Entscheidungsstichwort (Thema)
Aberkennung des Ruhegehalts wegen Untreuetaten eines Stabsunteroffiziers im Dienst
Leitsatz (amtlich)
Die Nichtberücksichtigung einer Nachtragsanschuldigungsschrift durch das Truppendienstgericht begründet nur dann einen schweren Verfahrensmangel im Sinne des § 121 Abs. 2 WDO, wenn die darin enthaltenen Vorwürfe für das Verfahren neu sind.
Verfahrensgang
Truppendienstgericht Nord (Urteil vom 20.08.2020; Aktenzeichen N 6 VL 36/17) |
Tenor
Auf die Berufung der Wehrdisziplinaranwaltschaft wird das Urteil der 6. Kammer des Truppendienstgerichts Nord vom 20. August 2020 aufgehoben.
Dem früheren Soldaten wird das Ruhegehalt aberkannt.
Die Kosten des gesamten Verfahrens werden dem früheren Soldaten auferlegt, der auch die ihm darin erwachsenen notwendigen Auslagen zu tragen hat.
Tatbestand
Rz. 1
Das disziplinargerichtliche Berufungsverfahren betrifft Untreuetaten im Dienst.
Rz. 2
1. Der 1986 geborene, geschiedene und für ein Kind unterhaltspflichtige frühere Soldat war nach dem Abitur und Grundwehrdienst von Mai 2008 bis Ende September 2019 Zeitsoldat. Zuletzt wurde er 2010 zum Stabsunteroffizier befördert. Seither war er beim... als Sanitätsunteroffizier im pharmazeutisch-kaufmännischen Rechnungswesen eingesetzt. Er wurde im... unter anderem mit der Erfassung und Abwicklung des Warenein- und -ausgangs sowie der Erstellung von Rechnungen und der Bearbeitung von Gutschriften von Materiallieferanten zugunsten des Bundes betraut. Nach Bekanntwerden der Vorwürfe wurde er ab Juli 2015 im Lager eingesetzt. Nach seinem Dienstzeitende schloss er eine Ausbildung zum Pharmareferenten ab, studierte zeitweise Sozialwissenschaften und ist seit Oktober 2020 für monatlich etwa 1 300 € netto bei einer Wohnungsgenossenschaft beschäftigt. Er bezieht zudem Übergangsgebührnisse von monatlich 1 655,23 € netto. Eine Übergangsbeihilfe von 19 075,14 € wurde einbehalten. Der frühere Soldat hat seine wirtschaftlichen Verhältnisse als geordnet bezeichnet.
Rz. 3
2. Im sachgleichen Strafverfahren verhängte das Amtsgericht... gegen ihn mit rechtskräftigem Urteil vom 24. Mai 2017 wegen Untreue in sechs Fällen eine Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten auf Bewährung, die nach Ablauf der zweijährigen Bewährungszeit erlassen wurde.
Rz. 4
3. Im gerichtlichen Disziplinarverfahren schuldigte die Wehrdisziplinaranwaltschaft den früheren Soldaten wie folgt an:
"1. Der Soldat hat im... in... im Zeitraum Februar 2015 bis Juli 2015 zu nicht mehr genau feststellbaren Zeitpunkten im Zusammenwirken mit dem damaligen Stabsunteroffizier S. auf Anfrage von Firmen, auf welche Konten der Bundeswehr überzahlte Beträge zurück zu überweisen seien, wahrheitswidrig sein Privatkonto angegeben, so dass ihm, wie beabsichtigt, am 16. Februar 2015 von der Firma... 1.049,16 €, am 25. Februar 2015 von der Firma... 666,29 €, am 27. Februar 2015 von der Firma... 3.211,53 €, am 1. April 2015 von der Firma... 329,86 € und am 2. Juli 2015 von der Firma... 4.487,07 € auf sein privates Konto bei der... (IBAN... BIC...) überwiesen wurden. Die Hälfte der Summe gab er dem damaligen Stabsunteroffizier S., die andere Hälfte in Höhe von 4.871,95 € behielt er für sich, wobei er wusste, dass diese Rückzahlungen dem Bund zustanden.
2. Ferner hat der Soldat am selben Ort im April 2015 zu einem genauer nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt Auftragsvorgänge an die Firma... manipuliert, indem er im Zusammenwirken mit dem damaligen Stabsunteroffizier S. Auftragsschreiben, Lagerzugangslisten und Rechnungshöhe bzgl. Daten und Unterschriften unter Nutzung alter Bestellvorlagen verfälschte und so, wie beabsichtigt, erreichte, dass Geld, das dem Bund zustand, in Höhe von 19.312,27 € von der Firma... auf das Privatkonto des damaligen Stabsunteroffiziers S. (IBAN... BIC...) überwiesen wurde. Davon erhielt er am 29. April 2015 14.000 €."
Rz. 5
Im Ermittlungsergebnis der Anschuldigungsschrift wurden folgende für das gerichtliche Disziplinarverfahren bindenden tatsächlichen Feststellungen aus dem rechtskräftigen Strafurteil wiedergegeben:
"Die Angeklagten waren im Tatzeitraum als Stabsunteroffiziere im... der Bundeswehr,..., in... eingesetzt. Im Rahmen ihrer Tätigkeit waren sie unter anderem mit der Erfassung und Abwicklung des Wareneingangs- und ausgangs, sowie der Erstellung von Rechnungen und der Bearbeitung von Gutschriften befasst. Dabei kam zunächst der Angeklagte S. allein und später auch der Angeklagte... zusammen mit dem Angeklagten S. auf den Gedanken, Materiallieferanten der Bundeswehr dazu zu veranlassen, Geldbeträge, die aufgrund von Gutschriften, die entweder im normalen Geschäftsgang anfielen oder durch die Angeklagten provoziert worden waren, zum Schaden der Bundesrepublik Deutschland auf eines Ihrer Privatkonten zu überweisen.
So im Einzelnen:
Ziffer 1 und 2
Der Angeklagte S. veranlasste im Juni 2014 die Firma... eine Gutschrift i.H.v. 45.173,08 € und sodann im August 2014 i.H.v. 804,25 € auf sein Konto bei der... mit der Nr.... zu überweisen.
Ab Februar 2015 setzten die Angeklagten absprachegemäß, unter Zusammenwirken die zuvor genannte Vorgehensweise fort. So im Einzelnen:
Ziffer 3
Am 16.2.2015 überwies die Firma... einen Betrag in Höhe von 1049,16 € auf das Konto des Angeklagten... bei der... mit der Nr....
Ziffer 4
Am 25.2.2015 überwies die Firma... ein Betrag i.H.v. 666,99 20 € auf das Konto des Angeklagten...
Ziffer 5
Am 27.2.2015 überwies die Firma... ein Betrag in Höhe von 3211,53 € auf das Konto des Angeklagten...
Ziffer 6
Am 1.4.2015 überwies die Firma... einen Betrag i.H.v. 329,86 € auf das Konto des Angeklagten...
Ziffer 7
Am 2.7.2015 überwies die Firma... ein Betrag i.H.v. 4487,07 € auf das Konto des Angeklagten...
Ziffer 8
Im Zusammenwirken mit dem Angeklagten S. veränderte der Angeklagte... einen Auftrag der Firma... nachträglich auf die doppelte Menge und veränderte entsprechend die Rechnung, so dass es wie eine Restlieferung aussehen sollte. Am Tag der Rechnungslegung rief der Angeklagte S. bei der Firma... an und bat um eine Gutschrift des fälschlich überwiesenen Betrages. Bei Eintreffen der Gutschrift sandte der Angeklagte S. diese an die Firma zurück mit der Bitte, die Summe auf das von ihm angegebene Konto, nämlich sein Privatkonto zu überweisen. Nach Erhalt des Geldes überwies der Angeklagte S. am 29.04.2015 14.000 € an den Angeklagten..."
Rz. 6
Auf den Hinweis des Vorsitzenden der Truppendienstkammer, dass der Anschuldigungspunkt 2 nur eine Schädigung der..., nicht des Bundes wiederspiegele, wurde mit Nachtragsanschuldigungsschrift vom 20. August 2020 der Anschuldigungspunkt 2 wie folgt formuliert:
"Ferner hat der frühere Soldat am selben Ort im April 2015 zu einem genauer nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt im Zusammenwirken mit Stabsunteroffizier S. Auftragsvorgänge an die Firma... manipuliert, indem er im Zusammenwirken mit dem damaligen Stabsunteroffizier S. Auftragsschreiben, Lagerzugangslisten und Rechnungen unter Nutzung alter Bestellvorlagen bzgl. Daten und Unterschriften verfälschte und so, wie beabsichtigt, erreicht, dass Geld, das aus der Bundeskasse stammte, in Höhe von 19.312,27 € von der Firma... auf das Privatkonto des damaligen Stabsunteroffiziers S. zurück überwiesen wurde. Dieser gab davon dem Soldaten 14.000 € ab."
Rz. 7
Der Vorsitzende der Truppendienstkammer erklärte, dass die Nachtragsanschuldigung nicht die gesetzlichen Vorgaben erfülle und daher nicht zugrunde gelegt werde.
Rz. 8
4. Das Truppendienstgericht hat den früheren Soldaten mit Urteil vom 20. August 2020 in den Dienstgrad eines Hauptgefreiten der Reserve herabgesetzt.
Rz. 9
Nach den bindenden tatsächlichen Feststellungen im rechtskräftigen Strafurteil sowie den Angaben des früheren Soldaten und des Zeugen Stabsunteroffizier S. sei der Anschuldigungspunkt 1 erwiesen. Damit sei ein fünffacher Betrug zu Lasten der Firmen begangen worden, die durch die Gutschriften auf dem Konto des früheren Soldaten nicht von ihren Zahlungspflichten gegenüber dem Bund freigeworden seien. Zum Anschuldigungspunkt 2 stehe fest, dass der frühere Soldat auf eine Idee des damaligen Stabsunteroffiziers S. hin das Auftragsschreiben, die Rechnung und die Lagerzugangsliste wie angeschuldigt gefälscht habe. Zudem sei erwiesen, dass beide Soldaten im Zusammenwirken die Gutschrift der... auf das Konto des damaligen Stabsunteroffiziers S. umgeleitet hätten und der frühere Soldat davon 14 000 € erhalten habe.
Rz. 10
Zwar habe die Hauptverhandlung darüber hinaus ergeben, dass der frühere Soldat in Absprache mit dem damaligen Stabsunteroffizier S. vor der Umleitung der Gutschrift das Bundeswehrdienstleistungszentrum durch die Vorlage der manipulierten Unterlagen zu einer unbegründeten Zahlung an die... veranlasst habe, was zu der Gutschrift geführt habe; dies sei aber nicht angeschuldigt worden. Die Nachtragsanschuldigung sei insoweit unbeachtlich.
Rz. 11
Der frühere Soldat habe durch das angeschuldigte Verhalten vorsätzlich seine Pflichten zum treuen Dienen und innerdienstlichen Wohlverhalten verletzt. Da er im Kernbereich seiner Dienstpflichten versagt habe, sei Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen eine Dienstgradherabsetzung. Erschwerend zu berücksichtigen seien die hohe kriminelle Energie und der hohe Schaden, mildernd die freiwillige Offenbarung des Fehlverhaltens, die unaufgeforderte Rückzahlung, die Nachbewährung, die Unrechtseinsicht und die Reue. An sich wäre danach eine Herabsetzung in den niedrigsten Mannschaftsdienstgrad geboten. Wegen des überlangen Verfahrens sei aber nur eine Herabsetzung in den Dienstgrad eines Hauptgefreiten der Reserve angezeigt.
Rz. 12
5. Mit ihrer unbeschränkten Berufung macht die Wehrdisziplinaranwaltschaft einen schweren Verfahrensmangel wegen Nichtberücksichtigung der Nachtragsanschuldigungsschrift geltend. Der Anschuldigungspunkt 2 sei aber ohnehin bereits unter Berücksichtigung des in der Anschuldigungsschrift niedergelegten Ermittlungsergebnisses dahin auszulegen, dass dem früheren Soldaten eine Schädigung des Bundes vorgeworfen werde. Diese sei auch erwiesen. Wegen der Schwere der Taten sei die Höchstmaßnahme zu verhängen.
Rz. 13
Der Bundeswehrdisziplinaranwalt teilt diese Ansicht. Beide Soldaten hätten gemeinsam durch die Umleitungen der Gutschriften in sechs Fällen jeweils eine Untreue in Tateinheit mit Betrug zu Lasten des Bundes begangen, wobei der frühere Soldat in einem Fall vorher die Auftragslage gefälscht habe. Der Vermögensschaden sei beim Bund eingetreten, weil die Firmen durch die Zahlungen auf die angegebenen Konten von ihren Zahlungspflichten freigeworden seien. Ebenfalls angeschuldigt worden und erwiesen sei, dass die gefälschten Unterlagen dem Bundeswehrdienstleistungszentrum vorgelegt worden seien, um zunächst eine Auszahlung des sodann umgeleiteten Geldbetrags an die... zu erwirken.
Rz. 14
6. Der frühere Soldat hält dem entgegen, die verhängte Disziplinarmaßnahme sei angemessen. Täuschungen und Schädigungen gegenüber dem Dienstherrn seien nicht angeschuldigt worden. Die Umleitungen der Gutschriften seien Betrugstaten zu Lasten der Firmen, weil deren Zahlungen auf die falschen Konten keine schuldbefreiende Wirkung gehabt hätten. Die unrichtigen Kontoangaben hätten ihnen nämlich auffallen müssen. Zu den Taten habe er allenfalls untergeordnete Beiträge geleistet. Die "treibende Kraft" sei der damalige Stabsunteroffizier S. gewesen. Auch treffe den Dienstherrn wegen mangelnder Dienstaufsicht und fehlender Kontrollmechanismen ein Mitverschulden. Mildernd zu berücksichtigen seien ferner seine Geständigkeit, Reue, Einsicht, Schadenswiedergutmachung, Nachbewährung und Mitwirkung bei der Aufklärung.
Rz. 15
7. Hinsichtlich der Einzelheiten zur Person des früheren Soldaten, zur Anschuldigung und zur Begründung des erstinstanzlichen Urteils wird auf dieses verwiesen. Zu den im Berufungsverfahren eingeführten Unterlagen wird auf das Protokoll der Berufungshauptverhandlung Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Rz. 16
Die zulässige Berufung ist begründet. Dem früheren Soldaten ist das Ruhegehalt abzuerkennen.
Rz. 17
1. Der Senat ist nicht an einer Sachentscheidung gehindert. Das angefochtene Urteil ist nicht gemäß § 121 Abs. 2 WDO aufzuheben und die Sache zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen. Die Nichtberücksichtigung der Nachtragsanschuldigungsschrift durch das Truppendienstgericht begründet keinen Verfahrensmangel.
Rz. 18
Gemäß § 99 Abs. 2, § 100 Satz 1 WDO hat im Regelfall der Vorsitzende der Truppendienstkammer auf die Mitteilung des Wehrdisziplinaranwalts, dass die Einbeziehung weiterer Anschuldigungspunkte in das Verfahren beabsichtigt sei, das Verfahren bis zur Vorlage einer Nachtragsanschuldigungsschrift auszusetzen und diese dem Soldaten mit einer Äußerungsfrist zuzustellen. Mit Eingang der Nachtragsanschuldigung beim Truppendienstgericht ist das Verfahren nach § 99 Abs. 1 Satz 4 WDO auch hinsichtlich der darin erhobenen Vorwürfe anhängig, so dass auch diese gemäß § 107 Abs. 1 WDO der Entscheidung zugrunde zu legen sind.
Rz. 19
Berücksichtigt das Truppendienstgericht mit einer Nachtragsanschuldigung erhobene Vorwürfe nicht, liegt ein schwerer Verfahrensmangel vor, der in einem unbeschränkten Berufungsverfahren eine Aufhebung des Urteils verbunden mit einer Zurückverweisung gebieten kann (vgl. BVerwG, Beschluss vom 31. Mai 1979 - 2 WD 29.79 - BVerwGE 63, 237 ≪242≫). Eine zu berücksichtigende Nachtragsanschuldigung liegt allerdings nur vor, wenn die darin enthaltenen Vorwürfe für das Verfahren neu sind. Daran fehlt es, wenn lediglich mit anderen Worten ein schon in der Anschuldigungsschrift enthaltener Vorwurf wiederholt wird (vgl. Dau/Schütz, WDO, 7. Aufl. 2017, § 99 Rn. 20).
Rz. 20
Letzteres ist hier der Fall. Die Nachtragsanschuldigungsschrift bezieht sich auf den Anschuldigungspunkt 2. Mit diesem wurde dem früheren Soldaten eine gemeinschaftliche Fälschung der Auftragslage und eine gemeinschaftliche Umleitung einer Gutschrift der... auf das Privatkonto des damaligen Stabsunteroffiziers S. mit anschließender Aufteilung des Geldbetrags vorgeworfen.
Rz. 21
Die Nachtragsanschuldigungsschrift, mit welcher der Anschuldigungspunkt 2 umformuliert wurde, geht hinsichtlich der Tatvorwürfe nicht über den Anschuldigungspunkt 2 hinaus. Die Änderung der Formulierung "der Soldat" in "der frühere Soldat" ist insoweit unwesentlich; sie trägt dem zwischenzeitlichen Dienstzeitende Rechnung. Die nochmalige Einfügung des Zusatzes "im Zusammenwirken mit Stabsunteroffizier S." begründet keinen neuen Vorwurf, weil bereits mit der ursprünglichen Formulierung ein Handeln im Zusammenwirken mit diesem angeschuldigt wurde. Auch der Vorwurf des Verfälschens der Rechnung wird bereits von der Fassung des Anschuldigungspunktes 2 in Verbindung mit dem Ermittlungsergebnis erfasst. Die Neuformulierung des letzten Satzes ("Dieser gab davon dem Soldaten 14.000 € ab" statt "Davon erhielt er am 29. April 2015 14.000 €") enthält ebenfalls keinen neuen Vorwurf. Denn im Ermittlungsergebnis der Anschuldigungsschrift war der Erhalt des Geldes durch die Wiedergabe der für bindend erklärten tatsächlichen Feststellungen im rechtskräftigen Strafurteil bereits dahingehend konkretisiert worden, dass der damalige Stabsunteroffizier S. die 14 000 € an den früheren Soldaten überwiesen haben soll.
Rz. 22
Schließlich enthält auch die Änderung des Satzteils "Geld, das dem Bund zustand" in "Geld, das aus der Bundeskasse stammte" keinen neuen Tatvorwurf. Damit war weder eine Aussetzung des Verfahrens noch die Einräumung einer weiteren Äußerungsfrist veranlasst, so dass in deren Unterbleiben auch kein Verfahrensfehler liegen kann.
Rz. 23
Im Übrigen wurde weder mit der Anschuldigungs- noch mit der Nachtragsanschuldigungsschrift die Vorlage der gefälschten Unterlagen an das Bundeswehrdienstleistungszentrum zwecks Veranlassung einer Zahlung aus der Bundeskasse an die... angeschuldigt. Ein dahingehender Vorwurf lässt sich weder den Anschuldigungsformeln noch dem Ermittlungsergebnis, das zur Auslegung der Anschuldigungsformel herangezogen werden darf (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Juli 2019 - 2 WD 20.18 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 66 Rn. 27), entnehmen.
Rz. 24
2. Die Berufung ist begründet. Da die Wehrdisziplinaranwaltschaft sie in vollem Umfang eingelegt hat, hat der Senat im Rahmen der Anschuldigung eigene Tat- und Schuldfeststellungen zu treffen und auf deren Grundlage über die angemessene Disziplinarmaßnahme zu befinden. Danach ist die Höchstmaßnahme angemessen.
Rz. 25
a) In tatsächlicher Hinsicht sind die Anschuldigungen aufgrund der gemäß § 84 Abs. 1 Satz 1 WDO bindenden tatsächlichen Feststellungen im rechtskräftigen Urteil des Amtsgerichts... vom 24. Mai 2017, der schriftlichen Erklärung des früheren Soldaten vom 30. September 2015, seiner geständigen Einlassungen, der erstinstanzlichen Aussage des Zeugen S. und der Aussagen beider Soldaten in der amtsgerichtlichen Hauptverhandlung erwiesen.
Rz. 26
Zum Anschuldigungspunkt 1 steht danach fest, dass der frühere Soldat wissentlich und willentlich im Zusammenwirken mit dem damaligen Stabsunteroffizier S. die darin bezeichneten Materiallieferanten der Bundeswehr durch die Angabe einer falschen Kontoverbindung auf den von diesen im regulären Geschäftsgang bei der... eingegangenen Gutschriften, die mit der falschen Kontoverbindung an die Firmen zurückgefaxt wurden, in den fünf genannten Fällen jeweils dazu veranlasste, insgesamt 9 743,90 € auf sein Privatkonto zu überweisen, und dass er dem damaligen Stabsunteroffizier S. vereinbarungsgemäß die Hälfte davon auszahlte. Die falsche Kontoverbindung wies nach den Angaben des früheren Soldaten zwar jeweils als Kontoinhaberin die "Bundeskasse..." aus, enthielt aber die IBAN seines privaten Kontos.
Rz. 27
Zum Anschuldigungspunkt 2 steht aufgrund der bindenden tatsächlichen Feststellungen im rechtskräftigen Strafurteil, der genannten Unterlagen und Aussagen sowie einer in den Akten enthaltenen Kopie der Zahlungsmitteilung der... fest, dass der frühere Soldat in Absprache mit dem damaligen Stabsunteroffizier S. digital einen Auftrag der... auf die doppelte Menge änderte und die zugehörige Rechnung und Lagerzugangsliste entsprechend inhaltlich anpasste. Erwiesen ist auch, dass der damalige Stabsunteroffizier S. auf der nachfolgend bei der... eingegangenen Zahlungsmitteilung der..., wonach diese die bei ihr eingegangene Zahlung von 19 312,27 € nicht zuordnen konnte, handschriftlich um Überweisung dieses Betrags bat. Dazu gab er eine Kontoverbindung an, welche als Kontoinhaberin die "Bundeswehr..." auswies und die IBAN seines Privatkontos enthielt, und versah seine Angaben mit dem Stempel "sachlich richtig" und einem Stempel der..., bevor er die Zahlungsmitteilung per Telefax an die... zurücksandte, welche den Betrag daraufhin auf sein Privatkonto überwies, wovon er dem früheren Soldaten 14 000 € überwies.
Rz. 28
Fest steht des Weiteren, dass der frühere Soldat den von ihm aus den sechs umgeleiteten Gutschriften erlangten Gesamtbetrag von 18 871,95 € am 8. Juli 2016 an den Bund erstattete. Dies ergibt sich aus dem Bestätigungsschreiben des Bundesamtes für Infrastruktur, Umweltschutz und Dienstleistungen vom 11. Juli 2016. Der damalige Stabsunteroffizier S. unterzeichnete nach den Feststellungen im rechtskräftigen Strafurteil wegen der von ihm aus den sechs umgeleiteten Gutschriften insgesamt erlangten 10 184,23 € und weiterer Beträge, die er aus gleichgelagerten, allein begangenen Taten erlangt hatte, ein Schuldanerkenntnis über 56 961,51 €, auf das er seit Dezember 2016 monatlich 500 € zahlt. Nach den Angaben des früheren Soldaten in der Berufungshauptverhandlung laufen die Ratenzahlungen noch fort.
Rz. 29
b) Der frühere Soldat hat ein Dienstvergehen begangen (§ 23 Abs. 1 SG).
Rz. 30
aa) Er hat vorsätzlich seine Pflicht zum treuen Dienen (§ 7 SG) verletzt.
Rz. 31
(1) Die Pflicht zum treuen Dienen gebietet einem Soldaten, seine dienstlichen Aufgaben und Pflichten gewissenhaft, sorgfältig und loyal zu erfüllen. Sie umfasst die Verpflichtung zur Loyalität gegenüber der geltenden Rechtsordnung, vor allem zur Beachtung der Strafgesetze, und die Pflicht, das Vermögen des Dienstherrn zu schützen (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. August 2019 - 2 WD 28.18 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 68 Rn. 37 m.w.N.).
Rz. 32
(2) Dem ist der frühere Soldat unter beiden Gesichtspunkten nicht gerecht geworden:
Rz. 33
(a) Er hat im Dienst durch die Umleitungen der Gutschriften gemeinschaftlich in sechs Fällen eine Untreue in besonders schwerem Fall (§ 266 Abs. 1 Alt. 2, Abs. 2, § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1, § 25 Abs. 2, § 53 StGB) begangen und dadurch das Vermögen seines Dienstherrn im Umfang von 29 056,18 € geschädigt.
Rz. 34
(aa) Der frühere Soldat und der damalige Stabsunteroffizier S. hatten aufgrund ihres durch wechselseitige Treuepflichten geprägten Soldatenverhältnisses (vgl. BVerwG, Beschluss vom 29. Januar 2019 - 2 WDB 1.18 - Buchholz 449 § 23 SG Nr. 1 Rn. 15) und im Rahmen ihrer spezifischen dienstlichen Tätigkeit die Pflicht, die Vermögensinteressen des Bundes im Hinblick auf dessen Zahlungsansprüche gegen Materiallieferanten der Bundeswehr wahrzunehmen. Sie waren als Sanitätsunteroffiziere und pharmazeutisch-kaufmännische Angestellte im... mit der nach den Angaben des früheren Soldaten vom Dienstherrn explizit an sie herangetragenen Abwicklung von Gutschriften der Materiallieferanten zugunsten des Bundes befasst.
Rz. 35
(bb) Diese Vermögensbetreuungspflicht haben sie mittäterschaftlich in sechs Fällen durch die Umleitungen der Gutschriften auf ihre Privatkonten verletzt. Die jeweiligen Tatbeiträge sind ihnen gemäß § 25 Abs. 2 StGB gegenseitig zuzurechnen (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. August 2018 - 2 WD 3.18 - BVerwGE 163, 16 Rn. 48) und BGH, Beschluss vom 12. August 2021 - 3 StR 441/20 - NStZ-RR 2021, 663 Rn. 50 f.). Sie beruhten auf einem gemeinsamen Tatplan. Beide gingen arbeitsteilig vor und hatten wegen der geplanten Aufteilung der umgeleiteten Beträge jeweils ein eigenes Interesse an den Taten. Die Tatbeiträge des früheren Soldaten sind entgegen seiner Darstellung nicht nur untergeordneter Natur. Vielmehr hat er bei den fünf Taten gemäß dem Anschuldigungspunkt 1 nach seinen Angaben in der Berufungshauptverhandlung jedenfalls teilweise selbst seine Kontoverbindung auf den an die Firmen geleiteten Unterlagen vermerkt und die Beträge wurden hälftig geteilt. Zur Vorbereitung der im Anschuldigungspunkt 2 beschriebenen Umleitung der Gutschrift der... verfälschte er zuvor die Auftragsbelege und erhielt von dem umgeleiteten Betrag den wesentlich größeren Anteil.
Rz. 36
(cc) Durch die Verletzung ihrer Vermögensbetreuungspflicht wurde dem Bund auch ein Nachteil zugefügt. Denn entgegen der Annahme des Truppendienstgerichts sind die Firmen durch ihre Gutschriften auf den Privatkonten der beiden Soldaten jeweils von ihrer Zahlungspflicht gegenüber dem Bund befreit worden. Der Dienstherr muss sich die falschen Kontoangaben durch die von ihm mit der Abwicklung der Gutschriften betrauten Soldaten zurechnen lassen.
Rz. 37
Gemäß § 362 Abs. 1 BGB erlischt ein Schuldverhältnis, wenn die geschuldete Leistung an den Gläubiger bewirkt wird. Eine Geldschuld kann statt durch Barzahlung auch durch Banküberweisung erfüllt werden, wenn die Parteien dies vereinbart haben; ob dann eine Leistung im Sinne des § 362 Abs. 1 BGB oder eine Leistung an Erfüllungs statt im Sinne des § 364 BGB vorliegt (vgl. BGH, Urteil vom 17. März 2004 - VIII ZR 161/03 - NJW-RR 2004, 1281), ist dabei entscheidungsunerheblich. Das stillschweigend erklärte Einverständnis des Gläubigers mit einer Überweisung liegt in der Regel in der Bekanntgabe der Kontoverbindung in Briefen, Rechnungen und dergleichen an den Schuldner (vgl. BGH, Urteil vom 17. März 2004 - VIII ZR 161/03 - NJW-RR 2004, 1281). Damit erklärt der Gläubiger inhaltlich, dass er Überweisungen auf das angegebene Konto als Leistung (an Erfüllungs statt) anzunehmen gewillt ist (vgl. BGH, Urteil vom 29. Oktober 1971 - V ZR 65/70 - juris Rn. 12). Die Erfüllungswirkung tritt mit der Gutschrift des Betrags auf dem vom Gläubiger angegebenen Konto ein. Dies gilt auch, wenn er ein falsches Konto angibt (vgl. Stürner, in: Jauernig, BGB, 18. Aufl. 2021, §§ 364, 365 Rn. 4 m.w.N.).
Rz. 38
Bevollmächtigt der Gläubiger ausdrücklich oder konkludent einen Vertreter bei der Geltendmachung von Forderungen, Abreden über die Art und Weise der Schuldentilgung zu treffen, ist ihm die diesbezügliche Erklärung seines Vertreters über die maßgebliche Kontoverbindung gegenüber Dritten grundsätzlich zuzurechnen. Denn Willenserklärungen eines Vertreters innerhalb der ihm zustehenden Vertretungsmacht wirken gemäß § 164 Abs. 1 Satz 1 BGB unmittelbar für und gegen den Vertretenen. Entsprechendes gilt bei einer Anscheinsvollmacht (vgl. BGH, Urteil vom 29. Oktober 1971 - V ZR 65/70 - juris Rn. 12).
Rz. 39
Eine Überweisung auf ein Konto, das ein (Anscheins-)Vertreter des Gläubigers angibt, hat grundsätzlich auch dann erfüllende Wirkung, wenn es sich nicht um ein Konto des Gläubigers, sondern um ein Konto des (Anscheins-)Vertreters selbst handelt (vgl. BGH, Urteil vom 29. Oktober 1971 - V ZR 65/70 - juris Rn. 12; OLG Saarbrücken, Urteil vom 26. Juni 2019 - 5 U 84/18 - NJW-RR 2021, 105 Rn. 19 m.w.N.; Buck-Heeb, in: Erman, BGB, 16. Aufl. 2020, § 362 Rn. 14). Denn grundsätzlich hat der Vertretene das Risiko einer missbräuchlichen Verwendung einer (Anscheins-)Vollmacht zu tragen. Den Vertragspartner trifft keine Prüfungspflicht, ob und inwieweit der Vertreter im Innenverhältnis gebunden ist. Etwas anderes gilt nur bei kollusivem Zusammenwirken oder bei für die Vertragsparteien evidentem Missbrauch der Vertretungsmacht (BGH, Urteil vom 11. Mai 2017 - IX ZR 238/15 - NJW 2017, 3373 - 3376 Rn. 20 m.w.N.).
Rz. 40
Danach sind die Zahlungsforderungen des Bundes gegenüber den Materiallieferanten der Bundeswehr durch deren Zahlungen auf die privaten Konten des früheren Soldaten bzw. des damaligen Stabsunteroffiziers S. erloschen. Denn der Bund hat die beiden mit der Kontrolle der Warenlieferungen in die Bundeswehrapotheke beauftragt und ihnen ausdrücklich oder konkludent die Vollmacht erteilt, mit den Materiallieferanten die Rückzahlungsmodalitäten und die Kontoverbindung zu verabreden, auf welche diese die dem Bund gutzuschreibenden Beträge überweisen sollten. Jedenfalls durften die Materiallieferanten aufgrund ständiger Praxis darauf vertrauen, dass die beiden Soldaten entsprechend ermächtigt waren, so dass zumindest eine diesbezügliche Anscheinsvollmacht vorlag. Für die Firmen drängte sich aufgrund der gewählten Kontoinhaberbezeichnungen ("Bundeskasse..." bzw. "Bundeswehr...") auch nicht auf, dass die Kontoverbindung falsch war. Sie konnten daher mit befreiender Wirkung auf die mitgeteilte Kontoverbindung überweisen.
Rz. 41
(dd) Der frühere Soldat und Stabsunteroffizier S. handelten jeweils vorsätzlich, rechtswidrig und schuldhaft.
Rz. 42
(ee) Es liegt ein besonders schwerer Fall nach § 266 Abs. 2 i.V.m. § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StGB vor. Denn der frühere Soldat und Stabsunteroffizier S. handelten gewerbsmäßig. Sie wollten sich mit den sechs Taten, die sich über knapp fünf Monate erstreckten und mit denen sie jeweils insgesamt fünfstellige Beträge erlangten, eine nicht nur vorübergehende Einnahmequelle von einigem Umfang und einiger Dauer verschaffen (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Oktober 2020 - 1 StR 344/20 - NStZ 2021, 235 - 236 Rn. 4 m.w.N.).
Rz. 43
(ff) Offen bleiben kann, ob beide zudem gemeinschaftlich jeweils Betrugstaten zu Lasten des Bundes durch eine Täuschung von Dritten in besonders schwerem Fall (§ 263 Abs. 1, Abs. 3 Satz 2 Nr. 1, § 25 Abs. 2, § 53 StGB) begangen haben. Denn die Strafrahmen der (gewerbsmäßigen) Untreue und des (gewerbsmäßigen) Betrugs unterscheiden sich nicht. In disziplinarischer Hinsicht ist maßgebend, dass der frühere Soldat im Kernbereich seiner Dienstpflichten vorsätzlich sechs besonders schwere Vermögensstraftaten mit einer Schadenshöhe im fünfstelligen Euro-Bereich zu Lasten des Bundes begangen und dadurch seine Pflicht zum treuen Dienen in beiden genannten Ausprägungen verletzt hat.
Rz. 44
(b) Des Weiteren hat der frühere Soldat im Zusammenwirken mit dem damaligen Stabsunteroffizier S. durch die zum Anschuldigungspunkt 2 erwiesene digitale Änderung des Auftrags auf die doppelte Menge und der entsprechenden Anpassungen der Rechnung und der Lagerzugangsliste zur Täuschung im Rechtsverkehr Urkundenfälschung begangen (§ 267 Abs. 1, § 25 Abs. 2, § 52 Abs. 1 StGB), was ebenfalls einen Verstoß gegen die Pflicht zum treuen Dienen - insoweit nur in ihrer Ausprägung als Pflicht zur Loyalität gegenüber der geltenden Rechtsordnung - darstellt.
Rz. 45
(bb) Mit dem gesamten erwiesenen Verhalten hat der frühere Soldat zugleich vorsätzlich gegen seine innerdienstliche Wohlverhaltenspflicht (§ 17 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 SG) verstoßen. Denn er ist insoweit nicht der Achtung und dem Vertrauen gerecht geworden, die sein Dienst als Soldat erforderten.
Rz. 46
c) Bei Art und Maß der zu verhängenden Disziplinarmaßnahme sind nach § 58 Abs. 7 i.V.m. § 38 Abs. 1 WDO Eigenart und Schwere des Dienstvergehens und seine Auswirkungen, das Maß der Schuld, die Persönlichkeit, die bisherige Führung und die Beweggründe des früheren Soldaten zu berücksichtigen. Insoweit legt der Senat ein zweistufiges Prüfungsschema zugrunde:
Rz. 47
aa) Auf der ersten Stufe bestimmt er zwecks Gleichbehandlung vergleichbarer Fälle und im Interesse der Rechtssicherheit und Voraussehbarkeit der Disziplinarmaßnahme eine Regelmaßnahme für die betreffende Fallgruppe als Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen.
Rz. 48
Dies ist bei einem Soldaten in einer Vorgesetztenstellung, der sich vorsätzlich am Eigentum oder Vermögen seines Dienstherrn vergreift, eine Dienstgradherabsetzung. Handelt der Soldat wiederholt über einen längeren Zeitraum hinweg und bewegt sich der Gesamtschaden im fünfstelligen Euro-Bereich, ist regelmäßig die Höchstmaßnahme angezeigt (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Februar 2021 - 2 WD 9.20 - NVwZ-RR 2021, 674 Rn. 42 m.w.N.). Entsprechendes gilt bei einem vorsätzlichen Zugriff auf das Eigentum oder Vermögen des Dienstherrn im Bereich der dienstlichen Kernpflichten (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. August 2019 - 2 WD 28.18 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 68 Rn. 54 m.w.N.).
Rz. 49
Danach ist Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen aus beiden genannten Erschwernisgründen die Höchstmaßnahme. Zum einen hat der frühere Soldat wiederholt (sechs Mal) und über einen längeren Zeitraum (knapp fünf Monate) auf das Vermögen seines Dienstherrn zugegriffen und dadurch einen Gesamtschaden im fünfstelligen Euro-Bereich (29 056,18 €) verursacht. Zum anderen hat er in einer Vorgesetztenstellung - als Stabsunteroffizier - im Bereich seiner dienstlichen Kernpflichten gemeinschaftlich sechs vorsätzliche Vermögensstraftaten zu Lasten seines Dienstherrn begangen. Denn er und der damalige Stabsunteroffizier S. waren nach den Angaben des früheren Soldaten explizit mit der Bearbeitung von Gutschriften betraut worden.
Rz. 50
Die Höchstmaßnahme besteht beim früheren Soldaten, der gemäß § 1 Abs. 3 WDO als Soldat im Ruhestand gilt und Angehöriger der Reserve ist, gemäß § 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4, Satz 2 WDO in der Aberkennung des Ruhegehalts.
Rz. 51
bb) Auf der zweiten Stufe ist zu prüfen, ob im Einzelfall im Hinblick auf die Bemessungskriterien des § 38 Abs. 1 WDO und die Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts Umstände vorliegen, die ein Abweichen von der Höchstmaßnahme gebieten. Dabei müssen Milderungsgründe umso gewichtiger sein, je schwerer das Dienstvergehen wiegt (BVerwG, Urteil vom 19. November 2020 - 2 WD 19.19 - juris Rn. 34 m.w.N.). Danach ist von der Höchstmaßnahme nicht abzuweichen:
Rz. 52
(1) Zu Lasten des früheren Soldaten fallen mehrere Umstände ins Gewicht:
Rz. 53
(a) Das Dienstvergehen wiegt nach Art und Schwere außerordentlich schwer. Denn jeder der beiden aufgezeigten Erschwernisgründe - sowohl der wiederholte vorsätzliche Zugriff auf das Vermögen des Dienstherrn mit einem Gesamtschaden im fünfstelligen Euro-Bereich als auch das Versagen im Bereich dienstlicher Kernpflichten - rechtfertigen schon für sich genommen die Höchstmaßnahme als Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen. Die Kumulation beider Umstände führt zu einem besonders schweren Fall. Mit den Urkundenfälschungen tritt noch eine gesteigerte kriminelle Energie hinzu.
Rz. 54
(b) Zum Nachteil des früheren Soldaten sind ferner seine eigennützigen Beweggründe zu berücksichtigen. Er hat nicht nur seinen Kameraden im Umfang von 10 184,23 €, sondern vor allem sich selbst im Umfang von 18 871,95 € ungerechtfertigt bereichert, wobei er nach eigenen Angaben nicht aus wirtschaftlicher Not heraus handelte.
Rz. 55
(c) Zudem wurde der Schaden noch nicht vollständig ausgeglichen. Zwar hat der frühere Soldat den von ihm selbst erlangten Betrag an den Bund erstattet. Sein Mittäter zahlt aber seinen Anteil noch in Raten ab.
Rz. 56
(d) Schließlich wurde das Dienstvergehen nach den Angaben des Zeugen Hauptmann... in der Einheit bekannt, was zu Unstimmigkeiten hinsichtlich des weiteren Einsatzes des früheren Soldaten sowie dazu führte, dass er fortan nur noch mit Lagerarbeiten betraut wurde.
Rz. 57
(2) Demgegenüber sprechen für den früheren Soldaten folgende Umstände:
Rz. 58
(a) Seine dienstlichen Leistungen waren sehr gut. Dies kommt in der Laufbahnbeurteilung vom 5. Februar 2009, den Beurteilungsbeiträgen vom 29. November 2012 und 9. Juli 2013, den erst- und zweitinstanzlichen Aussagen seines früheren Disziplinarvorgesetzten Hauptmann... sowie in den beiden förmlichen Anerkennungen von 2012 und 2014, der Schützenschnur in Gold und dem Abzeichen für Leistungen im Truppendienst in Gold zum Ausdruck. Zudem hat sich der frühere Soldat 2012 in einem Auslandseinsatz in Afghanistan bewährt. Nach seinem Arbeitsplatzwechsel verrichtete er den Aussagen des Zeugen Hauptmann... zufolge seinen Dienst nach zügiger Einarbeitung gleichbleibend gut.
Rz. 59
(b) Der frühere Soldat war zudem geständig. Er teilte seinem Disziplinarvorgesetzten nach dem Bekanntwerden der im Anschuldigungspunkt 2 beschriebenen Taten unaufgefordert seine Beteiligung an beiden Taten mit und räumte in seiner weiteren Vernehmung am 27. August 2015 auch seine Mittäterschaft an den im Anschuldigungspunkt 1 beschriebenen Taten ein. Allerdings kommt dem Geständnis kein großes Gewicht zu. Denn der frühere Soldat musste nach der Aufdeckung der beiden erstgenannten Taten und der Vernehmung seines Mittäters damit rechnen, dass bei der Auswertung der Buchungsvorgänge seine Mittäterschaft an den angeschuldigten Taten auch ohnehin ermittelt werden würde.
Rz. 60
(c) Zu seinen Gunsten sind des Weiteren seine glaubhaft zum Ausdruck gebrachte Reue und Unrechtseinsicht zu berücksichtigen.
Rz. 61
(d) Für ihn spricht auch, dass er den durch das Dienstvergehen zu Unrecht selbst erlangten Betrag von 18 872 € zügig an den Bund erstattet hat. Zwar war er dazu verpflichtet. Er hat dadurch aber den Verwaltungsaufwand für das Schadensbearbeitungsverfahren verkürzt.
Rz. 62
(3) Weitere mildernde Umstände sind nicht ersichtlich.
Rz. 63
(a) Insbesondere war der frühere Soldat nicht nur Gehilfe des damaligen Stabsunteroffiziers S. im Sinne des § 27 Abs. 2 StGB, sondern - wie festgestellt - gleichwertiger Mittäter im Sinne des § 25 Abs. 2 StGB. Er wurde auch nicht von seinem Mittäter in das Dienstvergehen "hineingetrieben". Dieser hat erstinstanzlich ausgesagt, dass es nicht viel Überzeugungskraft gekostet habe, den früheren Soldaten zum Mitmachen zu bewegen. Damit in Einklang steht, dass der frühere Soldat erstinstanzlich erklärt hat, er habe zwar über die Konsequenzen ihres Handelns nachgedacht, aber nicht versucht, seinen Kameraden von der Sache abzubringen. Auch in der amtsgerichtlichen Hauptverhandlung hat er angegeben, dass sie eigentlich zusammen auf die Idee gekommen seien, zuerst noch gescherzt hätten, es dann aber irgendwann gemacht hätten; er könne gar nicht mehr sagen, wer dann ganz konkret auf die Idee gekommen sei.
Rz. 64
(b) Zugunsten des früheren Soldaten ist auch kein Mitverschulden von Vorgesetzten in Form einer mangelhaften Dienstaufsicht zu berücksichtigen. Dieser Milderungsgrund steht einem Soldaten nur zur Seite, wenn er der Dienstaufsicht bedarf, z.B. in einer Überforderungssituation, die ein hilfreiches Eingreifen des Vorgesetzten erforderlich macht (BVerwG, Urteil vom 15. Juli 2021 - 2 WD 6.21 - juris Rn. 44 m.w.N.). Es bedurfte jedoch keines hilfreichen Eingreifens der Dienstaufsicht, damit der frühere Soldat erkennen konnte, dass er und sein Mittäter sich nicht auf Kosten seines Dienstherrn durch die Umleitung von Gutschriften bereichern und dienstliche Unterlagen nicht fälschen durften. Dies war dem früheren Soldaten vielmehr von Anfang an bewusst. Zwar fehlten Kontrollmechanismen, die eine frühere Aufdeckung der Taten ermöglicht hätten. Das Organisationsdefizit des Dienstherrn hinsichtlich der Kontrolle der Abwicklung der Gutschriften lässt aber die Eigenverantwortung des früheren Soldaten für sein Verhalten unberührt (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Februar 2019 - 2 WD 18.18 - Buchholz 450.2 § 63 WDO 2002 Nr. 3 Rn. 29).
Rz. 65
(4) Bei der erforderlichen Gesamtwürdigung erreichen die für den früheren Soldaten sprechenden Umstände angesichts der außerordentlichen Schwere des Dienstvergehens kein so hohes Gewicht, dass von der Höchstmaßnahme abgewichen werden kann. Wer sich auf eine derart kriminelle und gewerbsmäßige Weise knapp fünf Monate lang fortlaufend in der festgestellten Größenordnung im Kernbereich seiner Dienstpflichten am Vermögen seines Dienstherrn vergreift, offenbart ganz erhebliche Persönlichkeits- und Charaktermängel. Die darin zum Ausdruck kommenden gravierenden Defizite der persönlichen Integrität führen bei objektiver Betrachtung zu einem endgültigen Vertrauensverlust des Dienstherrn. Sie können insbesondere nicht durch fachliche Kompetenz ausgeglichen werden (BVerwG, Urteil vom 1. Oktober 2020 - 2 WD 20.19 - juris Rn. 44 m.w.N.). Ist das Vertrauensverhältnis endgültig zerstört, besteht für eine Nachbewährung kein Raum mehr (BVerwG, Urteil vom 14. Februar 2019 - 2 WD 18.18 - Buchholz 450.2 § 63 WDO 2002 Nr. 3 Rn. 40).
Rz. 66
Gegen den endgültigen Vertrauensverlust spricht nicht, dass der frühere Soldat nicht vorläufig des Dienstes enthoben wurde und nach den Angaben des Zeugen Hauptmann... das Vertrauen in den früheren Soldaten nicht zerstört, sondern nur beschädigt worden sein soll. Denn die Frage nach der fortbestehenden Vertrauenswürdigkeit hängt nicht entscheidend von den Erwägungen und Entscheidungen der Einleitungsbehörde oder der Einschätzung der unmittelbaren Vorgesetzten ab. Ob das Vertrauen zerstört ist, ist - nicht zuletzt aus Gleichbehandlungsgründen - nach einem objektiven Maßstab, also aus der Perspektive eines objektiv und vorurteilsfrei den Sachverhalt betrachtenden Dritten zu prüfen und zu bewerten (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Februar 2021 - 2 WD 9.20 - NVwZ-RR 2021, 770 Rn. 47).
Rz. 67
Da die Höchstmaßnahme verwirkt ist, kann auch eine etwaige Überlänge des Disziplinarverfahrens nicht maßnahmemildernd wirken (vgl. BVerwG, Urteil vom 3. Dezember 2020 - 2 WD 4.20 - juris Rn. 58 m.w.N.).
Rz. 68
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 138 Abs. 1 Satz 1, § 139 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1, § 140 Abs. 3 Satz 3 WDO.
Fundstellen
Haufe-Index 15080435 |
ZBR 2022, 179 |
JZ 2022, 228 |