Entscheidungsstichwort (Thema)
Sicherheitsleistung, Anordnung von – bei Abfallentsorgungsanlagen. Sicherheitsleistung für immissionsschutzrechtliche Nachsorgepflichten. Ermessen bei Anordnung einer Sicherheitsleistung. Abfallentsorgungsanlagen, Sicherheitsleistungen bei –
Leitsatz (amtlich)
Vom Betreiber einer Abfallentsorgungsanlage i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 1 BImSchG kann zur Sicherstellung der Anforderungen nach § 5 Abs. 3 BImSchG eine Sicherheitsleistung auch ohne Zweifel an dessen Liquidität gefordert werden.
Normenkette
BImSchG § 4 Abs. 1 S. 1, § 5 Abs. 3, § 12 Abs. 1 S. 2, § 17 Abs. 4a S. 1; KrW-/AbfG § 32 Abs. 3; Deponie-VO §§ 16, 19; VwVfG § 40; VwGO § 139 Abs. 3 S. 4
Verfahrensgang
Hessischer VGH (Urteil vom 09.05.2007; Aktenzeichen 6 UE 42/06) |
VG Darmstadt (Urteil vom 30.09.2005; Aktenzeichen 8 E 1976/03 (2)) |
Nachgehend
Tenor
Das Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 9. Mai 2007 wird insoweit aufgehoben, als es der Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Darmstadt vom 30. September 2005 stattgegeben hat.
Die Berufung der Klägerin wird in vollem Umfang zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
I
Die Klägerin ficht einen Bescheid an, mit dem ihr als Betreiberin einer immissionsschutzrechtlich genehmigten Abfallentsorgungsanlage eine Sicherheitsleistung auferlegt worden ist.
Im Jahr 2001 wurde der Rechtsvorgängerin der Klägerin die Genehmigung zum Betrieb einer Anlage zur Lagerung und Behandlung von Abfällen zur Verwertung nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz erteilt. In dem Genehmigungsbescheid wurde der Betreiberin u.a. aufgegeben, “spätestens sechs Monate nach Bestandskraft dieses Bescheids” eine Sicherheit zu leisten. Über die Höhe der Sicherheitsleistung sollte ein gesonderter Bescheid ergehen.
Nachdem der Behörde angezeigt worden war, dass die Klägerin neue Betreiberin der Anlage sei, erließ sie ihr gegenüber am 5. August 2002 einen neuen Bescheid. Darin erhält die maßgebliche Nebenbestimmung des Genehmigungsbescheids folgende Fassung: “Die Betreiberin hat eine Sicherheitsleistung zu erbringen. Spätestens sechs Monate nach Bestandskraft dieses Bescheids hat die Betreiberin eine … Sicherheit in Höhe von 14.000 € zu leisten”.
Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies das Regierungspräsidium zurück und setzte die zu erbringende Sicherheit auf 14 600 € fest. An die Ausübung des durch § 17 Abs. 4a Satz 1 bzw. § 12 Abs. 1 Satz 2 BImSchG eingeräumten Ermessens dürften keine übertriebenen Anforderungen gestellt werden. Dabei seien insbesondere die öffentlichen Interessen zu berücksichtigen. Allein eine Sicherheitsleistung schütze die öffentliche Hand vor Kosten einer Ersatzvornahme bei Insolvenz des Betreibers.
In seinem die Klage abweisenden Urteil geht das Verwaltungsgericht in der Sache davon aus, dass für die Anordnung einer Sicherheitsleistung keine konkreten Anhaltspunkte für eine Liquiditätsschwäche des Betreibers vorliegen müssten. Sehe man dies anders, wäre die Ermächtigung zur Festsetzung einer Sicherheitsleistung ein “stumpfes Schwert”. Auch hinsichtlich der Höhe der Sicherheitsleistung bestünden keine Bedenken.
Die Klägerin hat die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung eingelegt und auf einen Betreiberwechsel zum 1. Januar 2006 hingewiesen. In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin die Berufung hinsichtlich des erstinstanzlichen Antrags auf Feststellung der Nichtigkeit des angegriffenen Bescheids zurückgenommen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Urteil vom 9. Mai 2007 das Verfahren eingestellt, soweit die Klägerin die Berufung zurückgenommen hat, das Urteil des Verwaltungsgerichts abgeändert sowie den Bescheid des Beklagten vom 5. August 2002 und dessen Widerspruchsbescheid vom 17. Juli 2003 aufgehoben.
Zur Begründung hat er insbesondere ausgeführt: Als Rechtsgrundlage für die nachträgliche Auferlegung einer Sicherheitsleistung komme zwar § 17 Abs. 4a BImSchG in Betracht. Die Anordnung der Sicherheitsleistung sei hier jedoch ermessensfehlerhaft. Dabei könne offenbleiben, ob der Beklagte hinsichtlich des “Ob” der Anordnung überhaupt Ermessen ausgeübt habe. Hieran bestünden Zweifel, weil der Beklagte nur das öffentliche Interesse an einer Sicherheitsleistung hervorgehoben habe, es aber an einer Abwägung mit den privaten Belangen der Klägerin fehle. Jedenfalls genügten die angestellten Erwägungen nicht für eine fehlerfreie Ermessensausübung. Nach dem Willen des Gesetzgebers bedürfe es zur Anordnung einer Sicherheitsleistung stichhaltiger Anhaltspunkte für das Fehlen eines Verwertungskonzepts oder begründeter Zweifel an der Seriosität des Betreibers. Die Behörde dürfe sich nicht darauf zurückziehen, dass auch bei liquiden und seriösen Betreibern ein Insolvenzrisiko verbleibe, dem ohne vorsorgliche Sicherheitsleistung nicht begegnet werden könne.
Gegen dieses Urteil richtet sich die – vom Senat zugelassene – Revision des Beklagten. Zur Begründung fasst er die Begründung seiner Nichtzulassungsbeschwerde zusammen und verweist im Übrigen auf diese. Darin wird ausgeführt: Zu Unrecht berufe sich der Verwaltungsgerichtshof auf die Entstehungsgeschichte des Gesetzes. Er berücksichtige nicht alle Gesetzesmaterialien. Wortlaut und Systematik des Gesetzes sprächen gegen die Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs. Auch die teleologische Auslegung führe zu einem anderen Ergebnis. Die entscheidende Frage, ob der Betreiber noch nach einigen Jahren zur Verwertung bereit und fähig sei, werde durch ein Verwertungskonzept nicht beantwortet. Auf Zweifel an der Liquidität könne nicht abgestellt werden; denn es sei regelmäßig zu spät, wenn man abwarten müsste, bis beim Anlagenbetreiber finanzielle Probleme sichtbar würden. Um sich anbahnende wirtschaftliche Probleme rechtzeitig zu erkennen, müsste sich die Behörde darüber hinaus regelmäßig die von einem Wirtschaftsprüfer überprüfte Bilanz des Unternehmens vorlegen lassen. Hierfür gebe es keine Rechtsgrundlage.
Die Klägerin tritt der Revision entgegen und führt insbesondere aus: Die Revision sei unzulässig. Die Revisionsbegründung genüge nicht den Anforderungen des § 139 Abs. 3 Satz 4 VwGO. Sie sei auch unbegründet. Insoweit wird das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs verteidigt und ergänzend insbesondere ausgeführt, die Auffassung des Beklagten laufe auf eine Ermessensreduzierung auf Null hinaus.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Beklagten ist zulässig und begründet.
Die Revision ist zulässig. Entgegen der Auffassung der Klägerin genügt die Revisionsbegründung den an sie zu stellenden Anforderungen (§ 139 Abs. 3 Satz 4 VwGO). Die Revisionsbegründung enthält einen bestimmten Antrag und gibt die verletzten Rechtsnormen an. Zur Begründung der Rechtsverletzung wird das Vorbringen der Nichtzulassungsbeschwerde zusammengefasst und im Übrigen auf dieses Bezug genommen. Eine derartige Bezugnahme ist als Begründung der zugelassenen Revision ausreichend, wenn die Beschwerdeschrift den Anforderungen (auch) an eine Revisionsbegründung genügt (stRspr, vgl. u.a. Urteil vom 25. Oktober 1988 – BVerwG 9 C 37.88 – BVerwGE 80, 321). Dies ist hier der Fall; denn die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde enthält eine umfassende kritische Würdigung des Berufungsurteils unter dem Gesichtspunkt seiner materiellrechtlichen Richtigkeit.
Die Revision ist auch begründet. Das Berufungsurteil beruht auf der Verletzung von materiellem Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO).
Der Verwaltungsgerichtshof hat der Berufung der Klägerin stattgegeben. Dabei ist er zu Recht von der Zulässigkeit der Klage ausgegangen (vgl. 1.). Unter Verletzung von Bundesrecht ist er aber zu dem Ergebnis gelangt, die Klage sei begründet, weil der Bescheid vom 5. August 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides ermessensfehlerhaft und damit rechtswidrig sei sowie die Klägerin in ihren Rechten verletze (vgl. 2.). Die Entscheidung selbst stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO, vgl. 3.). Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO, vgl. 4.).
1. Die Klage ist zulässig.
Die Anfechtungsklage ist insgesamt statthaft (§ 42 Abs. 1 VwGO). Gegenstand der Klage ist der Bescheid vom 5. August 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids. Mit diesem Bescheid hat der Beklagte nicht nur eine im Genehmigungsbescheid vorgesehene Entscheidung über die Höhe der Sicherheitsleistung getroffen, sondern – wie bereits das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat – die Nebenbestimmung zur Sicherheitsleistung in vollem Umfang durch die jetzige Regelung ersetzt mit der Folge, dass auch die Entscheidung über das “Ob” der Sicherheitsleistung erneut angefochten werden kann. Der Bescheid vom 5. August 2002 enthält damit eine nachträgliche Anordnung gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4a Satz 1 BImSchG.
Der Wechsel des Betreibers der Anlage während des Berufungsverfahrens hat sich – wie der Verwaltungsgerichtshof zutreffend ausgeführt hat – auf die Befugnis der Klägerin, das Verfahren fortzuführen, nicht ausgewirkt (§ 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 265 Abs. 2 Satz 1 ZPO).
2. Unter Verletzung von Bundesrecht hat das Berufungsgericht die Begründetheit der Klage bejaht.
Zu Recht geht der Verwaltungsgerichtshof zunächst davon aus, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen der angefochtenen Anordnung vorliegen: Zur Erfüllung der Pflichten aus § 5 Abs. 3 BImSchG kann bei der hier vorliegenden Abfallentsorgungsanlage im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 BImSchG eine Sicherheitsleistung nachträglich angeordnet werden (§ 17 Abs. 4a Satz 1 BImSchG).
Bundesrechtswidrig ist jedoch die Auffassung des Berufungsgerichts, der angefochtene Bescheid sei ermessensfehlerhaft, weil die Behörde das ihr eingeräumte Ermessen nicht entsprechend dem Zweck der Ermächtigung ausgeübt habe (vgl. § 40 VwVfG).
Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs setzt die Anordnung einer Sicherheitsleistung gemäß § 17 Abs. 4a Satz 1 BImSchG weder Zweifel an der Seriosität bzw. Liquidität des Betreibers noch Anhaltspunkte für das Fehlen eines Verwertungskonzepts voraus. Vielmehr reicht das allgemeine latent vorhandene Liquiditätsrisiko grundsätzlich aus, um von Betreibern einer Abfallentsorgungsanlage eine Sicherheitsleistung zu verlangen. Eines konkreten Anlasses für die Forderung einer Sicherheit bedarf es nicht.
Dies ergibt eine Auslegung der Bestimmung nach Wortlaut (a), Entstehungsgeschichte (b), Sinn und Zweck (c) sowie Systematik (d) des Gesetzes.
a) Die Anordnung einer Sicherheitsleistung gemäß § 17 Abs. 4a Satz 1 BImSchG steht sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach im grundsätzlich uneingeschränkten pflichtgemäßen Ermessen der Behörde. Nach dem Wortlaut der Bestimmung ist diese Anordnung nicht eng begrenzt auf Fälle mangelnder Seriosität oder zweifelhafter Verwertungskonzepte. Auch die Ermessensbetätigung einschränkende Regelbeispiele enthält das Gesetz nicht.
b) Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs lassen sich derartige Beschränkungen auch nicht der Entstehungsgeschichte der Vorschrift entnehmen.
§ 12 Abs. 1 Satz 2 und § 17 Abs. 4a Satz 1 wurden in das Bundes-Immissionsschutzgesetz eingefügt durch das “Gesetz zur Sicherstellung der Nachsorgepflichten bei Abfalllagern” vom 13. Juli 2001 (BGBl I S. 1550). Dem Gesetz lag ein Entwurf des Bundesrats vom 20. Oktober 2000 zu Grunde (vgl. BRDrucks 408/00). Beide Bestimmungen galten zunächst nur zur Sicherstellung der Anforderungen nach § 5 Abs. 3 Nr. 2 BImSchG.
Kurz danach wurde das Bundes-Immissionsschutzgesetz durch das “Gesetz zur Umsetzung der UVP-Änderungsrichtlinie, der IVU-Richtlinie und weiterer EG-Richtlinien zum Umweltschutz” vom 27. Juli 2001 (BGBl I S. 1950) geändert und unter anderem in § 5 Abs. 3 die Nr. 3 eingefügt sowie in § 12 Abs. 1 Satz 2 und § 17 Abs. 4a Satz 1 jeweils die auf § 5 Abs. 3 bezogene Angabe “Nr. 2” gestrichen. Dieses Gesetz ging auf einen Entwurf der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen vom 14. November 2000 (vgl. BTDrucks 14/4599, 14/4926 und 14/5750) zurück.
Nach dem Willen des Gesetzgebers ist Zweck des Gesetzes, die immissionsschutzrechtlichen Nachsorgepflichten präventiv durchzusetzen (so die Begründung des Gesetzentwurfs des Bundesrates – BRDrucks 408/00 S. 1) bzw. sicherzustellen, dass nicht die öffentliche Hand bei Zahlungsunfähigkeit des Betreibers die zum Teil erheblichen Sicherungs-, Sanierungs- oder Entsorgungskosten zu tragen hat (so die Begründung des Gesetzentwurfs der Bundestagsfraktionen, BTDrucks 14/4599 S. 129 und BTDrucks 14/4926 S. 8). Die Frage, wie die Behörde nach dem Willen des Gesetzgebers das ihr eingeräumte Ermessen ausüben soll, lässt sich anhand der Gesetzesmaterialien nicht beantworten. Diese sind insoweit nicht eindeutig. Dass die Behörden von dem ihnen eingeräumten Ermessen nur in Fällen mangelnder Seriosität bzw. Liquidität des Anlagenbetreibers oder bei zweifelhaften Verwertungskonzepten Gebrauch machen sollen, lässt sich den Materialien nicht entnehmen. In der Begründung der Gesetzentwürfe wird allerdings darauf hingewiesen, dass für Anlagen zur Lagerung und Behandlung von Abfällen “in begründeten Fällen” eine Sicherheitsleistung auferlegt werden kann (BTDrucks 14/4926 zu Art. 1 Nr. 1) und die Behörden hierzu in den Fällen befugt sind, “in denen besonderer Anlass zu entsprechender Besorgnis besteht” (BTDrucks 14/4599 zu Art. 2 Nr. 8).
c) Sinn und Zweck der Vorschrift ist es, sicherzustellen, dass die öffentliche Hand bei Zahlungsunfähigkeit des Betreibers einer Abfallentsorgungsanlage nicht die zum Teil erheblichen Sicherungs-, Sanierungs- und Entsorgungskosten zu tragen hat. Dieses Ziel kann nur erreicht werden, wenn bereits das allgemeine Liquiditätsrisiko grundsätzlich ausreicht, um eine Sicherheitsleistung verlangen zu können. Dies ergibt sich aus Folgendem:
Die Nachsorgepflichten des § 5 Abs. 3 BImSchG, deren Erfüllung durch die Anordnung einer Sicherheitsleistung gewährleistet werden soll, entstehen erst nach der – gleich aus welchem Grund erfolgenden – Betriebseinstellung und damit zu einem bei Bescheiderlass nicht vorhersehbaren künftigen Zeitpunkt. Ob dann der Anlagenbetreiber noch liquide sein wird, ist im Allgemeinen nicht vorhersehbar. Etwas anderes gilt nur für Betreiber, bei denen eine Insolvenz von vornherein ausgeschlossen ist, etwa wenn die Anlage von einer Körperschaft des öffentlichen Rechts – unmittelbar oder als Eigenbetrieb – betrieben wird.
Ein Insolvenzrisiko des Betreibers besteht zwar bei allen immissionsschutzrechtlich genehmigungspflichtigen Anlagen. Abfallentsorgungsanlagen trifft aber das besondere Risiko, dass im Falle der Insolvenz hohe Kosten für die Erfüllung der Pflichten aus § 5 Abs. 3 BImSchG anfallen. Dieses Risiko wird verursacht durch den negativen Marktwert, den Abfälle in der Regel haben. Im Gegensatz zu Produktionsbetrieben erhält der Betreiber einer Abfallentsorgungsanlage regelmäßig ein Entgelt dafür, dass er Abfälle annimmt. Bei der weiteren Entsorgung (Behandlung, Lagerung) der Abfälle und namentlich in der Stilllegungsphase entstehen dagegen regelmäßig Kosten. Im Falle der Insolvenz muss – bei fehlender Sicherheit – die öffentliche Hand die für die Entsorgung dieser Abfälle anfallenden Kosten tragen, ohne dass ihr hierfür die vom Anlagenbetreiber vor der Insolvenz vereinnahmten Entgelte zur Verfügung stehen. Dieses besondere Kostenrisiko der öffentlichen Hand soll durch die Anordnung einer Sicherheitsleistung vermieden werden.
Dieses Risiko besteht – entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs – auch dann, wenn ein ordnungsgemäßes Verwertungskonzept vorliegt. Ein solches schließt die Insolvenz eines Anlagenbetreibers nicht aus und macht diese auch nicht unwahrscheinlicher. Es begründet nicht einmal die Erwartung, dass die einzelne Anlage gewinnbringend betrieben werden wird. Vielmehr wird dies erst die künftige – bei Bescheiderlass nicht absehbare – Marktentwicklung zeigen. Die Frage, ob ein Betreiber nach Jahren noch zur Verwertung bereit und fähig ist, wird durch ein ordnungsgemäßes Verwertungskonzept – worauf der Beklagte zutreffend hinweist – somit nicht beantwortet. Wenn die Anordnung einer Sicherheitsleistung voraussetzte, dass ein ordnungsgemäßes Verwertungskonzept fehlt, liefen § 12 Abs. 1 Satz 2 und § 17 Abs. 4a Satz 1 BImSchG darüber hinaus ins Leere; denn dann ist grundsätzlich schon die Genehmigung zu versagen. Im Übrigen erfasst § 4 Abs. 1 Satz 1 BImSchG auch Anlagen zur Lagerung und Behandlung von Abfällen zur Beseitigung, bei denen kein Verwertungskonzept und damit auch keine Zweifel an diesem bestehen können.
Setzte die Anordnung einer Sicherheitsleistung dagegen begründete Zweifel an der Liquidität des Betreibers voraus, erwiesen sich die Vorschriften der § 12 Abs. 1 Satz 2 und § 17 Abs. 4a Satz 1 BImSchG – wie das Verwaltungsgericht zu Recht ausgeführt hat – als “stumpfes Schwert”: Könnte eine Sicherheitsleistung erst verlangt werden, wenn konkrete Anhaltspunkte für eine Liquiditätsschwäche des Betreibers bestünden, könnte die Anordnung regelmäßig erst ergehen, wenn der Betreiber im Hinblick auf seine angespannte wirtschaftliche Lage nicht mehr kreditwürdig und daher außerstande wäre, die Sicherheitsleistung zu erbringen. Es ist – wie der Beklagte zutreffend geltend macht – praktisch nicht möglich, den Zeitpunkt zu finden, an dem schon Zweifel an der Liquidität des Betreibers bestehen, dieser aber noch kreditwürdig ist.
Könnte eine Sicherheitsleistung erst angeordnet werden, wenn Zweifel an der Liquidität des Betreibers bestehen, müssten darüber hinaus die Behörden die finanzielle Lage der einzelnen Betreiber von Abfallentsorgungsanlagen ständig überwachen. Dies würde einen nicht zu leistenden Aufwand verursachen. Der Gesetzgeber wollte dagegen eine Regelung schaffen, die einen äußerst geringen, nicht quantifizierbaren zusätzlichen Verwaltungsaufwand verursacht (vgl. BRDrucks 408/00 S. 3). Vor allem wäre eine solche Kontrolle aber den Behörden rechtlich nicht möglich. Denn sie sind nicht befugt, Anlagenbetreibern die zur Überwachung der Liquidität notwendigen Meldepflichten aufzuerlegen. Beispielsweise könnten sie nicht verlangen, dass die Betreiber ihnen regelmäßig eine von einem Wirtschaftsprüfer überprüfte Unternehmensbilanz vorlegen.
Sollte der Verwaltungsgerichtshof unter den von ihm verlangten, aber nicht konkretisierten Zweifeln an der Seriosität (auch) Zweifel an der Zuverlässigkeit gemeint haben, liefen § 12 Abs. 1 Satz 2 und § 17 Abs. 4a Satz 1 BImSchG ins Leere, da unzuverlässigen Betreibern keine Genehmigung erteilt werden kann bzw. bei Unzuverlässigkeit des Betreibers eine Betriebsuntersagung möglich ist (§ 20 Abs. 3 Satz 1 BImSchG).
d) Für das gefundene Ergebnis spricht auch die Systematik der einschlägigen Gesetze: Bereits nach § 8 Abs. 2 AbfG konnte für Abfallentsorgungsanlagen – und damit sowohl für Anlagen zur Ablagerung von Abfällen (Deponien) als auch für Anlagen zur Lagerung und Behandlung von Abfällen – eine Sicherheitsleistung gefordert werden. Mit dem Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetz vom 23. April 1993 (BGBl I S. 466) wurde die Zulassung bestimmter Abfallentsorgungsanlagen vom Abfallgesetz in das Bundes-Immissionsschutzgesetz übertragen. Hierdurch entfiel zunächst die Möglichkeit, bei diesen Anlagen eine Sicherheit zu verlangen. Bei Anlagen zur Ablagerung von Abfällen dagegen konnte weiterhin eine Sicherheit gefordert werden. Daran hat sich mit Inkrafttreten des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes nichts geändert (vgl. § 32 Abs. 3 KrW-/AbfG). Bei Anlagen zur Ablagerung von Abfällen (Deponien) hat der Träger des Vorhabens nunmehr stets eine Sicherheit zur Erfüllung der Auflagen und Bedingungen nachzuweisen, die mit dem Planfeststellungsbeschluss oder der Plangenehmigung u.a. für die Nachsorgephase angeordnet werden (§ 19 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung über Deponien und Langzeitlager-Deponieverordnung ≪DepV≫ BGBl I S. 2807). Dies gilt für immissionsschutzrechtlich genehmigungspflichtige Langzeitlager entsprechend (§ 16 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 2 Nr. 19 DepV, der Anlagen i.S.d. Nr. 8.14 des Anhangs zur 4. BImSchV betrifft, zu denen die Anlage der Klägerin nicht gehört).
Die Gefahr, dass die öffentliche Hand ohne Sicherheitsleistung bei Insolvenz des Betreibers hohe Kosten zu tragen hat, besteht bei Deponien und Langzeitlagern einerseits und den sonstigen Anlagen zur Lagerung und Behandlung von Abfällen andererseits grundsätzlich in gleicher Weise. Allerdings muss, wenn Sicherheiten fehlen, die öffentliche Hand bei Deponien und Langzeitlagern Kosten gegebenenfalls über einen längeren Zeitraum als bei den sonstigen Anlagen tragen. Dies rechtfertigt es, eine Sicherheitsleistung bei Deponien und Langzeitlagern zwingend vorzuschreiben. Daraus kann jedoch nicht der Schluss gezogen werden, die Ermessensentscheidung für die Anordnung einer Sicherheit bei den übrigen Anlagen nur unter engen Voraussetzungen zuzulassen. Dabei verkennt der Senat nicht, dass Sicherheitsleistungen für Deponien nach Langzeitlager im Gegensatz zu anderen Abfallentsorgungsanlagen von besonderer Bedeutung sind (vgl. Paetow, in: Kunig/Paetow/Versteyl, KrW-/AbfG, § 32 Rn. 79 m.w.N.; vgl. auch Urteil vom 29. November 1991 – BVerwG 7 C 6.91 – BVerwGE 89, 215). Allerdings können auch bei anderen Abfallentsorgungsanlagen, namentlich solchen zur Lagerung und Behandlung von Abfällen mit negativem Marktwert (z.B. Bauabfälle, Altholz, Altreifen), auch aus bodenschutzrechtlicher Sicht nicht unerhebliche Stilllegungs- und Nachsorgerisiken bestehen, die regelmäßig das Verlangen einer Sicherheitsleistung rechtfertigen.
3. Die angegriffene Entscheidung selbst stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO). Der angefochtene Bescheid ist nicht aus anderen Gründen ermessensfehlerhaft und damit rechtswidrig.
In dem angefochtenen Bescheid hat die Behörde Ermessenserwägungen angestellt. Im Widerspruchsbescheid und im verwaltungsgerichtlichen Verfahren hat sie diese vertieft. Es wird das öffentliche Interesse an einer Sicherheitsleistung hervorgehoben und ausgeführt, dass auch bei dem gegenwärtig liquiden Betreiber ein allgemeines Insolvenzrisiko bestehe, das nur ausgeschlossen wäre, wenn es sich um einen öffentlich-rechtlichen Betreiber handeln würde. Weiter wird darauf hingewiesen, dass im Falle der Insolvenz ohne Sicherheitsleistung die öffentliche Hand hohe Kosten für die Entsorgung der im Bereich der Anlage lagernden Abfälle zu tragen hätte, weil diese – wie im Einzelnen dargelegt wird – überwiegend einen (erheblichen) negativen Marktwert hätten.
Der Beklagte bezog sich zur Ausübung seines Ermessen zudem – auch ergänzend im verwaltungsgerichtlichen Verfahren (§ 114 Satz 2 VwGO) – auf die im September 2002 durch Erlass des Hessischen Umweltministeriums eingeführte Verwaltungsvorschrift “Vollzugshandbuch der Abfallwirtschaft – Arbeitshilfe Anlagenzulassung Nr. 3 Sicherheitsleistung” als eine ermessenslenkende Verwaltungsvorschrift, die innerhalb der Behördenhierarchie dem Ziel einer gleichmäßigen Ermessensbetätigung dient. Dabei ist die damit einhergehende Selbstbindung des Ermessens grundsätzlich nicht zu beanstanden.
Einer darüber hinausgehenden Begründung der Ermessensausübung bedurfte es nicht. Insbesondere musste das öffentliche Interesse an der Anordnung der Sicherheitsleistung nicht mit dem privaten Interesse am Unterlassen einer derartigen Anordnung abgewogen werden; denn bei der in die Zukunft gerichteten Anordnung, mit der die Erfüllung der erst zu einem nicht vorhersehbaren Zeitpunkt entstehenden Nachsorgepflichten des § 5 Abs. 3 BImSchG sichergestellt werden soll, können von der Behörde keine konkreteren Erwägungen als die hier angestellten gefordert werden.
4. Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO). Die Höhe der geforderten Sicherheit – zu der das Berufungsgericht keine Feststellungen getroffen hat und auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung auch nicht treffen musste – ist von dem Beklagten rechtsfehlerfrei festgesetzt worden. Die Widerspruchsbehörde hat die Sicherheitsleistung nach der genannten Verwaltungsvorschrift berechnet. Danach sind für die Höhe der Sicherheitsleistung insbesondere die Entsorgungskosten für die maximal genehmigten Abfälle und ein Zuschlag von 10 bis 20 % für Analyse-, Umschlag-, Transportkosten und Unvorhergesehenes zugrunde zulegen. Hier hat die Behörde einen Zuschlag von 15 % angesetzt. Abfälle mit positivem Marktwert hat sie dabei ebenso wenig berücksichtigt wie 3 000 t Altöl (Betriebsmittel). Dies ist rechtlich nicht zu beanstanden:
Die Höhe der geforderten Sicherheit ist nicht unverhältnismäßig. Es wird Sicherheit im Wesentlichen lediglich für den Teil der Kosten gefordert, der typischerweise nur bei Abfallentsorgungsanlagen nach einer Betriebseinstellung anfällt. Dies sind die Kosten für die Entsorgung vom Anlagenbetreiber angenommener Abfälle mit negativem Markwert. Dass der Beklagte – gemäß der Verwaltungsvorschrift – insoweit pauschalierend auf die sich bei Nutzung der maximal zulässigen Lagerkapazität ergebenden Kosten abstellt, ist ebenfalls unbedenklich; denn der konkrete Umfang der bei einer möglichen Betriebseinstellung auf dem Anlagengrundstück lagernden Abfälle ist nicht vorhersehbar.
Kosten für die Erfüllung der Nachsorgepflichten des § 5 Abs. 3 BImSchG, die bei immissionsschutzrechtlich genehmigungspflichtigen Anlagen auch sonst anfallen können, werden dagegen nur bei der Berechnung des geringfügigen Sicherheitsaufschlags berücksichtigt. Dies gilt sowohl für die Nachsorgepflichten aus § 5 Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 3 BImSchG als auch für die – unter § 5 Abs. 3 Nr. 2 BImSchG fallende – Entsorgung der beim Betrieb der Anlage entstehenden Abfälle (hier Altöl).
Für den Beklagten bestand kein Anlass, von der Berechnungsmethode der Verwaltungsvorschrift abzuweichen. Dass er von der errechneten Sicherheit Einnahmen aus der Veräußerung von Abfällen mit positivem Marktwert, die die Klägerin ebenfalls anzunehmen befugt ist, nicht abgezogen hat, ist nicht zu beanstanden. Denn es kann nicht angenommen werden, dass ein Anlagenbetreiber bei Eintritt der Insolvenz Abfälle mit positivem Marktwert bis zum Umfang seiner maximalen Lagerkapazität besitzt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Unterschriften
Sailer, Herbert, Krauß, Neumann, Guttenberger
Fundstellen
Haufe-Index 1975525 |
BVerwGE 2009, 11 |
DÖV 2008, 820 |
ZUR 2008, 419 |
AbfallR 2008, 145 |
BayVBl. 2008, 635 |
DVBl. 2008, 978 |
UPR 2008, 318 |