Entscheidungsstichwort (Thema)
Restitution. Grundstück. Überschuldung. Unternehmen. Unternehmensgesetz. Reprivatisierung. zugeschwommenes Grundstück. Unternehmensrückgabe. Anpassungsantrag. Restitutionsausschluss. Zuführung zur gewerblichen Nutzung. Eigentum. Nutzungsrecht. Aussetzung des Verfahrens. Widerspruchsbefugnis
Leitsatz (amtlich)
Wird die Rückübertragung eines Grundstücks beantragt, das einem Unternehmen „zugeschwommen” ist, und ist hinsichtlich des bereits zurückgegebenen Unternehmens ein Anpassungsantrag nach § 6 Abs. 8 VermG gestellt worden, ist mit Blick auf den Restitutionsausschluss nach § 5 Abs. 1 Buchst. d VermG zunächst über den Anpassungsantrag zu entscheiden.
Normenkette
VermG § 1 Abs. 2, § 5 Abs. 1 Buchst. d, § 6 Abs. 8; VwGO § 42 Abs. 2
Verfahrensgang
VG Schwerin (Entscheidung vom 26.10.1999; Aktenzeichen 7 A 1285/95) |
Tenor
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Schwerin vom 26. Oktober 1999 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Tatbestand
I.
Die Klägerin begehrt aus abgetretenem Recht die vermögensrechtliche Rückübertragung des Grundstücks A. L. 9 in W.
Eigentümerin des Grundstücks war seit 1964 Frau Käthe S. Das Grundstück war mit einem 300 bis 400 Jahre alten Mietwohnhaus bebaut, in dem auch die Eigentümerin selbst wohnte. Diese verzichtete im Februar 1966 auf ihr Eigentum an dem Grundstück, das in Volkseigentum überführt wurde.
Auf den benachbarten Grundstücken betrieb die Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zu 2 eine Segelmacherei. Das Unternehmen wurde im Jahre 1972 in Volkseigentum überführt und als Werk W. dem VEB P. F. eingegliedert, dem Rechtsvorgänger der Beigeladenen zu 1. Der VEB P. F. erwarb im Jahre 1978 das Grundstück A. L. 9. Er nutzte das Gebäude nach dessen umfassender Rekonstruktion für den Betrieb.
Auf der Grundlage des Gesetzes über die Gründung und Tätigkeit privater Unternehmen und über Unternehmensbeteiligungen vom 7. März 1990 (GBl DDR I S. 141; Unternehmensgesetz) wurde der VEB P. F., Betriebsteil W., durch notariell beurkundete Umwandlungserklärung vom 17. Dezember 1990 in die Beigeladene zu 2 umgewandelt, deren Komplementär der Beigeladene zu 3 ist. Nach einem zuvor mit der Beigeladenen zu 1 geschlossenen Auseinandersetzungsvertrag sollte das streitige Grundstück an die Beigeladene zu 2 veräußert werden. Bis zum Eigentumsübergang räumte ihr die Beigeladene zu 1 ein kostenloses Nutzungsrecht ein. Der Besitz an dem Grundstück war bereits früher, nämlich zum 1. Juli 1990 auf die Beigeladene zu 2 übergegangen. Sie nutzt seither das Gebäude für ihren Betrieb (Verwaltung, Zuschnitt von Segeln und Ladengeschäft).
Auf Antrag der Erbin der früheren Eigentümerin übertrug ihr das Amt zur Regelung offener Vermögensfragen durch Bescheid vom 19. April 1994 das Eigentum an dem Grundstück A. L. 9 zurück.
Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin Widerspruch ein. Sie machte geltend, der Restitutionsanspruch sei an sie abgetreten.
Am 19. Mai 1994 legten auch die Beigeladenen zu 2 und 3 Widerspruch ein. Sie beantragten ferner am 24. Juni 1994 beim Beklagten, gemäß § 6 Abs. 8 VermG die Rückgabe des Unternehmens nach den Vorschriften des Vermögensgesetzes zu überprüfen, hilfsweise die Restitution auf der Grundlage des Vermögensgesetzes durchzuführen.
Durch Widerspruchsbescheid vom 22. August 1995 hob der Beklagte den Restitutionsbescheid vom 19. April 1994 auf und lehnte die Rückübertragung des streitigen Grundstücks ab, weil diese gemäß § 5 Abs. 1 Buchst. d VermG ausgeschlossen sei.
Auf die Klage der Klägerin hat das Verwaltungsgericht den Widerspruchsbescheid durch das angefochtene Urteil aufgehoben: Der Widerspruch der Beigeladenen zu 2 und 3 sei mangels Widerspruchsbefugnis unzulässig gewesen. Sie ergebe sich nicht aus dem Antrag nach § 6 Abs. 8 VermG. Ein solcher Antrag habe bis zum Ablauf der Widerspruchsfrist noch nicht vorgelegen. Im Übrigen sei der Widerspruch auch unbegründet gewesen. Das Grundstück sei von einer schädigenden Maßnahme im Sinne des § 1 Abs. 2 VermG betroffen gewesen. Die Rückübertragung sei nicht nach § 5 Abs. 1 Buchst. d VermG ausgeschlossen. Der Beigeladenen zu 2 habe am 29. September 1990 nur ein schuldrechtliches Nutzungsrecht an dem Grundstück zugestanden. Auch wenn der Beigeladenen zu 2 das Eigentum aufgrund ihres Antrags nach § 6 Abs. 8 VermG übertragen werde, ändere dies nichts daran, dass diese zu dem maßgeblichen Zeitpunkt des 29. September 1990 das Grundstück nur aus abgeleitetem Recht genutzt habe; es sei deshalb nicht in das Unternehmen einbezogen gewesen.
Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision begehren die Beigeladenen zu 2 und zu 3 die Abweisung der Klage: Ihr Widerspruch sei zulässig gewesen. Ihr Antrag gemäß § 6 Abs. 8 VermG habe ihnen eine Widerspruchsbefugnis vermittelt. Diese habe zum maßgeblichen Zeitpunkt der Sachentscheidung der Widerspruchsbehörde vorgelegen. In der Sache sei der Ausschlussgrund des § 5 Abs. 1 Buchst. d VermG gegeben. Das Grundstück sei nicht nur aus abgeleitetem Recht einer gewerblichen Nutzung zugeführt worden. Die Überprüfung der Unternehmensrückgabe nach § 6 Abs. 8 VermG ziele darauf ab, dem Antragsteller die Rechtsposition zukommen zu lassen, die er bei einer Rückgabe nach dem Vermögensgesetz erlangt hätte. Im Zuge dieser Überprüfung werde das Grundstück in das Eigentum der Beigeladenen zu 2 übergehen. Die Entscheidung über den Antrag nach § 6 Abs. 8 VermG sei vorgreiflich. Außerdem sei das Urteil des Verwaltungsgerichts nicht mit Gründen versehen; es sei erst mehr als fünf Monate nach der mündlichen Verhandlung zugestellt worden.
Der Beklagte hält die Revision ebenfalls für begründet.
Die Klägerin tritt der Revision entgegen. Die Beigeladenen zu 2 und 3 seien niemals Eigentümer oder Rechtsträger des Grundstücks gewesen. Deshalb werde auch der Antrag nach § 6 Abs. 8 VermG erfolglos bleiben.
Die Beigeladene zu 1 hält die Revision für begründet. Die Klage sei bereits unzulässig, weil die Klägerin mit der Wiederherstellung des Ausgangsbescheids die Rückübertragung des Grundstücks auf die Erbin der früheren Eigentümerin begehre. Sie sei jedenfalls unbegründet. Entgegen den Feststellungen des Verwaltungsgerichts seien die Voraussetzungen einer Schädigung im Sinne des § 1 Abs. 2 VermG nicht erfüllt. Davon abgesehen sei der Ausschlussgrund des § 5 Abs. 1 Buchst. d VermG gegeben. Das Nutzungsrecht der Beigeladenen zu 2 komme wirtschaftlich dem Eigentum gleich. Ihre Rechtsposition sei durch den Antrag nach § 6 Abs. 8 VermG noch verstärkt worden. Die Beigeladene zu 2 sei aufgrund ihres Nutzungsrechts an dem Grundstück auch widerspruchsbefugt gewesen.
Der Oberbundesanwalt hält den Ausschlussgrund des § 5 Abs. 1 Buchst. d VermG für gegeben. Die Nutzungsänderung sei aus eigenem Recht des Rechtsträgers des volkseigenen Vermögens, des VEB P. F. vollzogen worden. Zwar sei die Beigeladene zu 2 bei ihrer Reprivatisierung nicht Eigentümerin des Grundstücks geworden. § 6 Abs. 8 VermG sehe aber die Anpassung der Reprivatisierung nach dem Unternehmensgesetz der DDR an die Regelungen des Vermögensgesetzes und damit auch die Übertragung des Eigentums an dem Grundstück vor. Mit Blick auf § 6 Abs. 8 VermG müsse für § 5 Abs. 1 Buchst. d VermG deshalb die Nutzung aus abgeleitetem Recht bis zur Entscheidung über die Anpassung ausreichen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revisionen der Beigeladenen zu 2 und des Beigeladenen zu 3 sind begründet. Das Verwaltungsgericht hat der Klage unter Verstoß gegen Bundesrecht stattgegeben. Die bislang festgestellten Tatsachen lassen eine abschließende Entscheidung des Senats über die Klage nicht zu. Daher war das Urteil des Verwaltungsgerichts nach § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO aufzuheben und der Rechtsstreit an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen.
1. Das angefochtene Urteil erfüllt nicht den absoluten Revisionsgrund des § 138 Nr. 6 VwGO; es ist mit Gründen versehen. Zwar ist es unter Verstoß gegen den hier entsprechend anwendbaren § 117 Abs. 4 Satz 2 VwGO nicht alsbald nach der Niederlegung der Entscheidungsformel vollständig abgefasst, unterschrieben und der Geschäftsstelle übergeben worden. Ein Verstoß gegen diese Vorschrift führt jedoch allein noch nicht dazu, dass das Urteil als nicht mit Gründen versehen zu gelten hat. Dies ist vielmehr erst dann der Fall, wenn das Urteil nicht binnen fünf Monaten nach Niederlegung des Urteilstenors bei der Geschäftsstelle vollständig abgefasst, unterschrieben und der Geschäftsstelle übergeben worden ist (Beschluss vom 3. August 1998 – BVerwG 7 B 236.98 – im Anschluss an den Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, Beschluss vom 27. April 1993 – GmS-OGB 1/92 – BVerwGE 92, 367) oder dies zwar innerhalb dieser Zeit geschehen ist, aber besondere Umstände hinzukommen, die wegen des Zeitablaufs bereits bestehende Zweifel zu der Annahme verdichten, dass der gesetzlich geforderte Zusammenhang zwischen der mündlichen Verhandlung und dem Ergebnis der ihr nachfolgenden Beratung einerseits sowie den schriftlich niedergelegten Urteilsgründen andererseits nicht mehr gewahrt ist. Solche Umstände sind von dem Beteiligten darzulegen, der sich auf den Verfahrensfehler beruft (BVerwG, Beschluss vom 7. Mai 1999 – BVerwG 7 B 77.99 –).
Die Beigeladenen zu 2 und 3 haben sich lediglich auf den Zeitablauf berufen, der hier aber keinen Verfahrensfehler im Sinne des § 138 Nr. 6 VwGO begründet; denn das Verwaltungsgericht hat das vollständig abgefasste Urteil binnen fünf Monaten nach der Niederlegung des Urteilstenors der Geschäftsstelle übergeben. Hierauf, nicht aber auf die Zustellung des vollständigen Urteils an die Beteiligten kommt es an. Für den Verlust des Erinnerungsvermögens, an den die Frist von fünf Monaten anknüpft, ist die weitere Zeit nicht maßgeblich, die nach der Übergabe des vollständigen Urteils an die Geschäftsstelle bis zu dessen Zustellung an die Beteiligten vergeht (BVerwG, Beschluss vom 21. Juli 1997 – BVerwG 3 B 146.97 – Buchholz 310 § 138 Ziff. 6 VwGO Nr. 31).
2. Das angefochtene Urteil verstößt jedoch in mehrfacher Hinsicht gegen Bundesrecht. Das Verwaltungsgericht hat zu Unrecht die Widerspruchsbefugnis der Beigeladenen zu 2 und 3 verneint (a). In der Sache hat es die Voraussetzungen des Schädigungstatbestandes des § 1 Abs. 2 VermG teilweise verkannt (b). Auch hat das Verwaltungsgericht den Ausschlussgrund nach § 5 Abs. 1 Buchst. d VermG verneint, obwohl die vorrangige Entscheidung der Behörde über den Antrag nach § 6 Abs. 8 VermG noch nicht getroffen war (c).
a) Entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts war der angefochtene Widerspruchsbescheid nicht deshalb rechtswidrig, weil den Beigeladenen zu 2 und 3 die Widerspruchsbefugnis fehlte und der Beklagte ihrem Widerspruch deshalb nicht hätte stattgeben dürfen.
Für die Zulässigkeit des Widerspruchs ist eine Widerspruchsbefugnis in entsprechender Anwendung des § 42 Abs. 2 VwGO erforderlich. Sie ergibt sich hier aus der Besonderheit des Nutzungsrechts an dem Grundstück. Das Nutzungsrecht nach § 4 der Ersten Durchführungsverordnung zum Unternehmensgesetz der DDR vom 8. März 1990 (GBl DDR I S. 144) unterscheidet sich von anderen – schuldrechtlichen – Nutzungsrechten, die der Rückübertragung des Eigentums an dem Grundstück nicht entgegenstehen (vgl. § 17 VermG), dadurch, dass es auf Grund der in § 6 Abs. 8 VermG ermöglichten Anpassung an die Unternehmensrestitution nach dem Vermögensgesetz zu Volleigentum erstarken kann. Solange dies der Fall ist, besteht die Möglichkeit, dass der Widerspruchsführer durch die Rückübertragung des Eigentums auf einen Dritten in seinen Rechten beeinträchtigt wird.
Wurde ein Unternehmen nach dem Unternehmensgesetz der DDR reprivatisiert, konnten ihm nur solche (volkseigenen) Grundstücke übertragen werden, die bereits vor seiner Enteignung Eigentum des Unternehmens gewesen waren (§ 17 Abs. 1 Satz 3 Unternehmensgesetz). Andere Grundstücke, die dem Unternehmen nach dessen Enteignung „zugeschwommen” waren, konnten gemäß § 4 der Ersten Durchführungsverordnung zum Unternehmensgesetz dem Unternehmen zur unkündbaren (und kostenlosen) Nutzung übergeben werden. Das ist bezogen auf das streitige Grundstück geschehen, wie sich aus dem Auseinandersetzungsvertrag zwischen der Beigeladenen zu 2 und der Beigeladenen zu 1 ergibt. § 6 Abs. 8 VermG gibt dem reprivatisierten Unternehmen die Möglichkeit, diese Reprivatisierung an die Vorschriften des Vermögensgesetzes anpassen zu lassen. Bei einer Unternehmensrestitution auf der Grundlage des § 6 VermG wäre das Unternehmen mit dem „zugeschwommenen” Grundstück auf den früheren Unternehmensträger zurückzuübertragen gewesen (§ 1 Abs. 1 Sätze 1 und 2 Unternehmensrückgabeverordnung). § 6 Abs. 8 VermG ermöglicht den Eigentumserwerb an zugeschwommenen Grundstücken. Das zunächst nur eingeräumte Nutzungsrecht kann mithin noch zum Volleigentum erstarken, solange ein Antrag nach § 6 Abs. 8 VermG noch gestellt werden kann oder ein gestellter Antrag noch nicht bestandskräftig abgelehnt worden ist. Die Möglichkeit einer Rechtsverletzung und damit die Widerspruchsbefugnis hängt nicht zusätzlich davon ab, dass ein Antrag nach § 6 Abs. 8 VermG im Zeitpunkt der Widerspruchseinlegung oder des Ablaufs der Widerspruchsfrist schon gestellt ist.
b) Das Verwaltungsgericht hat ohne zureichende tatsächliche Feststellungen angenommen, die damalige Eigentümerin des Grundstücks habe wegen dessen bevorstehender Überschuldung auf ihr Eigentum verzichtet (§ 1 Abs. 2 VermG).
Der Schädigungstatbestand des § 1 Abs. 2 VermG setzt dreierlei voraus. Erstens müssen für das bebaute Grundstück oder Gebäude in der Zeit vor dem Eigentumsverlust nicht kostendeckende Mieten erzielt worden sein. Diese Kostenunterdeckung muss zweitens zu einer bereits eingetretenen oder unmittelbar bevorstehenden Überschuldung geführt haben. Drittens muss die Überschuldung wesentliche Ursache für den Eigentumsverlust gewesen sein (BVerwG, Urteil vom 11. Februar 1999 – BVerwG 7 C 4.98 – BVerwGE 108, 281, 282).
Das Verwaltungsgericht ist zu Unrecht von der nur im Regelfall gerechtfertigten Vermutung ausgegangen, dass die Mieten in der DDR nicht kostendeckend waren (zu dieser Vermutung vgl. BVerwG, Urteil vom 16. März 1995 – BVerwG 7 C 39.93 – BVerwGE 98, 87, 98). Nach der Einnahmen-/Ausgabenrechnung der damaligen Eigentümerin standen zum Zeitpunkt des Eigentumsverzichts den Mieteinnahmen von 744 M jährlich laufende Kosten (Steuern und Abgaben, jedoch keine Aufwendungen für Reparaturen) von 181,10 M jährlich gegenüber. Nach der ebenfalls für den Zeitpunkt des Eigentumsverzichts gefertigten Einnahmen-/Ausgabenrechnung der Abteilung Finanzen des Rates der Stadt W. standen Mieteinnahmen von 1 450 M Aufwendungen von 711 M (neben Steuern und Abgaben auch Instandhaltungskosten von 150 M) gegenüber. Die Einnahmen-/Ausgabenrechnungen weisen mithin Überschüsse in unterschiedlichem, jeweils nicht unbeträchtlichem Umfang aus. Ohne Auseinandersetzung mit ihnen durfte das Verwaltungsgericht nicht auf die Vermutung mangelnder Kostendeckung der Mieten zurückgreifen.
Das Verwaltungsgericht hätte ferner Anlass gehabt zu untersuchen, ob die nach seiner Auffassung nicht kostendeckenden Mieten für eine bevorstehende Überschuldung ursächlich waren. Das Verwaltungsgericht leitet diese Überschuldung daraus her, dass zum Zeitpunkt des Eigentumsverzichts entsprechend einer Schätzung der Staatlichen Bauaufsicht unaufschiebbare Instandsetzungsmaßnahmen mit einem Kostenaufwand von 12 600 M erforderlich waren, die um nahezu das Vierfache den Beleihungswert des Grundstücks überstiegen, den das Verwaltungsgericht pauschal mit dem Einheitswert von 3 300 M angenommen hat. Das Verwaltungsgericht hat dabei nicht berücksichtigt, dass ein Teil des Wohngebäudes von der damaligen Eigentümerin selbst genutzt wurde. An dem erforderlichen Ursachenzusammenhang zwischen den nicht kostendeckenden Mieten und einer bevorstehenden Überschuldung fehlt es aber, wenn bei einem zugleich eigen- und fremdgenutzten Wohngebäude die Überschuldung auch ohne Berücksichtigung der auf den vermieteten Teil entfallenden Aufwendungen eingetreten war oder unmittelbar bevorstand (BVerwG, Urteil vom 15. Mai 1997 – BVerwG 7 C 50.96 – Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 111). Die Beigeladenen zu 2 und zu 3 hatten sowohl in ihrer Stellungnahme zu dem beabsichtigten Bescheid des Vermögensamtes als auch in der Begründung ihres Widerspruchs behauptet, die damalige Eigentümerin und ihre Tochter, die spätere Antragstellerin des Restitutionsverfahrens, hätten im Hause gewohnt und ca. 50 % der zur Verfügung stehenden Wohnfläche genutzt. Wird von einer Eigennutzung dieses Umfangs ausgegangen und werden die Kosten für die Instandsetzungsmaßnahmen mangels anderer Anhaltspunkte gleichmäßig auf den eigengenutzten und den vermieteten Teil des Hauses verteilt, überschreitet allein der Kostenaufwand, der auf den eigengenutzten Teil der Wohnung entfällt, die mit dem Einheitswert gleichgesetzte Beleihungsgrenze. Allerdings kann von einer Eigennutzung in diesem Umfang nicht ohne weiteres ausgegangen werden. Die Angaben der Beigeladenen zu 2 und zu 3 sind zwar ohne Widerspruch geblieben; jedoch sind die beiden Schriftsätze mit diesen Angaben der Klägerin nicht zur Stellungnahme übersandt worden. Zudem sind die Beigeladenen zu 2 und zu 3 bei ihrer Berechnung davon ausgegangen, nicht nur die damalige Eigentümerin, sondern auch deren Tochter habe eine Wohnung selbst genutzt. Beruht die Nutzung einer Wohnung durch Familienangehörige auf einem Mietverhältnis, liegt aber keine Eigennutzung, sondern eine Fremdnutzung vor. Im Übrigen hatte die Tochter der damaligen Eigentümerin gegenüber dem Vermögensamt angegeben, sie selbst habe nur bis 1960 in dem Haus gewohnt. Aber selbst wenn im Zeitpunkt des Eigentumsverzichts nur eine Wohnung durch die damalige Eigentümerin eigengenutzt gewesen wäre, ist je nach Größe dieser Wohnung nicht ausgeschlossen, dass bereits der auf sie entfallende Aufwand für unaufschiebbare Reparaturen den Grundstückswert erschöpft hätte.
Die Ursächlichkeit möglicherweise nicht kostendeckender Mieten für die bevorstehende Überschuldung des Grundstücks kann aus einem weiteren Grund ausgeschlossen sein, dem das Verwaltungsgericht hätte nachgehen müssen. An der erforderlichen Kausalität der Niedrigmietenpolitik für die bevorstehende Überschuldung fehlte es auch dann, wenn die unaufschiebbar notwendigen Reparaturen nicht auf einem durch nicht kostendeckende Mieten verursachten Reparaturstau, sondern unabhängig davon auf dem hohen Alter des Gebäudes beruhten, das Gebäude also allein infolge Altersverfalls abgängig gewesen ist. Hierfür könnte dessen baupolizeiliche Sperrung sprechen.
c) Ob die Rückübertragung des Grundstücks an die Klägerin gemäß § 5 Abs. 1 Buchst. d VermG ausgeschlossen ist, kann derzeit nicht entschieden werden. Nach dieser Vorschrift ist die Rückübertragung von Eigentumsrechten an Grundstücken ausgeschlossen, wenn das Grundstück der gewerblichen Nutzung zugeführt wird oder in eine Unternehmenseinheit einbezogen worden ist und nicht ohne erhebliche Beeinträchtigung des Unternehmens zurückgegeben werden kann.
Nach dem Zweck der Vorschrift müssen die Zuführung zu einer gewerblichen Nutzung oder die Einbeziehung in eine Unternehmenseinheit regelmäßig aus eigenem Recht vollzogen worden sein, nicht aber nur in Ausübung eines obligatorischen Nutzungsrechts. Gemeinsamer Zweck der Ausschlusstatbestände in § 5 Abs. 1 VermG ist es, bestimmte rechtliche oder tatsächliche Veränderungen der Nutzungsart oder Zweckbestimmung eines entzogenen Grundstücks oder Gebäudes nicht dadurch infrage zu stellen, dass die früheren Eigentumsverhältnisse wieder begründet werden (BVerwG, Urteil vom 1. Dezember 1995 – BVerwG 7 C 27.94 – BVerwGE 100, 77, 80). Die Beeinträchtigung des Unternehmens muss mithin gerade dadurch bewirkt werden, dass dem Unternehmen das Eigentum an dem Grundstück nicht (mehr) zur Verfügung steht. Nutzt ein Unternehmen ein Grundstück im Rahmen seines Gewerbebetriebs aufgrund eines schuldrechtlichen Nutzungsverhältnisses, wird durch die Rückübertragung des Eigentumsrechts an dem Grundstück dem Unternehmen keine Rechtsposition entzogen, auf der die gewerbliche Nutzung beruht. Ein Nutzungsrecht wird durch die Rückübertragung nicht berührt (§ 17 Abs. 1 VermG).
Die Beigeladene zu 2 verfügt nicht über ein bloßes Nutzungsrecht an dem Grundstück, wie es ein Pacht- oder Mietvertrag vermittelt. Wie bereits erwähnt, kann das Nutzungsrecht noch zu Eigentum erstarken, wenn der Antrag auf Anpassung der Reprivatisierung des Unternehmens an die Vorschriften des Vermögensgesetzes Erfolg hat.
Das Grundstück ist nicht aus abgeleitetem Recht, sondern aufgrund der Rechtsträgerschaft des VEB P. F. und damit aus eigenem Recht der gewerblichen Nutzung zugeführt worden. Mit der Reprivatisierung des Unternehmens hat diese Zuführung des Grundstücks zur gewerblichen Nutzung aus eigenem Recht nicht (endgültig) geendet und ist (noch) nicht durch eine Nutzung aus abgeleitetem Recht ersetzt worden. Aus der Sicht des Vermögensgesetzes handelt es sich um eine unvollständige Rückübertragung des Unternehmens. Die durch § 6 Abs. 8 VermG ermöglichte vollständige Durchführung der Unternehmensrückgabe ist darauf gerichtet, dieses Unternehmen als Gesamtheit auf den Berechtigten zurückzuübertragen, also einschließlich des Eigentums an den Betriebsgrundstücken, die bis zur Reprivatisierung dem Unternehmen als Rechtsträger zugeordnet waren. Diese Zuordnung setzt sich zunächst in dem Nutzungsrecht nach § 4 der Ersten Durchführungsverordnung zum Unternehmensgesetz fort. Die Gewährung nur eines Nutzungsrechts beruht letztlich darauf, dass der Gesetzgeber der DDR bei Schaffung des Unternehmensgesetzes noch davon ausging, Volkseigentum an Grund und Boden nur in Ausnahmefällen an Private zu übertragen. Ist ein Anpassungsantrag nach § 6 Abs. 8 VermG rechtzeitig gestellt und über ihn noch nicht bestandskräftig entschieden worden, ist die endgültige eigentumsrechtliche Zuordnung des Grundstücks zu dem Unternehmen noch in der Schwebe. Dieser Schwebezustand wird erst beendet, wenn das Grundstück entweder dem Unternehmen übertragen oder der Anpassungsantrag bestandskräftig abgelehnt wird. Erst aus dieser Entscheidung ergibt sich, ob das Unternehmen das Grundstück aus eigenem oder abgeleitetem Recht nutzt. Erst wenn im Verhältnis zwischen dem ehemaligen volkseigenen Betrieb und dessen Rechtsnachfolger einerseits und dem reprivatisiertem Unternehmen andererseits über die eigentumsrechtliche Zuordnung des „zugeschwommenen” Grundstücks endgültig entschieden ist, können die Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Buchst. d VermG beurteilt werden. Erst dann ist die Entscheidung möglich, ob durch die begehrte Rückübertragung des Grundstücks an dessen früheren Eigentümer oder seinen Rechtsnachfolger das Unternehmen beeinträchtigt werden kann. In dieser Fallgestaltung ist mithin von der Behörde vorrangig über den Antrag nach § 6 Abs. 8 VermG zu entscheiden.
Allein diese Reihenfolge entspricht dem Zweck des § 6 Abs. 8 VermG, das Unternehmen mit seinen gesamten Vermögenswerten zu erhalten, auf die es angewiesen ist. Dieser Zweck würde unterlaufen, wenn das Grundstück im Falle der Einzelrestitution auf einen Alteigentümer oder dessen Rechtsnachfolger übertragen wird, bevor die Überprüfung der Unternehmensrückgabe nach § 6 Abs. 8 VermG abgeschlossen ist.
Die Stichtagsregelung in § 5 Abs. 2 VermG hindert nicht, die Beurteilung der Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Buchst. d VermG von dem Ausgang des Verfahrens nach § 6 Abs. 8 VermG und damit davon abhängig zu machen, ob das Grundstück im Wege der Überprüfung der Reprivatisierung des Unternehmens auf dieses übertragen wird. Dabei kann offen bleiben, ob der Stichtag 29. September 1990 auch für diejenigen Fälle der Reprivatisierung ehemals volkseigener Betriebe oder Kombinate maßgeblich ist, in denen zu diesem Zeitpunkt die eigentumsrechtliche Zuordnung von Vermögenswerten auf die durch Aufspaltung entstehenden Betriebe noch nicht endgültig abgeschlossen war. Denn hier lagen zum Stichtag des § 5 Abs. 2 VermG bereits die Voraussetzungen vor, von denen abhängt, ob der Betrieb durch die Rückgabe des Eigentumsrechts an dem streitigen Grundstück erheblich beeinträchtigt werden kann. Der Betrieb der Beigeladenen zu 2 war und ist seiner Art nach auf eine langfristige Perspektive an seinem jetzigen Standort angewiesen. Ihr Betrieb ist auf den Hafen ausgerichtet. Er ist deshalb von einer uneingeschränkten Verfügungsmacht über ihr Betriebsgrundstück abhängig. Nur das verleiht der Beigeladenen zu 2 die notwendige Sicherheit für Investitionen in das Gebäude (zu diesem Gesichtspunkt vgl. BVerwG, Urteil vom 20. März 1997 – BVerwG 7 C 55.96 – BVerwGE 104, 193, 201).
Demgemäß durfte das Verwaltungsgericht nicht abschließend über den Restitutionsausschluss nach § 5 Abs. 1 Buchst. d VermG entscheiden, bevor der Beklagte über den bei ihm anhängigen Antrag nach § 6 Abs. 8 VermG bestandskräftig entschieden hatte. Einer solchen Aussetzung des Verfahrens bedarf es nur dann nicht, wenn sich ergibt, dass schon der Schädigungstatbestand des § 1 Abs. 2 VermG zu verneinen ist. Dies wird das Verwaltungsgericht nach Zurückverweisung der Sache zunächst zu klären haben.
Unterschriften
Präsident des Bundesverwaltungsgerichts Dr. Franßen ist infolge einer Dienstreise verhindert, seine Unterschrift beizufügen. Gödel, Gödel, Kley, Herbert, Neumann
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 14.06.2001 durch Nöpel Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
BuW 2001, 955 |
DÖV 2002, 130 |
GuG-aktuell 2002, 15 |