Entscheidungsstichwort (Thema)
Erfordernis des gemeindlichen Einvernehmens. Einvernehmensfrist. Einvernehmensfiktion. Vervollständigung des Bauantrages. Mitwirkungslast der Gemeinde
Leitsatz (amtlich)
Aus Sinn und Zweck des Einvernehmenserfordernisses in § 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB ergibt sich, dass der Gesetzgeber der Gemeinde eine Entscheidung über ihr Einvernehmen auf der Grundlage in planungsrechtlicher Hinsicht vollständiger Antragsunterlagen (Bauvorlagen) ermöglichen will.
Die Entscheidung über das gemeindliche Einvernehmen ist mit der Obliegenheit der Gemeinde verbunden, im Rahmen der Möglichkeiten, die ihr das Landesrecht eröffnet, innerhalb der zweimonatigen Einvernehmensfrist gegenüber dem Bauherrn oder der Baurechtsbehörde auf die Vervollständigung des Bauantrages hinzuwirken.
Kommt die Gemeinde dieser Mitwirkungslast nicht nach, gilt ihr Einvernehmen gemäß § 36 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 BauGB mit Ablauf der Zwei-Monats-Frist als erteilt.
Normenkette
BauGB § 36 Abs. 1-2
Verfahrensgang
VGH Baden-Württemberg (Urteil vom 07.02.2003; Aktenzeichen 8 S 2563/02) |
VG Stuttgart (Urteil vom 09.07.2002; Aktenzeichen 13 K 2259/01) |
Tenor
Das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 7. Februar 2003 wird aufgehoben.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 9. Juli 2002 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
Tatbestand
I.
Die klagende Gemeinde wendet sich gegen eine Baugenehmigung des Beklagten, die dieser der Beigeladenen zum Neubau einer Windenergieanlage im Außenbereich der Klägerin erteilt hat. Nordwestlich des vorgesehenen Standorts befindet sich bereits eine genehmigte Windenergieanlage.
Die Beigeladene reichte den Bauantrag für das hier umstrittene Vorhaben sowie für die Errichtung einer weiteren Windenergieanlage auf demselben Grundstück am 4. September 2000 bei der Klägerin ein. Diese leitete den Antrag an das Landratsamt weiter; dort ging der Antrag am 11. September 2000 ein. Bei einem Ortstermin am 25. September 2000, an dem auch ein Vertreter der Klägerin teilnahm, bat das Landratsamt die Beigeladene, für die naturschutzrechtliche Beurteilung der geplanten Anlagen eine Computersimulation vorzulegen, mit der die Sicht von dem nahe gelegenen Schloss bzw. von der Neubausiedlung M.… Straße auf die bereits errichtete Windenergieanlage sowie die beiden geplanten Anlagen darzustellen sei. Mit Schreiben vom 28. September 2000 forderte das Landratsamt die Beigeladene ferner auf, die vom Gewerbeaufsichtsamt Heilbronn in seiner Stellungnahme vom 27. September 2000 verlangte Lärmprognose (Schallimmissionsuntersuchung) unter Berücksichtigung der Wohnbebauung beizubringen.
Die Computersimulation lag der Klägerin am 16. Oktober 2000 vor. In einer Gemeinderatssitzung an diesem Tag beschloss die Klägerin, ihre Entscheidung über die Erteilung des Einvernehmens bis zum Eingang abschließender Stellungnahmen der Unteren Naturschutzbehörde und des Landesdenkmalamts zurückzustellen. Unter dem 12. Dezember 2000 teilte das Landratsamt der Klägerin hierzu mit, dass der zuständige Naturschutzbeauftragte gegen die geplanten zwei Windenergieanlagen Bedenken erhoben habe, und kündigte an, dass es über den Bauantrag erst nach Vorliegen aller Stellungnahmen einschließlich derjenigen der Klägerin entscheiden werde. Mit Schreiben vom 20. Dezember 2000 – beim Landratsamt eingegangen am folgenden Tage – versagte die Klägerin ihr Einvernehmen “zur Fristwahrung” und begründete dies damit, dass ihr noch nicht alle zur Beurteilung des Vorhabens notwendigen Unterlagen vorlägen. Diese Entscheidung bestätigte der Gemeinderat der Klägerin am 12. Februar 2001 als endgültig.
Die Beigeladene legte dem Landratsamt die angeforderte Lärmprognose am 23. Januar 2001 vor. Daraufhin teilte das Landratsamt der Beigeladenen mit, dass die Bauvorlagen nunmehr vollständig seien. Mit Bescheid vom 6. März 2001 genehmigte das Landratsamt die Errichtung einer Windenergieanlage. Den Bauantrag betreffend die zweite Energieanlage hatte die Beigeladene vorher zurückgenommen.
Die Klägerin legte Widerspruch ein: Die Baugenehmigung verletze § 36 BauGB, da sie ihr Einvernehmen rechtzeitig versagt habe. Das Einvernehmen gelte nicht nach § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB als erteilt. Die zweimonatige Einvernehmensfrist sei erst durch die Vorlage der Lärmprognose ausgelöst worden. Die (endgültige) Versagung des Einvernehmens am 12. Februar 2001 sei daher rechtzeitig gewesen. Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 2. Mai 2002 zurück und führte aus, das Einvernehmen der Klägerin gelte spätestens seit dem 11. November 2000 als erteilt. Die Klägerin habe die Frist durch mehrfaches Rückstellen ihrer Entscheidung über das Einvernehmen nicht verlängern können.
Das Verwaltungsgericht hat die Anfechtungsklage der Klägerin abgewiesen, weil es das Einvernehmen der Klägerin ebenfalls als erteilt angesehen hat: Der Bauantrag habe mit Vorlage der Computersimulation alle erforderlichen Angaben enthalten und den Lauf der Einvernehmensfrist ausgelöst. Innerhalb dieser Frist habe die Klägerin ihr Einvernehmen nicht versagt. Die im Januar 2001 beigebrachte Lärmprognose habe die Klägerin zur Beurteilung der planungsrechtlichen Zulässigkeit der Windenergieanlagen nicht benötigt.
Auf die Berufung der Klägerin hat der Verwaltungsgerichtshof das erstinstanzliche Urteil geändert und die angefochtenen Bescheide aufgehoben, im Wesentlichen mit folgender Begründung:
Die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung sei rechtswidrig, weil die Klägerin ihr Einvernehmen nicht erteilt habe und das Einvernehmen auch nicht als erteilt gelte. Jedenfalls mit ihrem Beschluss vom 12. Februar 2001 habe die Klägerin ihr Einvernehmen rechtswirksam versagt. Bis zu diesem Zeitpunkt sei die Frist des § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB nicht ausgelöst worden. Der Fristbeginn setze voraus, dass der Bauantrag bei der Gemeinde in planungsrechtlicher Hinsicht vollständig sei. Die Nachforderung der Computersimulation mache deutlich, dass dies nicht der Fall gewesen sei. Dahinstehen könne, ob die Klägerin auch die Lärmprognose benötigt habe, um über die Erteilung des Einvernehmens entscheiden zu können. Die Frist sei selbst dann nicht in Gang gesetzt worden, wenn mit dem Verwaltungsgericht davon auszugehen wäre, dass die Lärmprognose für die planungsrechtliche Beurteilung des Vorhabens nicht erforderlich gewesen sei. Die in § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB getroffene Regelung verfolge das Ziel, für alle Beteiligten klare Verhältnisse über das Einvernehmen zu schaffen. Dieses Ziel werde verfehlt, wenn die Gemeinde bei einem zunächst unvollständigen Bauantrag jeweils zu prüfen hätte, ob die von der Baugenehmigungsbehörde geforderten weiteren Bauvorlagen auch für die Entscheidung über das Einvernehmen erforderlich seien. § 36 BauGB sei unvollständig, weil er keine Aussage dazu treffe, wann die für die Erteilung des Einvernehmens geltende Frist zu laufen beginne, wenn der Bauantrag zunächst unvollständig sei und die Genehmigungsbehörde deshalb vom Bauherrn die Vervollständigung der Bauvorlagen verlange. Um der Gemeinde sowie den übrigen Beteiligten Gewissheit über den Beginn der Frist zu verschaffen, sei die Genehmigungsbehörde verpflichtet, ein Ersuchen im Sinne des § 36 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 BauGB an die Gemeinde zu richten, sobald die Unterlagen aus ihrer Sicht eine Beurteilung der planungsrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens erlaubten. Ein solches Ersuchen habe das Landratsamt zu keiner Zeit an die Klägerin gerichtet.
Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision erstrebt der Beklagte die Aufhebung des Berufungsurteils und die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Er rügt die Verletzung des § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB: Die zweimonatige Einvernehmensfrist sei spätestens durch den Eingang der Computersimulation bei der Klägerin (16. Oktober 2000) ausgelöst worden und bei der Versagung des Einvernehmens “zur Fristwahrung” am 20./21. Dezember 2000 bereits abgelaufen gewesen. Die im Januar 2001 nachgereichte Lärmprognose sei für die planungsrechtliche Beurteilung des Bauvorhabens nicht erforderlich gewesen. Der vom Berufungsgericht aufgestellte Grundsatz, bei anfänglicher Unvollständigkeit der Bauvorlagen beginne die Einvernehmensfrist erst, wenn die Bauaufsichtsbehörde die Gemeinde um ihr Einvernehmen ersuche, entbehre der gesetzlichen Grundlage und schaffe Rechtsunsicherheit. Es sei nicht Aufgabe der Bauaufsichtsbehörde, den Fristablauf für die Gemeinde “zu überwachen”. Das Berufungsurteil werde der Aufgabenverteilung zwischen Bauaufsichtsbehörde und Gemeinde nicht gerecht.
Die Klägerin beantragt, die Revision des Beklagten zurückzuweisen, und verteidigt das angefochtene Urteil.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist zulässig und führt zum Erfolg. Das Berufungsurteil steht mit Bundesrecht nicht im Einklang. Die angefochtene Baugenehmigung ist rechtmäßig, weil das Einvernehmen der Klägerin gemäß § 36 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 BauGB als erteilt gilt. Das Berufungsurteil war daher aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das erstinstanzliche Urteil zurückzuweisen.
Über die Zulässigkeit von Vorhaben nach den §§ 31, 33 bis 35 BauGB wird im bauaufsichtlichen Verfahren von der Baugenehmigungsbehörde im Einvernehmen mit der Gemeinde entschieden (§ 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB). Das Einvernehmen der Gemeinde darf nur aus den sich aus den §§ 31, 33, 34 und 35 BauGB ergebenden Gründen versagt werden (§ 36 Abs. 2 Satz 1 BauGB). Die Genehmigungsbehörde darf eine Baugenehmigung nicht erteilen, wenn die Gemeinde ihr Einvernehmen rechtzeitig versagt hat (BVerwG, Urteil vom 7. Februar 1986 – BVerwG 4 C 43.83 – Buchholz 406.11 § 36 BauGB Nr. 35 m.w.N.; stRspr).
Das Einvernehmen gilt als erteilt, wenn es nicht binnen zwei Monaten nach Eingang des Ersuchens der Genehmigungsbehörde verweigert wird; dem Ersuchen gegenüber der Gemeinde steht die Einreichung des Antrags bei der Gemeinde gleich, wenn sie nach Landesrecht vorgeschrieben ist (§ 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB). Letzteres ist hier der Fall. Nach § 52 Abs. 1 LBO Baden-Württemberg sind alle für die Durchführung des Baugenehmigungsverfahrens erforderlichen Unterlagen (Bauvorlagen) und Anträge auf Abweichungen, Ausnahmen und Befreiungen bei der Gemeinde einzureichen. Bei genehmigungspflichtigen Vorhaben ist zusammen mit den Bauvorlagen der schriftliche Antrag auf Baugenehmigung (Bauantrag) einzureichen.
Mit dem Berufungsgericht ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber der Gemeinde eine Entscheidung über ihr Einvernehmen auf der Grundlage in planungsrechtlicher Hinsicht vollständiger Antragsunterlagen (Bauvorlagen) ermöglichen will. Das ergibt sich ohne weiteres aus Sinn und Zweck des Einvernehmenserfordernisses in § 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB. In Rechtsprechung und Schrifttum wird daher die Ansicht vertreten, dass die Einreichung des Bauantrages bei der Gemeinde die Einvernehmensfrist nur auslöst, wenn und sobald der Antrag der Gemeinde eine hinreichende und abschließende planungsrechtliche Beurteilung des Bauvorhabens ermöglicht (vgl. auch VGH Mannheim, Urteil vom 17. November 1998 – VGH 5 S 2147/98 – VBlBW 1999, 178 ≪179≫; OVG Lüneburg, Urteil vom 18. März 1999 – OVG 1 L 6696/96 – NuR 2000, 47 ≪48≫; in diesem Sinne auch Schmaltz, in: Schrödter, BauGB, 6. Aufl. 1998, Rn. 17 zu § 36 BauGB; Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/ Krautzberger, BauGB, Rn. 39 zu § 36 BauGB). Entsprechendes soll für das Ersuchen der Baugenehmigungsbehörde an die Gemeinde gelten, ihr Einvernehmen zu erteilen (vgl. Söfker a.a.O., Rn. 38 zu § 36 BauGB; Dürr, in: Brügelmann u.a., BauGB, Rn. 43 zu § 36 BauGB). Dem ist – mit noch darzulegenden Einschränkungen (vgl. unten 2.3) – zuzustimmen.
Die in § 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB vorgesehene Mitwirkung der Gemeinde im Baugenehmigungsverfahren dient der Sicherung der gemeindlichen Planungshoheit. Die Gemeinde soll dort, wo sie noch nicht geplant hat, oder dann, wenn ein Bauvorhaben von ihrer Planung abweicht, im Genehmigungsverfahren an der Beurteilung der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens mitentscheidend beteiligt werden. Darüber hinaus soll sie in den Fällen, in denen ein nach §§ 31, 33 bis 35 BauGB zulässiges Vorhaben ihren planerischen Vorstellungen nicht entspricht, von ihrer planungsrechtlichen Möglichkeit Gebrauch machen können, durch Aufstellung eines Bebauungsplanes die planungsrechtlichen Grundlagen für die Zulässigkeit eines Vorhabens zu ändern und zur Sicherung der Planung die Mittel der Veränderungssperre oder Zurückstellung von Baugesuchen zu ergreifen (stRspr, vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 7. Februar 1986 – BVerwG 4 C 43.83 – a.a.O.; Urteil vom 19. Februar 2004 – BVerwG 4 CN 16.03 – DVBl 2004, 950, zur Veröffentlichung in BVerwGE bestimmt). Die Gemeinde kann ihr Beteiligungsrecht nur sachgerecht ausüben, wenn sie eine ausreichende Beurteilungsgrundlage besitzt.
Die Fristenregelung des § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB dient zwar dem Ziel, das Baugenehmigungsverfahren im Interesse des Bauherrn und im öffentlichen Interesse zu beschleunigen (vgl. Gesetzesbegründung der Bundesregierung zu § 36 Abs. 2 Satz 2 BBauG, BTDrucks 8/2451, S. 13, 24; BVerwG, Urteil vom 12. Dezember 1996 – BVerwG 4 C 24.95 – Buchholz 406.11 § 36 BauGB Nr. 51). Der Beschleunigungszweck wiegt jedoch nicht so schwer, dass er die – hier von der Widerspruchsbehörde vertretene – Ansicht rechtfertigen könnte, die Einvernehmensfrist werde ohne Rücksicht darauf in Gang gesetzt, ob der Antrag in planungsrechtlicher Hinsicht vollständig ist. Eine gesetzliche Regelung, die diese “Automatik” in Kauf nähme, setzte sich in Widerspruch zur planungsrechtlichen Schutzfunktion des Einvernehmenserfordernisses. Sie würde in der Praxis dazu führen, dass die Gemeinde ihr Einvernehmen “zur Fristwahrung” versagt, um die für sie nachteiligen Folgen der Einvernehmensfiktion abzuwehren. Eine derartige “vorsorgliche” Handhabung der Einvernehmensregelung liefe dem Zweck der Regelung zuwider, die der Gemeinde eine materiellrechtliche Beurteilung des Bauvorhabens in planungsrechtlicher Hinsicht ermöglichen will.
Die Antwort des Berufungsgerichts auf die Frage, wann die zweimonatige Einvernehmensfrist zu laufen beginnt, wenn der bei der Gemeinde eingereichte Bauantrag die für die Prüfung des Einvernehmens erforderlichen Angaben oder Unterlagen nicht enthält und die Baugenehmigungsbehörde deshalb vom Bauherrn die Vervollständigung der Bauvorlagen verlangt, findet in § 36 BauGB keine Grundlage.
Vor der Entscheidung über das gemeindliche Einvernehmen im bauaufsichtlichen Verfahren (§ 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB) hat die Gemeinde zu prüfen, ob die bei ihr eingereichten Bauvorlagen eine sachgerechte Prüfung in bauplanungsrechtlicher Hinsicht ermöglichen. Das Recht auf Beteiligung im Baugenehmigungsverfahren, das der Gesetzgeber der Gemeinde zum Schutz ihrer Planungshoheit einräumt, ist mit der Obliegenheit verbunden, im Rahmen der Möglichkeiten, die ihr das Landesrecht eröffnet, gegenüber dem Bauherrn oder der Baugenehmigungsbehörde auf die Vervollständigung des Bauantrages hinzuwirken. Kommt die Gemeinde dieser Mitwirkungslast nicht innerhalb von zwei Monaten nach der Einreichung des Antrags bei ihr nach, gilt ihr Einvernehmen nach § 36 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 BauGB als erteilt. Diesem Ergebnis liegen folgende Erwägungen zugrunde:
2.1 Mit der Regelung über das Einvernehmen der Gemeinde in § 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB ruft der Gesetzgeber die Gemeinde als betroffene Gebietskörperschaft und Trägerin der Planungshoheit zur eigenverantwortlichen planungsrechtlichen Beurteilung des Bauvorhabens auf. Er überlässt es der Gemeinde, aus ihrer Ortskenntnis und ihrer planerischen Sicht festzustellen, ob der Bauantrag ihr eine fundierte bauplanungsrechtliche Bewertung des Vorhabens ermöglicht oder in dieser Hinsicht noch ergänzungsbedürftig ist. Ebenso obliegt ihr die Feststellung, ob und wann ein bei ihr eingereichter Bauantrag in die erforderliche Beurteilungsreife “hineingewachsen” ist. Die Entscheidung darüber kann und darf die Baugenehmigungsbehörde der Gemeinde nicht abnehmen. Auch das ergibt sich aus der Schutzfunktion des Einvernehmenserfordernisses.
Ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die Gemeinde aus eigenem Recht befugt ist, den Bauherrn zur Vervollständigung seiner Bauvorlagen (in planungsrechtlicher Hinsicht) aufzufordern, beurteilt sich nach Landesrecht. Überlässt die Landesbauordnung es wie hier (vgl. § 54 Abs. 1 LBO Baden-Württemberg) der Baugenehmigungsbehörde, dem Bauherrn mitzuteilen, welche Ergänzungen erforderlich sind, obliegt es der Gemeinde, sich mit ihrem Ergänzungsverlangen an die Genehmigungsbehörde zu wenden. Welche inhaltlichen Anforderungen an die bauplanungsrechtliche Beurteilungsreife im Einzelfall zu stellen sind, ist eine Frage des materiellen Rechts. Entscheidend sind die Art des Vorhabens und der jeweilige Zulässigkeitsmaßstab (§§ 31, 33 bis 35 BauGB). Die formalen Erfordernisse, die ein Bauantrag nebst Bauvorlagen erfüllen muss, regelt das Landesrecht im Einzelnen durch Bauvorlageverordnungen.
Die Gemeinde ist auf Grund ihres Beteiligungsrechts im bauaufsichtlichen Verfahren berechtigt, ihre Entscheidung über das Einvernehmen bis zum Eingang der in bauplanungsrechtlicher Hinsicht erforderlichen Unterlagen zurückzustellen. Die zweimonatige Einvernehmensfrist beginnt dann mit dem Eingang dieser Unterlagen bei der Gemeinde; denn § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB ist die Wertung des Gesetzgebers zu entnehmen, dass ein Zeitraum von zwei Monaten geboten, aber auch ausreichend ist, um der Gemeinde eine Entscheidung auf der Grundlage (planungsrechtlich) vollständiger Unterlagen zu ermöglichen. Dabei trägt die Gemeinde freilich das Risiko einer Fehleinschätzung der planungsrechtlichen Beurteilungsreife mit der Folge, dass die Einvernehmensfrist bereits mit der Einreichung des Bauantrages zu laufen beginnt. Der Versuch der Gemeinde, durch die sachlich ungerechtfertigte Nachforderung einer Bauvorlage die Entscheidung über ihr Einvernehmen zu einem unerwünschten Bauvorhaben hinauszuschieben, wäre missbräuchlich.
2.2 Das Berufungsgericht stellt den Rechtssatz auf, in den Fällen, in denen der bei der Gemeinde eingereichte Bauantrag in planungsrechtlicher Hinsicht unvollständig sei, werde die Frist für die Erteilung des Einvernehmens erst durch ein Ersuchen der Baugenehmigungsbehörde im Sinne des § 36 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 BauGB ausgelöst, das die Genehmigungsbehörde an die Gemeinde zu richten habe, sobald die Unterlagen aus behördlicher Sicht eine Beurteilung der planungsrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens erlaubten.
Der Beklagte macht mit der Revision zu Recht geltend, dass dieser Rechtssatz der “Aufgabenverteilung” zwischen Baugenehmigungsbehörde und Gemeinde im bauaufsichtlichen Verfahren nicht gerecht wird. Der Standpunkt des Berufungsgerichts ist mit der Schutzfunktion des Einvernehmenserfordernisses und der damit verbundenen Mitwirkungslast der Gemeinde im Genehmigungsverfahren nicht vereinbar. Insoweit ist auf die vorstehenden Ausführungen zu verweisen.
Der rechtliche Ansatz der Vorinstanz widerspricht darüber hinaus auch dem Wortlaut und der Systematik des § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB. Soweit diese Vorschrift den Beginn der Einvernehmensfrist an das Ersuchen der Baugenehmigungsbehörde knüpft, das gemeindliche Einvernehmen zu erteilen, setzt sie voraus, dass der Bauantrag nach Landesrecht bei der Bauaufsichtsbehörde zu stellen ist. § 36 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 BauGB, der den Fristbeginn an die Einreichung des Bauantrages bei der Gemeinde knüpft, wenn dieser Weg nach Landesrecht vorgeschrieben ist, ist erst durch das Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetz vom 22. April 1993 (BGBl I S. 466) geschaffen worden. Die alternative Regelung für den Beginn der Einvernehmensfrist ist auf die unterschiedlichen Verfahrensregelungen der Länder zugeschnitten. In den Fällen, in denen der Bauantrag bei der (mit der Gemeinde nicht identischen) Genehmigungsbehörde zu stellen ist, erhält die Gemeinde in aller Regel erst mit dem Ersuchen der Baugenehmigungsbehörde, das Einvernehmen zu erteilen, vom Bauantrag Kenntnis. Das Ersuchen ist entbehrlich, wenn die Gemeinde den Bauantrag bereits kennt, weil er bei ihr gestellt worden ist (ebenso Dürr a.a.O., Rn. 45 zu § 36 BauGB). Das Berufungsgericht setzt sich über die alternative Fristenregelung hinweg, indem es ihr eine dritte hinzufügt, die die Antragstellung bei der Gemeinde mit dem fristauslösenden Ersuchen der Genehmigungsbehörde verbindet. Diese Kombination sieht das Gesetz nicht vor.
2.3 Die Mitwirkungslast der Gemeinde bei der Vervollständigung der ihr einzureichenden Bauvorlagen wird durch § 36 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 BauGB in zweierlei Hinsicht näher bestimmt.
Das Spektrum der Unterlagen, die eine Gemeinde als Entscheidungsgrundlage nachfordern darf, ist begrenzt. § 36 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 BauGB ist dahin auszulegen, dass die Gemeinde ihre Entscheidung über das Einvernehmen auf der Grundlage der Antragsunterlagen (Bauantrag und Bauvorlagen) zu treffen hat. Der Gesetzgeber macht dies deutlich, indem er den Beginn der Einvernehmensfrist an die Einreichung des Antrags bei der Gemeinde knüpft. Die Gemeinde ist deshalb darauf beschränkt, gegenüber dem Bauherrn oder der Baugenehmigungsbehörde auf das Nachreichen solcher Unterlagen hinzuwirken, die mit dem Bauantrag hätten eingereicht werden müssen, um ihr die bauplanungsrechtliche Beurteilung des Bauvorhabens zu ermöglichen. Zum Kreis dieser Unterlagen gehören die von der Baugenehmigungsbehörde nach Landesrecht einzuholenden Stellungnahmen der Fachbehörden, deren Aufgabenbereich durch das Vorhaben berührt wird (vgl. etwa § 53 Abs. 2 Satz 1 LBO Baden-Württemberg), nicht. Der Gemeinde ist es hingegen nicht verwehrt, gegenüber der Baugenehmigungsbehörde geltend zu machen, dass der Bauantrag ohne die Vorlage einer bestimmten fachtechnischen Untersuchung in bauplanungsrechtlicher Hinsicht nicht beurteilungsreif und insoweit ergänzungsbedürftig sei.
§ 36 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 BauGB setzt der Gemeinde ferner einen zeitlichen Rahmen, innerhalb dessen sie sich Klarheit darüber zu verschaffen hat, ob der Bauantrag nebst Bauvorlagen bauplanungsrechtlich beurteilungsreif ist. Lässt die Gemeinde die zweimonatige Einvernehmensfrist verstreichen, ohne dass sie einen Anlass sieht, mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln gegenüber dem Bauherrn oder der Baugenehmigungsbehörde auf das Nachreichen einer bestimmten Bauvorlage hinzuwirken, gilt ihr Einvernehmen nach Ablauf von zwei Monaten ab Antragseingang (bzw. ab dem Eingang nachgeforderter Unterlagen) als erteilt. Der Gemeinde bleibt es zwar unbenommen, nach Fristablauf und vor der Entscheidung der Baugenehmigungsbehörde auf die fehlende Beurteilungsreife des Bauantrages hinzuweisen. Sie kann dadurch jedoch nicht den Ablauf der Einvernehmensfrist umgehen. Anderenfalls würde die Frist in einer Weise zur Disposition der Gemeinde gestellt, die mit Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung nicht vereinbar wäre. Das Genehmigungsverfahren würde mit einer zeitlichen Unsicherheit belastet, die der Gesetzgeber mit Einführung der Fristenregelung in § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB vor allem im Interesse des Bauherrn, aber auch im öffentlichen Interesse an der Beschleunigung der Genehmigungsverfahren, gerade vermeiden wollte. Aus diesem Grund hat der erkennende Senat bereits entschieden, dass die zweimonatige Einvernehmensfrist durch die Verfahrensbeteiligten nicht einvernehmlich verlängert und ein als erteilt geltendes Einvernehmen von der Gemeinde nachträglich nicht “widerrufen” oder “zurückgenommen” werden kann (BVerwG, Urteil vom 12. Dezember 1996 – BVerwG 4 C 24.95 – a.a.O.).
Für den Streitfall ergibt sich daraus, dass das Einvernehmen der Klägerin mit dem von der Beigeladenen zur Genehmigung gestellten Bauvorhaben (zwei Windenergieanlagen) gemäß § 36 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 BauGB jedenfalls mit Ablauf des 16. Dezember 2000 als erteilt gilt. Dabei geht der erkennende Senat mit den Beteiligten und dem Berufungsgericht davon aus, dass die Computersimulation, die der Beklagte (Landratsamt) im Ortstermin vom 25. September 2000 von der Beigeladenen nachgefordert hat, zur bauplanungsrechtlichen Beurteilung der geplanten Windenergieanlagen erforderlich war, und unterstellt, dass die Klägerin sich diese Nachforderung im Ortstermin zu Eigen gemacht hat. Die Computersimulation lag der Klägerin nach den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz am 16. Oktober 2000 vor. Für die Berechnung der Einvernehmensfrist gelten gemäß § 31 VwVfG die §§ 187 bis 193 BGB entsprechend. Nach § 187 Abs. 1 und § 188 Abs. 2 BGB lief die Frist daher am 16. Dezember 2000 ab. Die Versagung des Einvernehmens “zur Fristwahrung” am 20./21. Dezember 2000 war daher nicht rechtzeitig.
Der in der Gemeinderatssitzung am 16. Oktober 2000 gefasste Beschluss der Klägerin, ihre endgültige Entscheidung über das Einvernehmen bis zum Eingang der Stellungnahmen der Unteren Naturschutzbehörde und des Landesdenkmalamts zurückzustellen, war nach den vorstehenden Ausführungen nicht geeignet, den Fristbeginn hinauszuschieben. Diese Stellungnahmen gehörten nicht zu den notwendigen Bauvorlagen. Die von der Beigeladenen im Januar 2001 beigebrachte Lärmprognose (Schallimmissionsuntersuchung) forderte das Landratsamt im Anschluss an die Stellungnahme des Gewerbeaufsichtsamts als Grundlage für die eigene Entscheidungsbildung an. Nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts und dem Inhalt der von ihm in Bezug genommenen Sachakten des Beklagten hatte die Klägerin zu keiner Zeit gegenüber dem Landratsamt geltend gemacht, dass es die Lärmprognose für die Entscheidung über ihr Einvernehmen benötige. Auf den Umstand, dass das Landratsamt der Beigeladenen im Februar 2001 mitteilte, die Bauvorlagen seien aus seiner Sicht nunmehr vollständig, kann die Klägerin sich nach den vorstehenden Ausführungen (unter 2.3) nicht berufen. Einen eigenen Aufklärungsbedarf hat sie hinsichtlich der Lärmprognose nicht geltend gemacht.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 154 Abs. 1 und § 162 Abs. 3 VwGO.
Unterschriften
Dr. Paetow, Prof. Dr. Rojahn, Gatz, Dr. Jannasch, Dr. Philipp
Fundstellen
Haufe-Index 1283608 |
BVerwGE 2005, 13 |
BauR 2005, 509 |
BauR 2005, 599 |
ZAP 2005, 174 |
NuR 2005, 106 |
ZfBR 2005, 183 |
BTR 2005, 83 |
DVBl. 2005, 196 |
Städtetag 2005, 41 |
UPR 2005, 69 |
BBB 2005, 47 |
BRS-ID 2005, 10 |
FSt 2005, 657 |
FuBW 2005, 317 |
FuHe 2005, 323 |
FuNds 2006, 114 |