) eines Versorgungsunternehmens sichern oder allein Zwecken der Telekommunikation („Datenautobahn”) dienen soll.
2. Nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs gehen die angefochtenen Entscheidungen des Beklagten zu Recht davon aus, dass das umstrittene Leitungsvorhaben energiewirtschaftlich erforderlich ist. Das private Eigentum kann gemäß Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG nur dann im Wege der Enteignung entzogen werden oder beschränkt werden, wenn es im konkreten Fall benötigt wird, um besonders schwerwiegende und dringende öffentliche Interessen zu verwirklichen (vgl. BVerfGE 45, 297 ≪321 f.≫; 74, 264 ≪289≫). Der Enteignungsbetroffene hat einen aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG folgenden verfassungsrechtlichen Anspruch auf effektive gerichtliche Prüfung, ob der konkrete Zugriff auf sein Eigentum diesen Anforderungen genügt (vgl. BVerfGE 95, 1 ≪22≫). Das Urteil der Vorinstanz wird diesem Prüfungsmaßstab gerecht.
2.1 Das Wirtschaftsministerium des Beklagten hat mit Bescheid vom 7. Juni 1996 die Zulässigkeit der Enteignung zu Gunsten der Beigeladenen festgestellt, weil der Bau und Betrieb der 110 kV-Doppelleitung T.-F. erforderlich sei, um die erforderliche Übertragungskapazität in den Raum F. dauerhaft sicherzustellen, und dies damit begründet, dass die Kapazität des bestehenden Leitungsnetzes angesichts der jährlichen Zunahme des Strombedarfs in diesem Versorgungsgebiet nicht mehr ausreiche. Der Verwaltungsgerichtshof lässt allerdings ausdrücklich offen, ob die Entscheidung der Aufsichtsbehörde nach § 11 Abs. 1 EnWG 1935 für die Enteignungsbehörde bindend war. Er überprüft die Bedarfsfeststellungen und Bedarfsprognosen der Enteignungsbehörde. Das ist im vorliegenden Fall unschädlich, weil die Enteignungsbehörde nach eigener eingehender Prüfung selbst zu dem Ergebnis gelangt ist, dass die Enteignung der Kläger zum Wohl der Allgemeinheit erforderlich ist und der Enteignungszweck auf andere zumutbare Weise nicht erreicht werden kann. Ihrem Inhalt nach konkretisiert und bestätigt die Bedarfsprüfung der Enteignungsbehörde somit die vorangegangene aufsichtsbehördliche Bedarfsfeststellung.
2.2 Nach Ansicht der Revision lässt sich aus Art. 14 Abs. 3 Satz 1 und 3 GG sowie aus Art. 19 Abs. 4 GG herleiten, dass vor der Enteignung zu Gunsten eines privaten Energieversorgungsunternehmens generell im Enteignungsverfahren, spätestens aber im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ein Sachverständigengutachten zur energiewirtschaftlichen Notwendigkeit eines Freileitungsvorhabens einzuholen ist. Die Kläger erheben den Vorwurf unzureichender Sachverhaltsermittlung, weil der Verwaltungsgerichtshof ihrer Anregung, ein Sachverständigengutachten zur Kapazität des vorhandenen Leitungsnetzes im Raum …, zur gegenwärtigen und zukünftigen Stromnachfrage sowie zu technischen Alternativen des umstrittenen Leitungsvorhabens einzuholen, nicht gefolgt sei. Die Enteignungsbehörde habe ebenfalls keinen externen Sachverstand konsultiert.
Entgegen der Revision besteht in Fällen, in denen für Zwecke der öffentlichen Energieversorgung zu Gunsten eines privatrechtlich organisierten Versorgungsunternehmens enteignet werden soll, weder für das Enteignungs- noch für ein nachfolgendes Verwaltungsgerichtsverfahren die generelle Verpflichtung zur Heranziehung von Sachverständigen. Behörde und Gericht haben zwar den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen und aufzuklären (§ 24 Abs. 1 und 2, § 26 Abs. 1 VwVfG, § 86 Abs. 1 VwGO). Die Bildung der richterlichen Überzeugung nach § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO setzt ferner voraus, dass das Gericht alle vernünftigerweise zu Gebote zustehenden Möglichkeiten einer Aufklärung des für seine Entscheidung maßgeblichen Sachverhalts ausschöpft. Dabei ist das Gericht jedoch gesetzlich nicht auf bestimmte Beweismittel festgelegt. Art und Umfang der Ermittlungen lassen sich nicht generell und abstrakt rechtssatzförmig bestimmen. Das Gericht bestimmt die im Einzelfall in Betracht kommenden Beweismittel nach pflichtgemäßem Ermessen danach, ob und inwieweit sie im konkreten Fall zur Erforschung des Sachverhalts geeignet erscheinen. Das gilt auch für den Sachverständigenbeweis. Die Feststellung der energiewirtschaftlichen Notwendigkeit eines Leitungsvorhabens, die die Prüfung technischer Alternativen einschließt, ist überdies mit wertenden Einschätzungen, Prognosen und Abwägungen verbunden, die vom Gericht nicht durch eigene zu ersetzen, sondern als rechtmäßig hinzunehmen sind, soweit sie methodisch einwandfrei zustande gekommen und in der Sache vernünftig sind. Dies hat der Senat bereits in seinem Urteil vom 17. Januar 1986 (BVerwGE 72, 365 ≪367≫) ausgeführt. Daran ist festzuhalten. Zu einer weiterreichenden Sachverhaltsaufklärung ist das Gericht bei der Überprüfung einer Enteignungsentscheidung nur verpflichtet, wenn und soweit sich eine solche in Bezug auf die nach seiner Rechtsauffassung entscheidungserheblichen Tatsachen aufdrängt. Dies kann im Revisionsverfahren zum Gegenstand einer Verfahrensrüge gemacht werden.
Im Revisionsverfahren haben die Kläger jedoch eine Aufklärungsrüge (§ 86 Abs. 1 VwGO), die den Darlegungsanforderungen des § 139 Abs. 3 Satz 4 VwGO genügt, nicht erhoben. Da sie im erstinstanzlichen Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof einen entsprechenden Beweisantrag nach § 86 Abs. 2 VwGO nicht gestellt haben, hätten sie mit der Revision darlegen müssen, aus welchen Gründen sich dem Verwaltungsgerichtshof auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung die Notwendigkeit einer Beweiserhebung in Form des Sachverständigenbeweises hätte aufdrängen müssen. Der Verwaltungsgerichtshof begründet in seinem Urteil (vgl. UA S. 14 – 18) ausführlich, aus welchen Gründen er von einer weiteren Aufklärung des Sachverhalts im Hinblick auf die von den Klägern bestrittene energiewirtschaftliche Notwendigkeit des Leitungsvorhabens abgesehen hat. Diese Ausführungen schließen die von den Klägern erst im Klageverfahren angesprochenen Alternativen der Bedarfsdeckung (Anbindung des Hammerwerks F. mit einem 20 kV-Doppelkabel, Versorgung des Raumes A. über das Umspannwerk B.) ein. Mit diesen Urteilsausführungen setzt die Revision sich nicht hinreichend konkret und substantiiert auseinander. Die „vorsorglich” erhobene Aufklärungsrüge muss daher erfolglos bleiben.
2.3 Die Revision greift die erstinstanzliche Kontrolle der Bedarfsfeststellung ferner unter einem rechtlichen Gesichtspunkt an: Der Verwaltungsgerichtshof habe verkannt, dass die Beigeladene zur Begründung des umstrittenen Vorhabens wesentlich auf die Versorgungssicherheit für den Raum A. abgestellt habe. Nach Angaben der Beigeladenen sei bei Ausfall einer Leitung von T. in den Raum A. die Stromversorgung dieses Raumes gefährdet; um den Raum A. im Fall einer Havarie über F. versorgen zu können, müsse in F. eine größere Leistungskapazität sowie ein Umspannwerk zur Verfügung stehen. Diese Bedarfsbegründung der Beigeladenen berücksichtige nicht, dass der Raum A. über das Umspannwerk B. einfacher und billiger hätte versorgt werden können. Die Beigeladene habe über § 6 EnWG 1998 (und § 19 Abs. 4 Nr. 4 GWB) ungeachtet der Eigentumslage dieses Umspannwerks vollen Zugriff auf dieses gehabt und nach § 13 EnWG 1998 auch die erforderlichen Wegerechte für den Leitungsbau in den Raum A. erhalten. Die Enteignungsbeschlüsse des Beklagten hätten noch auf das „Modell geschlossener Versorgungsmärkte” abgestellt, das mit der Liberalisierung der Strommärkte nicht mehr haltbar gewesen sei. Die Beigeladene habe hier in einer „technischen Insellösung” gedacht, obwohl das rechtlich gar nicht geboten gewesen sei. Darin liege ein grundlegender Bewertungs- und Prognosefehler, der die Aufhebung der angefochtenen Bescheide rechtfertige.
Der Verwaltungsgerichtshof hat offen gelassen, wie hoch die Kosten dieser technischen Versorgungsalternative sein würden und ob der Eigentümer des Umspannwerks B. bereit gewesen wäre, einen Umbau oder eine Umrüstung des Umspannwerks zu dulden. Er hat den Einwand der Kläger mit der rechtlichen Erwägung zurückgewiesen, dass das Durchleitungsrecht nach § 6 EnWG 1998 ein Recht der Beigeladenen auf Umrüstungen oder einen Umbau des „in fremden Eigentum stehenden Umspannwerks B. nicht hergibt”.
Der erkennende Senat lässt dahingestellt, ob der Verwaltungsgerichtshof die von den Klägern angeführte technische Versorgungsalternative für den Raum A. ohne konkrete Feststellungen zur Bereitschaft des (der) Eigentümer des Umspannwerks B. und zu den Kosten dieser Versorgungsalternative im Hinblick auf den durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1, Art. 19 Abs. 4 GG verbürgten Anspruch auf effektive gerichtliche Prüfung der Enteignungsvoraussetzungen zurückweisen durfte. Im Ergebnis scheitert das Revisionsvorbringen zur alternativen Versorgung des Raumes A. aus einem anderen, ebenfalls vom Verwaltungsgerichtshof angeführten Grund. Wie im angefochtenen Urteil (UA S. 14) in Übereinstimmung mit den angegriffenen Enteignungsbeschlüssen ausgeführt wird, dient die umstrittene Freileitung von T. nach F. zwei selbständig nebeneinander stehenden Versorgungszwecken. Unabhängig von der Versorgung des Raumes A. im Falle einer Leitungshavarie dient die umstrittene 110 kV-Freileitung der Versorgungssicherheit des Raumes F. Nach den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz kann nämlich die Versorgung von F. und seiner Umgebung (Hammerwerk) durch die vorhandenen fünf Stromkreise mit ca. 23 Megawatt Transportkapazität nach Ausfall bereits einer Leitung zwischen T. und F. infolge eines dann eintretenden Spannungsabfalls nicht mehr sichergestellt werden. Außerdem weist die Bedarfsentwicklung im Raum T.-F. nach den tatrichterlichen Ausführungen eine steigende Tendenz auf. Die Revision verkennt, dass die Versorgung des Raumes A. danach nur einen Grund für die Errichtung der umstrittenen Freileitung bildet. Nach den Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofs besteht für die Leitung bereits ein Bedarf, weil sie der Versorgungssicherheit des Raumes F. dient. Diesen selbständigen Bedarfsgesichtspunkt hatte die Beigeladene bereits in ihren Antragsunterlagen angeführt, wie sich aus den von der Vorinstanz beigezogenen Verwaltungsakten ergibt.
3. Der Verwaltungsgerichtshof hat ferner im Einklang mit Art. 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 GG eingehend geprüft, ob die Verwirklichung des Leitungsvorhabens in seiner konkreten Trassenführung und deren Ausgestaltung den verfolgten Enteignungszielen und dem Gemeinwohlerfordernis entspricht. Er hat sich dabei von den im Senatsurteil vom 17. Januar 1986 (a.a.O., S. 367) aufgestellten Grundsätzen zum abwägenden Nachvollzug der Vorhabenplanung leiten lassen und ist zu dem Ergebnis gelangt, dass die Enteignungsbehörde die Trassenführung und die betroffenen privaten Belange der Kläger rechtlich einwandfrei bewertet und gewichtet hat. Die Vorinstanz führt ferner im Einzelnen aus, dass die Enteignungsbehörde die naturschutzrechtliche Eingriffsregelung (§ 8 Abs. 2 und 3 BNatSchG a.F., § 11 LNatSchG) rechtlich einwandfrei angewendet hat. Die Revision greift diese Urteilsgründe nicht substantiiert an. Sie sind auch revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 159 Satz 1, § 162 Abs. 3 VwGO.
Unterschriften
Paetow, Berkemann, Halama, Rojahn, Gatz
Fundstellen
BVerwGE, 365 |
ZAP 2002, 1334 |
ZfIR 2003, 68 |
NuR 2003, 161 |
RdE 2003, 107 |
VBlBW 2003, 154 |
ZUR 2003, 247 |
ZfBR 2003, 59 |
DVBl. 2003, 55 |
UPR 2003, 31 |