Entscheidungsstichwort (Thema)
Rückübereignung. Zweckfortfall, nachträglicher. Eigentumsgarantie. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Gesamtrechtsnachfolge. Zweckbindung der Enteignung
Leitsatz (amtlich)
§ 57 Abs. 1 Satz 1 LBeschG begründet einen Anspruch auf Rückübereignung des für Aufgaben der Verteidigung enteigneten Grundstücks auch in den Fällen, in denen die den Enteignungszweck verwirklichende (militärische) Nutzung aufgenommen, später aber wieder aufgegeben worden ist.
Den Anspruch auf Rückübereignung nach § 57 Abs. 1 Satz 1 LBeschG hat der Gesamtrechtsnachfolger (hier: Erbe) des enteigneten ursprünglichen Eigentümers auch dann, wenn die militärische Nutzung des Grundstücks erst nach Eintritt der Gesamtrechtsnachfolge aufgegeben worden ist.
Normenkette
LBeschG § 57; GG Art. 14
Verfahrensgang
VGH Baden-Württemberg (Urteil vom 25.02.1997; Aktenzeichen 10 S 1782/96) |
VG Karlsruhe (Entscheidung vom 09.05.1996; Aktenzeichen 9 K 2571/94) |
Tenor
Das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 25. Februar 1997 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlußentscheidung vorbehalten.
Tatbestand
I.
Der Kläger ist Alleinerbe seiner 1985 verstorbenen Großmutter. Er begehrt die Rückübereignung von Grundstücksteilflächen, die ehemals Eigentum seiner Großmutter waren und dieser 1965 zum Zweck militärischer Nutzung durch die amerikanischen Streitkräfte nach dem Landbeschaffungsgesetz gegen Geldentschädigung zugunsten der beigeladenen Bundesrepublik Deutschland enteignet wurden. Diese Teilflächen wurden zusammen mit anderen, ebenfalls enteigneten Grundstücksteilen in der Folgezeit militärisch (als Raketen-Kontrollstation) genutzt. 1987 teilten die amerikanischen Streitkräfte der Beigeladenen mit, daß die entsprechende Liegenschaftsüberlassungsvereinbarung zum 1. Mai 1988 aufgehoben werde.
Im Oktober 1991 wies das Bundesvermögensamt den Kläger auf den Wegfall der militärischen Nutzung und auf die Möglichkeit eines Rückübereignungsverfahrens hin. Daraufhin beantragte der Kläger im September 1992 die Rückenteignung der seiner Großmutter enteigneten Teilflächen. Das beklagte Land lehnte diesen Antrag ab und wies den Widerspruch des Klägers mit der Begründung zurück, dem Kläger fehle die Antragsbefugnis, da nach § 57 Abs. 1 LBeschG nur der enteignete frühere Eigentümer, nicht aber dessen Rechtsnachfolger die Rückübereignung beanspruchen könne.
Das Verwaltungsgericht hat den Beklagten unter Aufhebung seiner entgegenstehenden Bescheide verpflichtet, eine Teilfläche an den Kläger zurückzuübereignen und hinsichtlich der weiteren Teilflächen den Rückübereignungsantrag erneut zu bescheiden; im übrigen hat es die Klage abgewiesen. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und auf die Berufung des Beklagten die Klage in vollem Umfang abgewiesen (VBlBW 1997, 433):
Ein eigenständiges, nicht vom früheren Eigentümer abgeleitetes Antragsrecht stehe dem Kläger bereits nach dem klaren Wortlaut des § 57 Abs. 1 LBeschG nicht zu. Nach dieser Vorschrift könne nur „der enteignete frühere Eigentümer” die Rückenteignung verlangen. Der Umstand, daß Absatz 5 der Vorschrift den Rechtsnachfolger des früheren Eigentümers ausdrücklich nenne, spreche dagegen, den Rechtsnachfolger auch in Absatz 1 „hineinzulesen”; die unterschiedliche Formulierung des Gesetzes sei auch inhaltlich gerechtfertigt. Für eine erweiternde Auslegung von § 57 Abs. 1 LBeschG sei auch im Hinblick auf Art. 14 GG kein Raum. Das Landbeschaffungsgesetz räume dem früheren Eigentümer nicht nur bei fehlender Realisierung des Enteignungszwecks, sondern auch bei Wegfall des Enteignungszwecks nach seiner Verwirklichung einen Rückübertragungsanspruch ein und gehe damit bereits über das nach Art. 14 GG Gebotene hinaus. Verfassungsrecht verlange daher erst recht nicht die Erweiterung einer solchen Rückübertragungsposition auf Gesamtrechtsnachfolger früherer Eigentümer.
Dem Kläger stehe auch kein im Wege der Erbfolge abgeleiteter Rückübereignungsanspruch aus § 57 Abs. 1 LBeschG zu. Zwar sei dieser Anspruch grundsätzlich vererblich, doch habe der früheren Eigentümerin ein solches Recht bis zu ihrem Tode nicht zugestanden. Der Wegfall des Enteignungszwecks setze die ausdrückliche förmliche Dokumentierung, eine rechtliche „Entwidmung”, durch den bisherigen Nutzer voraus. Aus der „Freigabeerklärung” der US-Streitkräfte vom 1. Juli 1987 ergebe sich, daß der Enteignungszweck erst zum 1. Mai 1988 und damit nach dem Tod der früheren Eigentümerin entfallen sei. Schließlich habe die frühere Eigentümerin zu Lebzeiten auch keinen durch den zukünftigen Wegfall des Enteignungszwecks bedingten Rückübereignungsanspruch oder eine hierauf gerichtete Anwartschaft besessen, die sie ihrerseits an den Kläger hätte vererben können.
Mit der vom Senat zugelassenen Revision wendet sich der Kläger vor allem gegen die Auffassung des Berufungsgerichts, § 57 Abs. 1 LBeschG verleihe ihm als Alleinerben der früheren Eigentümerin keinen eigenen (originären) Anspruch auf Rückübereignung. Ergänzend erhebt der Kläger Verfahrensrügen. Er beantragt, das Berufungsurteil aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, die enteigneten Teilflächen an den Kläger zurückzuübereignen. Der Beklagte beantragt die Zurückweisung der Revision. Er und die Beigeladene verteidigen das Berufungsurteil.
Der Oberbundesanwalt hat sich am Verfahren beteiligt; er hält das Berufungsurteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision des Klägers ist begründet. Das Berufungsurteil verletzt Bundesrecht.
Nach § 57 Abs. 1 Satz 1 LBeschG kann der enteignete frühere Eigentümer verlangen, daß das nach den Vorschriften dieses Gesetzes enteignete Grundstück zu seinen Gunsten wieder enteignet wird, wenn das Grundstück nicht mehr für Aufgaben im Sinne des § 1 LBeschG benötigt wird oder mit der Ausführung des Vorhabens, dessentwegen das Grundstück enteignet wurde, nicht binnen zweier Jahre, nachdem der Enteignungsbeschluß unanfechtbar geworden ist, begonnen wurde. Der Rückerwerbstatbestand der ersten Alternative ist hier erfüllt. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts kann der Kläger auch aus eigenem Recht anspruchsberechtigt sein. Dem früheren Eigentümer steht sein Gesamtrechtsnachfolger (Alleinerbe) gleich. Eine abschließende Sachentscheidung ist dem Revisionsgericht wegen fehlender tatsächlicher Feststellungen nicht möglich.
1. Der vom Kläger rechtzeitig geltend gemachte Anspruch auf Rückübereignung findet seine Rechtsgrundlage in der ersten Rückerwerbsalternative des § 57 Abs. 1 Satz 1 LBeschG. Die enteigneten Teilflächen wurden bei Antragstellung nach langjähriger militärischer Nutzung für Aufgaben der Verteidigung „nicht mehr benötigt”.
Das Berufungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, daß dieser Rückerwerbstatbestand nicht nur die Fälle erfaßt, in denen der Zweck für die Enteignung des Grundstücks wegfällt, bevor das Grundstück dem Enteignungszweck zugeführt worden ist, sondern auch die Fälle, in denen der Enteignungszweck nachträglich entfällt, d.h. die den Enteignungszweck verwirklichende (militärische) Nutzung aufgenommen, später aber wieder aufgegeben worden ist. Diese weite Auslegung des Rückerwerbstatbestands versteht sich nicht von selbst. Zahlreiche Rückübereignungsvorschriften des geltenden Rechts (vgl. z.B. § 102 BauGB, § 19 FStrG, § 44 WaStrG, § 22 AEG, § 11 EnWG sowie die Landesenteignungsgesetze) beschränken die Rückübereignung auf die Alternative der Zweckverfehlung vor Realisierung des Enteignungsvorhabens. Bereits der Wortlaut des § 57 Abs. 1 Satz 1 LBeschG spricht allerdings dafür, daß der Gesetzgeber dem Rückerwerbstatbestand der ersten Alternative ein umfassenderes Anwendungsfeld erschließen wollte: Maßgeblich soll sein, daß das Grundstück nicht „mehr” für Aufgaben der Verteidigung benötigt wird. Das schließt Fallgestaltungen, in denen das Grundstück eine Zeitlang für die Erfüllung militärischer Zwecke gebraucht worden ist, mit ein. Der entstehungsgeschichtliche Hintergrund und die Gesetzesmaterialien bestätigen diese Wortinterpretation.
Die zwischen 1948 und 1950 erlassenen Landesgesetze zum Aufbau in den Gemeinden stimmten darin überein, daß sie dem Enteigneten einen Anspruch auf Rückübertragung des Grundstücks nur für den Fall einräumten, daß der Enteignungszweck innerhalb bestimmter Fristen nicht verwirklicht worden ist (vgl. die Aufbaugesetze für Hessen vom 25. Oktober 1948, GVBl 1948, 139; Niedersachsen vom 9. Mai 1949, GVBl 1949, 107; Nordrhein-Westfalen vom 29. April 1950, GVBl 1950, 78; Rheinland-Pfalz vom 16. August 1949, GVBl 1949, 317; Schleswig-Holstein vom 21. Mai 1949, GVBl 1949, 93; ferner das Aufbaugesetz der Hansestadt Hamburg vom 12. April 1949, GVBl 1949, 45). Ein städtebauliches Rückerwerbsrecht bei Nichtverwirklichung des Enteignungszwecks innerhalb bestimmter Fristen (jetzt § 102 BauGB) findet sich bereits in den ersten Entwürfen eines Bundesbaugesetzes, dessen Ausarbeitung in den Entstehungszeitraum des Landbeschaffungsgesetzes fällt (vgl. die Entwürfe eines BauGB in BTDrucks 2/1813 vom Oktober 1954 und 2/3028 vom Dezember 1956). Auch § 51 des Baulandbeschaffungsgesetzes vom 3. August 1953 (BGBl I S. 720) beschränkte den Anspruch auf Rückübereignung auf die Fälle, in denen erste Schritte zur Verwirklichung des Enteignungzwecks binnen festgesetzter Fristen ausgeblieben waren; ein Rückerwerbsanspruch nach Zweckverwirklichung (z.B. der Ausführung eines Wohnungsbauvorhabens) bestand nicht.
Es fällt daher ins Auge, daß § 57 Abs. 1 Satz 1 LBeschG in seiner zweiten Alternative zwar auch einen Anspruch auf Rückübereignung bei Nichtverwirklichung des Enteignungszwecks (Nichtausführung des Vorhabens binnen zweier Jahre nach Unanfechtbarkeit des Enteignungsbeschlusses) normiert und damit die Reihe der vorgenannten Regelungen eines Rückerwerbsanspruchs bei zeitlich eingegrenzter Zweckverfehlung fortsetzt, aber zugleich – und zwar an erster Stelle – einen Rückübereignungstatbestand enthält, der („nur”) voraussetzt, daß das Grundstück für den Enteignungszweck „nicht mehr benötigt wird”, und damit auf eine nähere zeitliche Eingrenzung der Anspruchsvoraussetzungen verzichtet. Angesichts der vorgenannten fristgebundenen Regelungen der Rückübereignung, die dem Gesetzgeber bei der Ausarbeitung des Landbeschaffungsgesetzes bekanntgewesen sein müssen, liegt deshalb die Annahme nahe, daß der Gesetzgeber sich in § 57 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 LBeschG unter bewußter Abweichung von den Rückerwerbsvorschriften, die kurz vor oder nach Inkrafttreten des Grundgesetzes erlassen worden waren, dafür entschieden hat, dem Rückerwerbsanspruch bei zeitlich eingegrenzter Zweckverfehlung eine Anspruchsgrundlage voranzustellen, die eine Rückübereignung auch bei Wegfall des Enteignungszwecks nach dem Beginn der bestimmungsgemäßen (militärischen) Grundstücksnutzung vorsieht.
Für dieses Auslegungsergebnis spricht schließlich auch der Verlauf der parlamentarischen Beratungen über die zehnjährige Verjährungsfrist, die nach dem Regierungsentwurf des Landbeschaffungsgesetzes vom 17. Dezember 1955 (BTDrucks 2/1977, § 55 Abs. 1) für den Anspruch auf Rückübereignung gelten sollte. Die im Gesetzgebungsverfahren eingeholte Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins vom 4. Februar 1956 enthielt den Vorschlag, die Verjährungsfrist von zehn auf dreißig Jahre zu verlängern, und führte zur Begründung dafür an, ein für einen Truppenübungsplatz enteignetes Grundstück werde vielfach zwar nicht innerhalb von zehn Jahren, wohl aber innerhalb von dreißig Jahren seiner Bestimmung wieder entfremdet werden; es bestehe kein Anlaß, die allgemeine Verjährungsfrist von dreißig Jahren hier herabzusetzen. Der Berichterstatter im zuständigen Bundestagsausschuß übernahm diesen Vorschlag und seine Begründung. Der Ausschuß sprach sich mit überwiegender Mehrheit für eine Verlängerung der „Verjährungsfrist” aus (vgl. hierzu die vom Oberbundesanwalt vorgelegte Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins mit dem Protokoll der 150. Sitzung des Bundestagsausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht vom 28. September 1956, S. 22). Hier zeigt sich deutlich, daß der Gesetzgeber die Fälle des Wegfalls des Enteignungszwecks nach Beginn der militärischen Verwendung des enteigneten Grundstücks bei der Regelung des Rückerwerbsanspruchs mitbedacht und -geregelt hat.
2. Dem Berufungsgericht ist auch darin zuzustimmen, daß dem Kläger als Gesamtrechtsnachfolger der enteigneten früheren Eigentümerin aus abgeleitetem Recht kein Anspruch auf Rückübereignung zusteht.
Der Rückerwerbstatbestand aus § 57 Abs. 1 LBeschG ist allerdings eine vererbliche Rechtsposition im Sinne von § 1922 BGB. Seine Vererblichkeit ergibt sich aus den allgemeinen Grundsätzen über die Rechtsnachfolge im öffentlichen Recht (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. April 1963 – BVerwG 8 C 216.63 – BVerwGE 16, 68 ≪69≫; Urteil vom 6. Juli 1965 – BVerwG 2 C 34.63 – BVerwGE 21, 302 ≪303≫). Danach sind vermögensrechtliche Ansprüche öffentlich-rechtlicher Natur, die nicht so höchstpersönlich sind, daß sie mit dem Tode des Berechtigten erlöschen, dem vererblichen Vermögen zuzuzählen, sofern sie in der Person des Erblassers soweit entstanden sind, daß sie seiner rechtlichen Lebenssphäre zugerechnet werden können. Ein in der Person des enteigneten früheren Eigentümers entstandener Anspruch auf Rückübereignung nach § 57 Abs. 1 LBeschG erfüllt diese Voraussetzungen; er kann wie das Eigentum selbst vererbt werden.
Ein Rückübereignungsanspruch nach der ersten Alternative von § 57 Abs. 1 Satz 1 LBeschG ist zu Lebzeiten der 1985 verstorbenen früheren Eigentümerin nicht entstanden, weil der Enteignungszweck (militärische Nutzung durch US-Streitkräfte) nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts erst am 1. Mai 1988 entfallen ist. Das Berufungsgericht setzt den Zeitpunkt, in dem die Aufhebung der Liegenschaftsvereinbarung wirksam wird, mit dem Zeitpunkt gleich, in dem die „Kontrollstation” nicht mehr für militärische Zwecke benötigt wird. Daran ist das Revisionsgericht gebunden (§ 137 Abs. 2 VwGO). Die vom Kläger hiergegen mit der Revision erhobene Aufklärungsrüge (§ 86 Abs. 1 VwGO) greift nicht durch. Sie wird schon den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO nicht gerecht; denn der Kläger legt nicht dar, aus welchem Grund es sich dem Berufungsgericht von seinem Rechtsstandpunkt aus hätte aufdrängen müssen, der Frage nach dem Zeitpunkt des Wegfalls des Verteidigungszwecks weiter nachzugehen. Im übrigen rechtfertigt der vom Kläger herangezogene Bau- und Zustandsbericht vom Januar 1987, nach dem das auf den enteigneten Teilflächen erbaute Bereitschaftsgebäude seit 1984 nicht mehr genutzt und seit 1985 nicht mehr gewartet worden sein soll, nicht die Schlußfolgerung, die Nutzung der enteigneten Teilflächen zu militärischen Zwecken sei schon seit 1984 endgültig aufgegeben worden. Dem Berufungsgericht ist daher nicht vorzuwerfen, daß es zur Frage dieses frühzeitigen Wegfalls des Verteidigungszwecks nicht – wie vom Kläger im Berufungsverfahren angeregt – den damals zuständigen Befehlshaber der US-Streitkräfte als Zeugen vernommen hat.
3. Dem Kläger kann jedoch aus eigenem (unabgeleitetem) Recht ein Anspruch auf Rückübereignung nach § 57 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 LBeschG zustehen. Das ergibt sich aus dem Normzweck, der gerade in der Erstreckung dieses Rückerwerbstatbestands auf den Zweckfortfall nach Beginn der militärischen Verwendung des enteigneten Grundstücks zum Ausdruck kommt. Mit dieser Regelung hat der Gesetzgeber den rechtlichen, politischen und technischen Rahmenbedingungen der Landbeschaffung zu Verteidigungsaufgaben, insbesondere der Zeitbedingtheit und Entwicklungsabhängigkeit der Verteidigungsplanung, Rechnung tragen wollen. Vor diesem Hintergrund stellt die erste Rückerwerbsalternative in § 57 Abs. 1 Satz 1 LBeschG eine einfachgesetzliche, auf die Besonderheiten des zu regelnden Sachbereichs zugeschnittene Ausformung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und der strikten Zweckbindung der Enteignung dar. Hierzu hat der Senat erwogen:
Das Landbeschaffungsgesetz wurde im Zuge der völkervertraglichen Einbindung der Bundesrepublik Deutschland in das westliche Bündnissystem (NATO/WEU) erlassen. Es diente (und dient) nicht nur der Landbeschaffung für die eigenen Streitkräfte, sondern auch zur Erfüllung der Verpflichtungen der Bundesrepublik aus zwischenstaatlichen Verträgen über die Stationierung und Rechtsstellung von Streitkräften auswärtiger Staaten im Bundesgebiet (vgl. § 1 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 LBeschG). Die angemessene Organisation gemeinsamer Verteidigung und die hierfür erforderlichen Vorkehrungen können erfahrungsgemäß wegen der möglichen Veränderung des außen- und verteidigungspolitischen Umfeldes, das die verbündeten Staaten umgibt, sowie angesichts des ständigen Wandels anderer sicherheitspolitisch bedeutsamer Umstände (wie der Fortentwicklung der Waffentechnik) im voraus nicht abschließend festgelegt werden. Detaillierte vertragliche Vorgaben über strategische Konzeptionen und Planungen, über Art, Umfang und Stationierung von Streitkräften und ihre Bewaffnung können sich im Hinblick auf das Ziel, Sicherheit und Frieden zu gewährleisten, immer wieder als überholt erweisen (vgl. BVerfG, Urteil vom 18. Dezember 1984 – 2 BvE 13/83 – BVerfGE 68, 1 ≪100≫ – Nachrüstung).
Eine effektive Verteidigungsplanung setzt daher auch voraus, daß der Landbeschaffungsbedarf für militärische Zwecke fortlaufend beobachtet, fortgeschrieben und ggf. wechselnden außen- und verteidigungspolitischen Lagen angepaßt wird. Bei realistischer Einschätzung mußte der Gesetzgeber deshalb bei Erlaß des Landbeschaffungsgesetzes damit rechnen, daß eine nicht unerhebliche Anzahl der enteigneten Grundstücke, die militärisch genutzt werden, früher oder später infolge unvorhersehbarer Umstände nicht mehr für Aufgaben der Verteidigung gebraucht und deshalb eher als etwa Grundstücke, die zur Erfüllung langfristiger Infrastrukturvorhaben (z.B. Straßen-, Wasserstraßen- und Eisenbahnbau) enteignet worden sind, ihrer Bestimmung wieder entfremdet zu werden pflegen. Das bereits genannte, in den parlamentarischen Beratungen über die Verjährung des Rückübereignungsanspruchs angeführte Beispiel der Aufgabe eines Truppenübungsplatzes belegt dies deutlich. Eine gesetzliche Konkretisierung haben diese Zusammenhänge im Schutzbereichgesetz vom 7. Dezember 1956 (BGBl I S. 899) gefunden, das dem Landbeschaffungsgesetz in entstehungsgeschichtlicher und funktioneller Hinsicht eng verbunden ist: Nach § 2 Abs. 4 Satz 1 SchutzbereichG hat die zuständige Behörde mindestens alle fünf Jahre zu prüfen, ob die Voraussetzungen der Anordnung eines Gebiets zum Schutzbereich (noch) vorliegen. Die Anordnung ist aufzuheben, wenn der Schutzbereich zum Schutz von Verteidigungsanlagen nicht mehr benötigt wird (§ 2 Abs. 5 SchutzbereichG).
Die Verpflichtung zum Erlaß des Landbeschaffungs- und des Schutzbereichgesetzes hatte die Bundesrepublik in Art. 37 Abs. 3 des Vertrages über die Rechte und Pflichten ausländischer Streitkräfte und ihrer Mitglieder in der Bundesrepublik Deutschland (Truppenvertrag) vom 26. Mai 1952 in der gemäß Liste II zu dem am 23. Oktober 1954 in Paris unterzeichneten Protokoll über die Beendigung des Besatzungsregimes in der Bundesrepublik Deutschland geänderten Fassung (BGBl 1955, II S. 321) übernommen. Art. 38 Abs. 4 des Truppenvertrages verpflichtete die alliierten Streitkräfte, laufend ihren Bedarf an Liegenschaften zu überprüfen, um sicherzustellen, daß dieser Bedarf auf das Mindestmaß beschränkt bleibt, das mit dem Umfang und den Pflichten der Streitkräfte vereinbar ist. Die Regelung sah ferner vor, daß Liegenschaften, die nicht mehr benötigt werden oder für die befriedigende Ersatzliegenschaften verfügbar gemacht werden, von den Streitkräften freigegeben werden. Nach Art. 38 Abs. 5 dieses Vertrages „(wird) auf die Rückgabe von Liegenschaften an Privatpersonen … besonders geachtet”. Diese Vertragsbestimmungen begründeten zwar keinen Rechtsanspruch des betroffenen Grundeigentümers auf Rückübereignung bei Wegfall des militärischen Bedarfs; dahinstehen kann, ob sie die Bundesrepublik verpflichteten, einen solchen Anspruch gesetzlich zu verankern. Die vorgenannten Bestimmungen verdeutlichen aber das Regelungsziel, das der Gesetzgeber mit der ersten Tatbestandsalternative in § 57 Abs. 1 Satz 1 LBeschG verfolgt.
Aus dieser Sicht zielt der Rückerwerbstatbestand des nachträglichen Zweckfortfalls in § 57 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 LBeschG auf eine zeitliche Begrenzung der Enteignungswirkungen, die sich nach der Eigenart des Regelungsbereichs anbietet. Ob die Eigentumsgarantie in Art. 14 Abs. 1 GG die Schaffung eines solchen Rückerwerbstatbestands im Recht der Landbeschaffung zu Zwecken der Verteidigung gebietet, kann angesichts der einfachgesetzlichen Regelung dahinstehen. Die mit ihr auf der zeitlichen Ebene konkretisierte Zweckbindung der Enteignung erweitert den Kreis der möglichen Träger eines Rückübereignungsanspruchs: Nach der zugrundeliegenden Wertung des Gesetzgebers entbehrt das Eigentum in der öffentlichen Hand für die Zukunft der Rechtfertigung (des Rechtsgrundes), wenn das Verteidigungsvorhaben, dem die Enteignung gedient hat, zunächst ausgeführt und später wieder aufgegeben wird. In diesem Fall soll die durch die Enteignung erlangte Rechtsposition der öffentlichen Hand nicht aufrechterhalten, das enteignete Grundstück nicht zurückbehalten werden. Die eingetretene Rechtsgrundlosigkeit löst den Rückerwerbsanspruch aus. Er dient nicht etwa nach der Art eines höchstpersönlichen Anspruchs dazu, den Rechtsverlust gerade des enteigneten früheren Eigentümers auszugleichen, sondern dazu, den fortdauernden Zugriff auf das Privateigentum zu beenden. Gemessen an diesem Sinn und Zweck ist § 57 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 LBeschG dahin zu verstehen, daß als Anspruchsinhaber aus eigenem Recht neben den enteigneten früheren Eigentümer sein Gesamtrechtsnachfolger (Alleinerbe) als derjenige tritt, auf den das Grundstückseigentum ohne den enteignenden Zugriff übergegangen wäre.
Diesem Auslegungsergebnis steht die Regelung in § 57 Abs. 5 LBeschG nicht entgegen, die in Satz 1 dem früheren Inhaber eines Rechts, das durch Enteignung nach den Vorschriften des Landbeschaffungsgesetzes erloschen oder entzogen worden ist, unter den in Absatz 1 der Vorschrift bezeichneten Voraussetzungen einen Anspruch auf Wiederbegründung eines gleichen Rechts an dem früher belasteten Grundstück einräumt. Für Rechte, die durch Enteignung des früher belasteten Grundstücks erloschen sind, gilt dies nach § 57 Abs. 5 Satz 2 LBeschG nur, wenn „der frühere Eigentümer oder sein Rechtsnachfolger das Grundstück zurückerhält”. Die Nennung des Rechtsnachfolgers in diesem Zusammenhang ist zwar für sich betrachtet – das ist dem Berufungsgericht einzuräumen – kein ausreichendes Argument dafür, den Rechtsnachfolger (Alleinerben) als Anspruchsberechtigten aus eigenem Recht dem enteigneten früheren Eigentümer in § 57 Abs. 1 Satz 1 LBeschG gleichzustellen. Weder die dargelegte Zielsetzung des Rückübereignungsanspruchs noch die innere Systematik und Konsistenz von § 57 LBeschG sprechen jedoch dagegen, anknüpfend an die Auslegung von Absatz 1 unter Rechtsnachfolger im Sinne von Abs. 5 Satz 2 auch den Gesamtrechtsnachfolger (Alleinerben) zu verstehen, der die Rückübereignung des Grundstücks aus eigenem Recht betrieben hat.
Soweit der Beklagte und der Oberbundesanwalt diesem Ergebnis mit Hinweisen auf die Gesetzesmaterialien entgegentreten, überzeugen ihre Einwände nicht. Der Deutsche Anwaltverein hatte zwar in seiner bereits erwähnten Stellungnahme vom 4. Februar 1956 vorgeschlagen, die Regelung über die Rückenteignung im Regierungsentwurf eines Landbeschaffungsgesetzes dahin zu ergänzen, daß der Anspruch auf Rückübereignung „dem Rechtsnachfolger (Gesamtrechtsnachfolger) des früheren Eigentümers” zustehe. Der Eigentümer und sein Gesamtrechtsnachfolger sollten ferner berechtigt sein, das Rückenteignungsrecht bei einer Veräußerung des durch die Enteignung betroffenen Betriebes oder im Wege letztwilliger Verfügung auf einen Dritten zu übertragen. Diese Vorschläge haben keinen Eingang in die endgültige Gesetzesfassung gefunden. Das rechtfertigt jedoch nicht die Schlußfolgerung, der Gesetzgeber habe den Gesamtrechtsnachfolger als Anspruchsinhaber aus eigenem Recht aus dem Kreis der Anspruchsberechtigten ausschließen wollen. Die Gründe, die den Gesetzgeber bewogen haben, den Ergänzungsvorschlägen des Anwaltvereins nicht zu folgen, sind nicht mehr aufzuklären. Möglicherweise hat der Gesetzgeber den ersten Ergänzungsvorschlag seinem Inhalt nach als selbstverständlich und den zweiten, der die rechtsgeschäftliche Übertragung des Rückenteignungsanspruchs betrifft, als zu weitgehend angesehen.
4. Die tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts reichen für die abschließende Entscheidung darüber, ob dem Kläger der geltend gemachte Anspruch auf Rückübereignung zusteht, nicht aus. Das Berufungsgericht hat – von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig – nicht aufgeklärt, ob ein Ablehnungsgrund im Sinne von § 57 Abs. 3 LBeschG eingreift. Nach dieser Vorschrift kann die Enteignungsbehörde die Rückübereignung u.a. ablehnen, wenn das Grundstück erheblich verändert worden ist. Liegt ein Ablehnungsgrund vor, hat die Behörde nach pflichtgemäßem Ermessen über die Einleitung eines Rückübereignungsverfahrens zu entscheiden. Ob die die enteigneten Teilflächen betreffenden Grenzveränderungen, ihre Bebauung und die Errichtung eines befestigten Dammes auf diesen Flächen eine „erhebliche” Veränderung im Sinne dieser Vorschrift darstellen, ist nur aufgrund genauerer Kenntnis der tatsächlichen Verhältnisse an Ort und Stelle zu entscheiden. Diese zu ermitteln und zu bewerten, ist Aufgabe des Berufungsgerichts. Die Sache ist deshalb zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
Unterschriften
Gaentzsch, Hien, Lemmel, Halama, Rojahn
Fundstellen
NJW 1999, 1272 |
BVerwGE, 196 |
NVwZ 1999, 522 |
DÖV 1999, 210 |
NuR 1999, 211 |
VBlBW 1999, 90 |
ZfBR 1999, 112 |
DVBl. 1999, 236 |
UPR 1999, 106 |