Entscheidungsstichwort (Thema)

Fürsorgepflicht des Dienstherrn. Nichtraucherschutz im Großraumbüro. Passivrauchen

 

Leitsatz (amtlich)

Zum Anspruch eines Beamten auf Schutz seiner Gesundheit vor einer Beeinträchtigung durch Tabakrauch.

 

Normenkette

LBG NW § 85; entspr. BBG § 79)

 

Verfahrensgang

OVG für das Land NRW (Urteil vom 03.02.1982; Aktenzeichen 12 A 1469/81)

VG Köln (Entscheidung vom 25.03.1981; Aktenzeichen 3 K 2424/78)

 

Tenor

Der Beschluß des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 3. Februar 1982 wird aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen zurückverwiesen.

Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlußentscheidung vorbehalten.

 

Tatbestand

I.

Der 1935 geborene Kläger, Stadtamtmann, ist als Sachbearbeiter im Städtischen Ordnungsamt der beklagten Stadt tätig. Bis März 1978 war er in einem Einzelarbeitszimmer bzw. in einem Doppelarbeitszimmer gemeinsam mit einem Nichtraucher untergebracht. 1978 zog die Stadtverwaltung in das neue Stadthaus um. Dort wurde dem Kläger ein Arbeitsplatz in einem Großraumbüro zugewiesen, in dem etwa 40 weitere Beschäftigte des Ordnungsamts ihren Arbeitsplatz haben. Das Großraumbüro wird durch eine Lüftungs- und Klimaanlage be- und entlüftet; eine Fensterlüftung findet nicht statt. Der Arbeitsplatz des Klägers liegt an der westlichen Fensterfront. Er ist, wie die meisten anderen Arbeitsplätze auch, durch 1,56 m hohe Stellwände zu den benachbarten Arbeitsplätzen abgeschirmt. Der Zugang von dem vorbeiführenden Gang aus ist frei.

Mit zwei Schreiben aus dem Dezember 1977 und dem Januar 1978 beantragte der Kläger bei der Beklagten, ihm einen „absolut rauchfreien Arbeitsplatz” zuzuweisen: Er könne wegen seines Migräneleidens keinen Tabakrauch vertragen; auch in einem vollklimatisierten Großraumbüro sei der Nichtraucher dem Tabakqualm der Kettenraucher in seiner nächsten Umgebung schutzlos ausgesetzt und werde gesundheitlich geschädigt. Die Beklagte lehnte den Antrag ab. Zur Begründung führte sie aus, alle Großräume des Stadthauses seien „vollklimatisiert”, dadurch werde die Raumluft achtmal in der Stunde erneuert. Die Zuweisung eines Einzelarbeitszimmers sei nicht möglich. Den Widerspruch des Klägers wies sie als unbegründet zurück.

Mit der Klage hat der Kläger geltend gemacht, schon der gesunde und widerstandsfähige Nichtraucher werde durch das sogenannte Passivrauchen gesundheitlich gefährdet und belästigt; darüber hinaus leide er, der Kläger, seit mehr als zehn Jahren an Migräne und sei infolgedessen auf absolut tabakrauchfreie Atemluft angewiesen, anderenfalls komme es ständig zu Migräneanfällen. Er hat beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 28. Dezember 1977 und 1. Februar 1978 sowie des Widerspruchsbescheides vom 24. Mai 1978 zu verurteilen,

  1. ihm an seinem jeweiligen Arbeitsplatz tabakrauchfreie Atemluft zur Verfügung zu stellen,
  2. hilfsweise,

    ein für alle Mitarbeiter und Besucher desjenigen Arbeitsraumes, in dem er seinen jeweiligen Arbeitsplatz hat, verbindliches Rauchverbot zu erlassen,

  3. hilfsweise,

    ihm einen anderen Arbeitsplatz in einem Raum mit tabakrauchfreier Atemluft zuzuweisen.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen dieses Urteils hat das Verwaltungsgericht in tatsächlicher Hinsicht offengelassen, ob die Einwirkung von tabakrauchhaltiger Atemluft auch bereits bei geringster Tabakrauchkonzentration für Nichtraucher gesundheitsschädlich sei und ob die im Stadthaus der Beklagten installierte Lüftungs- und Klimaanlage ein geeignetes Mittel sei, um den Kläger vor einer möglichen Gesundheitsbeeinträchtigung bzw. erheblichen Belästigung durch Tabakrauch in der Atemluft an seinem derzeitigen Arbeitsplatz zu schützen. Es hat ferner zugunsten des Klägers unterstellt – insbesondere im Hinblick auf sein Migräneleiden, auf dem durchaus eine über das normale Maß hinausgehende Empfindlichkeit gegen Tabakrauch beruhen könne –, daß er an seinem derzeitigen Arbeitsplatz einer Gesundheitsbeeinträchtigung durch Tabakrauch in einer Weise ausgesetzt sei, die im Rahmen der Fürsorgepflicht eine Abhilfemaßnahme der Beklagten als zwingend geboten erscheinen lasse. Gleichwohl könne die Klage keinen Erfolg haben. Die Art der Abhilfe stehe im pflichtgemäßen Ermessen der Beklagten. In diesem Sinne habe die Beklagte den Anspruch des Klägers auf Abhilfe bereits erfüllt. Sie habe insoweit ihr Ermessen in der Weise betätigt, daß sie dem Kläger eine Umsetzung auf einen gleichwertigen Dienstposten in einem anderen Verwaltungsgebäude (Ausgleichsamt bzw. Schulamt) angeboten habe. Daß der Kläger zu dieser Umsetzung seine Zustimmung verweigert habe, sei rechtlich ohne Belang. Die Umsetzung sei bisher ausschließlich wegen des vorliegenden Verfahrens unterblieben. Dafür, daß sie ermessensfehlerhaft wäre, seien keinerlei Anhaltspunkte ersichtlich.

Die Berufung des Klägers hat das Oberverwaltungsgericht zurückgewiesen. Es hat sich die Darlegungen des Verwaltungsgerichts zu eigen gemacht, weiter hat es insbesondere ausgeführt:

Die Beklagte sei befugt, dem Anliegen des Klägers auf einen Arbeitsplatz mit tabakrauchfreier Atemluft durch eine Umsetzung Rechnung zu tragen. Der Kläger habe alle Angebote hierzu abgelehnt, weil er der Auffassung sei, derzeit einen höherwertigen Dienstposten zu bekleiden. Er sei deshalb nur bereit, einer Umsetzung auf eine Beförderungsstelle zuzustimmen. Bei dieser Sachlage dürfe die Beklagte von einer Umsetzung absehen, auch wenn dem Kläger am bisherigen Arbeitsplatz keine tabakrauchfreie Atemluft zur Verfügung stehe. Die Beklagte sei nämlich nicht verpflichtet, den Kläger auf einen höherwertigen Dienstposten umzusetzen (vgl. BVerwGE 60, 144 ≪150 f.≫). Eine Umsetzung auf einen dem statusrechtlichen Amt entsprechenden Dienstposten wäre sachlich gerechtfertigt, weil der Kläger sich mit den Arbeitsbedingungen an seinem derzeitigen Arbeitsplatz unzufrieden zeige. Eine vom Kläger behauptete Zusicherung, „nicht mehr im Ausgleichsamt arbeiten zu müssen”, wäre jedenfalls wegen wesentlicher Änderung der Sachlage gemäß § 38 Abs. 3 VwVfG NW nicht mehr bindend.

Der Beklagten sei es unter den gegebenen Umständen nicht zuzumuten, eine Umsetzung gegen den willen des Klägers zu verfügen. Erst recht könne der Kläger durch seine treuwidrige Weigerung, sich mit einer Umsetzung auf eine andere Stadtamtmannstelle einverstanden zu erklären, die Beklagte nicht zwingen, in dem Großraumbüro ein Rauchverbot zu erlassen. Die Gestaltung der Arbeitsplatzverhältnisse unterliege der Organisationsgewalt des Dienstherrn. Unabhängig davon, ob überhaupt Maßnahmen zum „Nichtraucherschutz” angezeigt oder geboten seien, stehe der Beklagten deswegen ein Auswahlermessen zu. Dieses könne sie rechtsfehlerfrei auch dadurch ausüben, daß sie dem Kläger einen Dienstpostenwechsel anbiete.

Mit der Revision, die der erkennende Senat wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen hat, verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter. Er rügt die Verletzung materiellen und formellen Rechts.

Die Beklagte tritt der Revision entgegen.

Der Oberbundesanwalt beim Bundesverwaltungsgericht beteiligt sich am Verfahren.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz.

1. Das Berufungsgericht hält die Beklagte deshalb nicht für verpflichtet, der – unterstellten – Gesundheitsbeeinträchtigung des Klägers an seinem derzeitigen Arbeitsplatz abzuhelfen, weil sie dem Kläger Umsetzungen auf andere Dienstposten „angeboten” habe, mit denen er sich zu Unrecht nicht einverstanden erklärt, gegen die er vielmehr Rechtsbehelfe angekündigt habe. Dieser den Berufungsbeschluß tragenden Erwägung vermag der Senat nicht zu folgen.

Der Klageanspruch stützt sich auf die in § 85 des Beamtengesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (Landesbeamtengesetz – LBG –) festgelegte beamtenrechtliche Fürsorgepflicht. Wird der Kläger, wie unterstellt worden ist, derzeit an seinem Arbeitsplatz durch Tabakrauch in seiner Gesundheit beeinträchtigt, so ist die Beklagte durch ihre Fürsorgepflicht gehalten, im Rahmen des Möglichen der Gesundheitsbeeinträchtigung abzuhelfen. Die Verpflichtung zum bestmöglichen Schutz gegen Gefahren für Leben und Gesundheit am Arbeitsplatz ist für Dienstverträge des privaten Rechts in § 618 Abs. 1 BGB ausdrücklich ausgesprochen. Für Beamte gilt zwar diese Vorschrift nicht, doch stellt die umfassende beamtenrechtliche Fürsorgepflicht jedenfalls keine geringeren Anforderungen an den Dienstherrn. Rechte anderer Beschäftigter, die am Arbeitsplatz rauchen wollen, hindern die Beklagte nicht am Schutz der Gesundheit des Klägers. Insbesondere kann aus Art. 2 Abs. 1 GG jedenfalls kein Recht hergeleitet werden, andere in ihrer Gesundheit zu beeinträchtigen.

Die Fürsorgepflicht der Beklagten bezieht sich auf den derzeitigen Arbeitsplatz des Klägers, solange die Beklagte den Kläger dort verwendet. Ob sie ihn hätte umsetzen dürfen, ist hierfür ohne Belang, solange sie ihn nicht tatsächlich umsetzt. Die Weigerung des Klägers, sich mit den ihm angebotenen Umsetzungen auf andere Dienstposten einverstanden zu erklären, und seine Ankündigung von Rechtsbehelfen ändern daran nichts. Dies gilt schon deshalb, weil der Dienstherr den Beamten nicht vor die Wahl stellen darf, entweder auf Rechtsschutz gegen von ihm als rechtswidrig angesehene Umsetzungen zu verzichten oder eine Beeinträchtigung seiner Gesundheit am Arbeitsplatz hinzunehmen.

2. Der Senat kann den Rechtsstreit jedoch nicht abschließend entscheiden, weil die Vorinstanzen bisher tatsächliche Feststellungen weder darüber, ob und in welchem Maße der Kläger Einwirkungen von Tabakrauch am Arbeitsplatz trotz der Lüftungs- und Klimaanlage ausgesetzt ist noch über die behauptete Beeinträchtigung der Gesundheit des Klägers getroffen haben.

3. Für die somit erforderliche neue Verhandlung und Entscheidung durch das Berufungsgericht ist von folgender rechtlicher Betrachtung auszugehen:

Sollte festgestellt werden, daß die Gesundheit des Klägers durch die Einwirkung von Tabakrauch am Arbeitsplatz beeinträchtigt wird, so ist die Beklagte – wie vorstehend ausgeführt – verpflichtet, dies im Rahmen des Möglichen zu unterbinden. Das gleiche gilt, wenn ein nicht von der Hand zu weisender Verdacht einer solchen Gesundheitsbeeinträchtigung nicht sollte ausgeräumt werden können. Denn der Beamte hat kraft der Fürsorgepflicht des Dienstherrn Anspruch auf Schutz nicht nur vor sicheren, sondern schon vor ernstlich möglichen Beeinträchtigungen seiner Gesundheit durch Einwirkungen am Arbeitsplatz. Auch insoweit hindern Rechte anderer Beschäftigter, die am Arbeitsplatz rauchen wollen, die Beklagte nicht am Schutz der Gesundheit des Klägers.

Die Auswahl zwischen mehreren möglichen Mitteln zur Abhilfe liegt im pflichtgemäßen Ermessen des Dienstherrn (vgl. in diesem Zusammenhang auch den Runderlaß des Ministers für Arbeit, Gesundheit und Soziales von Nordrhein-Westfalen vom 31. Januar 1975 ≪MBl. Nw. S. 242≫, ferner z. B. die Bekanntmachung des Bundesministers des Innern vom 23. März 1976 ≪GMBl S. 135). Ob die Beklagte mit der Entscheidung für die eine oder andere Art der Abhilfe ihr Ermessen fehlerfrei ausübt, kann abschließend erst beurteilt werden, wenn die Beklagte – nach Abwägung der für und gegen die einzelnen Möglichkeiten sprechenden Umstände – eine konkrete Maßnahme anordnet.

4. Da hiernach die Revision des Klägers schon aus Gründen des materiellen Rechts Erfolg hat, ist auf seine Verfahrensrügen nicht einzugehen.

 

Unterschriften

Fischer, Dr. Franke, Dr. Lemhöfer, Sommer, Dr. Müller

 

Fundstellen

JZ 1984, 998

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