Entscheidungsstichwort (Thema)
Vermögenszuordnung schließt nachfolgende anderweitige öffentliche Restitution des Vermögenswertes nicht aus
Leitsatz (amtlich)
1. Die Vermögenszuordnung gemäß Art. 21 Abs. 1 und 2, Art. 22 Abs. 1 EV i. V. m. § 1 Abs. 1 VZOG steht auch bei Bestandskraft einer nachfolgenden öffentlichen Restitution des zugeordneten Vermögenswertes gemäß Art. 21 Abs. 3, Art. 22 Abs. 1 Satz 7 EV i. V. m. § 1 Abs. 4 VZOG nicht entgegen; einer Aufhebung des Zuordnungsbescheides bedarf es nicht (Fortführung von BVerwG, Urteil vom 22. Juni 1995 - 7 C 16.94 - Buchholz 111 Art. 21 EV Nr. 8).
2. Wird ein Vermögenswert auf einen innerhalb der Frist des § 7 Abs. 1 Satz 1 und 2 VZOG bei dem Präsidenten der Treuhandanstalt (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 VZOG) eingereichten Antrag restituiert, kann der Restitutionsbescheid gemäß § 1 Abs. 7 VZOG nicht mit der Begründung, der Oberfinanzpräsident sei sachlich zuständig gewesen, angefochten und aufgehoben werden.
Verfahrensgang
VG Halle (Saale) (Urteil vom 30.09.2021; Aktenzeichen 1 A 88/19 HAL) |
Tenor
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Halle vom 30. September 2021 wird geändert. Die Klage wird abgewiesen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die Klägerin trägt die außergerichtlichen Kosten der Beklagten aus beiden Rechtszügen. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
Tatbestand
Rz. 1
Die Klägerin wendet sich gegen einen Bescheid, mit dem der Beklagte das im Grundbuch von A. Blatt 1735 verzeichnete Grundstück dem Beigeladenen zugeordnet hat.
Rz. 2
Das Grundstück stand 1937 im Eigentum des Landes Thüringen. Im April 1948 wurde es im Zuge der Bodenreform auf die Landgut A. GmbH übertragen. 1988 wurde im Grundbuch Eigentum des Volkes, Rechtsträger: Rat der Gemeinde W., eingetragen. Am 18. August 1992 beantragte der Beigeladene die Restitution des Grundstücks bei der Treuhandanstalt. Mit Bescheid vom 24. Juni 1999 ordnete die Oberfinanzdirektion M. das Grundstück der Gemeinde W. zu. 2012 wurde die Klägerin aufgrund einer Gebietsänderungsvereinbarung mit der Gemeinde W. als Eigentümerin im Grundbuch eingetragen. Mit Bescheid vom 15. März 2019 übertrug die Beklagte das Grundstück an den Beigeladenen zurück, weil sein Rechtsvorgänger das Grundstück dem Zentralstaat im Rahmen der Bodenreform unentgeltlich zur Verfügung gestellt habe.
Rz. 3
Der dagegen erhobenen Anfechtungsklage hat das Verwaltungsgericht stattgegeben. Der öffentlichen Restitution des Grundstücks stehe der Zuordnungsbescheid vom 24. Juni 1999 zugunsten der Gemeinde W. entgegen. Er sei jedenfalls gegenüber der Klägerin bestandskräftig geworden und bilde die Rechtsgrundlage für ein "Behaltendürfen" des Grundstücks. Gegenüber dem Adressaten begründe er eine geschützte Rechtsposition, die nur unter bestimmten Voraussetzungen wieder beseitigt werden könne. Ohne seine Aufhebung stehe er einer anderweitigen Vermögenszuordnung des Grundstücks entgegen. Aus § 11 Abs. 1 Satz 1 VZOG folge nichts Anderes. Die Vorschrift ermächtige nicht zur Durchbrechung bereits getroffener vermögenzuordnungsrechtlicher Entscheidungen, ohne diese vorher aufzuheben. Gegen eine andere Auslegung dieser Vorschrift spreche zudem § 2 Abs. 5 Satz 1 VZOG, wonach das Verwaltungsverfahrensgesetz für Verfahren nach dem Vermögenszuordnungsgesetz Anwendung finde und lediglich die Anwendung von § 51 VwVfG unter dort näher bestimmten Umständen ausgeschlossen sei. Danach habe die Aufhebung des Zuordnungsbescheides vom 24. Juni 1999 möglicherweise auf § 48 VwVfG gestützt werden können.
Rz. 4
Zur Begründung ihrer Revision trägt die Beklagte vor, das angegriffene Urteil beruhe auf der unzutreffenden Annahme, der Zuordnungsbescheid vom 24. Juni 1999 stehe dem Erlass des Restitutionsbescheides vom 15. März 2019 entgegen. Die Zuordnung von Verwaltungs- oder Finanzvermögen zu einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft nach Art. 21 Abs. 1 und 2, Art. 22 Abs. 1 EV schließe eine nachfolgende Restitution nach Art. 21 Abs. 3, Art. 22 Abs. 1 Satz 7 EV nicht aus. Die Zuordnung stelle fest, wer am 3. Oktober 1990 Eigentümer des zuvor volkseigenen Vermögenswertes geworden sei. Die Restitutionsentscheidung übertrage dagegen das Eigentum an einem Vermögenswert konstitutiv. Eine vorangegangene Zuordnung stehe daher einer öffentlichen Restitution nicht entgegen und setze keine Aufhebung des früheren Zuordnungsbescheides voraus. Der grundsätzliche Vorrang der öffentlichen Restitution vor der Zuordnung folge auch aus § 11 Abs. 1 Satz 1 und § 2 Abs. 1a Satz 5 VZOG. Die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zu § 2 Abs. 5 Satz 1 VZOG und § 51 VwVfG stellten keine das Urteil selbständig tragende Alternativerwägung dar. In der Sache stehe dem Beigeladenen der geltend gemachte öffentliche Restitutionsanspruch zu.
Rz. 5
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Halle vom 30. September 2021 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Rz. 6
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Rz. 7
Sie verteidigt das angegriffene Urteil.
Rz. 8
Der Beigeladene stellt keinen Antrag.
Entscheidungsgründe
Rz. 9
Die zulässige Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) (1.). Es beruht auf einer unrichtigen Auslegung von Art. 21 Abs. 1 und 2 sowie Art. 22 Abs. 1 des Einigungsvertrages (EV) und von § 11 Abs. 1 Satz 1 VZOG (2.); es stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO) (3.). Das führt zur Änderung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage (4.).
Rz. 10
1. Das angefochtene Urteil misst der Vermögenszuordnung gemäß § 1 Abs. 1 VZOG i. V. m. Art. 21 Abs. 1 und 2, Art. 22 Abs. 1 EV Rechtswirkungen bei, die ihr von Gesetzes wegen nicht zukommen. Es übersieht, dass die Vermögenszuordnung eine spätere öffentliche Restitution nicht hindert (a) und kein schutzwürdiges Vertrauen auf einen endgültigen Eigentumserwerb begründet (b).
Rz. 11
a) Art. 21 Abs. 1 und 2, Art. 22 Abs. 1 EV regeln, auf welches Rechtssubjekt das Eigentum an zuvor volkseigenen Vermögenswerten am 3. Oktober 1990 übergegangen ist. Vermögenswerte, die unmittelbar bestimmten Verwaltungsaufgaben dienten (Verwaltungsvermögen), wurden Bundesvermögen, sofern sie nicht am 1. Oktober 1989 überwiegend für Verwaltungsaufgaben bestimmt waren, die nach der verfassungsrechtlichen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland von anderen Trägern der öffentlichen Verwaltung wahrzunehmen waren. Andernfalls fielen sie deren Funktionsnachfolgern zu (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. März 2018 - 10 C 3.17 - Buchholz 428.2 § 11 VZOG Nr. 38 Rn. 17). Vermögenswerte der ehemaligen DDR, die nicht unmittelbar der Wahrnehmung von Verwaltungsaufgaben dienten (Finanzvermögen) und nicht zum Vermögen der Sozialversicherung gehörten, unterlagen nach Maßgabe des Art. 22 Abs. 1 EV der Treuhandverwaltung des Bundes, soweit sie nicht der Treuhandanstalt oder den kommunalen Gebietsverbänden nach § 1 Abs. 1 Satz 2 und 3 TreuhG übertragen waren. Art. 21 Abs. 3 und Art. 22 Abs. 1 Satz 7 EV regeln demgegenüber, in welchem Umfang unentgeltliche Vermögensverschiebungen zwischen Körperschaften des öffentlichen Rechts rückgängig gemacht werden sollen. Sie bestimmen, dass Vermögenswerte, die dem Zentralstaat oder den Ländern und Gemeinden (Gemeindeverbänden) unentgeltlich zur Verfügung gestellt wurden, an diese Körperschaft oder ihre Rechtsnachfolgerin unentgeltlich zurückübertragen werden.
Rz. 12
Schon der Wortlaut der genannten Vorschriften spricht dafür, dass die Vermögenszuordnung eine nachfolgende anderweitige öffentliche Restitution nicht ausschließt. Beide betreffen einen jeweils anderen Regelungsgegenstand und beziehen sich auf verschiedene Zeitpunkte. Während die Vermögenszuordnung deklaratorisch den gesetzlichen Eigentumsübergang ehemals volkseigener Vermögenswerte mit Wirkung zum 3. Oktober 1990 feststellt, überträgt die öffentliche Restitution das Eigentum an solchen Vermögenswerten mit Bestandskraft des Rückübertragungsbescheides konstitutiv auf den Restitutionsberechtigten.
Rz. 13
Auch aus systematischen Gründen kommt der Vermögenszuordnung kein Vorrang vor der öffentlichen Restitution zu. Art. 21 Abs. 1 und 2, Art. 22 Abs. 1 EV betreffen alle zuvor volkseigenen Vermögenswerte und damit auch solche, die Gegenstand von Ansprüchen nach Art. 21 Abs. 3, Art. 22 Abs. 1 Satz 7 EV sind. Schlössen Art. 21 Abs. 1 und 2, Art. 22 Abs. 1 EV die öffentliche Restitution aus, wären Art. 21 Abs. 3, Art. 22 Abs. 1 Satz 7 EV ohne Anwendungsbereich. Die Materialien zum Einigungsvertrag bestätigen, dass die Vertragsparteien dem Restitutionsprinzip gegenüber der funktionalen Zuordnung grundsätzlich Vorrang einräumen wollten, um "teilweise unter Verletzung rechtsstaatlicher Grundsätze erfolgt[e]" unentgeltliche Vermögensübertragungen rückgängig zu machen (Denkschrift der Bundesregierung zum Einigungsvertrag, BT-Drs. 11/7760 S. 365; BVerwG, Urteil vom 22. Juni 1995 - 7 C 16.94 - Buchholz 111 Art. 21 EV Nr. 8 S. 5 f.).
Rz. 14
Sinn und Zweck der Regelungen über den gesetzlichen Eigentumsübergang zum 3. Oktober 1990 und über die öffentliche Restitution sprechen schließlich ebenfalls dafür, dass diese sich nicht gegenseitig ausschließen. Die Regelungen der Art. 21 Abs. 1 und 2, Art. 22 Abs. 1 EV zielen auf eine aufgabengerechte Ausstattung der Funktionsnachfolger in die Verwaltungsaufgaben, denen der betreffende Vermögenswert am maßgeblichen Stichtag zu dienen bestimmt war. Demgegenüber bezwecken die Regelungen der Art. 21 Abs. 3, Art. 22 Abs. 1 Satz 7 EV über die öffentliche Restitution von Vermögenswerten eine Wiederherstellung der Eigentumslage vor der Verstaatlichung dieser Vermögenswerte. Der öffentliche Restitutionsanspruch soll zur Leistungsfähigkeit der öffentlichen Körperschaften beitragen, indem er sie mit entzogenem Altvermögen ausstattet, von dem angenommen werden kann, dass es der Wahrnehmung ihrer Aufgaben dient (vgl. BT-Drs. 12/5553 S. 168; BVerwG, Urteil vom 22. Juni 1995 - 7 C 16.94 - Buchholz 111 Art. 21 EV Nr. 8 S. 5 f.). Diese unterschiedlichen Regelungszwecke rechtfertigen es nicht, den Eigentumsübergang zum 3. Oktober 1990 als dauerhafte Eigentumszuweisung an den durch Art. 21 Abs. 1 und 2 und Art. 22 Abs. 1 EV Begünstigten zu verstehen. Das zugeordnete Eigentum ist vielmehr mit einem etwaigen Restitutionsanspruch belastet (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Juni 1995 - 7 C 16.94 - Buchholz 111 Art. 21 EV Nr. 8 S. 6).
Rz. 15
Das Vermögenszuordnungsgesetz knüpft an diese materiell-rechtliche Rechtslage an. § 1 VZOG unterscheidet das Verfahren über die Zuordnung von ehemals volkseigenen Vermögenswerten (§ 1 Abs. 1 bis 3 VZOG) von dem Verfahren für die Entscheidung über Ansprüche auf öffentliche Restitution (§ 1 Abs. 4 VZOG). Diese Unterscheidung greift § 2 Abs. 1a VZOG auf und bestimmt, dass die Zuordnungsfeststellung gemäß § 1 Abs. 1 VZOG im Regelfall mit der Entscheidung über die Restitution gemäß § 1 Abs. 4 VZOG verbunden werden soll. § 2 Abs. 1a Satz 2 VZOG lässt aber auch eine gesonderte Bescheidung zu, damit der Aufklärungsbedarf bezüglich eines Teils der zu treffenden Entscheidungen nicht die übrigen Entscheidungen verzögert. Der das Zuordnungsverfahren abschließende Bescheid ergeht nach § 2 Abs. 1 Satz 5 VZOG vorbehaltlich des Eigentums, der Rechtsinhaberschaft oder sonstiger privater Rechte Dritter oder im Einzelnen bezeichneter Beteiligter an dem Vermögensgegenstand, sofern nicht ausnahmsweise nach Satz 4 der Vorschrift festgestellt wird, dass der Erwerb des Gegenstandes durch eine Person, die nicht zuordnungsbegünstigt sein kann, unwirksam ist. § 2 Abs. 1 Satz 5 VZOG stellt klar, dass selbst eine bestandskräftige Zuordnung eine spätere öffentliche Restitution nicht hindert; sie scheidet nur aus, wenn über das Eigentum an dem zugeordneten Gegenstand verfügt wurde und der Erwerber gutgläubig ist. In allen übrigen Fällen kann die Restitution auch bei bestandskräftig gewordener früherer Zuordnung verfügt werden, ohne diese zuvor aufzuheben, für die im angegriffenen Urteil erwogene Anwendung des § 48 VwVfG besteht kein Anlass.
Rz. 16
Dass die Zuordnung unter dem Vorbehalt späterer Restitution steht, bestätigt schließlich § 11 Abs. 1 Satz 1 VZOG. Danach kann die öffentliche Restitution von dem jeweiligen Eigentümer oder Verfügungsberechtigten verlangt werden. Das schließt Eigentümer, die den Vermögenswert durch Zuordnung erworben haben, mit ein. Das zugeordnete Eigentum ist daher mit eventuellen Restitutionsansprüchen quasi-dinglich belastet (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Juni 1995 - 7 C 16.94 - Buchholz 111 Art. 21 EV Nr. 8 S. 6). Folgerichtig sind der Erlass eines Zuordnungsbescheides oder dessen Bestandskraft nicht als Restitutionsausschlussgrund in § 11 Abs. 1 Satz 3 VZOG aufgeführt.
Rz. 17
b) Schon aus diesen Gründen kann die Zuordnung des verfahrensgegenständlichen Vermögenswertes kein schutzwürdiges Vertrauen der Klägerin begründen, den Vermögenswert behalten zu dürfen. Der ergangene Zuordnungsbescheid bindet im Übrigen nach § 2 Abs. 3 VZOG nur die am Zuordnungsverfahren Beteiligten, zu denen der Beigeladene nicht gehört.
Rz. 18
2. Das Urteil beruht auf dem unrichtigen Verständnis des Verwaltungsgerichts von den Rechtswirkungen einer Zuordnung und den durch eine solche vermittelten Rechtspositionen. Die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zu § 2 Abs. 5 Satz 1 VZOG und § 51 VwVfG stellen keine revisionsrechtlich fehlerfreie Alternativbegründung dar. Sie sollen die - unzutreffende - Annahme stützen, eine öffentliche Restitution komme erst nach Aufhebung einer den zu restituierenden Vermögenswert betreffenden Zuordnungsentscheidung in Betracht.
Rz. 19
3. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts stellt sich nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO). Der Beigeladene hat einen Anspruch auf Restitution des verfahrensgegenständlichen Grundstücks aus Art. 21 Abs. 3, Art. 22 Abs. 1 Satz 7 EV i. V. m. § 1 Abs. 4, § 2 Abs. 1 und § 7 Abs. 3 VZOG. Danach sind Vermögenswerte, die dem Zentralstaat oder den Ländern und Gemeinden (Gemeindeverbänden) von einer anderen Körperschaft des öffentlichen Rechts unentgeltlich zur Verfügung gestellt worden sind, auf einen entsprechenden fristgemäßen Antrag hin an diese Körperschaft unentgeltlich zurückzuübertragen, soweit keine Ausschlussgründe bestehen.
Rz. 20
a) Der Restitutionsantrag des Beigeladenen wahrt die Antragsfrist gemäß § 7 Abs. 3 VZOG.
Rz. 21
Die begehrte Restitution kann nach § 1 Abs. 6 VZOG nur auf Antrag erfolgen. § 1 Abs. 6 Halbs. 2 VZOG ist nicht einschlägig, weil keine Zuordnung nach § 1 Abs. 1 VZOG begehrt wird.
Rz. 22
Die Antragsfrist endete gemäß § 7 Abs. 3 Satz 2 VZOG i. V. m. § 1 der Verordnung zur Verlängerung der Frist für die Stellung von Anträgen nach § 1 Abs. 4 sowie § 10 des Vermögenszuordnungsgesetzes (Antragsfristverordnung - AnFrV vom 14. Juni 1994 - BGBl. I S. 1265) mit Ablauf des 31. Dezember 1995.
Rz. 23
Der Antrag, der zahlreiche damals zum Volkseigenen Gut (VEG) A. gehörenden Grundstücke umfasst, ist vor Ablauf dieser Frist bei der Treuhandanstalt und damit bei einer der für die Entscheidung über Ansprüche auf öffentliche Restitution nach § 1 Abs. 4 i. V. m. § 1 Abs. 1 VZOG zuständigen Behörde eingegangen. Ob die Treuhandanstalt bei Antragstellung nach § 1 Abs. 4 i. V. m. § 1 Abs. 1 bis 3 VZOG auch gerade für die Entscheidung über die vom Antrag umfasste verfahrensgegenständliche Fläche zuständig war, ist für die Fristwahrung unerheblich.
Rz. 24
Zahlreiche Besonderheiten des vermögenszuordnungsrechtlichen Verfahrens sprechen dafür, dass die fristwahrende Antragstellung - abweichend von dem allgemeinen Verwaltungsverfahrensrecht (dazu vgl. Baer, in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, § 31 VwVfG Rn. 71 m. w. N.) - keinen rechtzeitigen Antragseingang gerade bei der zuständigen Behörde voraussetzt, sondern die rechtzeitige Antragstellung bei einer der nach § 1 Abs. 4 i. V. m. § 1 Abs. 1 bis 3 VZOG zuständigen Behörden ausreicht. Anders als § 30 Abs. 1 Satz 1 VermG verlangen §§ 1 und 7 Abs. 3 VZOG nicht ausdrücklich, dass der Antrag bei der zuständigen Behörde gestellt werden muss. Ein solches Erfordernis widerspräche auch dem Anliegen des Gesetzgebers, zügig Klarheit über die noch abzuarbeitenden öffentlichen Restitutionsansprüche zu schaffen (vgl. BR-Drs. 227/92 S. 1 ff.). Die nach § 1 Abs. 4 i. V. m. § 1 Abs. 1 bis 3 VZOG einschlägigen Zuständigkeitsvorschriften sind weit verzweigt, wurden mehrfach geändert und teils an entlegener Stelle normiert. Um den daraus folgenden Problemen Rechnung zu tragen, lässt § 1 Abs. 5 Satz 2 VZOG Zuständigkeitsvereinbarungen zu, die den Betroffenen nicht zwangsläufig rechtzeitig bekannt geworden sein müssen. In Zweifelsfällen ermächtigt § 1 Abs. 5 Satz 1 VZOG den Bundesminister der Finanzen, eine Zuständigkeitsbestimmung vorzunehmen, die stets erst nach Antragseingang und in Fällen, in denen der Antrag - wie hier - zahlreiche Vermögenswerte umfasste, wegen der langen Bearbeitungszeiten häufig erst nach Fristablauf möglich war. Der sorgsame, auf die Minimierung von Verfahrensrisiken bedachte Antragsteller hätte diesen Unsicherheiten nur durch vorsorgliche Stellung seines Restitutionsantrags bei allen in Betracht kommenden Behörden begegnen können. Der dadurch entstehende erhebliche zusätzliche Verwaltungsaufwand widerspräche dem Optimierungsziel des Zweiten Vermögensrechtsänderungsgesetzes.
Rz. 25
Jedenfalls ergibt sich die Unerheblichkeit einer eventuellen sachlichen Unzuständigkeit der Präsidentin der Treuhandanstalt aus § 1 Abs. 7 VZOG, der anordnet, dass Entscheidungen nach dem Vermögenszuordnungsgesetz nicht wegen eines Verstoßes gegen die Bestimmungen über die Zuständigkeit angefochten werden können. Dass der von einem öffentlichen Restitutionsanspruch Betroffene sich gegenüber der Behörde und dem Anspruchsteller nicht auf eine Zuständigkeitsverletzung berufen können soll, während die Behörde, bei der der Antrag gestellt wurde, sich gegenüber dem Restitutionsanspruchsteller auf einen Zuständigkeitsmangel berufen können soll, leuchtet nicht ein. Ebenso wenig ist begründbar, dass ein nach § 1 Abs. 7 VZOG unbeachtlicher Zuständigkeitsmangel zur Unwirksamkeit eines vor Fristablauf gestellten Antrags und damit entgegen dem Regelungszweck doch zur Aufhebung des Bescheides führen soll.
Rz. 26
b) Das Land Thüringen hat das verfahrensgegenständliche Flurstück nach den von den Beteiligten nicht wirksam gerügten Sachverhaltsfeststellungen des Verwaltungsgerichts unentgeltlich zur Verfügung gestellt. Dazu genügt, dass das Grundstück im Zuge der Bodenreform ohne Gegenleistung aus dem bisherigen Eigentum des Landes Thüringen in den Bodenfonds und von dort in das Eigentum des Volkes überführt wurde (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Juni 1995 - 7 C 16.94 - Buchholz 111 Art. 21 EV Nr. 8 S. 4 f.). Der Beigeladene ist auch anspruchsberechtigt. Seine materielle Zuordnungsberechtigung ergibt sich daraus, dass § 11 Abs. 3 VZOG auf die Funktionsnachfolge abstellt und die Landesaufgaben an dem Ort, an dem das Flurstück belegen ist, wegen der zwischenzeitlichen Gebietsänderung nun von dem Beigeladenen und nicht vom Freistaat Thüringen wahrgenommen werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Juli 1999 - 3 C 12.98 - Buchholz 428.2 § 11 VZOG Nr. 23 S. 4 f.).
Rz. 27
c) Restitutionsausschlussgründe sind nicht ersichtlich. Die gemeinsame Erklärung der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik zur Regelung offener Vermögensfragen vom 15. Juni 1990, wonach Entscheidungen im Rahmen der Bodenreform unantastbar bleiben sollten, schließt den Anspruch des Beigeladenen nicht aus (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Februar 1999 - 3 C 2.98 - Buchholz 111 Art. 21 EV Nr. 32 S. 3 f.). Der Restitutionsausschluss des § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG ist im Vermögenszuordnungsrecht nicht anwendbar. In § 11 VZOG findet sich keine entsprechende Regelung.
Rz. 28
Die Sachverhaltsfeststellungen des Verwaltungsgerichts bieten keinen Anhaltspunkt dafür, dass die verfahrensgegenständliche Fläche im Sinne von § 11 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 VZOG für eine öffentliche Aufgabe entsprechend den Artikeln 21, 26, 27 und 36 des Einigungsvertrages genutzt wurde oder eine Verwendung im komplexen Wohnungs- oder Siedlungsbau gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 VZOG vorläge. Wie die Klägerin im Termin klargestellt hat, bezieht ihr Vortrag zur Nutzung der Fläche für den Eigenheimbau sich allein auf die im Parallelverfahren BVerwG 8 C 4.22 verfahrensgegenständliche Fläche.
Rz. 29
4. Die tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts erlauben eine abschließende Beurteilung der Restitutionsvoraussetzungen und damit eine Entscheidung in der Sache (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO). Der angefochtene Bescheid vom 15. März 2019 stellt sich danach als rechtmäßig dar.
Rz. 30
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO. Wegen des Gegenstandswertes wird auf § 6 Abs. 3 Satz 2 VZOG verwiesen.
Fundstellen
BVerwGE 2024, 314 |
NVwZ-RR 2024, 139 |
NVwZ-RR 2024, 5 |
DÖV 2024, 207 |
JZ 2024, 10 |
LKV 2023, 453 |