Entscheidungsstichwort (Thema)
Rückübertragung eines Grundstücks. verfolgungsbedingter Vermögensverlust. Zwangsverkauf. Vermutung. Widerlegung. angemessener Kaufpreis. Verkehrswert. Einheitswert. Erfahrungstatsache
Leitsatz (amtlich)
War der Einheitswert für ein bebautes Grundstück nach § 56 Abs. 2 RBewG 1931 statt mit dem gemeinen Wert oder dem Ertragswert nur mit dem Wert für den Grund und Boden festgestellt (Mindesteinheitswert), ist die allgemeine Erfahrungstatsache erschüttert, dass der Verkehrswert eines Grundstücks den festgesetzten Einheitswert nicht unterschritt.
Normenkette
VermG § 1 Abs. 6; REAO Art. 3 Abs. 2
Verfahrensgang
VG Leipzig (Entscheidung vom 20.07.2000; Aktenzeichen 7 K 65/97) |
Tenor
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Leipzig vom 20. Juli 2000 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Tatbestand
I.
Die Kläger wenden sich gegen die vermögensrechtliche Rückübertragung des Grundstücks … in L. an die Beigeladenen.
Eigentümer des Grundstücks war seit 1912 der jüdische Kaufmann Markus W. Das Grundstück war seinerzeit mit einem Wohn- und Geschäftshaus bebaut. Markus W. verstarb am 17. September 1933. Er wurde von seinen ebenfalls jüdischen Neffen beerbt. Deren Rechtsnachfolger sind die Beigeladenen.
Die Erbengemeinschaft nach Markus W. veräußerte das Grundstück durch Kaufvertrag vom 12. Dezember 1933 an den Rechtsvorgänger der Kläger. Der Kaufpreis betrug 195 000 RM. Der Käufer übernahm unter Anrechnung auf den Kaufpreis Hypotheken in Höhe von insgesamt 121 400 RM. Im Übrigen beglich er den Kaufpreis in bar. Er trug ferner die Kosten der Beurkundung und Durchführung des Vertrages sowie die Grunderwerbssteuer.
Der Einheitswert des Grundstücks wurde zum 17. September 1933 auf 243 250 RM festgesetzt. Zum 1. Januar 1931 war der Einheitswert noch auf 441 600 RM festgesetzt gewesen.
Auf den Restitutionsantrag der Beigeladenen übertrug die Beklagte ihnen das Eigentum an dem Grundstück. Sie ging von einem Zwangsverkauf im Sinne des § 1 Abs. 6 Satz 1 VermG aus. Die Vermutung eines verfolgungsbedingten Vermögensverlustes sei nicht widerlegt. Der Kaufpreis sei nicht angemessen gewesen. Er habe den Einheitswert deutlich unterschritten.
Nach erfolglosem Widerspruch haben die Kläger Klage erhoben, mit der sie die Aufhebung des Rückübertragungsbescheids beantragt haben. Sie haben geltend gemacht: Der Kaufpreis sei angemessen gewesen. Der Verkehrswert des Grundstücks habe seinerzeit deutlich unter dem festgesetzten Einheitswert gelegen.
Nach Schluss der mündlichen Verhandlung und vor Zustellung des nicht verkündeten Urteils hat der Kläger zu 4 eine gutachterliche Stellungnahme der Sachverständigen S. zum Verkehrswert des Grundstücks nachgereicht. Sie kommt für den Zeitpunkt Dezember 1933 zu Verkaufswerten von 177 572,50 RM und nach anderer Berechnung (Mittel von Ertragswert und Sachwert) von 208 000 RM.
Das Verwaltungsgericht hat den gleichzeitig gestellten Antrag auf Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung abgelehnt und die Klage abgewiesen. Es hat zur Begründung ausgeführt: Die Vermutung einer verfolgungsbedingten Veräußerung sei nicht durch die Zahlung eines angemessenen Kaufpreises widerlegt. Der Kaufpreis liege unter dem Einheitswert. Dieser bilde regelmäßig die unterste Grenze des Verkehrswertes. Diesen Erfahrungssatz hätten die Kläger nicht erschüttert. Die Wertermittlung der Sachverständigen S. komme zu einem Verkehrswert von 208 000 RM. Dieser liege ebenfalls über dem vereinbarten Kaufpreis. Der ferner genannte Wert von 177 570 RM sei weder methodisch noch sachlich plausibel.
Mit ihren vom Senat zugelassenen Revisionen verfolgen die Kläger zu 1 und zu 2 sowie zu 4 ihr Begehren auf Aufhebung des Restitutionsbescheids weiter. Zur Begründung machen sie geltend: Das Verwaltungsgericht habe nicht auf den Einheitswert als Maßstab für die Angemessenheit des Kaufpreises zurückgreifen dürfen. Dies sei erst dann zulässig, wenn der Verkehrswert anders nicht mehr ermittelt werden könne. Zudem gelte der Erfahrungssatz, nach dem der Einheitssatz regelmäßig die unterste Grenze des Verkehrswerts für bebaute Grundstücke bilde, nicht für Einheitswerte, die vor dem Hauptfeststellungszeitpunkt 1. Januar 1935 noch nach dem Reichsbewertungsgesetz 1931 festgestellt worden seien, ferner dann nicht, wenn – wie hier – das Grundstück für die Feststellung des Einheitswerts nicht mit seinem Ertrag, sondern allein mit dem Wert des unbebauten Grund und Bodens bewertet worden sei. Er berücksichtige damit nicht die schlechte Ertragslage infolge der Weltwirtschaftskrise. Unberücksichtigt bliebe ferner die Gebäudeentschuldungssteuer, die als öffentliche Last auf dem Grundstück geruht und im Verkaufsfalle den Kaufpreis beeinflusst habe, und der Umstand, dass das Grundstück nur mit einem geringwertigen abbruchreifen Gebäude bebaut gewesen sei; im Falle des Verkaufs hätten deshalb die Abbruchkosten bei der Gestaltung des Kaufpreises eine wesentliche Rolle gespielt. Das Verwaltungsgericht habe außer Acht gelassen, dass der Kaufpreis in bar bezahlt worden sei, dies in Zeiten der Geldknappheit aber einen ungewöhnlichen Umstand darstelle und deshalb zu einem Abzug von dem Verkehrswert führen müsse. Auch hätten als Teil des Kaufpreises die Nebenkosten (Gerichtskosten, Grunderwerbssteuer) berücksichtigt werden müssen, die der Erwerber im Kaufvertrag übernommen habe. Im Übrigen sei die Sachverständige S. in ihrem Gutachten zu einem Verkehrswert von 208 000 RM gelangt. Der Verkehrswert könne nicht exakt errechnet werden. Weiche – wie hier – der Kaufpreis nur geringfügig, bis zu 10 v.H., von dem ermittelten Verkehrswert ab, sei dies tolerabel und stelle die Angemessenheit des Kaufpreises nicht infrage. Aufgrund des vorgelegten Wertgutachtens der Sachverständigen S. habe sich dem Verwaltungsgericht jedenfalls die Notwendigkeit weiterer konkreter Ermittlungen aufdrängen müssen. Das Verwaltungsgericht habe zudem den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt. Es hätte nach Vorlage der Wertermittlung die mündliche Verhandlung wieder eröffnen müssen.
Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil. Sie ist insbesondere der Auffassung, das Verwaltungsgericht habe zu Recht die Entscheidung auf den Erfahrungssatz gestützt, dass der Einheitswert regelmäßig die unterste Grenze des Verkehrswertes bilde.
Die Beigeladenen sind ebenfalls der Auffassung, das Verwaltungsgericht habe diesen Erfahrungssatz zu Recht seiner Entscheidung zugrunde gelegt. Der Einheitswert sei nur drei Monate vor der Veräußerung des Grundstücks festgestellt worden. Dem Kaufpreis könne nicht fiktiv der Hauszinssteuerabgeltungsbetrag zugeschlagen werden. Er habe erst mit der Aufhebung der Gebäudeentschuldungssteuer im Jahre 1942 als öffentliche Last auf dem Grundstück geruht. Die Wertermittlung der Sachverständigen S. belege nicht die Angemessenheit des Kaufpreises. Sie sei nicht nachvollziehbar begründet und beruhe insbesondere zu einem erheblichen Teil auf bloßen Vermutungen. Sie komme zudem zu einem Verkehrswert, der ebenfalls über dem vereinbarten Kaufpreis liege. Anlass zu weiteren Ermittlungen habe deshalb nicht bestanden. Ebenso wenig sei eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung veranlasst gewesen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revisionen sind begründet. Das angefochtene Urteil verletzt Bundesrecht. Das Verwaltungsgericht hat § 1 Abs. 6 Satz 2 VermG in Verbindung mit Art. 3 Abs. 2 der Anordnung BK/0 (49) 180 der Alliierten Kommandantur Berlin (Rückerstattungsanordnung – REAO –) vom 26. Juli 1949 (VOBl für Groß-Berlin S. 221) rechtsfehlerhaft angewendet. Die bislang festgestellten Tatsachen lassen eine abschließende Entscheidung über die Klage nicht zu. Daher ist das Urteil des Verwaltungsgerichts aufzuheben und der Rechtsstreit zur weiteren Sachaufklärung an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
Nach § 1 Abs. 6 Satz 2 VermG, Art. 3 REAO wird zu Gunsten des Berechtigten ein verfolgungsbedingter Vermögensverlust vermutet, wenn jemand einen Vermögensgegenstand in der Zeit vom 30. Januar 1933 bis zum 8. Mai 1945 veräußert hat, der zu einem von den Nationalsozialisten kollektiv verfolgten Personenkreis gehörte. Einer solchen kollektiven Verfolgung waren ab dem Tage der „Machtübernahme” alle Juden, also auch die Rechtsvorgänger der Beigeladenen, ausgesetzt. Die damit zu Gunsten der Beigeladenen wirkende Vermutung eines verfolgungsbedingten Vermögensverlustes kann, wenn keine anderen Tatsachen eine ungerechtfertigte Entziehung beweisen oder für eine solche Entziehung sprechen, nur durch den Beweis widerlegt werden, dass der Veräußerer einen angemessenen Kaufpreis erhalten hat und über ihn frei verfügen konnte (Art. 3 Abs. 2 REAO).
Das Verwaltungsgericht hat mit einer rechtsfehlerhaften Begründung angenommen, der vereinbarte Kaufpreis sei nicht angemessen gewesen.
1. Nach der Legaldefinition des Art. 3 Abs. 2 REAO ist als angemessener Kaufpreis ein Geldbetrag anzusehen, den ein Kauflustiger zu zahlen und ein Verkaufslustiger anzunehmen bereit gewesen wäre. Damit ist der Sache nach der objektive Verkehrswert angesprochen. Dieser Verkehrswert ist zwar in erster Linie anhand konkreter Vergleichsverkäufe oder eines Sachverständigengutachtens zu ermitteln. Aus Gründen der Vereinfachung sind die Tatsachengerichte aber nicht gehindert, auf den damaligen Einheitswert des Grundstücks als Indiz abzustellen. Er bildet regelmäßig die unterste Grenze des Verkehrswerts. Diese allgemeine Erfahrungstatsache kann sich das Tatsachengericht schon dann zunutze machen, wenn die vereinbarte Gegenleistung den Einheitswert unterschritt, und nicht erst dann, wenn sich der Verkehrswert anders nicht mehr ermitteln lässt (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. August 2000 – BVerwG 7 C 85.99 – Buchholz 428 § 1 Abs. 6 VermG Nr. 7).
Die allgemeine Erfahrungstatsache, dass der Verkehrswert eines Grundstücks den festgesetzten Einheitswert nicht unterschritt, kann durch Tatsachen erschüttert sein, aufgrund deren ein anderer Ablauf als der erfahrungsgemäß anzunehmende ernsthaft in Betracht kommt. Solche Tatsachen lagen hier vor. Dies hat das Verwaltungsgericht verkannt.
Der zum 17. September 1933 festgestellte Einheitswert für das bebaute Grundstück war nur mit dem Wert angesetzt, mit dem der Grund und Boden allein zu bewerten gewesen wäre, wie sich aus dem Ergänzungsblatt zu dem Einheitswertbogen ergibt. In dieser Weise war der Einheitswert für bebaute Grundstücke nach dem hier einschlägigen § 56 Abs. 2 des Reichsbewertungsgesetzes vom 22. Mai 1931 (RBewG 1931, RGBl I S. 222) dann festzustellen, wenn die an sich vorgeschriebene Bewertung mit dem gemeinen Wert oder dem Ertragswert zu einem Einheitswert führte, der geringer war als der Wert, mit dem der Grund und Boden allein zu bewerten gewesen wäre. Diese Art der Festsetzung des Einheitswertes erschüttert die Vermutung, die sonst den Schluss von dem Einheitswert auf die untere Grenze des Verkehrswerts zulässt.
Die Einheitswerte haben einen Aussagegehalt für den Verkehrswert, weil sie regelmäßig an Faktoren ausgerichtet sind, die im Verkaufsfalle ebenfalls preisbildend berücksichtigt zu werden pflegen. Wird ein bebautes Grundstück nur nach dem Wert des Grund und Bodens bewertet, sind bei der Bewertung die Gebäude und der Ertrag nicht berücksichtigt, der sich aus deren Nutzung ziehen lässt. Im Verkaufsfalle wird aber der Preis gerade unter Berücksichtigung der Gebäude gebildet, weil diese die wirtschaftliche Ausnutzung des Grundstücks bestimmen. Der hier festgesetzte Einheitswert berücksichtigt mithin einen Umstand nicht, der für die Preisbildung im Verkaufsfalle von wesentlicher Bedeutung ist. Der Kaufpreis für das bebaute Grundstück kann die Bewertung des Grundstücks allein mit dem Wert des Grund und Bodens unterschreiten. Das aufstehende Gebäude kann zum einen wegen seines Zustandes nicht mehr nutzbar sein. Das Grundstück hat dann trotz vorhandener Bebauung nur den Wert eines Baugrundstücks, ist aber wegen der erforderlichen Abbruchkosten weniger wert als ein freigelegtes Baugrundstück. Zum anderen geht in die Bewertung des Grund und Bodens dessen abstrakte bauliche Ausnutzbarkeit ein. Bleibt die konkret vorhandene Bebauung weit hinter der abstrakten baulichen Ausnutzbarkeit zurück, wird sich diese und damit der Wert des Bodens nur im Falle einer Neubebauung realisieren lassen. Auch dann kann unter Umständen wegen der Mindernutzung des Grundstücks bei dessen Verkauf nur ein Preis erzielt werden, der von einem Baugrundstück ausgeht, das zu seiner angemessenen baulichen Nutzung zunächst freigelegt werden muss. Zum dritten kann der Kaufpreis für das bebaute Grundstück den Wert des Grund und Bodens unterschreiten, wenn die aufstehende Bebauung wirtschaftlich nicht rentabel nutzbar ist. § 56 Abs. 2 RBewG 1931 ist Ausdruck einer als möglich angesehenen Entwicklung, bei der im Einzelfall der Verkehrswert eines bebauten Grundstücks oder dessen Ertragswert unter den Wert für den Grund und Boden absinkt. Eine solche Möglichkeit war in der hier in Rede stehenden Zeit nicht auszuschließen. Infolge der Weltwirtschaftskrise, aber auch der gesetzlichen Reglementierung der Miethöhe war mit der Vermietung von Wohnraum, aber insbesondere von Gewerberaum nur noch schwer eine auskömmliche Rendite zu erzielen. Die Preise für bebaute Grundstücke, insbesondere für gewerblich genutzte Grundstücke hatten einen Tiefststand erreicht.
Ist der Einheitswert nur mit dem Wert angesetzt, mit dem Grund und Boden allein zu bewerten wären, müssen danach stets die Verhältnisse des konkreten Grundstücks und die Gründe betrachtet werden, aufgrund derer im Einzelfall diese Art der Festsetzung des Einheitswerts geboten war. Nicht möglich ist eine davon unabhängige Aussage des Inhalts, dass auch der nur mit dem Wert des Grund und Bodens angesetzte Einheitswert für ein bebautes Grundstück stets die untere Grenze des Verkehrswerts bildet. Derartige Überlegungen hat das Verwaltungsgericht nicht angestellt. Ebenso wenig hat es berücksichtigt, dass der Einheitswert erst nachträglich für den Zeitpunkt 17. September 1933 festgestellt worden ist, dabei aber möglicherweise die Bodenpreise des Jahres 1935 zugrunde gelegt worden sind, wie dem Zusatzblatt zum Einheitswertbogen zu entnehmen sein dürfte. Die Bodenpreise des Jahres 1935 können aber durch das Ansteigen der Bodenpreise nach Überwindung der Weltwirtschaftskrise beeinflusst sein und spiegeln dann nicht einmal den Wert des Grund und Bodens zum Verkaufszeitpunkt wider.
2. Das Verwaltungsgericht konnte seine Entscheidung nicht darauf stützen, der vereinbarte Kaufpreis von 195 000 RM sei auch dann unangemessen, wenn nicht auf den festgestellten Einheitswert als Untergrenze des Verkehrswerts abgestellt werde, sondern auf den Verkehrswert von 208 000 RM, den die Sachverständige S. ermittelt habe. Auch mit dieser Begründung verletzt das angefochtene Urteil Bundesrecht.
Die nachträgliche Ermittlung des angemessenen Verkaufswerts durch Sachverständige unterliegt naturgemäß Schwierigkeiten. Eine exakte Feststellung des angemessenen Preises ist schwerlich möglich. Für seine Ermittlung sind alle Umstände zu berücksichtigen, die den Preis beeinflussen. Neben dem Zeitpunkt des Verkaufs gehören dazu insbesondere Lage, Art und Beschaffenheit des Objekts. Naturgemäß kann keine Genauigkeit im Sinne mathematischer Sicherheit gewonnen werden (BVerwG, Urteil vom 24. Februar 1999 – BVerwG 8 C 15.98 – BVerwGE 108, 301, 306). Die Schätzung des Verkehrswerts durch Sachverständige wird vielmehr regelmäßig nur eine Bandbreite erfassen, innerhalb der sich der angemessene Kaufpreis bewegt. In der Rechtsprechung zum Rückerstattungsrecht war deshalb zur Sicherheit eine Toleranzgrenze anerkannt. Die Angemessenheit des Kaufpreises wurde nicht infrage gestellt, wenn der gezahlte Kaufpreis geringfügig unterhalb des Verkehrswertes lag, den ein Sachverständiger geschätzt hatte (ORG Berlin, RZW 1960, 157). Insoweit wurde ein Abzug bis 10 % des Verkehrswertes zugebilligt (ORG Berlin, RZW 1962, 255). Bei der Auslegung des § 1 Abs. 6 VermG müssen die alliierten Rückerstattungsregelungen und die hierzu ergangene Rechtsprechung herangezogen werden (BVerwG, Urteil vom 22. Februar 2001 – BVerwG 7 C 12.00 – BVerwGE 114, 68 = VIZ 2001, 438). Wird eine Toleranzgrenze von 10 v.H. auf den geschätzten Verkehrswert von 208 000 RM angewandt, liegt der vereinbarte Kaufpreis von 195 000 RM noch innerhalb eines tolerablen Abstands zu dem geschätzten Verkehrswert.
Allerdings kann auch nicht umgekehrt mit dieser Begründung bereits abschließend angenommen werden, der Rechtsvorgänger der Kläger habe für das Grundstück einen angemessenen Kaufpreis gezahlt. Dies setzte voraus, dass die Sachverständige S. den Verkehrswert des Grundstücks mit 208 000 RM zutreffend ermittelt hat. Hieran hat das Verwaltungsgericht Zweifel geäußert, denen es nicht nachgegangen ist. Zudem hat das Verwaltungsgericht nach Vorlage der Wertermittlung der Sachverständigen S. die mündliche Verhandlung nicht wieder eröffnet. Dadurch hat es den Beigeladenen die Möglichkeit genommen, ihre Einwände gegen die Richtigkeit der Wertermittlung in der Tatsacheninstanz vorzutragen. Dies schließt es aus, die Wertermittlung der Sachverständigen S. im Revisionsverfahren zulasten der Beigeladenen zu verwerten.
Aus demselben Grund kann die Angemessenheit des Kaufpreises nicht mit Blick auf den Verkehrswert von 177 572,50 RM angenommen werden, den die Sachverständige S. alternativ angenommen hat. Die Ermittlung dieses Verkehrswertes hat das Verwaltungsgericht zudem methodisch und inhaltlich nicht für plausibel gehalten, ohne dass diese Würdigung revisionsrechtlich zu beanstanden ist. Das Gericht war nicht verpflichtet, die Sachverständige hierzu zu hören und ihr Gelegenheit zu ergänzenden Erläuterungen zu geben. Denn die methodische Unhaltbarkeit der Wertermittlung lag, was diesen Verkehrswert anlangt, auf der Hand. Die Sachverständige hatte den Taxationsunterlagen im Stadtarchiv L. entnommen, dass das streitige Grundstück 1931 mit einem Wert von 323 000 RM eingeschätzt worden war. Der Einheitswert des Grundstücks betrug seinerzeit 441 672 RM. Die Sachverständige hat dieses Verhältnis von Einheitswert und geschätztem Verkehrswert auf den maßgeblichen Stichtag Dezember 1933 übertragen und aus dem für diese Zeit festgesetzten Einheitswert von 243 250 RM mit Hilfe der Verhältniszahl 0,73 einen Verkehrswert von 177 572,50 RM angenommen. Die Sachverständige schreibt damit ein zu einem bestimmten Zeitpunkt mehr oder weniger zufällig bestehendes Verhältnis von Einheitswert zu Verkehrswert fort, ohne Rücksicht auf die spätere Neufestsetzung des Einheitswerts und die Gründe hierfür.
Weil die Revisionen bereits aus diesen Gründen Erfolg haben, bedarf es keiner Entscheidung, ob die ferner erhobenen Verfahrensrügen begründet sind.
3. Für die erneute Verhandlung der Sache weist der Senat auf Folgendes hin:
Das Verwaltungsgericht hat nicht unter Verletzung von Bundesrecht einen zu niedrigen Kaufpreis zugrunde gelegt. Dem vereinbarten Kaufpreis waren nicht die Nebenkosten hinzuzurechnen, die der Käufer nach dem Kaufvertrag zu tragen hatte. Solche Kosten sind entgegen der Auffassung des Klägers zu 4 im Rückerstattungsrecht bei der Beurteilung der Angemessenheit der Gegenleistung nicht als Leistung des Käufers an den Verkäufer berücksichtigt worden. Die von ihm erwähnten Entscheidungen geben hierfür nichts her, jedenfalls nicht in dieser Allgemeinheit. Das ORG Berlin (Band 9 der Entscheidungssammlung S. 138, 143 f.) weist im Gegenteil darauf hin, es habe eine allgemeine Übung bestanden, dass der Käufer die Grunderwerbssteuer trage und diese deshalb nicht zum Kaufpreis gehöre. Sie sei danach der vom Käufer zu erbringenden Gegenleistung nur dann hinzuzurechnen, wenn der Verkäufer im Kaufvertrag ausdrücklich die Grunderwerbssteuer übernommen habe, diese aber dennoch vom Käufer gezahlt worden sei.
Ob bei der Beurteilung der Angemessenheit der Gegenleistung bei einem Grundstücksverkauf in Zeiten einer Geldknappheit eine Zahlung des Kaufpreises in bar zu berücksichtigen ist, wie der Kläger zu 4 meint, bedarf weiterer Klärung. Es käme darauf an, ob der Grundstücksmarkt mit einem Preisnachlass gegenüber dem Verkehrswert reagiert hat, wenn der Kaufpreis bar beglichen wurde, weil dies ein ungewöhnlicher Umstand war, der deshalb bei heranzuziehenden Vergleichsverkäufen nicht berücksichtigt war. Im Übrigen ist im konkreten Fall der Kaufpreis nur zu einem Teil in bar entrichtet worden. Zu weit mehr als der Hälfte ist der Kaufpreis durch Verrechnung mit bestehenden Grundpfandrechten beglichen worden.
Zu Recht hat das Verwaltungsgericht bei der Beurteilung der Angemessenheit des erzielten Kaufpreises nicht gesondert den Umstand in Ansatz gebracht, dass das Grundstück mit der Gebäudeentschuldungssteuer belastet war. Die Belastung eines Grundstücks mit der Gebäudeentschuldungssteuer bestimmt den Verkehrswert eines Grundstücks zwar mit. Bei der Preisgestaltung spielt der erwartete Ertrag und damit auch eine diesen mindernde Belastung eine erhebliche Rolle (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. März 1987 – BVerwG 3 C 12.86 – Buchholz 427.7 § 15 RepG Nr. 15). Dies ist von Bedeutung, wenn zur Ermittlung der angemessenen Gegenleistung auf Vergleichsverkäufe zurückgegriffen wird. Bei sonst vergleichbaren Grundstücken ist der zum Vergleich herangezogene Kaufpreis nicht ohne Korrektur vergleichbar, wenn er für ein Grundstück erzielt worden ist, das anders als das in Rede stehende Grundstück mit der Gebäudeentschuldungssteuer nicht belastet war. Darf hingegen auf den festgesetzten Einheitswert als untere Grenze des Verkehrswertes zurückgegriffen werden, ist von ihm nicht die Gebäudeentschuldungssteuer korrigierend abzuziehen, um zu der „zutreffenden” Untergrenze des Verkehrswertes zu gelangen. Soweit der Einheitswert für bebaute Grundstücke nach dem Ertragswert zu bemessen war, ging die Gebäudeentschuldungssteuer in die Festsetzung des Einheitswerts ein. Bei der Ermittlung des Ertragswertes waren die Steuerlasten des Grundstücks grundsätzlich zu berücksichtigen (§ 11 Abs. 2 Satz 2 RBewG 1931). Was den Betrag der Gebäudeentschuldungssteuer anlangt, möchte der Kläger zu 4 zudem systemwidrig den Abgeltungsbetrag dieser Steuer in Abzug bringen; der Abgeltungsbetrag lastete erst seit 1942 mit dem Wegfall der Gebäudeentschuldungssteuer auf dem Grundstück.
Unterschriften
Gödel, Kley, Herbert, Postier, Neumann
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 17.01.2002 durch Schröter Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
NWB 2002, 1686 |
BuW 2002, 654 |