Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch, Asylantrag, Aufenthaltserlaubnis, Aufenthaltstitel. gesetzlicher Anspruch, Ermessen, Ermessensreduzierung, Missbrauch, offensichtlich unbegründeter Asylantrag, Regelanspruch, Rücknahme des Asylantrags, Sollvorschrift, Sperrwirkung
Leitsatz (amtlich)
1. Der am 1. Januar 2005 in Kraft getretene § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG löst die Sperre für eine Erteilung von Aufenthaltstiteln auch dann aus, wenn ein zuvor erlassener, auf § 30 Abs. 3 AsylVfG gestützter Bescheid des Bundesamtes zu diesem Zeitpunkt noch nicht bestandskräftig war.
2. Die gemäß § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG eingetretene Sperrwirkung entfällt nicht durch nachträgliche Rücknahme des Asylantrags.
3. Ein Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels im Sinne des § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG muss ein strikter Rechtsanspruch sein, der sich unmittelbar aus dem Gesetz ergibt. Ein Anspruch aufgrund einer Ermessensvorschrift genügt auch dann nicht, wenn das Ermessen im Einzelfall “auf Null” reduziert ist. Ob Regelansprüche oder Ansprüche aufgrund von Sollvorschriften dazu zählen, bleibt offen.
Normenkette
AsylVfG § 30 Abs. 2-3, §§ 32, 42 S. 1; AufenthG §§ 5, 10 Abs. 1, 3, § 25 Abs. 3, 5; AuslG 1990 §§ 11, 30 Abs. 5; GG Art. 19 Abs. 4
Verfahrensgang
OVG Mecklenburg-Vorpommern (Urteil vom 26.09.2007; Aktenzeichen 2 L 173/06) |
VG Greifswald (Urteil vom 21.04.2006; Aktenzeichen 2 A 1242/06) |
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 26. September 2007 geändert.
Die Berufung der Kläger wird zurückgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens.
Tatbestand
I
Die Kläger, eine armenische Familie, begehren die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen aus humanitären Gründen.
Sie reisten im Juni 2003 in das Bundesgebiet ein und beantragten Asyl. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) lehnte die Anträge mit Bescheid vom 1. Juli 2003 gemäß § 30 Abs. 3 AsylVfG als offensichtlich unbegründet ab, weil die Angaben der Kläger zum Reiseweg nicht nachvollziehbar seien und sie sich ihrer Personaldokumente entledigt hätten. Dagegen erhoben die Kläger vor dem Verwaltungsgericht Klage.
Ab September 2003 wurde der Aufenthalt der Kläger von dem Beklagten geduldet. Der Versuch einer Abschiebung im Februar 2005 musste infolge einer Panikattacke der Klägerin zu 2 abgebrochen werden; sie wurde daraufhin stationär behandelt.
Am 23. Februar 2005 beantragten die Kläger bei dem Beklagten die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen wegen des schlechten Gesundheitszustands der Klägerin zu 2; im Juni 2005 erhoben sie Untätigkeitsklage. Aufgrund einer Auskunft zu den medizinischen Behandlungsmöglichkeiten in Armenien und eines amtsärztlichen Gutachtens zur Reisefähigkeit der Klägerin zu 2 lehnte der Beklagte die Anträge mit Bescheiden vom 10. Januar 2006 ab.
Im April 2006 nahmen die Kläger ihre Asylanträge zurück. Nach übereinstimmender Erledigung stellte das Verwaltungsgericht den Asylprozess mit Urteil vom 11. Juli 2006 ein, erklärte den Bescheid des Bundesamtes vom 1. Juli 2003 hinsichtlich der Entscheidungen zu Art. 16a GG und § 51 Abs. 1 AuslG für gegenstandslos und wies die Klage im Übrigen ab; das Urteil ist rechtskräftig.
Mit Urteil vom 21. April 2006 hat das Verwaltungsgericht die auf Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen gerichtete Klage abgewiesen, weil dem von den Klägern geltend gemachten Anspruch die Sperrwirkung des § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG entgegenstehe; dieser Sperre hätten sie sich auch durch Rücknahme ihrer Asylanträge nicht entziehen können.
Das Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern hat mit Urteil vom 26. September 2007 die erstinstanzliche Entscheidung geändert und der Klage stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Klägerin zu 2 einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG habe. Ihre Abschiebung sei mit einem erheblichen Gesundheitsrisiko verbunden und mit dem Wegfall des Ausreisehindernisses sei in absehbarer Zeit nicht zu rechnen. Für die übrigen Kläger folge der Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus dem Schutz von Ehe und Familie. Von den allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 AufenthG sei im vorliegenden Fall abzusehen. Zwar sei die Sperrwirkung des § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG eingetreten und Satz 3 der Vorschrift helfe den Klägern nicht, da der dort vorausgesetzte Anspruch nur ein gesetzlicher sei und weder bei einer Ermessensreduzierung auf Null noch bei Sollvorschriften vorliege. Die Sperrwirkung sei jedoch nach Rücknahme der noch nicht bestandskräftig abgelehnten Asylanträge wieder entfallen.
Der Beklagte stützt die vom Oberverwaltungsgericht zugelassene Revision u. a. darauf, dass ein Fall rechtlicher Unmöglichkeit der Ausreise in der Person der Klägerin zu 2 nicht vorliege, denn das Berufungsgericht habe sich mit der Möglichkeit einer freiwilligen Ausreise nicht näher befasst. Des Weiteren hätten die Kläger ihre Mitwirkungspflichten verletzt; sie seien immer im Besitz gültiger Reisepässe gewesen, hätten diese aber erst in der Berufungsverhandlung vorgelegt. Schließlich stehe § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG der Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen entgegen. Folge man der Auffassung des Berufungsgerichts, könne jeder Asylbewerber einen nach § 30 Abs. 3 AsylVfG abgelehnten Asylantrag zurücknehmen und damit den Ausschlussgrund umgehen.
Die Kläger verteidigen das angegriffene Urteil. Das Berufungsgericht habe zu Recht die Sperrwirkung des § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG für unanwendbar gehalten, weil die Wirkungen der Behördenentscheidung durch die Rücknahme der Asylanträge vor Eintritt der Bestandskraft entfallen seien. Das Verwaltungsgericht habe die Bundesamtsentscheidung in seinem Urteil vom 11. Juli 2006 rechtskräftig für gegenstandslos erklärt. Vorsorglich werde darauf hingewiesen, dass auch § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG zugunsten der Kläger greife. Denn ein Anspruch im Sinne dieser Vorschrift bestehe auch bei einer Ermessensvorschrift, wenn ein Fall der Ermessensreduzierung auf Null vorliege.
Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht hat sich am Verfahren beteiligt und ausgeführt, er halte die Revision für begründet. Der Beklagte argumentiere zutreffend, dass ein Anspruch der Klägerin zu 2 aus § 25 Abs. 5 AufenthG jedenfalls wegen der Sperrwirkung des § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG nicht bestehe. Die Sperrwirkung sei durch Rücknahme des Asylantrages nicht erloschen.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Beklagten ist begründet. Die Annahme des Berufungsgerichts, die gemäß § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG eingetretene Sperrwirkung (1.) für die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG sei durch Rücknahme der Asylanträge wieder entfallen, verletzt Bundesrecht (2.). Die Entscheidung erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig, weil die Ausnahmevorschrift des § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG nicht zugunsten der Kläger greift. Weder sind die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG erfüllt noch besteht ein gesetzlicher Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels (3.).
1. Dem Begehren der Kläger steht jedenfalls die Sperrwirkung des § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG entgegen, so dass offen bleiben kann, ob – wie vom Berufungsgericht angenommen und von der Revision bestritten – die Voraussetzungen des § 25 Abs. 5 AufenthG für die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen vorliegen. Die durch das Zuwanderungsgesetz eingeführte Sperre des § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG gehört zu den Vorschriften, mit denen der Gesetzgeber die Neuerteilung von Aufenthaltstiteln während eines laufenden Asylverfahrens oder nach dessen erfolglosem Abschluss vor der Ausreise eingeschränkt hat (vgl. zuvor § 11 sowie § 30 Abs. 5 AuslG 1990). Nach § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG darf einem Ausländer, dessen Asylantrag unanfechtbar abgelehnt worden ist oder der seinen Asylantrag zurückgenommen hat, vor der Ausreise ein Aufenthaltstitel nur nach Maßgabe des Abschnitts 5 erteilt werden. Gemäß Satz 2 darf, sofern der Asylantrag nach § 30 Abs. 3 des Asylverfahrensgesetzes abgelehnt wurde, vor der Ausreise kein Aufenthaltstitel erteilt werden. Nach Satz 3 (in der Fassung des Richtlinienumsetzungsgesetzes vom 19. August 2007, BGBl I S. 1970) finden die Sätze 1 und 2 im Falle eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels keine Anwendung; Satz 2 ist ferner nicht anzuwenden, wenn der Ausländer die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG erfüllt.
a) Der am 1. Januar 2005 in Kraft getretene § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG löst – entgegen der Auffassung der Kläger – die Sperre für eine Erteilung von Aufenthaltstiteln auch dann aus, wenn ein zuvor erlassener, auf § 30 Abs. 3 AsylVfG gestützter Bescheid des Bundesamtes zu diesem Zeitpunkt noch nicht bestandskräftig war. Eine ausdrückliche Übergangsvorschrift enthält das Zuwanderungsgesetz nicht. Weder dem Wortlaut der Bestimmung noch den Gesetzesmaterialien lässt sich entnehmen, dass die Anwendung auf nach Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes gemäß § 30 Abs. 3 AsylVfG abgelehnte Asylanträge beschränkt sein sollte. Vielmehr entspricht es dem Willen des Gesetzgebers, die aufenthaltsrechtliche Sanktionierung eines Missbrauchs im Asylverfahren möglichst rasch und damit effektiv greifen zu lassen. Schutzwürdiges Vertrauen der Betroffenen wird dadurch nicht verletzt.
Die tatbestandliche Rückanknüpfung der neuen Regelung begegnet auch im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG keinen Bedenken, wenn der Asylantrag am 1. Januar 2005 noch nicht bestandskräftig nach § 30 Abs. 3 AsylVfG abgelehnt war (so auch OVG Magdeburg, Beschluss vom 23. Februar 2006 – 2 M 114/06 – juris Rn. 9; Discher, in: GK-AufenthG, II-§ 10 Rn. 194). Zwar wurde bis zu diesem Zeitpunkt kein Rechtsschutzbedürfnis für eine gesonderte gerichtliche Kontrolle der qualifizierten Abweisung eines Asylantrags anerkannt. Gerade mit Blick auf die durch § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG ausgelösten Rechtsfolgen hat der Senat indes entschieden, dass ein Asylbewerber seit dem 1. Januar 2005 im Rahmen eines asylrechtlichen Hauptsacheverfahrens auch Anspruch auf gerichtliche Überprüfung und ggf. auf Aufhebung des auf § 30 Abs. 3 AsylVfG gestützten Offensichtlichkeitsausspruchs des Bundesamtes hat (Urteil vom 21. November 2006 – BVerwG 1 C 10.06 – BVerwGE 127, 161 ≪Rn. 21 f.≫). Diese Möglichkeit gerichtlicher Überprüfung in dem anhängigen Asylprozess haben die Kläger sich durch die umfassende Rücknahme ihrer Asylklage im April 2006 selbst abgeschnitten.
b) Die Sperrwirkung tritt gemäß § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG (nur) ein, wenn der Asylantrag nach § 30 Abs. 3 AsylVfG abgelehnt worden ist. Das ist vorliegend der Fall, denn das Bundesamt hat in den Gründen seines Bescheids vom 1. Juli 2003 den Offensichtlichkeitsausspruch u. a. auf § 30 Abs. 3 Nr. 5 AsylVfG gestützt (S. 2 und 5 des Bundesamtsbescheids). Ob es zu Recht auf diese Vorschrift abgestellt hat, ist für die Anwendung von § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG ohne Bedeutung. Das unterscheidet die Gesetz gewordene Fassung der Vorschrift von dem materiellrechtlich orientierten Referentenentwurf, der zu einer inzidenten Prüfung durch die Ausländerbehörde geführt hätte und deshalb modifiziert worden ist (vgl. Wenger, in: Storr u. a., Kommentar zum Zuwanderungsrecht, 2. Aufl. 2008, § 10 AufenthG Rn. 7). Im Übrigen wird – wie bereits ausgeführt – Rechtsschutz dadurch gewährt, dass seit Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes auch die qualifizierte Abweisung des Asylantrags gemäß § 30 Abs. 3 AsylVfG gerichtlich überprüft werden kann.
Unerheblich ist, ob das Bundesamt den Offensichtlichkeitsausspruch allein auf § 30 Abs. 3 AsylVfG oder darüber hinaus auf § 30 Abs. 2 AsylVfG gestützt hat. Der Gegenauffassung (Dienelt, ZAR 2005, 120 ≪121≫) folgt der Senat nicht, denn sie vermag nicht zu erklären, warum ein Ausländer z. B. nach gröblicher Verletzung seiner Mitwirkungspflichten im Asylverfahren nur deshalb von der Sperrwirkung des § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG verschont werden sollte, weil das Bundesamt sein Asylbegehren darüber hinaus auch aus inhaltlichen Gründen als offensichtlich unbegründet abgelehnt hat.
Es spricht viel dafür, dass § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG nur greift, wenn das Bundesamt sowohl den Antrag auf Asylanerkennung – sofern beantragt – als auch auf Zuerkennung von Flüchtlingsschutz im Wege des § 30 Abs. 3 AsylVfG abgelehnt hat. Diese Frage erweist sich aber vorliegend nicht als entscheidungserheblich und kann daher offen bleiben. Denn in dem das Asylbegehren der Kläger betreffenden Bescheid vom 1. Juli 2003 hat das Bundesamt die Ablehnung als offensichtlich unbegründet gemäß § 30 Abs. 3 AsylVfG auf beide Begehren erstreckt.
2. Die durch § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG eingetretene Sperrwirkung für die Erteilung eines Aufenthaltstitels entfällt nicht durch nachträgliche Rücknahme des Asylantrags. Das ergibt sich insbesondere aus dem Zweck der Vorschrift, den Missbrauch im Asylverfahren zu sanktionieren. Dieser Zweck kommt in den Gesetzesmaterialien etwa durch die beispielhaft angesprochene Fallgruppe der Täuschung des Bundesamtes deutlich zum Ausdruck (vgl. BTDrucks 15/420 S. 73). Der Gesetzgeber hat in den Tatbeständen des § 30 Abs. 3 AsylVfG z. B. die Täuschung (Nr. 2), die Antragstellung unter Aliasnamen (Nr. 3) oder die gröbliche Verletzung von Mitwirkungspflichten (Nr. 5) im Asylverfahren als Missbrauch gekennzeichnet und den darauf gestützten Ablehnungsbescheid des Bundesamtes in § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG mit aufenthaltsrechtlichen Konsequenzen verbunden. Weder die gesetzgeberische Bewertung der genannten Verhaltensweisen im Asylverfahren noch die dadurch ausgelöste aufenthaltsrechtliche Sanktion verlieren ihre Rechtfertigung, wenn der Betroffene den Asylantrag nach Erlass des auf § 30 Abs. 3 AsylVfG gestützten Bescheids zurücknimmt. Die grammatikalische sowie die systematische Interpretation des § 10 Abs. 3 Satz 1 und 2 AufenthG stützen diesen Befund: Satz 1 setzt tatbestandlich die unanfechtbare Ablehnung oder die Rücknahme des Asylantrags voraus. Demgegenüber ist Satz 2 nicht auf die unanfechtbare Ablehnung des Asylantrags beschränkt und erweist sich damit auch offen für die Antragsrücknahme nach Entscheidung durch das Bundesamt. Der Wortlaut des Satzes 2 trägt nicht den Gegenschluss, die Vorschrift sei im Fall der Rücknahme des Asylantrags nach einer auf § 30 Abs. 3 AsylVfG gestützten Ablehnung nicht anwendbar.
Dieser Auslegungsbefund wird entgegen der Auffassung der Kläger nicht dadurch entkräftet, dass das Asylverfahren nach Rücknahme des Asylantrags gemäß § 32 Satz 1 AsylVfG eingestellt wird und das Verwaltungsgericht dementsprechend im Urteil vom 11. Juli 2006 die Gegenstandslosigkeit der Nr. 1 und 2 des Bundesamtsbescheids vom 1. Juli 2003 (deklaratorisch) festgestellt hat. Die aufenthaltsrechtlichen Folgen der nachträglichen Rücknahme eines Asylantrags lassen sich nur aus der Auslegung des § 10 Abs. 3 AufenthG bestimmen; die asylverfahrensrechtlichen Folgen der Antragsrücknahme sind dafür nicht von entscheidender Bedeutung.
3. Die angefochtene Entscheidung erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO), denn die in § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG geregelten Ausnahmen von der Sperrwirkung greifen nicht. Zum einen erfüllen die Kläger nicht die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG; das steht durch das insoweit klageabweisende Urteil des Verwaltungsgerichts vom 11. Juli 2006 gemäß § 42 Satz 1 AsylVfG auch gegenüber dem Beklagten fest. Zum anderen haben die Kläger keinen Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels, denn dafür genügt es nicht, dass dem Ausländer im Ermessenswege eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden kann, selbst wenn im Einzelfall das behördliche Ermessen zugunsten des Ausländers auf Null reduziert ist.
Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Senats, dass ein von einer ausländerrechtlichen Vorschrift vorausgesetzter Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung ein strikter Rechtsanspruch sein muss, der sich unmittelbar aus dem Gesetz ergibt. Ein Anspruch aufgrund einer Ermessensvorschrift genügt auch dann nicht, wenn das Ermessen im Einzelfall “auf Null” reduziert ist (Beschluss vom 17. März 1993 – BVerwG 1 B 27.93 – Buchholz 402.240 § 11 AuslG 1990 Nr. 2; Urteile vom 24. Januar 1995 – BVerwG 1 C 2.94 – BVerwGE 97, 301 ≪312≫, vom 22. Februar 1995 – BVerwG 1 C 11.94 – BVerwGE 98, 31 ≪43≫, vom 4. Juni 1997 – BVerwG 1 C 9.95 – BVerwGE 105, 35 ≪38 ff.≫, vom 19. September 2000 – BVerwG 1 C 14.00 – DVBl 2001, 223, vom 18. Juni 1996 – BVerwG 1 C 17.95 – BVerwGE 101, 265 ≪271≫ und vom 17. März 2004 – BVerwG 1 C 11.03 – Buchholz 402.240 § 9 AuslG Nr. 4). Es ist nichts dafür ersichtlich, dass der Gesetzgeber diese Systematik mit dem Zuwanderungsgesetz aufgeben wollte, zumal in den Materialien zu § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG lediglich das Beispiel des Anspruchs eines deutschverheirateten Ausländers genannt ist (BTDrucks 15/420 S. 73). Die diese Rechtsprechung tragenden Erwägungen fügen sich ohne weiteres in die Teleologie der in § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG angeordneten Sperre für die Titelerteilung vor der Ausreise und deren ausnahmsweiser Durchbrechung in Satz 3 der Vorschrift ein. Denn nur bei strikten Rechtsansprüchen macht der Gesetzgeber unmittelbar deutlich, dass er den Versagungsgrund des § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG als nachrangig ansieht. Besteht ein gesetzlicher Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels, hat der Gesetzgeber in abstrakt-genereller Weise eine abschließende, die Verwaltung bindende Wertung zugunsten eines Aufenthaltsrechts getroffen und die Entscheidung damit der behördlichen Ermessensprüfung im Einzelfall gerade entzogen. Gegenüber einem Ausländer, der sich bereits im Bundesgebiet aufhält, erscheint in diesen Fällen der Verweis auf ein Visumverfahren, das als wichtiges Steuerungsinstrument der Zuwanderung (BTDrucks 15/420 S. 70) die ausländerbehördliche Entscheidung vor der Einreise gewährleisten soll, nicht in gleichem Maße zwingend wie bei im Ermessen stehenden Aufenthaltstiteln. Denn die Grundentscheidung hat der Gesetzgeber mit der Anspruchsnorm bereits getroffen und der Verwaltung bleibt nur die Prüfung, ob deren Voraussetzungen im konkreten Fall gegeben sind.
Demgegenüber zeichnen sich Fälle, in denen ein Ausländer die Reduzierung des in einer aufenthaltsrechtlichen Vorschrift eröffneten Ermessens geltend macht, durch einen erhöhten administrativen und gerichtlichen Prüfungsaufwand aus; dafür gibt der hier zu entscheidende Fall ein typisches Beispiel. Es liegt in der Logik des Sanktionsgedankens, der § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG immanent ist, dass der Ausländer in diesen Fällen das Verwaltungsverfahren und eine sich ggf. anschließende gerichtliche Auseinandersetzung vom Ausland aus zu betreiben hat und ihm nicht gestattet werden soll, sich für die Dauer des (oft mehrjährigen) Verfahrens weiter im Bundesgebiet aufzuhalten und den Aufenthalt hier dadurch weiter zu verfestigen. Nur die Begrenzung der in § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG vorgesehenen Ausnahme auf gesetzliche Ansprüche gewährleistet, dass die Sperrwirkung in der Praxis nicht weitgehend leer läuft.
Diesem Auslegungsergebnis steht der unterschiedliche Wortlaut in § 10 Abs. 1 Satz 1 AufenthG einerseits (“gesetzlichen Anspruchs”) und Abs. 3 Satz 3 der Vorschrift andererseits (“Anspruchs”) nicht entgegen (a. A. Hailbronner, AuslR, § 10 AufenthG Rn. 16; Marx, Aufenthalts-, Asyl- und Flüchtlingsrecht, 3. Aufl. 2007 § 2, Rn. 273; Dienelt, ZAR 2005, 120 ≪123≫). Die unterschiedliche Formulierung zwingt nicht zu dem Schluss, § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG erfasse auch Rechtsansprüche, die sich erst bei der Rechtsanwendung aus einer Ermessensreduzierung ergeben. Denn der gesetzgeberische Sprachgebrauch in Vorschriften, die an einen Anspruch anknüpfen, war weder im Ausländergesetz 1990 einheitlich noch ist er es im Aufenthaltsgesetz. Dort wie hier finden sich die Bezeichnungen “Anspruch”, “Anspruch nach diesem Gesetz” und “gesetzlicher Anspruch”, ohne dass eine systematische Unterscheidung erkennbar würde. Das gilt auch für die unterschiedliche Formulierung des Gesetzgebers in § 10 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 3 AufenthG, die gerade mit Blick auf eine Ausnahme von der aufenthaltsrechtlichen Sanktion des Missbrauchs im Asylverfahren keine am Wortlaut anknüpfende inhaltliche Differenzierung trägt. Demzufolge muss der in § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG vorausgesetzte Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels ein strikter Rechtsanspruch sein (so auch das Berufungsurteil S. 15 f.; s. a. VGH Mannheim, Urteil vom 26. Juli 2006 – 11 S 2523/05 – VBlBW 2007, 30; OVG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 9. März 2006 – 11 N 77.05 juris Rn. 7, OVG Magdeburg, Beschluss vom 20. Februar 2007 – 2 O 365/06 juris, OVG Saarlouis, Beschluss vom 27. Dezember 2007 – 2 A 323/07 – juris Rn. 17, OVG Hamburg, Beschluss vom 23. Oktober 2007 – 3 Bs 246/07 – juris Rn. 4, VGH München, Urteil vom 6. März 2008 – 10 B 06.2961 – juris Rn. 16, Renner, AuslR, 8. Aufl. 2005, § 10 AufenthG Rn. 10; Discher, in: GK-AuslR, II-§ 10 Rn. 171 ff.; Wenger, in: Storr u. a., a. a. O. § 10 Rn. 8).
Ob zu einer Anspruchsnorm im Sinne des § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG auch Regelansprüche oder Ansprüche aufgrund von Sollvorschriften zählen, braucht anlässlich des vorliegenden Falles nicht entschieden zu werden. Denn die Kläger können sich ausschließlich auf § 25 Abs. 5 Satz 1 und 2 AufenthG stützen (vgl. dazu Urteil vom 27. Juni 2006 – BVerwG 1 C 14.05 – BVerwGE 126, 192 ≪Rn. 15 ff.≫). Unterstellt man zugunsten der Kläger, dass die Voraussetzungen dieser Vorschrift unter Einbeziehung der Sätze 3 und 4 für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen sonst vorliegen, ist nach den Feststellungen des Berufungsgerichts jedenfalls der Lebensunterhalt der Familie nicht gesichert (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 2 Abs. 3 AufenthG). Damit fehlt eine in der Regel erforderliche Voraussetzung für die Erteilung des begehrten Aufenthaltstitels. Die gesetzliche Regel in § 5 Abs. 1 AufenthG streitet nicht für, sondern gegen die Kläger. Selbst wenn man davon ausgeht, dass auch eine Sollvorschrift wie § 25 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. Satz 2 AufenthG bei Fehlen eines Ausnahmefalles einen strikten Rechtsanspruch im Sinne des § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG vermitteln kann, setzt das jedenfalls voraus, dass alle zwingenden und regelhaften Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind. Andernfalls hat der Gesetzgeber selbst keine Entscheidung für ein – zumindest regelmäßig – zu erteilendes Aufenthaltsrecht getroffen, denn über die Subsumtion unter die zwingenden Voraussetzungen hinaus ist zu prüfen, ob ein atypischer Fall vorliegt, in dem ausnahmsweise eine Erteilungsvoraussetzung nicht greift.
Erst recht liegt kein Anspruch im Sinne des § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG vor, wenn man auf § 5 Abs. 3 Satz 3 AufenthG abstellt. Danach steht die Entscheidung u. a. bei Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG im Ermessen der Ausländerbehörde, ob sie von der Anwendung des § 5 Abs. 1 AufenthG absieht. Damit können sich die Kläger unter keinem Gesichtspunkt auf einen gesetzlichen Anspruch berufen und ihre Klagen bleiben erfolglos.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Unterschriften
Eckertz-Höfer, Prof. Dr. Dörig, Richter, Prof. Dr. Kraft, Fricke
Fundstellen
Haufe-Index 2141126 |
BVerwGE 2009, 382 |
DÖV 2009, 467 |
InfAuslR 2009, 224 |
ZAR 2009, 191 |
AuAS 2009, 89 |
DVBl. 2009, 592 |
NordÖR 2009, 64 |