Verfahrensgang
Bayerischer VGH (Urteil vom 13.12.2017; Aktenzeichen 6 B 17.300) |
VG Regensburg (Urteil vom 16.09.2015; Aktenzeichen RN 1 K 14.890) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 13. Dezember 2017 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
Rz. 1
Der Kläger wendet sich gegen die Rückforderung von Studienkosten und von Kosten der Fachausbildung zum Flugsicherungskontrolloffizier nach vorzeitiger Beendigung des Berufssoldatenverhältnisses infolge Kriegsdienstverweigerung.
Rz. 2
Der Kläger studierte zunächst als Soldat auf Zeit von 1997 bis 2000 erfolgreich Wirtschafts- und Organisationswissenschaften an der Universität der Bundeswehr. Anschließend absolvierte er von 2001 bis 2007 die von der Bundeswehr veranlasste und finanzierte Fachausbildung zum Flugsicherungskontrolloffizier. Dabei erwarb der im Jahr 2005 ins Berufssoldatenverhältnis übernommene Kläger Lizenzen zur örtlichen und überörtlichen Flugsicherung. Im Dezember 2009 erkannte die Beklagte den Kläger antragsgemäß als Kriegsdienstverweigerer an und entließ ihn aus dem Dienstverhältnis eines Berufssoldaten. Seither ist der Kläger auf der Grundlage eines Arbeitsvertrages als Fluglotse bei der Deutschen Flugsicherung GmbH (DFS) beschäftigt.
Rz. 3
Nach Anhörung forderte die Beklagte den Kläger mit Leistungsbescheid zur teilweisen Erstattung der durch die von ihm absolvierten Ausbildungen entstandenen Kosten in Höhe von insgesamt 128 197,50 € auf. Zur Vermeidung einer besonderen Härte gewährte die Beklagte dem Kläger Ratenzahlung. Die Erstattungsforderung umfasste unmittelbare und mittelbare Ausbildungskosten, letztere für die Lebenshaltung. Als unmittelbare Ausbildungskosten setzte die Beklagte die Höhe der Erstattungsforderung auf 74 000 € für die 208 131,75 € teure Fachausbildung des Klägers zum Flugkontrollsicherungsoffizier fest. Den dagegen gerichteten Widerspruch des Klägers wies die Beklagte zurück.
Rz. 4
Das Verwaltungsgericht hat den Leistungsbescheid soweit aufgehoben, als vom Kläger ein 102 405,29 € übersteigender Erstattungsbetrag verlangt worden ist. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat die dagegen gerichtete Berufung des Klägers zurückgewiesen und auf die Berufung der Beklagten das erstinstanzliche Urteil abgeändert und die Klage insgesamt mit der Begründung abgewiesen, die Erstattungsbeträge seien auf der Grundlage des Soldatengesetzes fehlerfrei festgesetzt worden. Die Beklagte habe beachtet, dass anerkannte Kriegsdienstverweigerer nach der Härtefallregelung die Kosten ihrer Ausbildungen nur im Umfang des geldwerten Vorteils erstatten müssen, der ihnen aus diesen Ausbildungen für ihr weiteres Berufsleben verbliebe.
Rz. 5
Der Kläger trägt zur Begründung der vom Senat zugelassenen Revision insbesondere vor, das Berufungsgericht habe in Bezug auf die unmittelbaren Ausbildungskosten zum Flugsicherungskontrolloffizier den in der Entscheidung verwendeten Begriff des Marktpreises mit dem Begriff des zu erstattenden geldwerten Vorteils unzulässig vermengt. Insbesondere dürfte nur eine tatsächlich eingetretene Ersparnis, nicht aber eine spekulative Aussicht auf künftige finanzielle Vorteile zurückgefordert werden. Hinsichtlich der mittelbaren Ausbildungskosten sei allein die tatsächliche Ausbildungsdauer zugrunde zu legen.
Rz. 6
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 13. Dezember 2017 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Regensburg vom 16. September 2015 zurückzuweisen sowie unter Abänderung des Urteils des Bayerischen Verwaltungsgerichts Regensburg vom 16. September 2015 den Bescheid des Personalamts der Bundeswehr vom 9. Dezember 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 7. März 2014 sowie der Abänderung vom 27. April 2017 aufzuheben, soweit vom Kläger ein über 28 405,29 € übersteigender Betrag gefordert wird.
Rz. 7
Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Rz. 8
Die zulässige Revision ist unbegründet. Das Berufungsurteil verletzt kein revisibles Recht. Der Verwaltungsgerichtshof hat die von der Beklagten gegenüber dem Kläger auf der Grundlage von § 49 Abs. 4 Soldatengesetz (SG) i.V.m. § 46 Abs. 3 SG i.d.F. vom 15. Dezember 1995, BGBl. I S. 1737 (1.), nach seiner Entlassung auf eigenen Antrag (2.) im Wege der Vorteilsabschöpfung (3.) und unter Berücksichtigung der kriegsdienstverweigerungsbedingt vorliegenden besonderen Härte (4.) zurückgeforderten unmittelbaren und mittelbaren Ausbildungskosten für das Studium (5.) und für die Fachausbildung zum Flugsicherungskontrolloffizier (6.) zu Recht nicht beanstandet. Auch die Addition der Ausbildungskosten für Studium und Fachausbildung ist rechtens (7.).
Rz. 9
1. Rechtsgrundlage für die Erstattungsforderung ist § 49 Abs. 4 SG i.V.m. § 46 Abs. 3 SG 1995. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage einer Anfechtungsklage ist zwar grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung, hier des Widerspruchsbescheids vom 6. Februar 2014. Dies wäre hinsichtlich der in Streit stehenden Erstattungsforderung der Beklagten gegen den Kläger grundsätzlich § 49 Abs. 4 SG i.d.F. der Neubekanntmachung vom 30. Mai 2005 (BGBl. I S. 1482). Aufgrund der aus Anlass des Änderungsgesetzes vom 19. Dezember 2000 (BGBl. I S. 1815) ergangenen Übergangsvorschrift des § 76 Abs. 1 SG ist aber für Berufssoldaten, die - wie der Kläger - im Jahre 1997, d.h. vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung des Soldatengesetzes und anderer Vorschriften vom 19. Dezember 2000 (BGBl. I S. 1815) ein Studium oder eine Fachausbildung begonnen haben, § 49 Abs. 4 SG in seiner bisherigen Fassung anzuwenden.
Rz. 10
2. Gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 7 SG 1995 gilt die Entlassung eines Berufssoldaten nach seiner Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer als Entlassung auf eigenen Antrag.
Rz. 11
3. § 49 Abs. 4 Satz 1 SG 1995 bestimmt, dass ein Berufssoldat, der vor Ablauf der in § 46 Abs. 3 SG genannten Dienstzeit auf seinen Antrag entlassen wird, die entstandenen Kosten des Studiums oder der Fachausbildung erstatten muss. Auf die Erstattung kann nach § 49 Abs. 4 Satz 3 SG 1995 ganz oder teilweise verzichtet werden, wenn sie für den Soldaten eine besondere Härte bedeuten würde.
Rz. 12
Die auf dieser Rechtsgrundlage mit der Rückforderung verbundene Abschöpfung des für den weiteren beruflichen Werdegang des Klägers außerhalb der Bundeswehr verbundenen Vorteils durch die von ihm durch die Beklagte erlangten Ausbildungen - Studium und Fachausbildung - ist nicht zu beanstanden. Da das Dienstverhältnis des Berufssoldaten - ebenso wie das des Soldaten auf Zeit - solange wie die eingegangene Verpflichtung andauern soll, kann der Dienstherr, der für ein Studium oder eine Fachausbildung eines Soldaten im dienstlichen Interesse erhebliche Kosten aufgewandt hat, regelmäßig davon ausgehen, dass ihm der Soldat die erworbenen Spezialkenntnisse und Fähigkeiten bis zum Ende der Verpflichtungszeit zur Verfügung stellen wird. Wenn der Soldat auf Zeit nach eigenem Entschluss aus dem Dienstverhältnis ausscheidet, stellen für ihn die auf Kosten des Dienstherrn erworbenen Spezialkenntnisse und Fähigkeiten im weiteren Berufsleben einen erheblichen Vorteil dar, während der Dienstherr die Kosten der Ausbildung insgesamt oder teilweise vergeblich aufgewendet hat. Diese Lage fordert einen billigen Ausgleich, den der Gesetzgeber durch die Normierung eines Erstattungsanspruchs verwirklicht hat (BVerfG, Beschluss vom 22. Januar 1975 - 2 BvL 51/71 u.a. - BVerfGE 39, 128 ≪142≫).
Rz. 13
Die Höhe des Erstattungsanspruchs ist vom Gesetz nicht auf die Höhe der entstandenen Ausbildungskosten festgelegt. Der Dienstherr ist vielmehr ermächtigt, von einem Erstattungsverlangen ganz abzusehen oder den Betrag zu reduzieren, wenn die Erstattung der Ausbildungskosten eine besondere Härte für den Soldaten bedeuten würde (§ 49 Abs. 4 Satz 3 SG 1995). § 49 Abs. 4 Satz 3 SG 1995 verknüpft den gerichtlich überprüfbaren unbestimmten Rechtsbegriff der "besonderen Härte" auf der Tatbestandsebene mit der Ermessensermächtigung auf der Rechtsfolgenseite (vgl. BVerwG, Urteile vom 30. März 2006 - 2 C 18.05 - Buchholz 449 § 56 SG Nr. 3 Rn. 16 f. und vom 12. April 2017 - 2 C 16.16 - BVerwGE 158, 364 Rn. 36). Es ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt, dass der unbestimmte Rechtsbegriff der "besonderen Härte" sich u.a. auf die von der Regelvorschrift des § 49 Abs. 4 Satz 1 SG nicht erfassten schwerwiegenden Umstände erstreckt, denen sich der Soldat nicht entziehen kann (vgl. BVerwG, Urteile vom 11. Februar 1977 - 6 C 135.74 - BVerwGE 52, 84 ≪93 ff.≫, vom 29. März 1979 - 2 C 16.77 - Buchholz 238.4 § 46 SG Nr. 12 S. 52 und vom 30. März 2006 - 2 C 18.05 - Buchholz 449 § 56 SG Nr. 3 Rn. 16). Zweck der Härteregelung ist es, den von den Regelvorschriften nicht erfassten Ausnahmefällen und Grenzsituationen - den atypischen Fällen - Rechnung tragen zu können. Insoweit schließt auch eine Serie gleichartiger atypischer Fälle die Annahme einer besonderen Härte nicht aus (BVerwG, Urteile vom 11. Februar 1977 - 6 C 135.74 - BVerwGE 52, 84 ≪94 f., 101≫ und vom 30. März 2006 - 2 C 18.05 - Buchholz 449 § 56 SG Nr. 3 Rn. 16; Beschluss vom 22. September 2016 - 2 B 25.15 - Buchholz 449 § 56 SG Nr. 5 Rn. 29). Ebenso ist es in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts anerkannt, dass auch die Stundung der Forderung unter Einräumung von Ratenzahlung eine zulässige Form des durch das Gesetz vorgesehenen Teilverzichts sein kann (BVerwG, Urteil vom 30. März 2006 - 2 C 18.05 - Buchholz 449 § 56 SG Nr. 3 Rn. 15, 24).
Rz. 14
Dabei darf die Erstattungspflicht nicht von hypothetischen Umständen eines - einer Beweisführung nicht zugänglichen - alternativen Lebens- oder Ausbildungsweges abhängig gemacht werden (BVerwG, Urteile vom 28. Oktober 2015 - 2 C 40.13 - Buchholz 449 § 56 SG Nr. 4 Rn. 25 und 12. April 2017 - 2 C 16.16 - BVerwGE 158, 364 Rn. 29 sowie Beschluss vom 31. Mai 2019 - 2 B 44.18 - Buchholz 449 § 56 SG Nr. 8 Rn. 17). Die zu erstattenden ersparten Aufwendungen sind generalisierend und pauschalierend zu bestimmen (BVerwG, Urteile vom 28. Oktober 2015 - 2 C 40.13 - Buchholz 449 § 56 SG Nr. 4 Rn. 18 und vom 12. April 2017 - 2 C 16.16 - BVerwGE 158, 364 Rn. 29 sowie Beschluss vom 31. Mai 2019 - 2 B 44.18 - Buchholz 449 § 56 SG Nr. 8 Rn. 17).
Rz. 15
4. Die Einbeziehung von anerkannten Kriegsdienstverweigerern in den Kreis der Soldaten auf Zeit und Berufssoldaten, die bei vorzeitiger Entlassung Ausbildungskosten zu erstatten haben, ist mit Art. 4 Abs. 3 GG vereinbar (stRspr, BVerwG, Urteile vom 30. März 2006 - 2 C 18.05 - Buchholz 449 § 56 SG Nr. 3 Rn. 12 m.w.N. und vom 28. Oktober 2015 - 2 C 40.13 - Buchholz 449 § 56 SG Nr. 4 Rn. 13). Die Erstattungspflicht, der sich ein wegen seiner Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer kraft Gesetzes zu entlassender Soldat gegenübersieht, stellt in der Regel eine besondere Härte im Sinne des § 49 Abs. 4 Satz 3 SG 1995 dar, die den Dienstherrn nach dieser Vorschrift zu Ermessenserwägungen über den vollständigen oder teilweisen Verzicht auf einen Ausgleich der Ausbildungskosten zwingt. Unter Berücksichtigung von Art. 4 Abs. 3 GG ist § 49 Abs. 4 Satz 3 SG 1995 dahin auszulegen, dass anerkannte Kriegsdienstverweigerer die Kosten ihrer Ausbildung nur im Umfang des geldwerten Vorteils erstatten müssen, der ihnen aus der genossenen Ausbildung für ihr weiteres Berufsleben verbleibt (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. März 2006 - 2 C 18.05 - Buchholz 449 § 56 SG Nr. 3 Rn. 15 f.).
Rz. 16
Der Erstattungsbetrag darf nicht höher sein als der Betrag, den der als Kriegsdienstverweigerer anerkannte Soldat dadurch erspart hat, dass die Beklagte den Erwerb von Spezialkenntnissen und Fähigkeiten, die ihm im späteren Berufsleben von Nutzen sind, finanziert hat (BVerwG, Urteil vom 30. März 2006 - 2 C 18.05 - Buchholz 449 § 56 SG Nr. 3 Rn. 17). Durch diese Beschränkung der zu erstattenden Kosten auf den durch das Studium oder die Fachausbildung erlangten Vorteil ist sichergestellt, dass die Erstattung nicht zu einer Maßnahme wird, die den Betroffenen von der Stellung des Antrags auf Kriegsdienstverweigerung abhält. Mit der Abschöpfung lediglich des durch die Ausbildung erworbenen Vorteils erleidet der anerkannte Kriegsdienstverweigerer keine Einbuße an Vermögensgütern, über die er unabhängig von dem Wehrdienstverhältnis verfügt. Durch den Vorteilsausgleich wird nur die Situation wiederhergestellt, die in wirtschaftlicher und finanzieller Hinsicht bestand, bevor der Soldat das Studium oder die Fachausbildung absolviert hat. Mehr soll und darf bei verfassungskonformer Auslegung des Gesetzes nicht abgeschöpft werden (BVerwG, Urteil vom 30. März 2006 - 2 C 18.05 - Buchholz 449 § 56 SG Nr. 3 Rn. 18).
Rz. 17
5. Der Begriff des Studiums i.S.v. § 49 Abs. 4 Satz 1 SG 1995 meint die Ausbildung an einer Universität, an Hochschulen jeder Art oder an sonstigen Bildungseinrichtungen, die nach Landesrecht Hochschulen sind (§ 1 HRG). Bei der Universität der Bundeswehr München handelt es sich um eine Hochschule i.S.v. § 1 HRG.
Rz. 18
Das Studium - hier der Wirtschafts- und Organisationswissenschaften an der Universität der Bundeswehr in München - löst unmittelbare und mittelbare Ausbildungskosten aus. Die unmittelbaren Ausbildungskosten sind nach der Rechtsprechung des Senats Ausbildungsgebühren und Aufwendungen für Ausbildungsmittel (BVerwG, Urteile vom 11. Februar 1977 - 6 C 105.74 - BVerwGE 52, 70 ≪76≫ und vom 28. Oktober 2015 - 2 C 40.13 - Buchholz 449 § 56 SG Nr. 4 Rn. 19).
Rz. 19
Die mittelbaren Ausbildungskosten sind Kosten, die bei einem Studium in der Bundeswehr vom Dienstherrn getragen werden, während sie bei einer dualen betrieblichen Ausbildung oder einem privaten Studium jedenfalls typischerweise vom Auszubildenden oder Studierenden selbst getragen werden müssen (BVerwG, Urteil vom 28. Oktober 2015 - 2 C 40.13 - Buchholz 449 § 56 SG Nr. 4 Rn. 19). Zu den ersparten mittelbaren Kosten der Ausbildung zählen Reisekosten und Trennungsgeld sowie die ersparten Lebenshaltungskosten und die Kosten für die Krankenversicherung (BVerwG, Urteile vom 30. März 2006 - 2 C 18.05 - Buchholz 449 § 56 SG Nr. 3 Rn. 22 und vom 28. Oktober 2015 - 2 C 40.13 - Buchholz 449 § 56 SG Nr. 4 Rn. 19). Lebenshaltungskosten sind die Kosten, die von einem Haushalt aufgewandt werden müssen, um das Leben im Alltag zu bestreiten. Dazu gehören insbesondere Aufwendungen für Verpflegung und Wohnung (BVerwG, Urteil vom 28. Oktober 2015 - 2 C 40.13 - Buchholz 449 § 56 SG Nr. 4 Rn. 20).
Rz. 20
Für die auf der Grundlage von § 49 Abs. 4 SG 1995 vorzunehmende konkrete Berechnung der zurückzufordernden Ausbildungskosten kann auf die Zentrale Dienstvorschrift der Beklagten zur Kostenerstattungspflicht (ZDv 14/5 B 156) zurückgegriffen werden. Die ergangenen und hier einschlägigen alten Bemessungsgrundsätze vom 22. Juli 2002 (BMVg PSZ I 8, Az. 16-02-11) sowie die nach dem Günstigkeitsprinzip auf nicht bestandskräftige Erstattungsbescheide anzuwendenden neuen Bemessungsgrundsätze vom 17. Dezember 2012 (BMVg, P II 1, Az. 16-02-11) bestimmen unter anderem die Einzelheiten zu den Voraussetzungen eines vollständigen oder teilweisen Verzichts und zur Ausübung des pflichtgemäßen Ermessens bei der Rückforderung, ohne besondere Berechnungsmethoden für Kriegsdienstverweigerer vorzuhalten.
Rz. 21
Nummer 3.3.1 der Bemessungsgrundsätze vom 22. Juli 2002 sieht vor, dass sich die zu ermittelnden "fiktiven Kosten" aus den "fiktiven Beträgen, die an die zivile Ausbildungseinrichtung hätten entrichtet werden müssen", und den "fiktiven Kosten gemäß Anlage 4" zusammensetzen. Die Anlage 4 enthält eine Tabelle mit seit 1974 jährlich fortgeschriebenen Werten für die Posten "Lebensunterhalt", "Gebühren je Semester" und "Lernmittelzuschuss je Semester". Ausgangsbasis bildeten nach den Erklärungen zur Tabelle zunächst die Sätze für die Gewährung von Studienbeihilfen an Nachwuchskräfte der Bundeswehr. Demgegenüber knüpfen die Bemessungsgrundsätze 2012 an jeweilige Sozialerhebungen an.
Rz. 22
Die danach - sowohl nach den Bemessungsgrundsätzen des Jahres 2002 als auch nach denjenigen aus dem Jahr 2012 - vorzunehmende Berechnung der zurückzufordernden Ausbildungskosten tragen dem Gedanken der bloßen Vorteilsabschöpfung, der Verhältnismäßigkeit und der Gleichbehandlung von Studenten und Absolventen einer Fachausbildung nach Art. 3 Abs. 1 GG hinreichend Rechnung. Sie halten sich im Rahmen des "Härtefallermessens", das § 49 Abs. 4 Satz 3 SG 1995 dem Dienstherrn eingeräumt hat (ebenso: OVG Bautzen, Beschluss vom 5. Dezember 2018 - 2 A 631/17 - juris Rn. 36; OVG Münster, Urteil vom 25. August 2016 - 1 A 2105/14 - juris Rn. 62 ff.; VGH Mannheim, Urteil vom 6. Juli 2016 - 4 S 2237/15 - juris Rn. 34).
Rz. 23
Die von der Revision geforderten alternativen Berechnungsmethoden zur besseren Abbildung der Lebenshaltungskosten sind gesetzlich nicht geboten. Nach § 49 Abs. 4 Satz 3 SG 1995 ist der Dienstherr nicht gehalten, die günstigste Berechnungsmethode für die zurückzufordernden Ausbildungskosten zu entwickeln. Es genügt die gleichmäßige Anwendung einer realitäts- und sonst sachgerechten Methode zur Kostenermittlung, die dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung trägt.
Rz. 24
Da die von der Beklagten durchgeführte konkrete Berechnung der Studiendauer für den Kläger infolge der bei der Universität der Bundeswehr üblichen Aufteilung des Studienjahres in Trimester erstattungsrechtlich gegenüber einer Berechnung der abstrakten Studiendauer nach der in Semester aufgeteilte Regelstudienzeit vorteilhafter gewesen ist, ist eine Rechtsverletzung des Klägers auch insoweit ausgeschlossen.
Rz. 25
6. Eine Fachausbildung gemäß § 49 Abs. 4 Satz 1 SG 1995 ist eine besondere, zur allgemeinen militärischen Ausbildung hinzutretende und für alle Teilnehmer einheitlich gestaltete Ausbildung mit einem bestimmten Ausbildungsziel, die - sei es nach einer Prüfung oder einem planmäßigen Abschluss - zu einer zusätzlichen Befähigung oder Berechtigung führt (stRspr, BVerwG, Urteile vom 21. April 1982 - 6 C 3.81 - BVerwGE 65, 203 ≪210≫ und vom 28. Oktober 2015 - 2 C 40.13 - Buchholz 449 § 56 SG Nr. 4 Rn. 13).
Rz. 26
Der Vorteil aus der Fachausbildung, den die Beklagte nach § 49 Abs. 4 Satz 3 SG 1995 in Ausübung ihres Ermessens zu bestimmen und zu bemessen hat, besteht in der Ersparnis von Aufwendungen, nicht in der Aussicht auf künftige Einnahmen. Welchen finanziellen Gewinn der ausgeschiedene Berufssoldat in seinem weiteren Berufsleben aus den erworbenen Fachkenntnissen ziehen wird, lässt sich nicht vorhersehen. Derartige Möglichkeiten sind nicht ausschließlich auf den unmittelbar erworbenen Vorteil zurückzuführen und lassen sich auch nicht nachprüfbar messen. Bestimmen, wenn auch generalisierend und pauschalisierend, lassen sich jedoch die Aufwendungen, die der Soldat dadurch erspart hat, dass er die Fachausbildung nicht auf eigene Kosten hat absolvieren müssen. Es darf auch nur die tatsächlich eingetretene Ersparnis, nicht aber eine spekulative Aussicht auf künftige finanzielle Vorteile "erstattet" werden. Alles Weitere wäre unerlaubte Gewinnabschöpfung (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. März 2006 - 2 C 18.05 - Buchholz 449 § 56 SG Nr. 3 Rn. 20).
Rz. 27
Wie bei den Kosten des Studiums ist auch bei den Fachausbildungskosten nach § 49 Abs. 4 Satz 1 SG 1995 - hier für die dem Studium des Klägers nachfolgende weitere Fachausbildung zum Flugsicherungskontrolloffizier - hinsichtlich der unmittelbaren (etwa Ausbildungsgebühren, Aufwendungen für Arbeitsmittel) und mittelbaren Ausbildungskosten (etwa Reisekosten, Trennungsgeld, Lebenshaltungskosten) zu differenzieren.
Rz. 28
Für die danach gebotene generalisierende und pauschalierende Vorteilsabschöpfung hinsichtlich der unmittelbaren Ausbildungskosten ist abzustellen auf die Nützlichkeit der durch die Bundeswehr erlangten Ausbildung für ihre spätere zivile Verwertbarkeit bei einem privaten Arbeitgeber oder als Selbstständiger. Der ehemalige Soldat muss, soll es zur Erstattung von unmittelbaren Ausbildungskosten nach § 49 Abs. 4 SG 1995 kommen, eine zivil verwertbare Ausbildung erhalten haben, die die Beklagte finanziert hat.
Rz. 29
Vorliegend hat der Kläger davon profitiert, dass er durch die Beklagte einen Ausbildungsplatz als Flugsicherungskontrolloffizier erhalten hat, den er andernfalls eventuell nicht oder nur nach Wartezeit bekommen hätte. Es steht nicht fest, dass ihm zum Zeitpunkt der Aufnahme seiner Fachausbildung ein gleichwertiger privater Ausbildungsplatz zur Verfügung gestanden hätte. Dies zeigt exemplarisch, dass die durch § 49 Abs. 4 Satz 1 SG 1995 statuierte Erstattungspflicht nicht von hypothetischen Umständen eines - einer Beweisführung nicht zugänglichen - alternativen Lebens- oder Ausbildungsweges abhängig gemacht werden kann (BVerwG, Urteile vom 28. Oktober 2015 - 2 C 40.13 - Buchholz 449 § 56 SG Nr. 1 Rn. 25 und vom 12. April 2017 - 2 C 16.16 - BVerwGE 158, 364 Rn. 29).
Rz. 30
Für die Fachausbildung zum Flugsicherungskontrolloffizier hat die Bundeswehr an die Deutsche Flugsicherung GmbH (DFS) im Fall des Klägers nach den Feststellungen im Berufungsurteil Lehrgangskosten in Höhe von 208 131,75 € entrichtet. Mit dem erfolgreichen Abschluss dieser Fachausbildung hat der Kläger die Voraussetzung dafür geschaffen, bei der DFS als Fluglotse (überörtliche Flugsicherung) tätig sein zu können. Aufgrund der von der Beklagten vermittelten Fachausbildung hat der Kläger nach seiner Entlassung aus der Bundeswehr im Dezember 2009 mit der DFS sofort einen Arbeitsvertrag als Fluglotse schließen können. Dies zeigt, dass ihm die von der Bundeswehr finanzierte Fachausbildung zum Flugsicherungskontrolloffizier auf dem privaten Arbeitsmarkt nützlich gewesen ist. Bei der DFS handelt es sich um ein öffentlich-rechtlich beliehenes und privatrechtlich organisiertes und privatwirtschaftlich tätiges Unternehmen (dazu BVerwG, Urteil vom 7. April 2016 - 4 C 1.15 - BVerwGE 154, 377 Rn. 24 und BT-Drs. 16/11608 S. 15).
Rz. 31
Die konkrete Bewertung der unmittelbaren Ausbildungskosten zum Fluglotsen, die der Kläger durch die von der Bundeswehr finanzierte Fachausbildung zum Flugsicherungskontrolloffizier erspart hat, hat die Beklagte in Ausübung des ihr durch § 49 Abs. 4 Satz 3 SG 1995 eröffneten Ermessens in rechtlich nicht zu beanstandender Weise mit 74 000 € bewertet. Denn nach den Feststellungen des Berufungsurteils müssen die zivilen Auszubildenden zum Fluglotsen zwar keine Ausbildungsgebühren entrichten, sich aber nach der Ausbildung mindestens für drei Jahre an die DFS arbeitsvertraglich binden und für den Fall des vorherigen Ausscheidens aus einem von ihnen zu vertretendem Grund pauschal 74 000 € an unmittelbaren Ausbildungskosten zurückzahlen. Der ausbildungsvertraglich vereinbarte Rückzahlungsbetrag ist dabei nicht als ersparter Aufwand zu beurteilen, sondern in der gebotenen generalisierenden und pauschalierenden Betrachtung nur als Bewertungshilfe heranzuziehen. Denn er bietet einen tragfähigen Anhaltspunkt dafür, welchen wirtschaftlichen Wert die DFS der von ihr geleisteten Ausbildung selber beimisst und den die DFS ihrerseits von ihren eigenen zivilen Auszubildenden verlangt, die ihren Vertrag vorzeitig beenden. Deshalb kommt es auch nicht auf die arbeitsrechtliche Wirksamkeit der Rückzahlungsklausel an (a.A. VGH Mannheim, Urteil vom 10. November 2015 - 4 S 2429/13 - UA S. 19 f.). Eine Fachausbildung bei der Bundeswehr unterscheidet sich strukturell von einer dualen betrieblichen Berufsausbildung. Ein gesetzessystematischer Anhaltspunkt dafür ergibt sich aus § 3 Abs. 2 Nr. 2 BBiG, der die Berufsbildung in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis - hier: im Berufssoldatenverhältnis - vom Anwendungsbereich des BBiG und damit von der betrieblichen Ausbildung ausschließt (BVerwG, Urteil vom 28. Oktober 2015 - 2 C 40.13 - Buchholz 449 § 56 SG Nr. 4 Rn. 23).
Rz. 32
Die Ermittlung eines konkreten Marktpreises für eine Fluglotsenausbildung zur überörtlichen Flugsicherung ist angesichts des in der Bundesrepublik Deutschland von der DFS geprägten und zudem zahlenmäßig nur kleinen Ausbildungsmarktes nicht einfach. Für den Senat ist entscheidend, dass die Annahme eines im weiteren Berufsleben erheblichen Vorteils eines ehemaligen Soldaten für die von der Bundeswehr finanzierte Fachausbildung zum Flugsicherungskontrolloffizier in Höhe von 74 000 € im Verhältnis zu den unmittelbar von der Bundeswehr aufgebrachten Ausbildungskosten für die erforderlichen DFS-Lehrgänge in Höhe von ca. 208 000 € als moderat und in jeder Hinsicht verhältnismäßig erscheint. Damit hat die Beklagte den Vorteil nur zu ca. 35 v.H. der von ihr tatsächlich unmittelbar aufgewandten Ausbildungskosten zurückgefordert. Für eine fehlerhafte Ausübung des nach § 49 Abs. 4 Satz 3 SG 1995 eröffneten Bewertungsermessens ist somit nichts erkennbar.
Rz. 33
Auch die fehlgeschlagenen mittelbaren Kosten der Fachausbildung - insbesondere für ersparte Lebenshaltung, Krankenversicherung und Wohnen - dürfen auf der Grundlage von § 49 Abs. 4 SG 1995 von ehemaligen Berufssoldaten zurückverlangt werden. Der zu erstattende Betrag pro Jahr darf dabei pauschalierend mit dem Wert des "einkommensteuerlichen Existenzminimums" gemäß § 32a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG (Nr. 3.2.1 der hier einschlägigen alten Bemessungsgrundsätze vom 22. Juli 2002, Bl. 8) angesetzt werden (BVerwG, Urteil vom 28. Oktober 2015 - 2 C 40.13 - Buchholz 449 § 56 SG Nr. 4 Rn. 21).
Rz. 34
Weiter ist es sachgerecht, pauschalierend von einer dreieinhalbjährigen Berufsausbildung auszugehen. Dies entspricht im Übrigen der durchschnittlichen Ausbildungsdauer für Fluglotsen bei der DFS.
Rz. 35
7. Der Erstattungsforderung hat die Beklagte weiter zu Recht die addierten Ausbildungskosten für Studium und Fachausbildung zugrunde gelegt. Die Verwendung des Wortes "oder" in § 49 Abs. 4 Satz 1 SG 1995 stellt sicher, dass auch diejenigen zur Erstattung herangezogen werden, die nur ein Studium oder nur eine Fachausbildung erhalten haben. Im Übrigen ist die Norm so konzipiert, dass sämtliche im Zusammenhang mit der Ausbildung (Studium und Fachausbildung) entstandenen Kosten erstattet werden sollen (BVerwG, Urteil vom 12. April 2017 - 2 C 16.16 - BVerwGE 158, 364 Rn. 33). Dies entspricht dem Ansatz, dass die Ausgleichspflicht nicht von dem konkreten weiteren Lebensverlauf des erstattungspflichtigen ehemaligen Soldaten abhängt. Auch wenn das Studium der Wirtschaftswissenschaften im zivilen Bereich keine Voraussetzung für die Ausbildung zum Fluglotsen oder die Aufnahme einer Fluglotsentätigkeit ist, ermöglicht es dem Kläger, jederzeit eine andere Berufstätigkeit aufzunehmen. Der Kläger verfügt aufgrund der beiden Ausbildungen über den Vorteil einer höheren beruflichen Flexibilität. Ob er diesen Vorteil tatsächlich nutzt, ist für die Frage, ob ein nach § 49 Abs. 4 SG 1995 erstattungsfähiger geldwerter Vorteil vorliegt, unerheblich.
Rz. 36
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Fundstellen
Dokument-Index HI13935346 |