Entscheidungsstichwort (Thema)
Religionsfreiheit. Tierschutz. Schächten
Leitsatz (amtlich)
Eine Ausnahme von dem Verbot, warmblütige Tiere ohne Betäubung zu schlachten, kann nach § 4 a Abs. 2 Nr. 2 TierSchG zum Zwecke der Nahrungsmittelversorgung nur zugelassen werden, wenn objektiv festgestellt wird, daß zwingende Vorschriften einer Religionsgemeinschaft den Genuß von Fleisch nicht geschächteter Tiere verbieten; eine individuelle Glaubensüberzeugung vom Bestehen eines solchen Verbots reicht nicht aus.
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 3, Art. 4 Abs. 1-2; TierSchG § 4a
Verfahrensgang
Hamburgisches OVG (Urteil vom 14.09.1992; Aktenzeichen Bf III 42/90) |
VG Hamburg (Entscheidung vom 14.09.1989; Aktenzeichen 9 VG 703/89) |
Nachgehend
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts vom 14. September 1992 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
I.
Die Klägerin begehrt eine Ausnahmegenehmigung nach dem Tierschutzgesetz für das Schlachten warmblütiger Tiere ohne vorherige Betäubung.
Die Klägerin betreibt die Kantine in der Moschee der Gesellschaft der türkischen Arbeitnehmer in Hamburg und Umgebung zur Gründung und Erhaltung einer Moschee e.V. und beliefert auch Moslems außerhalb der Kantine und außerhalb Hamburgs mit Fleisch- und Wurstwaren. Mit Schreiben vom 11. Mai 1988 beantragte sie die Genehmigung, „Schlachtungen nach islamischem Ritus durchführen zu dürfen”. Dazu trug sie vor, sie sei im Rahmen ihres Geschäftsbetriebes streng an die Beachtung der Regeln des Islam gebunden. Allein auf diese Regeln komme es für die Beurteilung ihres Antrages an. Die Grundlage des islamischen Gebots, Schlachttiere zu schächten, ergäbe sich aus dem Koran selbst, z.B. aus der 5. Sure, Vers 4. Auf dieser Grundlage sei ein großer Teil der von ihr mit Fleisch versorgten und belieferten Moslems nach wie vor der Glaubensauffassung, daß der islamische Ritus eine Betäubung der Tiere vor dem Schlachten nicht erlaube. Es handele sich dabei nicht lediglich um eine überkommene Sitte in einem bestimmten Kulturkreis, sondern um eine im Koran festgelegte zwingende Vorschrift.
Mit Bescheid vom 24. Oktober 1988 lehnte die Beklagte die beantragte Ausnahmegenehmigung nach § 4 a Abs. 2 Nr. 2 des Tierschutzgesetzes (TierSchG) ab. Zur Begründung führte sie aus, es sei nicht ersichtlich, daß zwingende religiöse Vorschriften des Islam die Betäubung der Tiere vor der Schlachtung verböten. Nach Aussagen maßgeblicher islamischer Rechtsgelehrter müsse eine Schlachtung nach den Geboten des Islam lediglich folgende Bedingungen erfüllen: Der Schlachter müsse Anhänger des Islam sein. Bei der Schlachtung müsse er den Namen Allahs anrufen. Die Schlachtung habe mit einem scharfen Messer und möglichst schnell zu erfolgen, wobei der Körper des Tieres in Gebetsrichtung liegen solle. Es müsse gewährleistet sein, daß das Tier während der Schlachtung noch Zeichen von Leben zeige. Verboten sei der Verzehr des Fleisches von Tieren, die vor der Schlachtung getötet worden oder tot gewesen seien. Diesen Anforderungen werde eine Elektrobetäubung der Tiere gerecht. Die Beklagte berief sich hierfür auf eine entsprechende Erklärung der türkischen Botschaft in Bonn vom 29. Juli 1982, auf eine gutachterliche Stellungnahme der Geistlichen Zentrale des Islam an der Al-Azhar-Universität in Kairo vom 25. Februar 1982 sowie des Religionssachverständigen und Leiters der Islamischen Gemeinschaft in Hamburg vom 14. Oktober 1985. Außerdem hätten sich maßgebliche islamische Rechtsgelehrte bei einer von der Weltgesundheitsorganisation und der moslemischen Welt-Liga im Dezember 1985 durchgeführten Konferenz über „islamische Anforderungen an Lebensmittel tierischen Ursprungs” in Jeddah in Saudi-Arabien dahin gehend geäußert, daß Moslems in nichtmoslemischen Ländern auch das Fleisch von Tieren essen dürften, die nach westlichem Verfahren geschlachtet worden seien, wenn dort die Möglichkeit zur Schlachtung nach islamischem Brauch nicht bestünde.
Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch mit der Begründung, es könne nicht auf die Auffassung islamischer Rechtsgelehrter ankommen, sondern allein darauf, daß diejenigen Moslems, die von ihr mit Fleisch- und Wurstwaren beliefert würden, eine Betäubung der Tiere vor dem Schlachten nach dem Koran für verboten hielten.
Mit Bescheid vom 19. Januar 1989 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Dazu führte sie unter erneuter Bezugnahme auf die erwähnten Stellungnahmen islamischer Gelehrter und Instanzen aus, weite Kreise des Islam hielten ein Schlachten nach vorhergehender, nicht zum Tode führender Elektrobetäubung für mit dem Koran vereinbar. Die Klägerin habe nicht nachgewiesen, daß die von ihr mit Fleisch belieferten Personen einer Glaubensrichtung des Islam angehörten, deren Religionsvorschriften zwingend selbst den Verzehr des Fleisches von Tieren untersagten, die vor der Schlachtung durch Elektroschock lediglich betäubt, aber nicht getötet worden seien.
Die daraufhin erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht durch Urteil vom 14. September 1989 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klägerin habe keinen Anspruch auf eine Ausnahmegenehmigung zum betäubungslosen Schlachten. § 4 a Abs. 2 Nr. 2 TierSchG sei, soweit er zwingende Vorschriften einer Religionsgemeinschaft zur Voraussetzung der Ausnahmegenehmigung erkläre, im Hinblick auf das Grundrecht der freien Religionsausübung verfassungskonform einengend auszulegen. Bei dieser Sicht komme dem Merkmal „zwingend” nur eine Abgrenzungsfunktion zu. Im Interesse der Rechtsklarheit müsse eine hinreichend sichere Unterscheidung des Schächtens als echtem Bestandteil eines religiösen Bekenntnisses von der Erscheinungsform des Schächtens möglich sein, die zwar Ausdruck einer religiösen Grundhaltung sei, selbst aber keine religiöse Betätigung darstelle, sondern eine traditionelle Schlachtmethode schlechthin. Außerdem sei die Frage, ob bestimmte religiöse Vorschriften zwingenden Charakter hätten, maßgeblich nach dem Selbstverständnis der betreffenden Religionsgemeinschaft zu beurteilen. Die Ausnahmevorschrift dürfe nicht dazu führen, daß „Andersgläubige” den Angehörigen einer – islamischen oder jüdischen – Religionsgemeinschaft deren religiöse Vorschriften interpretierten. Mit diesem Inhalt sei § 4 a Abs. 2 Nr. 2 TierSchG mit dem Grundgesetz vereinbar. Selbst auf dieser Grundlage erfülle die Klägerin die Genehmigungsvoraussetzungen jedoch nicht. Aufgrund der in den Verwaltungsvorgängen enthaltenen Stellungnahmen kompetenter islamischer Stellen sei das Gericht überzeugt, daß in der islamischen Religionsgemeinschaft keine zwingenden Vorschriften bestünden, die den Angehörigen dieser Religionsgemeinschaft das Schächten vorschrieben oder den Genuß von Fleisch nicht geschächteter Tiere untersagten. Nach dem übereinstimmenden Inhalt all dieser Stellungnahmen verbiete der Koran nur den Verzehr des Fleisches von Tieren, die vor dem Schächtschnitt bereits getötet worden seien. Eine Betäubung, die nicht zum Tode führe, sei dagegen nach den islamischen Vorschriften nicht verboten. Diese Aussage sei nicht auf bestimmte Glaubensrichtungen des Islam beschränkt.
Mit ihrer hiergegen eingelegten Berufung hat die Klägerin vorgetragen, maßgebend für die Entscheidung über ihr Begehren könne nur die Glaubensüberzeugung der von ihr belieferten Moslems sein. Das ergebe sich aus der Struktur des Islam, der keine verfaßte Kirche und keine Hierarchie kenne. Abzustellen sei daher auf die Gruppe der sunnitischen Moslems, die in und um Hamburg lebten und sich dem Votum der Rechtsgelehrten der Hamburger Moschee unterstellten. Diese sähen eine Betäubung der Tiere vor dem Schlachten als unvereinbar mit dem Koran an. Dazu hat die Klägerin ein von fünf Religionsgelehrten unterschriebenes Gutachten vorgelegt. Darin wird die Betäubung der Tiere vor dem Schlachten mit der Begründung für unzulässig erklärt, niemand könne mit Gewißheit sagen, ob das Tier nach Stromstoß oder Bolzenschuß noch lebe.
Gegenüber dieser aus der Sicht der Kunden der Klägerin verbindlichen Auslegung des Koran könnten weder die abweichende Praxis an anderen Orten wie z.B. in Berlin noch die Stellungnahmen irgendwelcher angeblicher Autoritäten noch auch die Tatsache ins Feld geführt werden, daß die islamische Republik Iran in großem Umfang aus Deutschland Fleisch von Tieren importiere, die vor dem Schlachten in der in Deutschland üblichen Weise betäubt worden seien. Allerdings werde das vom Verwaltungsgericht in Bezug genommene Rechtsgutachten der Al-Azhar-Universität Kairo grundsätzlich von den Moslemen begrüßt, die in der Diaspora lebten, weil diese Stellungnahme den gläubigen Moslems die Möglichkeit einräume, in der Diaspora zu überleben und dort auf Fleischgenuß nicht zu verzichten. Die Zahl der Moslems in den Städten der Bundesrepublik sei aber seit Jahren in einem Maße gestiegen, daß von einer Ausnahmesituation heute nicht mehr gesprochen werden könne; in dieser Situation werde den Moslems durch den Koran vorgeschrieben, die Schlachtung selbst zu organisieren. Das Gutachten der Al-Azhar-Universität sei mithin nicht für die heute zu beurteilende Situation der in der Bundesrepublik lebenden Moslems übertragbar bzw. tauglich.
Die Beklagte hat demgegenüber an der Auffassung festgehalten, daß der Verzehr des Fleisches von Tieren, die vor dem Schlachten elektrisch betäubt worden seien, nach den religiösen Vorschriften des Islam nicht verboten sei. Die sunnitischen Vertreter der moslemischen Weltliga und die sunnitischen Rechtsgelehrten hätten dies andernfalls auf der Konferenz von Jeddah im Jahre 1985 zum Ausdruck gebracht. Es gebe insoweit keine unterschiedlichen Auffassungen der sunnitischen und der schiitischen Glaubensrichtungen. Auch aus dem von der Klägerin eingereichten Gutachten der Rechtsgelehrten der Hamburger Moschee lasse sich keine entsprechende religiöse Vorschrift herleiten. Von seiten der Klägerin werde nicht zwischen der elektrischen Betäubung und der elektrischen Tötung unterschieden. Im Schreiben des Rektors der Al-Azhar-Universität werde eindeutig die vorherige elektrische Betäubung für zulässig erklärt. Es lasse sich auch eindeutig und ohne Schwierigkeiten in jedem Einzelfall feststellen, ob die Betäubung zum Tod des Schlachttieres geführt habe. Eine korrekt durchgeführte Elektrobetäubung sei reversibel und lasse zu, daß sich die Tiere nach einiger Zeit wieder erholten. In den Jahren 1991 und 1992 seien im Hamburger Schlachthof in großer Zahl Rinder, die für den Export in den Iran bestimmt gewesen seien, nach vorheriger Betäubung durch Bolzenschuß von einem Bevollmächtigten Mullah rituell geschlachtet worden. In gleicher Weise seien 1992 500 Rinder für den Export nach Algerien geschlachtet worden. Auch die Klägerin selbst beziehe Fleisch aus Schlachtbetrieben in Schleswig-Holstein, in denen die Tiere nach vorheriger Betäubung geschlachtet würden.
Zu der Frage, ob im Falle einer Betäubung festgestellt werden kann, ob das zu schlachtende Tier noch lebt, hat das Berufungsgericht in der mündlichen Verhandlung einen Tierarzt des Vieh- und Fleischzentrums Hamburg informatorisch gehört.
Durch das angefochtene Urteil hat das Berufungsgericht sodann die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, als Grundlage für das Begehren der Klägerin komme nur die zweite Alternative des § 4 a Abs. 2 Nr. 2 TierSchG in Betracht, die eine Ausnahmegenehmigung zulasse, wenn zwingende Vorschriften einer Religionsgemeinschaft in Deutschland den Angehörigen dieser Religionsgemeinschaft den Genuß von Fleisch nicht geschächteter Tiere untersagen. Diese Regelung sei sowohl mit dem Grundrecht der Berufsfreiheit als auch mit dem Recht auf ungestörte Religionsausübung vereinbar, ohne daß es einer verfassungskonformen Auslegung bedürfe. § 4 a TierSchG stelle für diejenigen, die den Beruf des Schlachters ausübten oder den Handel mit Fleisch und Fleischerzeugnissen betrieben, eine Berufsausübungsregelung dar. Sie sei durch die Belange des Tierschutzes gerechtfertigt. Für Anhänger von Religionsgemeinschaften, die es aus religiösen Gründen für verboten hielten, Fleisch von Tieren zu essen, die nach vorheriger Betäubung geschlachtet wurden, stelle das mit einem Genehmigungsvorbehalt versehene Verbot des betäubungslosen Schlachtens keine Verletzung des Grundrechts auf ungestörte Religionsausübung dar. Die in § 4 a Abs. 2 Nr. 2 TierSchG vorgesehene Ausnahmeregelung für den Fall, daß zwingende Vorschriften einer Religionsgemeinschaft den Verzehr nicht geschächteter Tiere verbieten, sei durch das Grundrecht der Religionsfreiheit nach Art. 4 Abs. 2 GG nicht gefordert. Gläubige, die ein derartiges religiöses Verbot als für sich verbindlich ansähen, würden durch das Gesetz nicht unmittelbar gehindert, dieses Verbot zu achten. Das grundsätzliche Verbot des betäubungslosen Schlachtens führe zwar dazu, daß Fleisch oder Fleischerzeugnisse von geschächteten Tieren in der Bundesrepublik nur unter erschwerten Bedingungen erworben werden könnten. Derjenige Gläubige, der aus religiösen Gründen den Verzehr von Fleisch nicht geschächteter Tiere für verboten halte, müsse also im Regelfall in der Bundesrepublik auf den Genuß von Fleisch und Fleischerzeugnissen verzichten oder die Fleischhändler, die ihn beliefern, veranlassen, Fleisch aus – in der Regel islamischen – Ländern zu importieren, in denen Tiere betäubungslos geschlachtet würden. Das führe aber nicht zu unmittelbaren Eingriffen in die Religionsausübung dieser Personen, sondern zu Erschwernissen in ihrer allgemeinen Lebensführung, wenn diese streng nach religiösen Vorschriften ausgerichtet sein solle. Vor derartigen Erschwernissen schütze Art. 4 Abs. 2 GG nicht. Das Recht auf ungestörte Religionsausübung sei lediglich ein Abwehrrecht gegen staatliche Eingriffe in den Schutzbereich dieses Freiheitsrechts und sichere darüber hinaus auch einen Raum für die aktive Betätigung der Glaubensüberzeugung. Dieses Grundrecht begründe jedoch keinen Rechtsanspruch gegenüber dem Staat, die allgemeinen Gesetze in einer Weise zu gestalten, daß durch religiöse Vorschriften oder einen bestimmten Glauben oder eine Weltanschauung bestehende Beschränkungen in der Lebensführung des Gläubigen sich im täglichen Leben möglichst gering belastend auswirkten.
Mit der in Rede stehenden 2. Alternative des § 4 a Abs. 2 Nr. 2 TierSchG habe der Gesetzgeber dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung getragen. In diesem Rahmen habe auch auf die Zahl der von dem Verbot Betroffenen abgestellt werden dürfen. Das Erfordernis zwingender Vorschriften der Religionsgemeinschaft stelle sicher, daß die Belange eines ethisch ausgerichteten Tierschutzes nicht bereits dann zurücktreten müßten, wenn einzelne aus religiösen Gründen den Verzehr von Fleisch nicht geschächteter Tiere als verboten ansähen.
Selbst wenn man abweichend hiervon annähme, daß die Regelung der 2. Alternative des § 4 a Abs. 2 Nr. 2 TierSchG den Schutzbereich des Art. 4 Abs. 2 GG berühre, so handele es sich jedenfalls um eine verfassungsmäßige Einschränkung des Grundrechts auf ungestörte Religionsausübung. Auch ein nicht unter Gesetzesvorbehalt stehendes Grundrecht wie Art. 4 Abs. 2 GG sei nicht schrankenlos gewährleistet. Dem Rechtsgut des Tierschutzes, dem durch das grundsätzliche Verbot des Schächtens Rechnung getragen werde, komme Verfassungsrang zu. Das ergebe sich aus der Kompetenzvorschrift des Art. 74 Nr. 20 GG in Verbindung mit der Garantie der Menschenwürde in Art. 1 Abs. 1 GG. Der Gesetzgeber sei daher befugt gewesen, die kollidierenden Rechtsgüter der freien Religionsausübung und des Tierschutzes gegeneinander abzugrenzen. Dies sei in § 4 a Abs. 2 Nr. 2 TierSchG in verhältnismäßiger Weise geschehen. Schließlich lasse sich gerade für die in der Bundesrepublik lebenden Moslems eine Beeinträchtigung ihrer Religionsausübung durch § 4 a TierSchG bereits deshalb nicht feststellen, weil durch die religiösen Vorschriften des Koran der Genuß von Fleisch nicht geschächteter Tiere nicht untersagt werde. Das ergebe sich eindeutig aus den zahlreichen Stellungnahmen und Gutachten sachverständiger islamischer Stellen, die in das Verfahren eingeführt worden seien. Es habe daher keinen Grund für die von der Klägerin beantragte Beweiserhebung durch Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens gegeben. Die Klägerin habe auch keinen sunnitischen Sachverständigen benannt, der über eine überlegene Sachkunde verfügen könnte.
Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung für das betäubungslose Schlachten, da die Voraussetzungen des § 4 a Abs. 2 Nr. 2 TierSchG nicht vorlägen. Es könne offenbleiben, ob der Kundenkreis der Klägerin eine eigene Glaubensgemeinschaft im Sinne dieser Vorschrift sei. Jedenfalls sei nicht dargetan, daß für diesen Kundenkreis abweichend von den sonstigen Gegebenheiten des Islam ein zwingendes Verbot für den Verzehr von Fleisch nicht geschächteter Tiere bestehe. Das ergebe sich auch nicht aus dem von der Klägerin vorgelegten Rechtsgutachten. Die darin aufgestellte Behauptung, niemand könne mit Sicherheit sagen, ob das Tier nach der Betäubung noch lebe, sei durch die von der Klägerin nicht bestrittenen Äußerungen des Tierarztes in der mündlichen Verhandlung widerlegt.
Gegen dieses Urteil hat die Klägerin die vom erkennenden Senat zugelassene Revision eingelegt. Zur Begründung führt sie aus, das angefochtene Urteil werde der Bedeutung des Grundrechts der freien Religionsausübung nicht gerecht. Dieses Grundrecht sei weit auszulegen und sichere jedes religiös motivierte Verhalten ab. Danach sei davon auszugehen, daß auch das Schächten nach islamischem Ritus unter dem Schutz des Art. 4 Abs. 2 GG stehe. Für die von ihr vertretenen Gläubigen stelle sich das Schächten nämlich nicht lediglich als Bedingung für die Gewinnung eines nach religiösen Vorschriften einwandfreien Lebensmittels dar, sondern das Schächten sei für diese Gläubigen eine zwingend gebotene, insbesondere auch beim Opferfest geforderte religiöse Handlung, die Bestandteil ihres religiösen Bekenntnisses sei. Daraus ergebe sich, daß den religiösen Bedürfnissen dieser Gläubigen nicht damit Genüge getan werden könne, sie auf den Import von Fleisch geschächteter Tiere zu verweisen oder darauf, auf den Verzehr des Fleisches zu verzichten. Denn damit wäre diesen Gläubigen die Durchführung z.B. des Opferfestes, bei dem die Tiere im Sinne der von ihnen verstandenen, zwingend im Koran vorgeschriebenen Regeln zu schächten seien, unmöglich gemacht.
Dem Berufungsgericht könne auch nicht darin gefolgt werden, daß § 4 a TierSchG eine verfassungsrechtlich legitimierte Schranke der Religionsausübungsfreiheit beinhalte. Der Tierschutz habe keinen Verfassungsrang. Er könne damit nicht als Grundlage für eine Einschränkung der Religionsfreiheit herhalten.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts vom 14. September 1992 und das Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 14. September 1989 sowie den Bescheid der Beklagten vom 24. Oktober 1988 und den Widerspruchsbescheid vom 19. Januar 1989 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, der Klägerin die beantragte Ausnahmegenehmigung nach § 4 a Abs. 2 Nr. 2 des Tierschutzgesetzes zu erteilen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Ergänzend führt sie aus, als Gesellschaft mit beschränkter Haftung, die einer wirtschaftlichen Betätigung nachgehe, könne sich die Klägerin auf das Grundrecht der Religionsfreiheit nicht berufen.
Der Oberbundesanwalt beim Bundesverwaltungsgericht hält das angefochtene Urteil ebenfalls für zutreffend. Dazu führt er aus, die Klägerin erfülle nicht die Genehmigungsvoraussetzungen des § 4 a Abs. 2 Nr. 2 TierSchG, da der Islam nach den Feststellungen des Berufungsgerichts keine zwingenden Verbote für den Genuß des Fleisches nicht geschächteter Tiere enthalte. Die möglicherweise abweichenden individuellen Ansichten der Kunden der Klägerin seien in diesem Zusammenhang ohne Belang. Art. 4 Abs. 2 GG sei nicht berührt, weil die Klägerin sich auf dieses Grundrecht nicht berufen könne. Selbst wenn man insoweit auf ihre Kunden abstelle, greife Art. 4 Abs. 2 GG nicht ein, weil nicht das rituelle Schächten anläßlich bestimmter Feste, sondern die allgemeine Versorgung mit Lebensmitteln im Streit sei.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist unbegründet. Die Entscheidung des Berufungsgerichts, daß der Klägerin der geltend gemachte Anspruch auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung zum betäubungslosen Schlachten (Schächten) warmblütiger Tiere nach § 4 a Abs. 2 Nr. 2 des Tierschutzgesetzes – TierSchG – nicht zusteht, verletzt kein Bundesrecht.
§ 4 a Abs. 2 Nr. 2 TierSchG läßt die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung von dem in § 4 a Abs. 1 TierSchG ausgesprochenen Verbot des betäubungslosen Schlachtens nur insoweit zu, als es erforderlich ist, den Bedürfnissen von Angehörigen bestimmter Religionsgemeinschaften im Geltungsbereich des Tierschutzgesetzes zu entsprechen, denen zwingende Vorschriften ihrer Religionsgemeinschaft das Schächten vorschreiben oder den Genuß von Fleisch nicht geschächteter Tiere untersagen. Von den beiden im letzten Halbsatz dieser Vorschrift alternativ aufgeführten Fällen kommt hier, wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat, nur der zweite als Grundlage für das Begehren der Klägerin in Betracht. Nach den mit Verfahrensrügen nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts hat die Klägerin die Ausnahmegenehmigung beantragt, weil die von ihr mit Fleisch- und Wurstwaren versorgten und belieferten Moslems eine Betäubung der Tiere vor dem Schlachten nach dem Koran für verboten hielten. Daran hat sie auch in den Vorinstanzen festgehalten. Das damit verfolgte Ziel ist mithin die Versorgung ihrer Kunden mit Nahrungsmitteln tierischen Ursprungs, bei deren Erzeugung das nach ihrer Ansicht im Islam geltende und als verbindlich angesehene Verbot der Betäubung vor dem Schlachten eingehalten worden ist. Es geht um die Bedürfnisse von Personen, denen nach dem Vortrag der Klägerin aus religiösen Gründen der Genuß von Fleisch nicht geschächteter Tiere untersagt ist.
Im Revisionsverfahren hat die Klägerin ihr Begehren auch darauf gestützt, durch das Schächtverbot würden ihre Kunden gehindert, das Opferfest, für das der Islam eine rituelle Schlachtung ohne vorhergehende Betäubung wie auch bei anderen Gelegenheiten vorschreibe, entsprechend den Bestimmungen ihrer Religion zu begehen. Das beinhaltet den Vortrag, die Ausnahmegenehmigung sei notwendig, weil den Kunden der Klägerin das Schächten aus religiösen Gründen zwingend vorgeschrieben sei, und zielt auf die Anwendung der ersten Alternative des § 4 a Abs. 2 Nr. 2 TierSchG. Dieses Vorbringen kann jedoch im vorliegenden Rechtsstreit keine Berücksichtigung finden. Es beruht auf – von der Klägerin behaupteten – Tatsachen, die vom Berufungsgericht nicht festgestellt worden sind und die der Senat daher nach § 137 Abs. 2 VwGO nicht verwerten darf. Mit ihrem neuen Vorbringen ändert die Klägerin zudem den Klagegrund, denn sie legt ihrem Begehren einen anderen als den ursprünglichen Sachverhalt zugrunde. Das wird schon daran deutlich, daß der Antrag der Klägerin auf eine generelle Ausnahmegenehmigung für ihren Geschäftsbetrieb gerichtet ist, während die Berufung auf rituelle Vorschriften für bestimmte Feste allenfalls – wenn überhaupt – eine Ausnahmegenehmigung für diese Gelegenheiten in Betracht kommen ließe. Der Sache nach handelt es sich dabei um eine Klageänderung (§ 142 Abs. 1 VwGO).
Da die Klägerin jedoch auch an ihrem früheren Vorbringen festgehalten hat, bleibt das ursprüngliche Begehren Gegenstand der Entscheidung.
Die Voraussetzungen für die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach § 4 a Abs. 2 Nr. 2 2. Alt. TierSchG sind nicht erfüllt. Die Vorschrift läßt Ausnahmen vom Schächtverbot nur zu, soweit zwingende Vorschriften einer Religionsgemeinschaft deren Mitgliedern den Genuß von Fleisch nicht geschächteter Tiere untersagen. Das trifft auf die Kunden der Klägerin, auf deren Bedürfnisse sich die Klägerin beruft, nicht zu.
Die Kunden der Klägerin gehören keiner Religionsgemeinschaft an, die ihren Mitgliedern durch zwingende Vorschriften den Genuß von Fleisch nicht geschächteter Tiere untersagt.
Unter einer Religionsgemeinschaft wird im Staatskirchenrecht ein Verband verstanden, der die Angehörigen ein und desselben Glaubensbekenntnisses – oder mehrerer verwandter Glaubensbekenntnisse – zu allseitiger Erfüllung der durch das gemeinsame Bekenntnis gestellten Aufgaben zusammenfaßt (Obermayer, BK-GG, 1971, Art. 140 Rnrn. 39 – 41; von Mangoldt/Klein/von Campenhausen, GG, 3. Aufl., Art. 140 Rn. 17; Muckel, DÖV 1995 S. 311, 312). Es bedarf hier keiner Erörterung, ob an dieser Begriffsbestimmung im Rahmen des § 4 a Abs. 2 TierSchG in jeder Hinsicht festzuhalten ist. Der Begriff der Religionsgemeinschaft unterliegt jedenfalls der staatlichen Beurteilung nach aktueller Lebenswirklichkeit, Kulturtradition und allgemeinem wie auch religionswissenschaftlichem Verständnis (vgl. BVerfG, Beschluß vom 5. Februar 1991 – 2 BvR 263/86 – BVerfGE 83, 341, 353 – „Bahai” –). Bei dieser letztlich den Gerichten zugewiesenen Prüfung ergibt sich aus § 4 a Abs. 2 TierSchG, daß es sich bei der dort genannten Religionsgemeinschaft um eine Gemeinschaft handeln muß, die sich nach außen eindeutig abgrenzt und nach innen in der Lage ist, ihre Mitglieder zwingenden Vorschriften zu unterwerfen.
Als Religionsgemeinschaft in diesem Sinne sieht die Klägerin selbst den sunnitischen Zweig des Islam an. Eine andere Religionsgemeinschaft, der die Kunden der Klägerin angehören könnten und deren zwingende Vorschriften im Rahmen des § 4 a Abs. 2 Nr. 2 TierSchG Bedeutung gewinnen könnten, ist weder von der Klägerin benannt noch sonst ersichtlich. Insbesondere bilden die Kunden der Klägerin – wie sie selbst in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat ausdrücklich bestätigt hat – keine gegenüber den Sunniten eigenständige Religionsgemeinschaft; ihnen fehlt sowohl die klare Abgrenzung nach außen als auch die notwendige innere Kohärenz.
§ 4 a Abs. 2 Nr. 2 TierSchG verlangt die objektive Feststellung zwingender Vorschriften einer Religionsgemeinschaft über das Betäubungsverbot beim Schlachten. Erforderlich ist das eindeutige Vorliegen von Normen der betreffenden Religionsgemeinschaft, die nach dem staatlicher Beurteilung unterliegenden Selbstverständnis der Gemeinschaft als zwingend zu gelten haben.
In der Literatur wird vereinzelt eine einengende Auslegung des § 4 a Abs. 2 Nr. 2 TierSchG vertreten mit der Begründung, sie dürfe nicht dazu führen, daß Andersgläubige den Angehörigen einer Religionsgemeinschaft deren Vorschriften im Rahmen des Verfahrens über die Ausnahmegenehmigung interpretierten (vgl. Lorz, TierSchG, 4. Aufl. 1992, § 4 a Rn. 23; Kuhl/Unruh, DÖV 1991 S. 94, 98). In ähnliche Richtung geht die Argumentation der Klägerin, die Erteilung der Ausnahmegenehmigung dürfe überhaupt nicht von der Ansicht irgendwelcher Autoritäten über den Inhalt der islamischen Glaubensvorschriften abhängen; entscheidend sei allein, daß ihre Kunden von einem zwingend im Koran angeordneten Betäubungsverbot ausgingen.
Eine solche individuelle Sicht, die allein auf die jeweilige subjektive – wenn auch als zwingend empfundene – religiöse Überzeugung der Mitglieder einer Religionsgemeinschaft abstellt, ist mit dem Regelungsgehalt des Gesetzes nicht vereinbar. Das belegt schon der Wortlaut des § 4 a Abs. 2 Nr. 2 TierSchG. Die Vorschrift des § 4 a Abs. 2 Nr. 2 TierSchG lautet eben nicht, daß eine Ausnahmegenehmigung zu erteilen sei, wenn Angehörige einer Religionsgemeinschaft aus religiösen Gründen den Genuß von Fleisch nicht geschächteter Tiere für unerlaubt halten. Vielmehr ist dort von zwingenden Vorschriften bestimmter Religionsgemeinschaften die Rede, die deren Angehörigen ein Verhalten gebieten oder untersagen. Dem liegt erkennbar die Vorstellung zugrunde, daß die Religionsgemeinschaft als solche bestimmte Anordnungen mit dem Anspruch unbedingter Verbindlichkeit getroffen hat oder von einer ihr übergeordneten – transzendenten – Instanz als getroffen ansieht. Für eine Relativierung im Sinne der Maßgeblichkeit individueller religiöser Überzeugungen läßt dieser Wortlaut keinen Raum.
Für die hier vertretene Auslegung spricht entscheidend auch der Sinn und Zweck des Gesetzes, wie er in § 1 TierSchG ausdrücklich niedergelegt ist. Danach zielt das Gesetz darauf ab, aus der Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf dessen Leben und Wohlbefinden zu schützen und zu verhindern, daß einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zugefügt werden. Dieser Zielsetzung dient ersichtlich auch das grundsätzliche Verbot des betäubungslosen Schlachtens in § 4 a Abs. 1 TierSchG. Der Gesetzgeber geht – in Übereinstimmung mit dem Europäischen Übereinkommen über den Schutz von Schlachttieren vom 10. Mai 1979 (BGBl II 1983 S. 771) – davon aus, daß die Betäubung die Leiden der Tiere bei der Schlachtung gegenüber dem betäubungslosen Schlachten verringert. Für eine Fehlerhaftigkeit dieser Einschätzung ist nichts ersichtlich (vgl. Kunkel, Eine Analyse des Schächtproblemes …, Diss. Hannover 1962, S. 112). Das tierschützerische Anliegen des grundsätzlichen Schächtverbots würde in weitem Umfange verfehlt, wenn seine Einhaltung durch eine extensive Auslegung der Ausnahmeregelung des § 4 a Abs. 2 Nr. 2 TierSchG letztlich dem Belieben einzelner überlassen würde. Das aber wäre der Fall, wenn schon die einer zuverlässigen Überprüfung kaum zugängliche individuelle Glaubensüberzeugung im Rahmen der zweiten Alternative des § 4 a Abs. 2 Nr. 2 TierSchG ausreichen würde, eine Freistellung vom allgemeinen Schächtverbot herbeizuführen.
Die Auslegung wird bestätigt durch die Entstehungsgeschichte. Die Vorschrift ist durch das Änderungsgesetz vom 12. August 1986 (BGBl I S. 1309) in das Tierschutzgesetz eingefügt worden. Bei den Gesetzesberatungen hatte der Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages gefordert, eine Ausnahmegenehmigung für das betäubungslose Schlachten nur dann zuzulassen, wenn für Mitglieder einer Religionsgemeinschaft das Schächten zwingend vorgeschrieben sei. Der federführende Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten lehnte in seinem Bericht die Forderung ab mit der Begründung, die mit dem Wort „zwingend” verbundene Notwendigkeit, die Vorschriften der betroffenen Religionsgemeinschaft von staatlichen Stellen interpretieren zu lassen, sei in einem religiös neutralen demokratischen Rechtsstaat nicht akzeptabel (vgl. BTDrucks 10/5259 S. 33, 38). Gegen den entsprechenden Gesetzesbeschluß des Bundestages rief der Bundesrat den Vermittlungsausschuß an mit dem Ziel, Ausnahmen vom Schächtungsverbot nur zuzulassen für „Schlachtungsarten, die Angehörigen bestimmter Religionsgemeinschaften zwingend vorgeschrieben sind”. Dazu führte er aus, das Schächten sollte nur in den durch Art. 4 GG zwingend gebotenen Fällen ermöglicht werden. Es sei zu bedenken, daß das Schächten in manchen Ländern als die Schlachtmethode schlechthin angesehen werde. Nur in einigen Fällen sei das Schächten zum echten Bestandteil des religiösen Bekenntnisses und damit zu einer Handlung geworden, die als solche weltanschaulichen Charakter besitze. Im Gegensatz dazu würden Handlungen, die zwar Ausdruck einer religiösen Grundhaltung seien, selbst aber keine religiöse Betätigung beinhalteten, nicht vom Grundrechtsschutz des Art. 4 GG erfaßt (vgl. BTDrucks 10/5523 S. 1).
Mit diesem Anliegen konnte sich der Bundesrat zwar nicht in vollem Umfang durchsetzen. Neben den Fällen der religiös gebotenen Schächtung blieb es bei der Privilegierung derjenigen, denen ihre Religion den Genuß von Fleisch vor der Schlachtung betäubter Tiere untersagt. Es wurde aber das Erfordernis eingefügt, daß es sich um „zwingende” Vorschriften der Religionsgemeinschaft handeln müsse. Angesichts der zuvor vom federführenden Bundestagsausschuß gegen diesen Begriff erhobenen Bedenken konnte kein Zweifel bestehen, daß diese Ergänzung auf eine Objektivierung der Ausnahmevoraussetzungen einschließlich der sich daraus ergebenden Überprüfungsmöglichkeiten abzielte.
In dieser Auslegung steht die genannte Vorschrift nicht im Widerspruch zur Verfassung. Sie verletzt insbesondere nicht das in Art. 4 Abs. 1 und 2 GG garantierte Grundrecht der Religionsfreiheit.
Diese Freiheit umfaßt zwar nicht nur die (innere) Freiheit zu glauben oder nicht zu glauben, sondern auch die äußere Freiheit, seine religiöse Überzeugung zu manifestieren, zu bekennen und zu verbreiten. Dazu gehört auch das Recht des einzelnen, sein gesamtes Verhalten an den Lehren seiner Religion auszurichten und seiner inneren religiösen Überzeugung gemäß zu handeln (vgl. BVerfGE 32 S. 98, 106 f.). In dieses Recht wird jedoch durch die Versagung einer Ausnahme vom Schächtungsverbot nicht eingegriffen, wenn die religiöse Überzeugung dem Betroffenen lediglich den Genuß von Fleisch nicht geschächteter Tiere verbietet. Die in der zweiten Alternative des § 4 a Abs. 2 Nr. 2 TierSchG getroffene Ausnahmeregelung ist, wie der Rechtsausschuß des Bundestages und der Bundesrat im Gesetzgebungsverfahren zu Recht geltend gemacht haben, kein notwendiger Ausfluß der grundgesetzlich gewährleisteten Religionsfreiheit. Daher berührt auch die Beschränkung dieser Ausnahmemöglichkeit auf Fälle, in denen zwingende Vorschriften einer Religionsgemeinschaft den Genuß von Fleisch nicht geschächteter Tiere verbieten, nicht den Schutzbereich des Grundrechts (ebenso OVG Münster, Urteil vom 21. Oktober 1993 – 20 A 3287/92 –; Zippelius in Bonner Kommentar, 1989, Art. 4 Rn. 105; Brandhuber, NVwZ 1994 S. 561, 563; a.A. Kuhl/Unruh, DÖV 1994 S. 644, 645).
Gegenüber dem aus der religiösen Überzeugung abgeleiteten Verbot, das Fleisch nicht geschächteter Tiere zu verzehren, enthält das Schächtungsverbot keinen Eingriff in die Möglichkeit der aktiven Verwirklichung religiöser Gebote. Der Genuß von Fleisch nicht geschächteter Tiere stellt in diesen Fällen keinen Akt religiöser Betätigung dar. Der Verzicht auf diesen Genuß bedeutet daher keine Verletzung irgendwelcher religiös bedingter Pflichten.
Verbietet die Religion lediglich den Genuß von Fleisch nicht geschächteter Tiere, so hindert das Verbot betäubungslosen Schlachtens die Anhänger dieser Religion nicht an einer ihrer Religion entsprechenden Lebensgestaltung. Sie sind weder rechtlich noch tatsächlich gezwungen, entgegen ihrer religiösen Überzeugung Fleisch nicht geschächteter Tiere zu verzehren. Mit dem Schächtungsverbot wird nicht der Verzehr des Fleisches geschächteter Tiere verboten. Sie können sowohl auf Nahrungsmittel pflanzlichen Ursprungs und auf Fisch ausweichen als auch auf Fleischimporte zurückgreifen, die aus Ländern ohne Schächtungsverbot stammen. Zwar mag Fleisch heute ein in unserer Gesellschaft allgemein übliches Nahrungsmittel sein. Der Verzicht auf dieses Nahrungsmittel stellt jedoch keine unzumutbare Beschränkung der persönlichen Entfaltungsmöglichkeiten dar. Diese an Art. 2 Abs. 1 GG zu messende Erschwernis in der Gestaltung des Speiseplans ist aus Gründen des Tierschutzes zumutbar.
Auch zu anderen Bestimmungen des Grundgesetzes steht die in § 4 a Abs. 2 Nr. 2 2. Alt. des Tierschutzgesetzes getroffene Regelung nicht in Widerspruch. Der Erörterung bedarf dies nur noch im Hinblick auf Art. 3 Abs. 3 GG, wonach niemand wegen seines Glaubens oder seiner religiösen Anschauungen bevorzugt oder benachteiligt werden darf. Die Vorschrift verbietet mithin eine Ungleichbehandlung wegen des Glaubens oder der religiösen Anschauungen. Eine solche Ungleichbehandlung enthält die fragliche Regelung nicht.
Auszugehen ist insoweit zunächst von der Feststellung, daß das Verbot betäubungslosen Schlachtens in § 4 a Abs. 1 TierSchG grundsätzlich für jedermann gilt. Soweit in Absatz 2 dieser Vorschrift keine Ausnahme zugelassen ist, liegt mithin keine Abweichung vom Regelfall und somit diesem gegenüber keine Ungleichbehandlung vor. Auch innerhalb der Regelung des § 4 a Abs. 2 Nr. 2 TierSchG liegt keine unzulässige Differenzierung aus Gründen der religiösen Anschauung vor. Zwar gewährt die – hier allein interessierende – zweite Alternative dieser Vorschrift eine Ausnahme vom Schächtungsverbot nur bei Vorliegen zwingender Vorschriften einer Religionsgemeinschaft, während sie ohne solche Vorschriften die Ausnahmemöglichkeit versagt. Dies stellt jedoch keine unzulässige Diskriminierung dar, da die Regelung nicht auf den jeweiligen Inhalt der religiösen Überzeugung abstellt und das Kriterium der objektiv feststellbaren zwingenden Vorschriften – wie oben dargelegt – notwendig ist, um eine dem Gesetzeszweck gerecht werdende Abgrenzung zu ermöglichen. Die zweite Alternative knüpft nicht an die Religionsausübung und ihre Bewertung an, sondern an die aus religiösen Überzeugungen fließenden Bedürfnisse einer besonderen Art in der Gestaltung der allgemeinen Lebensverhältnisse. Die Bedürfnisse darf der Staat auf Intensität, Beständigkeit, Verbreitung und Evidenz bewerten, unter anderem auch, um dem Tierschutz Rechnung zu tragen.
Nach den mit Verfahrensrügen nicht angegriffenen tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts gibt es für die Sunniten ebenso wie für die Moslems insgesamt keine zwingenden Glaubensvorschriften, die ihnen den Genuß des Fleisches von Tieren verbieten, die vor dem Schlachten betäubt worden sind. Die Feststellungen des Berufungsgerichts sind auch aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Insbesondere hat das Berufungsgericht nicht verkannt, daß für das Vorhandensein zwingender Vorschriften der Religionsgemeinschaft deren Selbstverständnis von entscheidender Bedeutung ist.
Das Berufungsgericht hat nicht nur festgestellt, daß der Koran, auf den die Klägerin sich beruft, seinem Wortlaut nach kein generelles Betäubungsverbot enthält. Es hat darüber hinaus zahlreiche sachverständige Äußerungen islamischer und speziell auch sunnitischer Stellen herangezogen, die sämtlich in der Verneinung eines zwingenden Betäubungsverbots übereinstimmen. Schließlich hat es berücksichtigt, daß selbst das eigene Vorbringen der Klägerin und ihr tatsächliches Verhalten im Widerspruch zu dem behaupteten zwingenden Verbot stehen. Ihre Einlassung, daß den Moslems in der Diaspora der Genuß von Fleisch nicht geschächteter Tiere erlaubt sei, widerspricht der Annahme eines absoluten Betäubungsverbotes.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Unterschriften
Dr. Dickersbach, Sommer, van Schewick, Dr. Pagenkopf, Kimmel
Fundstellen
BVerwGE, 1 |
BVerwGE: ja |
DVBl. 1996, 434 |