Entscheidungsstichwort (Thema)
Abschiebung. Durchführung der Abschiebung. Rückführung. Ersuchen der Ausländerbehörde. Vollzugshilfe. Bundesgrenzschutz. Flugbegleitung. Landespolizei. Transportbegleitung. Abschiebungskosten. Leistungsbescheid. Zuständigkeit. einheitliche Kostenerhebung. getrennte Kostenerhebung
Leitsatz (amtlich)
Betreibt die Ausländerbehörde die Abschiebung eines Ausländers, ist sie gemäß § 63 Abs. 1 AuslG die für diese Maßnahme insgesamt zuständige Behörde im Sinne von § 83 Abs. 4 Satz 1 AuslG, auch wenn sie zur Durchführung der Abschiebung die Polizei eines Landes oder den Bundesgrenzschutz heranzieht. Sie ist deshalb berechtigt, die gesamten Kosten der Abschiebung einschließlich der Kosten der hinzugezogenen Behörden durch Leistungsbescheid gegenüber dem Kostenschuldner zu erheben.
Normenkette
AufenthG § 67 Abs. 3, § 71; AuslG §§ 63, 82-83; VwKostG §§ 12, 14 Abs. 2
Verfahrensgang
OVG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 07.05.2004; Aktenzeichen 10 A 10080/04) |
VG Koblenz (Entscheidung vom 13.10.2003; Aktenzeichen 3 K 3058/02.KO) |
Tenor
Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 7. Mai 2004 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Tatbestand
I.
Der Kläger, ein pakistanischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen die Heranziehung zu den Kosten seiner Abschiebung nach Pakistan.
Der Kläger, der mit einer deutschen Staatsangehörigen verheiratet ist, wurde im April 2000 aufgrund einer für sofort vollziehbar erklärten Ausweisungsverfügung des beklagten Landkreises aus der Strafhaft heraus abgeschoben. Die Abschiebung erfolgte in der Weise, dass zwei Beamte der Bereitschaftspolizei des Beigeladenen zu 2 den Kläger von der Justizvollzugsanstalt in Rheinland-Pfalz zum Flughafen Bremen verbrachten. Von dort aus begleiteten zwei Beamte des Bundesgrenzschutzes der Beigeladenen zu 1 ihn auf dem Flug über Amsterdam und Istanbul nach Karachi. Bereitschaftspolizei und Bundesgrenzschutz wurden jeweils auf Veranlassung der Ausländerbehörde des Beklagten hin tätig.
Mit Leistungsbescheid vom 12. Februar 2003 machte der Beklagte dem Kläger gegenüber Abschiebungskosten von insgesamt 10 252,88 € geltend. Davon entfielen 1 501,57 € auf die Kosten der Bereitschaftspolizei und 7 035,38 € auf die Kosten des Bundesgrenzschutzes. Das Verwaltungsgericht und das Oberverwaltungsgericht hoben den Leistungsbescheid des Beklagten hinsichtlich der Kosten der beiden Beigeladenen auf. Zur Begründung führte das Oberverwaltungsgericht aus (vgl. InfAuslR 2004, 313), die Beigeladenen hätten bei der Durchführung der Abschiebung des Klägers gemäß § 63 Abs. 4 und 6 AuslG in eigener Zuständigkeit gehandelt; dementsprechend seien nach § 83 Abs. 4 Satz 1 AuslG nur sie – nicht die Ausländerbehörde – zur Erhebung der ihnen entstandenen Kosten zuständig.
Die Beigeladenen verteidigen mit ihrer Revision die langjährige Praxis, dass die Ausländerbehörden auch die Kosten der weiteren Behörden des Bundes und des jeweiligen Landes festsetzen, wenn diese bei der Durchführung einer Abschiebung Vollzugshilfe geleistet haben. Nur dies werde den gesetzlichen Vorschriften gerecht und vermeide Unzuträglichkeiten, die sich bei einer getrennten Abrechnung ergäben.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision der Beigeladenen ist begründet. Das Berufungsurteil beruht auf einer Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 VwGO). Der vom Kläger angefochtene Leistungsbescheid ist hinsichtlich der Kosten der Beigeladenen nicht wegen fehlender sachlicher Zuständigkeit des Beklagten rechtswidrig. Das Berufungsgericht hätte ihn deshalb nicht aus diesem Grund aufheben dürfen. Da der Senat mangels ausreichender Feststellungen des Berufungsgerichts zur Höhe der auf die Beigeladenen entfallenden Kosten nicht abschließend in der Sache entscheiden kann, ist das Verfahren zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
Die Rechtmäßigkeit des vom Kläger angefochtenen Leistungsbescheides ist nach den Vorschriften des Ausländergesetzes zu beurteilen. Das während des Revisionsverfahrens am 1. Januar 2005 in Kraft getretene neue Aufenthaltsgesetz ist hier nicht anwendbar. Für die Anfechtungsklage gegen den Leistungsbescheid vom 12. Februar 2003 über die Kosten der im April 2000 durchgeführten Abschiebung ist mangels anderslautender Übergangsbestimmungen auf die bisherige Rechtslage nach dem Ausländergesetz abzustellen. Im Übrigen haben sich die maßgeblichen Vorschriften, soweit sie hier einschlägig sind, nicht geändert (vgl. § 67 Abs. 3 und § 71 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1 und Abs. 5 AufenthG).
Zutreffend ist das Berufungsgericht, anders als das Verwaltungsgericht, bei der Prüfung der Zuständigkeit des Beklagten nicht von den nur ergänzend heranzuziehenden Bestimmungen des Verwaltungskostengesetzes (vgl. § 81 Abs. 2 Satz 2 AuslG), sondern von den spezielleren Vorschriften des Ausländergesetzes ausgegangen. Danach war der Beklagte als Ausländerbehörde berechtigt, die Kosten der Abschiebung auch insoweit geltend zu machen, als diese Kosten bei der zur Durchführung der Abschiebung herangezogenen Polizei des Landes sowie dem Bundesgrenzschutz entstanden sind.
§ 83 Abs. 4 Satz 1 AuslG i.V.m. § 83 Abs. 1 AuslG bestimmt, wer für die Erhebung der durch die Abschiebung, Zurückschiebung und Zurückweisung entstandenen Kosten zuständig ist. Demnach werden die in § 83 Abs. 1 und 2 AuslG genannten Kosten von der nach § 63 AuslG zuständigen Behörde durch Leistungsbescheid in Höhe der tatsächlich entstandenen Kosten erhoben. Gemäß § 63 Abs. 1 AuslG sind die Ausländerbehörden für aufenthalts- und passrechtliche Maßnahmen und Entscheidungen nach diesem Gesetz und nach ausländerrechtlichen Bestimmungen in anderen Gesetzen und damit auch für Abschiebungen zuständig. Betreibt eine Ausländerbehörde – wie hier – die Abschiebung eines Ausländers, so ist sie nach § 63 Abs. 1 AuslG die für diese Maßnahme insgesamt zuständige Behörde, auch wenn sie zur Durchführung der Abschiebung die Polizei eines Landes oder den Bundesgrenzschutz heranzieht. Denn sie behält bis zum Abschluss des Abschiebungsvorgangs die rechtliche Sachherrschaft darüber, ob die Abschiebung durch- oder weitergeführt wird, während die herangezogenen Behörden nur über das “Wie” der Abschiebung entscheiden (vgl. Fraenkel, Einführende Hinweise zum neuen Ausländergesetz, S. 268). Nur die Ausländerbehörde ist in diesen Fällen zuständige Behörde im Sinne des § 83 Abs. 4 Satz 1 AuslG und damit zur Erhebung der Gesamtkosten einschließlich der Kosten der hinzugezogenen Behörden befugt.
Der Befugnis der Ausländerbehörde zur Erhebung der Gesamtkosten steht nicht entgegen, dass § 63 Abs. 4 Nr. 1 und Abs. 6 AuslG daneben auch eigene Zuständigkeiten der Grenzschutzbehörden und der Polizeien der Länder begründet, die sich u.a. auch auf den Vorgang der Abschiebung beziehen. So hat nach § 63 Abs. 4 Nr. 1 AuslG die Grenzschutzbehörde neben der Zuständigkeit für die Zurückweisung und Zurückschiebung an der Grenze u.a. auch die Zuständigkeit für “die Rückführung von Ausländern aus und in andere Staaten”. Nach § 63 Abs. 6 AuslG sind auch die Polizeien der Länder u.a. für die “Durchführung der Abschiebung” zuständig. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht aber hieraus den Schluss gezogen, dass diese Behörden, wenn sie an einer von der Ausländerbehörde betriebenen Abschiebung mitwirken, allein wegen ihrer gleichfalls bestehenden Zuständigkeit für bestimmte Teile des Abschiebungsvorgangs jeweils als “nach § 63 zuständige Behörde” im Sinne von § 83 Abs. 4 AuslG anzusehen sind und deshalb die durch ihre Beteiligung an der Abschiebung entstandenen Kosten selbst durch gesonderten Leistungsbescheid erheben können und müssen (ebenso Urteil des Oberverwaltungsgerichts Magdeburg vom 17. März 2005 – OVG 2 L 509/02 –, gegen das ein weiteres Revisionsverfahren anhängig ist). Diese Auffassung verkennt, dass das Gesetz in den §§ 82 ff. AuslG jeweils auf die kostenrechtlich als Einheit vorausgesetzte Maßnahme entweder der Abschiebung oder der Zurückschiebung oder der Zurückweisung abstellt. § 83 Abs. 4 Satz 1 AuslG ist dementsprechend so zu verstehen, dass die für diese Maßnahme insgesamt – im Sinne der Sachherrschaft über das “Ob” der Durchführung – zuständige Behörde auch alle hierdurch verursachten, in den Absätzen 1 und 2 im Einzelnen bezeichneten Kosten durch Leistungsbescheid zu erheben hat. Lediglich dann, wenn die Grenzschutzbehörde oder die Polizei eines Landes ohne Beteiligung der Ausländerbehörde eigenständig solch eine Maßnahme, d.h. eine Abschiebung, Zurückschiebung oder Zurückweisung vornimmt, darf sie ihre Kosten selbst erheben.
Diese Auslegung legt bereits der Wortlaut des § 83 Abs. 4 Satz 1 AuslG nahe, der nicht von “Behörden” oder “jeweils zuständigen Behörden”, sondern von “der nach § 63 zuständigen Behörde” spricht. Dafür, dass der Gesetzgeber die Maßnahme der Abschiebung kostenrechtlich in Teilvorgänge aufspalten und die getrennte Kostenerhebung durch die verschiedenen, im konkreten Fall an der Abschiebung beteiligten Behörden anordnen wollte, gibt es auch sonst keine Anhaltspunkte. Der Begründung des Regierungsentwurfs zu der hier durch die Spezialregelung in § 83 Abs. 4 Satz 1 AuslG verdrängten Vorschrift über den Kostengläubiger in § 12 Verwaltungskostengesetz (VwKostG) ist vielmehr der vom Gesetzgeber allgemein verfolgte Grundsatz zu entnehmen, dass dem Bürger aus Anlass einer kostenpflichtigen Amtshandlung nicht mehrere Behörden als Kostengläubiger gegenübertreten sollen; dies wäre für den Bürger “lästig” und könnte wegen möglicher unterschiedlicher Entscheidungen zu ein und demselben Sachverhalt zu erheblichen Schwierigkeiten führen (vgl. BRDrucks 530/69). Auch aus den Materialien zu dem mit Wirkung vom 1. Juli 1992 in das Ausländergesetz eingefügten § 83 Abs. 4 lässt sich nichts für eine getrennte Kostenerhebung herleiten. Wenn es in der Begründung des Gesetzentwurfs heißt, der neue Absatz 4 sei eine notwendige Ergänzung, um die Beitreibung von Zurückweisungs-, Zurückschiebungs- und Abschiebungskosten, insbesondere von Seiten der Beförderungsunternehmer, zu erleichtern (BTDrucks 12/2062 S. 46), deutet dies eher auf die Vorstellung eines einheitlichen – und damit die Beitreibung der Kosten vereinfachenden – Leistungsbescheides für die gesamten Kosten einer Abschiebung hin.
Hinzu kommt, dass auch Gesichtspunkte der Praktikabilität und Verfahrensökonomie für eine einheitliche Kostenerhebung durch die Ausländerbehörde im Falle der von ihr betriebenen Abschiebung sprechen. Die Beigeladenen weisen zu Recht darauf hin, dass eine getrennte Kostenerhebung zu Unzuträglichkeiten führen kann. Den verschiedenen Behörden können jeweils mehrere Kostenschuldner gegenüberstehen (§ 82 AuslG), wobei zum Teil vorrangige bzw. nachrangige Kostenhaftungen zu beachten sind (§ 82 Abs. 4 Satz 3 AuslG). Der oder die in Anspruch genommenen Kostenschuldner müssen sich ggf. in mehreren Verfahren vor möglicherweise verschiedenen Gerichten gegen die einzelnen Leistungsbescheide wehren. In den jeweiligen behördlichen und gerichtlichen Verfahren kann immer wieder ein Austausch an Informationen und Akten zwischen den unterschiedlichen Verfahrensbeteiligten erforderlich werden, was mit praktischen Erschwernissen und Verfahrensverzögerungen verbunden sein kann. Zwar ist dem Berufungsgericht einzuräumen, dass es auch bei einer Erhebung der Gesamtkosten einer Abschiebung durch die Ausländerbehörde zu Schwierigkeiten kommen kann, etwa bei der Ermittlung und Überprüfung der den anderen beteiligten Behörden entstandenen Kosten. Diese Schwierigkeiten erscheinen aber vergleichsweise geringer und sind insbesondere nicht mit dem Risiko widersprüchlicher Entscheidungen belastet. Eine einheitliche Kostenerhebung durch die Ausländerbehörde sieht auch die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Ausländergesetz vom 28. Juni 2000 vor (BAnz 19 817 vom 6. Oktober 2000, Beil. 188a, vgl. insbesondere Ziff. 63.1.5 und 83.0.3; für getrennte Kostenerhebung – allerdings jeweils ohne nähere Begründung – insbesondere Hailbronner, Ausländerrecht, Dezember 1997, § 63 Rn. 26 und 39; Kloesel/Christ/Häußer, Deutsches Aufenthalts- und Ausländerrecht, 5. Aufl., Bd. 1, § 83 AuslG Rn. 18; Funke-Kaiser in GK-Ausländerrecht, März 2002, § 82 Rn. 24; vgl. auch VGH München, Urteil vom 23. April 2002 – 10 B 00.3228 – BayVBl 2003, 276).
Wegen dieser der Ausländerbehörde kraft Gesetzes eingeräumten Befugnis zur Kostenerhebung im Außenverhältnis bedarf es keiner Entscheidung, wie die von Bundesgrenzschutz und Landespolizei geleistete Vollzugshilfe im Übrigen rechtlich zu qualifizieren ist. Es kommt deshalb auch nicht darauf an, wie das Innenverhältnis der an einer Abschiebung beteiligten Behörden ausgestaltet ist. So kann insbesondere offen bleiben, inwieweit auf das Zusammenwirken unterschiedlicher Behörden beim Vollzug aufenthaltsbeendender Maßnahmen gemäß § 63 AuslG Vorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzes zur Amtshilfe entsprechend anwendbar sind oder welchen rechtlichen Maßstäben sonst die hier zu beurteilende ausländerrechtliche Vollzugshilfe unterliegt (zur Vollzugshilfe allgemein vgl. Stelkens/Bonk/Sachs, Kommentar zum Verwaltungsverfahrensgesetz, 6. Aufl., § 4 Rn. 18 und 42 m.w.N.).
Das Berufungsgericht wird in dem erneuten Verfahren prüfen müssen, ob die Höhe der auf die Beigeladenen entfallenden Kosten gerechtfertigt ist (vgl. § 14 Abs. 2 VwKostG). Hierzu fehlen bisher tragfähige Feststellungen.
Unterschriften
Eckertz-Höfer, Richter, Beck, Prof. Dr. Dörig, Prof. Dr. Berlit
Fundstellen
BVerwGE 2006, 382 |
ZAP 2006, 12 |
DÖV 2006, 170 |
InfAuslR 2005, 483 |
AuAS 2006, 6 |
BayVBl. 2006, 93 |
DVBl. 2006, 51 |
Polizei 2005, 272 |