Entscheidungsstichwort (Thema)
Planfeststellung für die Änderung eines Schienenweges. Abwägungsgebot. „Teilentwidmung” einer Bahnanlage. Funktionslosigkeit. Wiederinbetriebnahme teilungsbedingt unterbrochener Schienenwege. planungsrechtliche Situation als schutzmindernde Vorbelastung. Eigentums- und Gesundheitsbeeinträchtigung durch Verkehrslärm
Normenkette
GG Art. 2 Abs. 2 S. 1, Art. 14 Abs. 1, Art. 28 Abs. 2 S. 1; BImSchG §§ 41-43, 50; 16. BImSchV § 1 Abs. 2; AEG § 18 Abs. 1 S. 2, § 20 Abs. 7 S. 1; BBG §§ 12, 14, 44
Tenor
Soweit die Klage zurückgenommen worden ist, wird das Verfahren eingestellt.
Auf die Klage der Kläger zu 3 bis 6, 9 bis 12, 15 bis 21, 24, 27, 28, 33 bis 38 und 40 wird die Beklagte verpflichtet, über die von diesen Klägern geforderten aktiven Schallschutzmaßnahmen zum Schutze ihres Eigentums und – mit Ausnahme des Klägers zu 40 – ihrer Gesundheit und dem Grunde nach über die von diesen Klägern geltend gemachten Ansprüche auf Entschädigung für die Vornahme passiver Schallschutzmaßnahmen unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beklagten und der Beigeladenen tragen die Kläger zu 1, 2 und 39 je 1/24, die Kläger zu 3 bis 6, 9, 10, 16 bis 21, 27, 28 und 33 bis 38 je 1/96, die Kläger zu 7, 8, 11 bis 15, 22 bis 26, 29 bis 32 und 40 je 1/48 sowie die Beklagte und die Beigeladene je 5/32. Von den außergerichtlichen Kosten der Beklagten und der Beigeladenen tragen die Kläger zu 1, 2 und 39 je 1/24, die Kläger zu 3 bis 6, 9, 10, 16 bis 21, 27, 28 und 33 bis 38 je 1/96 sowie die Kläger zu 7, 8, 11 bis 15, 22 bis 26, 29 bis 32 und 40 je 1/48. Im übrigen tragen die Beklagte und die Beigeladene ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
Tatbestand
I.
1. Die Kläger sind Eigentümer und – mit Ausnahme des Klägers zu 40 – auch Bewohner von Grundstücken im Stadtteil Veerßen der Stadt Uelzen in der Nachbarschaft des Streckenabschnitts Wieren – Uelzen der alten Eisenbahntrasse Stendal – Uelzen.
Diese Trasse wurde aufgrund einer landesherrlichen Genehmigung vom 12. Juni 1867 im hier in Rede stehenden Abschnitt zunächst im Jahre 1873 als eingleisige Bahnstrecke in Dienst gestellt und bis zum Ersten Weltkrieg als zweigleisige Hauptbahn ausgebaut. Bis 1945 stellte sie die kürzeste Verbindung zwischen dem mitteldeutschen Raum und den Nordseehäfen dar. Auf ihr verkehrten vor dem Zweiten Weltkrieg pro Tag 14 Züge im Fernreiseverkehr, 18 Züge im Regionalverkehr und 6 bis 8 Güterzüge. Im Juli 1945 wurde der Bahnbetrieb über die östlich von Nienbergen gelegene Demarkationslinie zwischen der britischen und sowjetischen Besatzungszone eingestellt. In den folgenden Jahren wurden die Gleisanlagen zwischen Salzwedel und Nienbergen auf einer Länge von etwa 14 km bis auf den Schotterkörper vollständig, zwischen Nienbergen und Wieren, wo die Strecke nach Gifhorn – Braunschweig abzweigt, eingleisig demontiert. Im Bereich der damaligen Grenzsicherungsanlagen wurde zusätzlich der gesamte hier in Dammlage verlaufende Bahnkörper auf ca. 200 m Länge beseitigt. Der Streckenabschnitt Nienbergen – Wieren wurde nach vollständigen Übernahme des Personenverkehrs durch Bahnbuslinien im Jahre 1974 auf die niedrigste Stufe des vereinfachten Nebenbahnbetriebes (ohne Signaltechnik und mit 30 km/h Höchstgeschwindigkeit) umgestellt.
Der Abschnitt Wieren – Uelzen blieb zunächst zweigleisig, diente aber nur noch der Abwicklung des regionalen Personen- und Güterverkehrs zwischen Uelzen und Braunschweig, dem auf der Nebenbahnstrecke Wieren – Braunschweig nur ein Gleis zur Verfügung stand. Mit Schreiben vom 27. Dezember 1983 beantragte die Deutsche Bundesbahn beim Bundesminister für Verkehr gemäß § 14 Abs. 3 Buchst. d des Bundesbahngesetzes die Genehmigung für den dauernden Übergang vom zweigleisigen zum eingleisigen Betrieb der an Werktagen nur noch von 20 Zügen befahrenen Strecke Wieren – Uelzen, um sonst notwendige größere Investitionen – u.a. bei der anstehenden Erneuerung des Kreuzungsbauwerks am Bahnhof Uelzen – zu vermeiden und die Vorhaltungskosten für das überflüssige zweite Streckengleis einzusparen. Mit Erlaß vom 22. Februar 1984 erteilte der Bundesminister für Verkehr die beantragte Genehmigung, um es der Deutschen Bundesbahn zu ermöglichen, ihr Wirtschaftsergebnis durch Aufgabe der nicht benötigten Kapazität eines zweiten Streckengleises zu verbessern.
Mit Verfügung vom 7. März 1985 bestimmte die Bundesbahndirektion Hannover, daß die genehmigte Maßnahme zur Vermeidung anstehender Investitionen und zur kostengünstigen Gestaltung der Bahnanlage unter Beibehaltung des Streckengleises Wieren – Uelzen ab 21. März 1985 realisiert werde. Der Tenor dieser Entscheidung wurde am 15. März 1985 im Amtsblatt der Bundesbahndirektion Hannover unter der Überschrift „Betriebsdienst” mit dem Zusatz „An alle beteiligten Stellen” bekanntgemacht. Gleichzeitig wurden der Bundesminister für Verkehr und die oberste Landesverkehrsbehörde des Landes Niedersachsen von der Entscheidung unterrichtet.
In der Folgezeit wurde die Bahnstrecke entsprechend zurückgebaut, so daß auch zwischen Wieren und Uelzen nur noch ein Gleis verlief. Im Februar 1986 ordnete die Bundesbahndirektion Hannover die Erneuerung der Eisenbahnüberführung der Strecke Hamburg – Hannover über die Strecke Wieren – Uelzen am Bahnhof Uelzen an. Da die unterführte Strecke auf ein Gleis zurückgebaut werden sollte, wurde das neue Bauwerk als Stahlbeton-Rahmenbauwerk zwischen den vorhandenen Widerlagern erstellt und das verbleibende Gleis Wieren – Uelzen um 1,5 m in Brückenmitte verschoben. Ein Planfeststellungsverfahren wurde hierfür nicht durchgeführt. Nach Genehmigung des Gleisabsteckentwurfs durch die Bundesbahndirektion wurde der Bau im April 1987 begonnen und um Mai 1988 fertiggestellt.
2. Im August 1996 beantragte die Rechtsvorgängerin der Beigeladenen bei der Beklagten die Durchführung eines Planfeststellungsverfahrens für den Ausbau der Strecke Stendal – Uelzen im Bereich der Stadt Uelzen. Der Ausbau dieser Strecke, die in der Fernverkehrswegebestimmungsverordnung vom 9. Juni 1992 (BGBl I S. 1014) als Fernverkehrsweg im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 5 des Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetzes bestimmt ist, wird im Bedarfsplan für die Bundesschienenwege (Tz. I Buchst. b Nr. 2 der Anl. 1 zu § 1 des Bundesschienenwegeausbaugesetzes) als vordringlicher Bedarf bezeichnet. Er soll der Verbindung des mitteldeutschen und des Berliner Raums mit den deutschen Nordseehäfen dienen. Vorgesehen ist ein zweigleisiger Ausbau für eine Entwurfsgeschwindigkeit von 160 km/h mit Elektrifizierung und modernen Signal- und Telekommunikationseinrichtungen. Nach dem Erläuterungsbericht liegt dem Ausbau eine langfristige Prognose zugrunde, wonach im Zeitraum nach 2010 täglich mit 26 Zügen des Personenfernverkehrs, 54 Zügen des Personennah- und Regionalverkehrs und 53 Zügen des Güterverkehrs zu rechnen sei. Daraus ergab sich bei einer den Planunterlagen beigefügten schalltechnischen Untersuchung, daß in dem an die Trasse angrenzenden Wohngebiet Veerßen schienenverkehrsbedingte Schallimmissionen mit Beurteilungspegeln von teilweise über 64 dB(A) zu erwarten waren.
3. Die Beklagte übersandte den Plan im Dezember 1996 der Bezirksregierung Lüneburg zur Durchführung des Anhörungsverfahrens. Innerhalb der Einwendungsfrist erhoben die Kläger zu 1 bis 28 und 31 bis 40 sowie die Rechtsvorgängerin der Kläger zu 29 und 30 Einwendungen. Sie machten u.a. im wesentlichen übereinstimmend geltend, das Ausbauvorhaben werde zu unzumutbaren Lärmbelästigungen im gesundheitsschädigenden Bereich führen. Es müsse mindestens ein qualifizierter Schallschutz vorgesehen werden, der gesundheitliche Schäden abmindern würde.
4. Nach Erörterung der Einwendungen teilte die von der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen beauftragte Planungsgesellschaft der Beklagten mit, der Antrag auf Planfeststellung werde u.a. dahin gehend geändert, daß die bisher vorgesehene Verschwenkung des Streckengleises Uelzen – Wieren von der Westeinbindung des Bahnhofs im Bereich des Abzweigs der später vorgesehenen Ostanbindung bis auf weiteres nicht mehr verfolgt werde, sondern daß es hier bei der eingleisigen Streckenführung auf der Planung des vorhandenen (nördlichen) Streckengleises Wieren – Uelzen verbleiben solle. Eine der für die westliche Überleitverbindung vorgesehenen beiden Weichen solle die Funktion einer Schutzweiche für das nunmehr etwa 100 m weiter westlich blind endende südliche Gleis übernehmen.
5. Durch Beschluß vom 30. April 1998 stellte das Eisenbahn-Bundesamt den Plan für das Vorhaben in der Weise fest, daß nur einzelne Teile des Vorhabens genehmigt wurden. Dazu gehörten u.a. die Erstellung einer Regeloberleitung mit Stromführungsmasten, die vorgesehenen Änderungen an Bahnübergangsanlagen, die Erstellung der beiden Überleitverbindungen sowie die Anpassung des Bahndamms bzw. der Einschnittsböschungen. Nicht genehmigt wurde u.a. die genannte Verschwenkung des Gleises Uelzen – Wieren. Schallschutzmaßnahmen wurden nicht angeordnet.
In der Begründung dieses Beschlusses wurde folgendes ausgeführt:
Da eine Entwidmung der Strecke nicht erfolgt sei, bestehe sie rechtlich in ihrem ursprünglichen Zustand als zweigleisige Strecke fort. Für die Sanierungsmaßnahmen, die nicht als Gegenstand der Genehmigung aufgeführt seien, sei keine Planfeststellung erforderlich, weil die bloße Wiederherstellung der Strecke weder den Bau noch eine Änderung der Strecke im Sinne des Fachplanungsrechts darstelle. Eine Entwidmung des Streckenabschnitts sei nicht anzunehmen. Der im Jahre 1985 vorgenommene dauernde Übergang vom zweigleisigen auf den eingleisigen Betrieb gemäß § 14 Abs. 3 Buchst. b des Bundesbahngesetzes habe keine planfeststellungsrechtlichen Auswirkungen, sondern nur einen denBetrieb der Bahn betreffenden Erklärungswert.
Ebensowenig sei eine faktische Entwidmung anzunehmen; denn die Bahntrasse sei keiner anderen Nutzung zugeführt worden. Der ursprüngliche Zustand der Strecke lasse sich ohne weiteres wiederherstellen und der ursprüngliche Nutzungszweck damit unproblematisch weiterverfolgen. Daß die Eisenbahnbrücke über die hier zu behandelnde Strecke im Bereich des Kreuzungsbauwerks der Strecke Hannover – Hamburg mit ihrer lichten Weite nur noch einen eingleisigen Betrieb zulasse, sei unerheblich, da dort die Wiederherstellung des zweiten Gleises zur Zeit nicht beabsichtigt sei.
Eine Verpflichtung des Vorhabenträgers, aus Anlaß des Ausbauvorhabens die Strecke teilweise neu zu trassieren, bestehe nicht. Der Vorhabenträger wäre nämlich auch ohne das Planfeststellungsverfahren in der Lage, nach Wiederherstellung der Zweigleisigkeit – wenn auch mit Dieseltraktion – diejenigen Zuggattungen und Zugzahlen auf der Strecke verkehren zu lassen, die nach Durchführung der jetzt planfestgestellten Baumaßnahmen auf der Strecke verkehren könnten.
Die Planfeststellungsbehörde sei auch gehindert, dem Vorhabenträger Schallschutzmaßnahmen aufzuerlegen. Soweit der Vorhabenträger lediglich den bestehenden Bahnkörper entsprechend den heutigen betrieblichen Anforderungen wiederherstelle und das zweite Gleis wiedererrichte, liege weder eine bauliche Erweiterung noch ein den Beurteilungspegel erhöhender erheblicher baulicher Eingriff im Sinne des § 1 der 16. BImSchV vor. Eine wesentliche Änderung im Sinne des § 41 BImSchG sei insoweit nicht gegeben. Daran, daß der Vorhabenträger den Eisenbahnbetrieb ohne Einholung einer planungsrechtlichen Genehmigung nach Sanierung der Bahnanlagen wie vorgesehen weiterführen könnte, werde deutlich, daß die Weiterführung des Eisenbahnbetriebes auf zukünftig wieder zwei Gleisen in keinem ursächlichen Zusammenhang mit dem vorliegenden Planfeststellungsbeschluß stehe. Deshalb wären die sich aus der Weiterführung des zweigleisigen Betriebes als solcher möglicherweise ergebenden lärmbedingten Eigentums- und Gesundheitsbeeinträchtigungen mit dem Vorhabenträger im Rahmen des bürgerlich-rechtlichen Nachbarschaftsverhältnisses direkt zu klären. Die Planfeststellungsbehörde sei insoweit als Aufsichtsbehörde in lediglich öffentlich-rechtlicher Hinsicht nicht regelungsbefugt.
6. Die Kläger haben am 9. Juni 1998 die vorliegende Klage erhoben, mit der sie die Ergänzung des Planfeststellungsbeschlusses um Schutzanordnungen gegen Bahnlärm begehren. Zur Begründung tragen sie folgendes vor:
Der Planfeststellungsbeschluß sei unter Lärmschutzgesichtspunkten unvollständig, weil die Eisenbahnlinie ohne Bewältigung der mit ihr verbundenen Konflikte im Hinblick auf den durch sie verursachten Lärm geplant worden sei und so gebaut werden solle. Die Kläger seien dadurch in ihren Grundrechten auf körperliche Unversehrtheit und Eigentum betroffen.
Die Wiedererrichtung der Bahnlinie Stendal – Uelzen stelle jedenfalls für den vorliegenden Abschnitt nach Westen einen kompletten Neubau dar, so daß die Immissionsgrenzwerte der Verkehrslärmschutzverordnung einzuhalten seien. In die Planfeststellung müßten die gesamten Auswirkungen der Baumaßnahmen und der Neueröffnung der Bahnlinie eingestellt werden. Jedenfalls greife die vorgelegte Planung ohne jeden Lärmschutz derart grob in die genannten Grundrechte der Kläger ein, daß schon daraus ein Anspruch auf aktiven und passiven Lärmschutz folge.
Die Kläger beantragen unter Zurücknahme eines weiteren, auf Erschütterungsschutz gerichteten Klageantrages,
die Beklagte zu verpflichten, den Planfeststellungsbeschluß des Eisenbahn-Bundesamts vom 30. April 1998 zu ergänzen um Anordnungen/Planungen des aktiven und passiven Lärmschutzes, so daß die Immissionsgrenzwerte gemäß § 1 Abs. 2 der 16. BImSchV nicht überschritten werden.
7. Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verweist zur Begründung auf die Ausführungen im angefochtenen Planfeststellungsbeschluß. Die konfliktträchtige Nähe einzelner Wohnhäuser der Kläger könne nicht der Beigeladenen angelastet werden. Vielmehr sei davon auszugehen, daß diese Häuser erst errichtet worden seien, als die Eisenbahnstrecke Uelzen – Stendal bereits existierte. Der aus dem zukünftigen Eisenbahnbetrieb resultierende Schienenverkehrslärm könne dem planfestgestellten Vorhaben nicht zugerechnet werden. Die Wiedererrichtung des ehemals entfernten zweiten Gleises werde durch die streitgegenständliche Planung auch nicht ermöglicht oder bezweckt. Die Beigeladene wäre planungsrechtlich in der Lage, auch bei einem vollständigen Hinwegdenken der streitgegenständlichen Planfeststellung unter Berufung auf den planungsrechtlich ungeschmälerten Fortbestand der Eisenbahnstrecke diese tatsächlich im vorgegebenen rechtlichen Rahmen wieder einzurichten und so weiterzubetreiben, daß auf ihr dieselben Zuggattungen und Zugzahlen mit denselben Geschwindigkeiten verkehren könnten, wie dies nach Durchführung der planfestgestellten Baumaßnahmen möglich sein werde. Dazu möglicherweise erforderliche Anpassungen an die heute übliche Betriebsleittechnik ließen sich durch das Verwenden moderner Schalttechnik ohne Planfeststellung bewerkstelligen. Die vorgesehene Streckenhöchstgeschwindigkeit von 160 km/h sei bei den bereits gegebenen Trassierungselementen (Gradiente, Gleisbögen) möglich und könne auch mit Dieseltraktion erreicht werden.
8. Die Beigeladene beantragt ebenfalls,
die Klage abzuweisen.
Sie führt ergänzend zum Vorbringen der Beklagten im wesentlichen folgendes aus:
Auf die Verkehrslärmschutzverordnung könnten die Kläger ihren Anspruch auf Schallschutz nicht stützen. Das planfestgestellte Vorhaben sei nämlich keine bauliche Erweiterung der planungsrechtlich nach wie vor zweigleisigen Eisenbahnstrecke und umfasse auch keinen erheblichen baulichen Eingriff in die Substanz des Schienenweges, durch den der Beurteilungspegel des von dem zu ändernden Verkehrsweg ausgehenden Verkehrslärm erhöht werde.
Durch das planfestgestellte Vorhaben werde die Wiederinbetriebnahme des zweiten Streckengleises weder bezweckt noch ermöglicht. Die Realisierung des planfestgestellten Vorhabens sei nämlich für die Wiederinbetriebnahme des zweiten Gleises nicht erforderlich, sondern setze diese Wiederinbetriebnahme nur voraus. Lediglich aus ökonomischen Gründen würden beide Maßnahmen gleichzeitig realisiert. Der vorliegende Streckenabschnitt sei auch weder ganz noch teilweise teilungsbedingt stillgelegt worden. Vielmehr habe hier ständig Eisenbahnbetrieb stattgefunden.
Bezüglich der von den Klägern behaupteten Eigentumsbeeinträchtigung und Gesundheitsgefährdung sei der Vortrag der Kläger unsubstantiiert. Bei Zugrundelegung des unverändert geltenden Zugmengengerüstes der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen vom Juli 1994, das für die Strecke Wieren – Uelzen im Jahr 2010 täglich 130 Züge prognostiziere, ergäben sich für die Wohnhäuser der Kläger maximale Beurteilungspegel der Schallbelastung nachts zwischen 54 und 71 dB(A). Wegen der Einzelheiten wird auf die von der Beigeladenen vorgelegte Einzelpunktberechnung vom 24. November 1998 (Anlage zum Schriftsatz vom 5. Februar 1999, Bl. 52 ff. d.A.) verwiesen.
9. Das Bundesverwaltungsgericht hat durch Verfügung des Berichterstatters vom 16. April 1999 die Prozeßvertreter der Kläger u.a. darauf hingewiesen, daß der Klageschrift – anders als bei anderen Klägern – eine Vollmacht der Klägerin zu 8 nicht beigefügt war, und für die Nachreichung dieser Vollmacht eine Frist bis zum 10. Mai 1999 bestimmt. Die Prozeßvertreter der Kläger haben daraufhin zunächst um zweiwöchige Verlängerung dieser Frist gebeten und dann mitgeteilt, die Klägerin zu 8 sei seit längerer Zeit verreist, so daß es ihnen nicht möglich sei, eine von ihr unterschriebene Vollmacht zu erhalten. In der mündlichen Verhandlung konnte eine Vollmacht der Klägerin zu 8 ebenfalls nicht vorgelegt werden.
Die Kläger zu 29 und 30 haben nach Klageerhebung das Eigentum an dem an sie aufgelassenen Grundstück am 30. Juni 1998 erworben und wohnen dort seit August bzw. September 1998.
Entscheidungsgründe
II.
Soweit die Klage zurückgenommen worden ist, ist das Verfahren gemäß § 92 Abs. 2 Satz 1 VwGO einzustellen.
Die für die Klägerin zu 8 erhobene Klage ist unzulässig, da diese Klägerin ihren Prozeßvertretern entgegen § 67 Abs. 3 Satz 1 VwGO keine schriftliche Vollmacht erteilt hat und dieser Mangel trotz Fristsetzung gemäß § 67 Abs. 3 Satz 2 VwGO nicht geheilt wurde.
Hinsichtlich der übrigen Kläger ist die Klage zulässig. Der sinngemäß auf Verurteilung der Beklagten zur Ergänzung des Planfeststellungsbeschlusses um die Anordnung von Schallschutzmaßnahmen gerichtete Klageantrag ist insbesondere statthaft. Da weder § 41 Abs. 1 BImSchG noch das planerische Abwägungsgebot dem Betroffenen einen Anspruch auf bestimmte Schallschutzmaßnahmen gewährt, ist es grundsätzlich sachgerecht, das Begehren, im Rahmen der Planfeststellung für Bau oder Änderung einer Verkehrsanlage Schallschutz zu erhalten, im Wege einer Neubescheidungsklage entsprechend § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO zu verfolgen (vgl. BVerwGE 87, 332 ≪345 ff.≫; 104, 123 ≪134≫). Zwar beschränken sich die Kläger nicht auf ein bloßes Neubescheidungsbegehren, sondern wollen darüber hinaus, daß das Gericht im Rahmen der Verpflichtung der Beklagten zur Neubescheidung bestimmte Mindestanforderungen an die Wirkung der Schallschutzmaßnahmen festlegt. Damit konkretisieren sie jedoch nur die Rechtsauffassung, die das Gericht nach § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO der Verwaltungsbehörde zur Beachtung vorgeben soll.
Die Klage ist hinsichtlich eines Teils der Kläger auch teilweise begründet.
1. Die Kläger begehren in erster Linie Schallschutz nach Maßgabe der §§ 41, 42, 43 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 und 3 BImSchG i.V.m. § 2 der 16. BImSchV. Nach dieser Regelung ist bei der wesentlichen Änderung eines Schienenweges grundsätzlich durch aktive Schallschutzmaßnahmen sicherzustellen, daß der nach § 3 der 16. BImSchV berechnete Beurteilungspegel auf den in der Nachbarschaft gelegenen Grundstücken bestimmte Immissionsgrenzwerte nicht überschreitet. Dies gilt nicht, soweit die Kosten der Schutzmaßnahme außer Verhältnis zu dem angestrebten Schutzzweck stehen würden. Werden infolgedessen die genannten Immissionsgrenzwerte überschritten, hat der Eigentümer einer betroffenen baulichen Anlage gegen den Träger der Baulast einen Anspruch auf Entschädigung für passive Schallschutzmaßnahmen in Höhe der erbrachten notwendigen Aufwendungen, soweit sich diese im Rahmen der Verkehrswege-Schallschutzmaßnahmenverordnung halten.
Insoweit ist die Klage, soweit sie zulässig ist, hinsichtlich sämtlicher Kläger unbegründet. Daß die Beklagte es abgelehnt hat, den Klägern Schallschutz nach Maßgabe der genannten Vorschriften zu gewähren, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Denn die Tatbestandsvoraussetzungen jener Vorschriften liegen nicht vor.
a) Daß es sich bei dem planfestgestellten Vorhaben um eine im immissionsschutzrechtlichen Sinne wesentliche Änderung des vorhandenen Schienenweges handelt, folgt entgegen der Ansicht der Kläger nicht schon aus § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 der 16. BImSchV. Wäre die Wiederherstellung des Mitte der achtziger Jahre abgebauten zweiten Gleises eine bauliche Erweiterung des Schienenweges im Sinne dieser Vorschrift, so läge die Rechtswidrigkeit der Planfeststellung allerdings auf der Hand. Denn diese Wiederherstellung hängt mit den planfestgestellten Maßnahmen baubetrieblich und funktional so eng zusammen, daß sie in diesem Fall zum Gegenstand einer einheitlichen Planfeststellung für das Gesamtvorhaben hätte gemacht werden müssen (vgl. Beschluß des erkennenden Senats vom 27. August 1996 – BVerwG 11 VR 10.96 – Buchholz 442.09 § 18 AEG Nr. 14 S. 55 f. m.w.N.). Voraussetzung hierfür wäre jedoch nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, daß es sich bei der nach dem Abbau des Gleises betriebenen Bahnlinie nicht nur tatsächlich, sondern auch planungsrechtlich nur noch um eine eingleisige Strecke gehandelt hätte (vgl. BVerwGE 99, 166 ≪168≫). So verhielt es sich jedoch nicht.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts verliert eine Betriebsanlage der Eisenbahn ihre planungsrechtliche Zweckbestimmung nur durch einen eindeutigen Hoheitsakt, der für jedermann klare Verhältnisse darüber schafft, ob und welche Flächen künftig wieder für andere Nutzungen offenstehen (BVerwGE 81, 111 ≪118≫; 99, 166 ≪168≫; 102, 269 ≪272≫; Beschluß vom 26. Februar 1996 – BVerwG 11 VR 33.95 – Buchholz 442.09 § 18 AEG Nr. 12 S. 42). Möglich ist allerdings auch, daß die bestehende Fachplanung einer Fläche als Bahnanlage infolge der tatsächlichen Entwicklung funktionslos und damit rechtlich obsolet wird (BVerwGE 81, 111 ≪117≫; 99, 166 ≪169≫; Beschluß vom 26. Februar 1996 a.a.O.). Hiervon ausgehend, läßt sich feststellen, daß der in Rede stehende Schienenweg, an dessen Widmung als einer zweigleisigen Eisenbahnstrecke entgegen der Auffassung der Kläger – trotz lückenhafter Unterlagen – keine ernsthaften Zweifel möglich sind, im vorliegenden Abschnitt zunächst bis 1985 fortbestanden hat. Der gemäß § 12 Abs. 1 Nr. 10, § 14 Abs. 3 Buchst. d, § 44 Buchst. a des Bundesbahngesetzes in diesem Jahr vollzogene dauernde Übergang vom zweigleisigen zum eingleisigen Betrieb hat hieran nichts geändert. Nach Wortlaut und Systematik dieser Vorschriften betreffen diese und ihr Vollzug grundsätzlich nur denBetrieb der Bahnstrecke, nicht aber deren planungsrechtliche Qualität (vgl. Beschluß des erkennenden Senats vom 26. August 1998 – BVerwG 11 VR 4.98 – Buchholz 442.09 § 20 AEG Nr. 22 S. 53).
Anderes ergibt sich auch nicht aus der jener Betriebsumstellung zugrundeliegenden Verfügung der Bundesbahndirektion Hannover vom 7. März 1985. Diese Verfügung läßt nicht den Willen erkennen, den räumlichen Bereich des zweiten Gleises anderen Nutzungen durch die Bahn oder Dritte zu eröffnen, sondern beschränkt sich darauf, aus wirtschaftlichen Gründen die Einschränkung des Betriebs anzuordnen und den Termin hierfür festzulegen. Hinzu kommt, daß die Bekanntmachung des bloßen Tenors dieser Verfügung, der nur die Umstellung des Betriebs, nicht aber den Abbau des Gleises erwähnt, im Amtsblatt der Bundesbahndirektion unter der Überschrift „Betriebsdienst” mit dem Zusatz „An alle beteiligten Stellen” nicht ausreichte, um mit der für die erforderliche Publizität gegenüber jedermann geeigneten Klarheit erkennbar zu machen, daß eine über die Betriebseinschränkung hinausgehende Umgestaltung der Bahnanlagen beabsichtigt war. Eine das zweite Streckengleis erfassende „Teilentwidmung” der Bahnanlage durch einen darauf gerichteten Hoheitsakt scheidet demnach unter den genannten Gesichtspunkten aus.
Ebensowenig hat die in der Folgezeit vorgenommene tatsächliche Umgestaltung der Bahnanlagen zu einer Entwidmung des zweiten Gleises infolge Funktionslosigkeit geführt, soweit dieses Gleis im Zuge des planfestgestellten Vorhabens wiederhergestellt werden soll. Eine solche Funktionslosigkeit könnte nur angenommen werden, wenn die Verhältnisse wegen der tatsächlichen Entwicklung einen Zustand erreicht hätten, der die Verwirklichung des zweigleisigen Streckenbetriebs auf unabsehbare Zeit ausschloß (BVerwGE 99, 166 ≪170≫; 107, 350 ≪354≫). Diese Voraussetzungen waren hier nicht erfüllt. Dabei muß der ohne Planfeststellung in den Jahren 1987/1988 erfolgte Umbau der Eisenbahnüberführung der Strecke Hamburg-Hannover über die hier in Rede stehende Strecke, der nur noch für ein Gleis Platz ließ, außer Betracht bleiben, weil in diesem Bereich der Einbindung in den Bahnhof Uelzen zunächst auch künftig nur ein Gleis vorgesehen ist. Der im übrigen verbleibende bloße Zeitablauf von höchstens 13 Jahren seit Entfernung des zweiten Gleises und die dadurch bedingte, ohne weiteres behebbare Änderung der Erdoberfläche können allein nicht die Annahme rechtfertigen, die Wiederaufnahme der ursprünglichen Nutzung sei durch die vorgegebene tatsächliche Situation ausgeschlossen und daher planungsrechtlich nicht mehr gedeckt (vgl. BVerwGE 99, 166 ≪170≫; 107, 350 ≪354≫).
b) Gemäß § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 der 16. BImSchV ist die Änderung eines Schienenweges auch dann wesentlich, wenn durch einen erheblichen baulichen Eingriff der Beurteilungspegel des von dem zu ändernden Verkehrsweg ausgehenden Verkehrslärms auf mindestens 60 dB(A) in der Nacht erhöht wird; dasselbe gilt gemäß § 1 Abs. 2 Satz 2 der 16. BImSchV dann, wenn der Beurteilungspegel außerhalb von Gewerbegebieten schon vorher mindestens 60 dB(A) in der Nacht beträgt und durch einen erheblichen baulichen Eingriff weiter erhöht wird. Wie sich aus der Entstehungsgeschichte dieser Vorschriften ergibt, ist ein baulicher Eingriff nur dann erheblich, wenn in die Substanz des Schienenweges, d.h. der Gleisanlage mit ihrem Unter- und Überbau einschließlich einer Oberleitung (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 20. Mai 1998 – BVerwG 11 C 3.97 –, NVwZ 1999, S. 67) eingegriffen wird, soweit es sich nicht lediglich um Erhaltungs- und Unterhaltungsmaßnahmen oder um kleinere Baumaßnahmen handelt.
Die hier vorgesehene Sanierung des Bahndamms bzw. der Einschnittsböschungen ist kein erheblicher baulicher Eingriff in diesem Sinne, sondern lediglich als Nachholung jahrelang versäumter Erhaltungs- und Unterhaltungsmaßnahmen zu bewerten. Daß die dabei hergestellten Anlagenteile einem neueren Stand der Technik entsprechen und den aktuellen Sicherheits- und Verkehrsbedürfnissen Rechnung tragen, ändert daran nichts (vgl. BVerwG, Beschluß vom 27. Januar 1995 – BVerwG 7 VR 16.94 – NVwZ 1995, S. 586). Denn insoweit würde sich der zukünftige Zustand der Trasse nicht wesentlich von demjenigen Zustand unterscheiden, der – fiktiv – bestanden hätte, wenn die Trasse ohne die Teilung Deutschlands als zweigleisige Hauptstrecke instandgehalten worden wäre. Die Verbreiterung des Bahndamms um 1,3 m zur Herstellung des Regelprofils bei im übrigen gleichbleibender Lage und Höhe überschreitet als solche den Rahmen einerkleineren, nicht erheblichen Baumaßnahme nicht. Daß die Bauarbeiten insgesamt aus technischer Sicht einem Neubau nahekommen, ist rechtlich insoweit unerheblich.
Die Errichtung der Oberleitung stellt zwar einen erheblichen baulichen Eingriff dar. Durch sie wird jedoch – auch in Kombination mit der Grundinstandsetzung – der Beurteilungspegel des von dem zu ändernden Verkehrsweg ausgehenden Verkehrslärms jedenfalls nicht im Sinne des § 1 Abs. 2 der 16. BImSchV erhöht. Die Beklagte hat in ihrer auch in diesem Verfahren vorgelegten technischen Stellungnahme vom 13. August 1999 (Bl. 115 ff. d.A.) nachvollziehbar dargelegt, daß auch ohne die am Bahndamm vorgesehenen Arbeiten und die Errichtung der Oberleitung das im Planfeststellungsbeschluß für 2010 prognostizierte Zugaufkommen hätte abgewickelt werden können, wenn die Beigeladene den Schienenweg mit dem Ausrüstungsstandard der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg wiedererrichten würde. Die vorgesehenen Maßnahmen nach dem Stand der Technik dienten überwiegend nur der Rationalisierung gegenüber dem ursprünglichen Zustand und der Minimierung der künftigen Unterhaltung. Die Kläger sind diesem Vortrag nicht substantiiert entgegengetreten.
2. Scheiden Ansprüche der Kläger auf Schallschutz nach der Verkehrslärmschutzverordnung oder der Verkehrswege-Schallschutzmaßnahmen-Verordnung hiernach aus, so umfaßt der Klageantrag bei großzügiger Auslegung hilfsweise das Begehren, zumindest den – weniger weitreichenden – Schallschutz zu erhalten, der im Einzelfall zum Schutz des Eigentums und der Gesundheit geboten erscheint. Soweit diese Schutzgüter von dem Vorhaben möglicherweise berührt sind, waren sie als Belange der Kläger in die gemäß § 18 Abs. 1 Satz 2 AEG vorzunehmende Abwägung einzustellen und ihrer Bedeutung und objektiven Gewichtigkeit entsprechend zu behandeln.
Insoweit ist die Klage hinsichtlich der Kläger zu 3 bis 6, 9 bis 12, 15 bis 21, 24, 27, 28, 33 bis 38 und 40 begründet. Denn die von der Planfeststellungsbehörde vorgenommene Abwägung weist bei der Behandlung jener Belange einen im Sinne des § 20 Abs. 7 offensichtlichen Mangel auf, der bei diesen Klägern auf das Abwägungsergebnis von Einfluß war und deshalb für sie einen Anspruch auf Neubescheidung zur Folge hat. Für die übrigen Kläger kann hingegen ein Einfluß des Fehlers auf das Abwägungsergebnis ausgeschlossen werden.
a) Jedenfalls bei der Wiederinbetriebnahme von Gleisen, die aufgrund einer Unterbrechung des betreffenden Schienenweges infolge der deutschen Teilung außer Betrieb gestellt und abgebaut oder in einer dem Abbau gleichkommenden Weise verfallen waren, findet nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats die Berücksichtigung der bisherigen planungsrechtlichen Situation als schutzmindernde Vorbelastung dort ihre Grenze, wo über die tatsächliche Vorbelastung hinausgehende Einwirkungen zu erwarten sind, die Eigentums- oder Gesundheitsbeeinträchtigungen darstellen können, und dies substantiiert geltend gemacht wird oder sich der Planfeststellungsbehörde angesichts der konkreten Situation aufdrängen muß (vgl. BVerwGE 107, 350 ≪375≫; Urteil vom 17. November 1999 – BVerwG 11 A 4.98 –, S. 20). Dieser Grundsatz findet auch im vorliegenden Fall Anwendung.
Das planfestgestellte Vorhaben dient, wie im Erläuterungsbericht mehrfach ausdrücklich hervorgehoben wird, maßgeblich dem Zweck, die durch die Teilung Deutschlands seit 1945 verursachte nachhaltige Durchtrennung der bedeutsamen und ehemals zweigleisigen Ost-West-Hauptstrecke Stendal – Uelzen durch Wiederinbetriebnahme dieser Strecke in ihrer früheren Funktion als Verbindung zwischen dem mitteldeutschen und dem Berliner Raum mit den deutschen Nordseehäfen zu beseitigen. Dieser Umstand, der zusätzlich durch die Aufnahme der Strecke in die Fernverkehrswegebestimmungsverordnung belegt wird, rechtfertigt es, einerseits zu Lasten der Kläger im Wege der juristischen Fiktion davon abzusehen, den tatsächlich erfolgenden Neubau auch rechtlich als solchen oder zumindest als bauliche Erweiterung um ein neues Gleis zu behandeln. Dann aber ist es folgerichtig, die vom erkennenden Senat für Fälle teilungsbedingt – ganz oder teilweise – unterbrochener Schienenwege entwickelten Grundsätze zur Anwendung dieser Fiktion auch insoweit heranzuziehen, als sie sich zugunsten der Kläger auswirken. Die in den Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. Oktober 1998 (BVerwG 11 A 3.98 – BVerwGE 107, 350) und 17. November 1999 (BVerwG 11 A 4.98) entwickelte Rechtsprechung zur Berücksichtigung von Lärmbeeinträchtigungen bei der Wiederinbetriebnahme zuvor teilungsbedingt stillgelegter Bahnstrecken gilt auch für Anwohner solcher Streckenabschnitte, die nicht insgesamt, sondern nur durch den Abbau oder die Vernachlässigung eines Gleises teilweise stillgelegt waren und bei denen teilungsbedingt eine erhebliche Reduzierung der Verkehrsmenge eingetreten war. Eine Anwendung dieser Rechtsprechung kommt auf den in der Fernverkehrswegebestimmungsverordnung genannten Strecken westlich der innerdeutschen Grenze bis zu den dortigen Knoten des Hauptfernverkehrsnetzes in Betracht.
Dem danach aus dem Abwägungsgebot folgenden Anspruch der Kläger auf eine gerechte Abwägung ihrer Belange, deren mögliche Grundrechtsrelevanz sich der Planfeststellungsbehörde schon aufgrund der den Planunterlagen beigefügten schalltechnischen Untersuchung aufdrängen mußte, trägt der angefochtene Planfeststellungsbeschluß nicht ausreichend Rechnung. Zwar ergibt sich aus seiner Begründung, daß eine Abwägung stattgefunden hat. In diese wurden jedoch die Lärmschutzbelange der Kläger mit der Begründung nicht eingestellt, daß die Planfeststellungsbehörde insoweit nicht regelungsbefugt sei, weil die Wiederaufnahme des Eisenbahnbetriebs in keinem ursächlichen Zusammenhang mit dem planfestgestellten Vorhaben stehe und die sich daraus möglicherweise ergebenden lärmbedingten Eigentums- und Gesundheitsbeeinträchtigungen deshalb mit dem Vorhabenträger im Rahmen des bürgerlich-rechtlichen Nachbarschaftsverhältnisses direkt zu klären seien. Die Beklagte hielt sich also für rechtlich gehindert, der Beigeladenen Schallschutzmaßnahmen zugunsten der Kläger aufzuerlegen. Diese Auffassung entspricht nicht der Rechtslage (vgl. BVerwGE 107, 350 ff.).
b) Der darin liegende Mangel bei der Abwägung ist offensichtlich im Sinne des § 20 Abs. 7 Satz 1 AEG; denn er betrifft die Zusammenstellung und Aufbereitung des Abwägungsmaterials und ergibt sich ohne weiteres aus der Planbegründung (vgl. BVerwGE 64, 33 ≪38≫). Er war hinsichtlich der Kläger zu 3 bis 6, 9 bis 12, 15 bis 21, 24, 27, 28, 33 bis 38 und 40 auch von Einfluß auf das Abwägungsergebnis; denn nach den Umständen des vorliegenden Falles besteht die konkrete Möglichkeit, daß hinsichtlich dieser Kläger ohne den Mangel die Planung anders ausgefallen wäre. Es bestehen nämlich hinreichende Anhaltspunkte dafür, daß die genannten Kläger hinsichtlich ihrer Grundstücke nach Ausführung des planfestgestellten Vorhabens Eigentumsbeeinträchtigungen durch Schienenverkehrslärm ausgesetzt sein könnten, die die Grenze einer entschädigungslos zulässigen Eigentumsbindung überschreiten und deshalb von den Klägern nicht ohne weiteres geduldet werden müssen. Entsprechend der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Bestimmung der enteignungsrechtlichen Zumutbarkeitsschwelle darf dabei die Bewertung nicht schematisch von der Erreichung bestimmter Immissionsgrenzwerte abhängig gemacht werden. Vielmehr läßt sich die Grenze nur aufgrund wertender Betrachtung des Einzelfalles ziehen (vgl. BGHZ 122, 76 ≪80/81≫ mit zahlreichen weiteren Nachweisen). Dabei können auch Gebietsart und Lärmvorbelastungen eine wesentliche Rolle spielen.
Die für die in einem Wohngebiet liegenden Grundstücke der Kläger zu 3 bis 6, 9 bis 12, 15 bis 21, 24, 27, 28, 33 bis 38 und 40 zu erwartenden Beurteilungspegel liegen nach den von der Beigeladenen im gerichtlichen Verfahren vorgelegten Berechnungen teilweise nachts über 60 dB(A) und damit in einem Bereich, der sich nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bereits unmittelbar der Enteignungsschwelle nähert oder diese schon erreicht (vgl. BGHZ 97, 361 ≪366≫; 122, 76 ≪81≫). Auf den bahnzugewandten Seiten wird die enteignungsrechtliche Zumutbarkeitsschwelle mit Beurteilungspegeln von nachts bis zu 71 dB(A) teilweise sogar deutlich überschritten. Unter diesen Umständen erscheint es naheliegend, daß das Eisenbahn-Bundesamt – vorbehaltlich näherer Prüfung der Eignung und Erforderlichkeit anhand der örtlichen Verhältnisse im Einzelfall – entsprechende Maßnahmen des aktiven oder passiven Schallschutzes angeordnet hätte, wenn es seine Abwägungspflicht zutreffend erkannt hätte. Einer weiteren gerichtlichen Aufklärung der Beschaffenheit oder Nutzung der betroffenen Gebäude im einzelnen bedarf es für die hier allein zu treffende Feststellung der konkreten Möglichkeit, daß die Planung hinsichtlich der Anordnung aktiven oder passiven Schallschutzes für die genannten Kläger anders ausgefallen wäre, nicht.
Die Kläger zu 3 bis 6, 9 bis 12, 15 bis 21, 24, 27, 28 und 33 bis 38 können sich darüber hinaus auf die Befürchtung berufen, durch den zu erwartenden Schienenverkehrslärm gesundheitlich beeinträchtigt zu werden. Auch diesen Gesichtspunkt wird die Planfeststellungsbehörde in ihre Abwägungen einzubeziehen und dabei zu berücksichtigen haben, daß für die unter dem Gesundheitsaspekt entscheidenden Innenraumpegel nach dem derzeitigen Stand der Lärmwirkungsforschung Dauerschallpegel am Ohr des Schläfers in einem Bereich zwischen 30 und 35 dB(A) und Pegelspitzen in der Größenordnung von 40 dB(A) nicht überschritten werden sollten (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 23. April 1997 – BVerwG 11 A 17.96 – Buchholz 316 § 75 VwVfG Nr. 13 S. 9 f. m.w.N. aus der Lärmforschung). Da bei Räumen üblicher Größe und Beschaffenheit bei geschlossenen Einfachfenstern ein Unterschied von 20 bis 25 dB(A) zwischen den Mittelungspegeln innen und außen angenommen werden kann (vgl. BVerwGE 104, 123 ≪130 f.≫), befinden sich diese Kläger bei den für ihre Grundstücke prognostizierten nächtlichen Außenpegeln von bis zu über 60 dB(A) in einem kritischen Bereich.
c) Demgegenüber ist hinsichtlich der übrigen Kläger nach den Umständen des vorliegenden Falles auszuschließen, daß die Planfeststellungsbehörde bei ordnungsgemäßer Abwägung aktiven oder passiven Schallschutz zugunsten dieser Kläger angeordnet hätte. Die bei ihnen prognostizierten Beurteilungspegel überschreiten die Grenzen einer entschädigungslos zulässigen Eigentumsbindung von vornherein nicht. Das gilt auch für die Klägerin zu 2, für die die Beigeladene zwar keine Beurteilungspegel berechnet hat, deren Wohnhaus jedoch von der Trasse aus gesehen hinter dem des Klägers zu 1 liegt. Anhaltspunkte dafür, daß die Planfeststellungsbehörde gleichwohl Schallschutz für diese Kläger angeordnet hätte, wenn sie deren Lärmschutzbelange in die Abwägung eingestellt hätte, sind nicht ersichtlich.
d) Der hinsichtlich der Kläger zu 3 bis 6, 9 bis 12, 15 bis 21, 24, 27, 28, 33 bis 38 und 40 festgestellte erhebliche Abwägungsmangel kann nachträglich im Wege der Planergänzung behoben werden. Allerdings kommt die beantragte Verpflichtung zur Vornahme dieser Planergänzung durch Anordnung entsprechender Schallschutzmaßnahmen nicht in Betracht, da die Sache insoweit noch nicht spruchreif ist. Vielmehr muß zunächst die Beklagte aufgrund fehlerfreier Abwägung der vom Schienenverkehrslärm betroffenen Eigentums- und Gesundheitsbelange dieser Kläger unter sachverständiger Ermittlung und wertender Betrachtung der Umstände des Einzelfalles abschließend prüfen, ob jenen Belangen nicht durch eine Planergänzung um die Anordnung von Maßnahmen aktiven Schallschutzes oder um die Festsetzung von Entschädigungsansprüchen für passive Schallschutzmaßnahmen Rechnung zu tragen ist. Deshalb ist der Klage hinsichtlich der genannten Kläger durch ein entsprechendes Bescheidungsurteil teilweise stattzugeben; im übrigen ist die Klage abzuweisen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 3, § 155 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2, § 159 Satz 1 und § 162 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 und 2 ZPO.
Unterschriften
Hien, Dr. Storost, Kipp, Vallendar, Prof. Dr. Rubel
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 12.04.2000 durch Stoffenberger Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen