Entscheidungsstichwort (Thema)
Erstplanungspflicht der Gemeinde. Planungsgebot. großflächiger Einzelhandel. interkommunales Abstimmungsgebot. Ziele der Raumordnung. Zentrale-Orte-System. Kommunalaufsicht
Leitsatz (amtlich)
- § 1 Abs. 3 BauGB kann Rechtsgrundlage einer gemeindlichen Erstplanungspflicht im unbeplanten Innenbereich sein. Das Planungsermessen der Gemeinde verdichtet sich zur strikten Planungspflicht, wenn qualifizierte städtebauliche Gründe von besonderem Gewicht vorliegen. Das interkommunale Abstimmungsgebot kann einen qualifizierten städtebaulichen Handlungsbedarf begründen.
- § 1 Abs. 4 BauGB begründet eine gemeindliche Erstplanungspflicht, wenn die Verwirklichung von Zielen der Raumordnung bei Fortschreiten einer “planlosen” städtebaulichen Entwicklung auf unüberwindbare tatsächliche oder rechtliche Hindernisse stoßen oder wesentlich erschwert würde.
- Die eine Erstplanungspflicht auslösenden Tatbestände des § 1 Abs. 3 und 4 BauGB stehen infolge ihrer unterschiedlichen Zweckrichtung nicht in einem Rangverhältnis; sie können jeweils allein oder nebeneinander zur Anwendung kommen.
- Die Durchsetzung einer gemeindlichen Planungspflicht aus § 1 Abs. 3 BauGB mit den Mitteln der Kommunalaufsicht ist mit Bundesrecht vereinbar.
Normenkette
BauGB § 1 Abs. 3-4, § 2 Abs. 2, § 34; BauNVO § 11 Abs. 3; ROG § 3 Nr. 2
Verfahrensgang
OVG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 19.07.2001; Aktenzeichen 1 A 10168/01) |
VG Koblenz (Entscheidung vom 16.11.2000; Aktenzeichen 1 K 136/00.KO) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 19. Juli 2001 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
I.
Die klagende Stadt wendet sich gegen die kommunalaufsichtliche Anordnung des Beklagten, für den im unbeplanten Innenbereich innerhalb ihrer Grenzen entstandenen “Gewerbepark Mülheim-Kärlich” einen Bebauungsplan aufzustellen.
Das Stadtgebiet der Klägerin liegt in einem hochverdichteten Ballungsraum, der die Städte Andernach und Neuwied, Koblenz und Lahnstein umfasst. Der umstrittene Gewerbepark liegt an der nordwestlichen Grenze von Koblenz. Die Landesplanung weist den Städten Andernach, Neuwied und Lahnstein die Funktion von Mittelzentren im Grundnetz und der Stadt Koblenz die Funktion eines Oberzentrums zu. Die Klägerin nimmt nach den Festlegungen des regionalen Raumordnungsplans Mittelrhein-Westerwald die Funktion eines Zentrums der Grundversorgung wahr.
Die Ansiedlung von Einzelhandelsbetrieben in dem “Gewerbepark” geschah zunächst auf der Grundlage von zwei Bebauungsplänen, die den Bereich im Wesentlichen als Industrie- und Gewerbegebiet auswiesen. Anfang der neunziger Jahre stellte das Verwaltungsgericht Koblenz im Rahmen einer inzidenten Normenkontrolle u.a. fest, dass einer dieser Bebauungspläne abwägungsfehlerhaft und rechtswidrig sei, weil er die Zentrumsfunktionen der benachbarten Städte Koblenz, Andernach und Neuwied nicht ausreichend berücksichtige. Zuvor hatte es bereits aus diesem Grund Zweifel an der Rechtmäßigkeit des anderen Plans geäußert. Die Bemühungen aller Beteiligten, die dadurch entstandene Situation bauleitplanerisch “zu bereinigen”, blieben letztlich erfolglos. Die Klägerin beschloss zwar wiederholt die Aufstellung eines Bebauungsplans für das Gebiet des “Gewerbeparks” sowie den Erlass einer Veränderungssperre. Diese Beschlüsse hob die Klägerin jedoch selbst nach einiger Zeit wieder auf. In den Zeiten, in denen keine Veränderungssperre bestand, wurde die Ansiedlung weiterer, insbesondere großflächiger Einzelhandelsbetriebe auf der Grundlage von § 34 BauGB genehmigt. 1996 beliefen sich die Einzelhandelsverkaufsflächen im “Gewerbepark” auf insgesamt 120 000 qm. Im November 1997 hob die Klägerin den 1996 gefassten Beschluss zur Aufstellung eines Bebauungsplans für den Gewerbepark sowie (wegen verwaltungsgerichtlich festgestellter Mängel) die 1996 beschlossene Veränderungssperre auf. Zu diesem Zeitpunkt lagen Bauanfragen für zwei weitere SB-Warenhäuser (30 600 und 11 000 qm) vor. Außerdem wurden Bauvoranfragen für verschiedene Einzelhandelsprojekte (insgesamt etwa 8 000 qm) sowie für zehn große Verkaufshallen gestellt.
Vor diesem Hintergrund ordnete der Beklagte mit Verfügung vom 18. November 1997 im Wege der Kommunalaufsicht an, dass die Klägerin binnen zwei Wochen ab Vollziehbarkeit der Anordnung die Aufstellung eines Bebauungsplans für den Bereich des “Gewerbeparks Mülheim-Kärlich” beschließt, um die bauliche Entwicklung entsprechend den Zielen der Raumordnung und Landesplanung zu steuern und den städtebaulichen Belangen der benachbarten zentralen Orte sowie dem interkommunalen Abstimmungsgebot Rechnung zu tragen. Der Klägerin wurde ferner aufgegeben, eine Veränderungssperre für Vorhaben zu erlassen, welche die Errichtung und Änderung von Einzelhandelsbetrieben oder die Nutzungsänderung im Einzelhandel betreffen, und bis zum In-Kraft-Treten der Veränderungssperre Anträge auf Zurückstellung entsprechender Bauanträge und Bauvoranfragen zu stellen. Das Planungsgebot und die Pflicht zur Sicherung der Planung stützte der Beklagte auf § 1 Abs. 3 und 4 BauGB. Er ordnete zugleich die sofortige Vollziehung der Verfügung an und drohte für den Fall des fruchtlosen Fristablaufs die kommunalaufsichtliche Ersatzvornahme an.
Widerspruch, Anfechtungsklage und Berufung der Klägerin blieben erfolglos. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung der Klägerin im Wesentlichen mit folgender Begründung zurückgewiesen: Die Klägerin sei ihrer Planungspflicht aus § 1 Abs. 3 BauGB und dem interkommunalen Abstimmungsgebot des § 2 Abs. 2 BauGB nicht nachgekommen. Die massive Vergrößerung der Einzelhandelsverkaufsflächen im “Gewerbepark” habe einen Verdrängungswettbewerb ausgelöst und bereits 1996 zu einem deutlichen Kaufkraftabfluss aus benachbarten Gemeinden in den “Gewerbepark”, insbesondere zum Nachteil der Stadt Andernach, geführt. Im November 1997 habe eine weitere gravierende Verschlechterung der Situation unmittelbar bevorgestanden. Ziel der Anordnung sei es, durch “Ziehen der Notbremse” das auf der “grünen Wiese” entstandene “Einkaufszentrum” in geordnete Bahnen zu lenken. Die Klägerin habe durch bewusste planerische Untätigkeit eine weitere Schädigung der Nachbarkommunen in Kauf genommen, um möglicherweise drohenden Ersatzansprüchen wegen Planungsschäden zu entgehen. Die Planungspflicht der Klägerin könne mit den Mitteln der Kommunalaufsicht durchgesetzt werden. Zu Recht habe der Beklagte die Planungspflicht der Klägerin auch auf § 1 Abs. 4 BauGB und die Funktionszuweisungen im Zentrale-Orte-System des Landesentwicklungsplans III gestützt. Der Ansicht der Klägerin, dass diese Planungspflicht nicht im Wege der Kommunalaufsicht, sondern nur von der obersten Landesplanungsbehörde auf der Grundlage des Landesplanungsgesetzes durchgesetzt werden dürfe, sei nicht zu folgen. Dies bedürfe jedoch keiner abschließenden Klärung, weil die Anordnung bereits aus einem anderen Grund rechtmäßig sei.
Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Anfechtungsbegehren weiter. Sie rügt die Verletzung des § 1 Abs. 3 und 4 BauGB: Das Planungsgebot werde ausschließlich raumordnerisch begründet. Eine Planungspflicht zur Sicherung raumordnerischer Ziele lasse sich weder aus § 1 Abs. 3 BauGB noch aus § 2 Abs. 2 BauGB ableiten. Städtebauliche Gründe für die Aufstellung eines Bebauungsplans lägen nicht vor. § 1 Abs. 4 BauGB scheide als Grundlage einer Erstplanungspflicht ebenfalls aus. Erstplanungspflichten seien auch mit Art. 28 Abs. 2 GG nicht vereinbar.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist zulässig, aber nicht begründet. Das Berufungsurteil steht mit Bundesrecht in Einklang. Das Berufungsgericht hat zu Recht entschieden, dass die Klägerin gemäß § 1 Abs. 3 und 4 BauGB verpflichtet ist, einen Bebauungsplan für den auf ihrem Gebiet entstandenen “Gewerbepark” aufzustellen.
1. Die umstrittene Anordnung findet ihre gesetzliche Grundlage zunächst in § 1 Abs. 3 BauGB. Nach dieser Vorschrift haben die Gemeinden die Bauleitpläne aufzustellen, sobald und soweit es für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung erforderlich ist.
1.1 Die prinzipielle Begründung einer Planungspflicht aus § 1 Abs. 3 BauGB hat bei dem der Gemeinde eingeräumten Planungsermessen einzusetzen. § 1 Abs. 3 BauGB ist systematisch und inhaltlich eng mit Absatz 1 der Vorschrift, der die allgemeine Aufgabe der Bauleitplanung umschreibt, und mit § 2 Abs. 1 Satz 1 BauGB verbunden, der die Bauleitplanung den Gemeinden zur eigenen Verantwortung überweist. § 1 Abs. 3 BauGB setzt voraus, dass der Gemeinde mit der Planungsbefugnis zugleich ein Planungsfreiraum eingeräumt wird (vgl. bereits BVerwG, Urteil vom 12. Dezember 1969 – BVerwG 4 C 105.66 – BVerwGE 34, 301 ≪304≫). Das Planungsermessen der Gemeinde umfasst neben dem “Wie” auch das “Ob” und “Wann” planerischer Gestaltung; Planungsermessen bedeutet Entschließungs- und Gestaltungsermessen. Grundsätzlich bleibt es der Einschätzung der Gemeinde überlassen, ob sie einen Bebauungsplan aufstellt, ändert oder aufhebt. Maßgebend sind ihre eigenen städtebaulichen Vorstellungen (stRspr; zuletzt Beschluss vom 5. August 2002 – BVerwG 4 BN 32.02 – NVwZ-RR 2003, 7; Urteil vom 7. Juni 2001 – BVerwG 4 CN 1.01 – BVerwGE 114, 301, ≪304≫ m. w. N.). Die Gemeinde darf auch planerische Selbstbeschränkung und Zurückhaltung üben. Sie darf sich je nach den tatsächlichen Gegebenheiten insbesondere darauf verlassen, dass die planersetzenden Vorschriften der §§ 34, 35 BauGB zur Steuerung der städtebaulichen Entwicklung in Teilbereichen ihres Gebiets ausreichen.
§ 1 Abs. 3 BauGB stellt die Planungsbefugnis der Gemeinden allerdings unter den Vorbehalt der städtebaulichen Erforderlichkeit und wirkt damit in zweierlei Weise auf das gemeindliche Planungsermessen ein. Nach seinem eindeutigen Wortlaut verpflichtet § 1 Abs. 3 BauGB zur Aufstellung eines Bebauungsplans, sobald und soweit dies aus städtebaulichen Gründen erforderlich ist. Der Gesetzgeber bringt damit zum Ausdruck, dass sich das planerische Ermessen der Gemeinde aus städtebaulichen Gründen objektivrechtlich zu einer strikten Planungspflicht verdichten kann; das gilt grundsätzlich für die erstmalige Planung im Innen- oder Außenbereich ebenso wie für die inhaltliche Änderung oder Aufhebung eines bestehenden Bauleitplans (in diesem Sinne bereits BVerwG, Beschlüsse vom 30. März 1995 – BVerwG 4 B 48.95 – und vom 9. Oktober 1996 – BVerwG 4 B 180.96 – Buchholz 406.11 § 2 BauGB Nr. 38 und 39). Zugleich setzt der Maßstab der städtebaulichen Erforderlichkeit der Ausübung der Planungsbefugnis inhaltliche Schranken. § 1 Abs. 3 BauGB verbindet somit das Gebot erforderlicher Planungen mit dem Verbot nicht erforderlicher Planungen (vgl. bereits Weyreuther, DVBl 1981, 369 ≪372≫ zu § 1 Abs. 3 BBauG; heute h.M., vgl. etwa Krautzberger, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 8. Aufl. 2002, Rn. 25 zu § 1 BauGB; Gierke, in: Brügelmann u.a., Kommentar zum BauGB, Stand Januar 2000, Rn. 149 zu § 1; Gaentzsch, in: Berliner Kommentar zum BauGB, 3. Aufl. 2002, Rn. 19 ff. zu § 1 BauGB; Reidt, in: Gelzer/Bracher/Reidt, Bauplanungsrecht, 6. Aufl. 2001, Rn. 36, 49).
Die Ansicht, § 1 Abs. 3 BauGB statuiere nicht mehr als eine “Pflicht zu konsequenter Planung” (Koch/Hendler, Baurecht, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, 3. Aufl. 2001, S. 168), erschöpft den pflichtbegründenden Regelungsgehalt der Vorschrift nicht. Es ist zwar denkbar, dass § 1 Abs. 3 BauGB (unter näher zu bestimmenden Voraussetzungen städtebaulicher Erforderlichkeit) im Einzelfall auch die Rechtspflicht einer Gemeinde begründet, die planerische Umsetzung ihrer eigenen städtebaulichen Konzeption einzuleiten oder in Übereinstimmung mit ihren konzeptionellen Vorgaben abzuschließen; dieser Planungspflicht könnte die Gemeinde sich jedoch vielfach durch eine städtebaulich gerechtfertigte Änderung ihrer Planungskonzeption selbst entziehen. Die eine Handlungspflicht auslösende Wirkung des § 1 Abs. 3 BauGB gewinnt ihre eigentliche Bedeutung erst in den Fällen, in denen die städtebauliche Entwicklung und Ordnung ein planerisches Einschreiten der Gemeinde erfordert, diese aber entweder kein umsetzbares städtebauliches Konzept besitzt oder “konzeptionell” an einer Genehmigungspraxis auf der Grundlage von §§ 34, 35 BauGB festhalten will.
Mit diesem Inhalt konkretisiert § 1 Abs. 3 BauGB das in Absatz 1 der Vorschrift bezeichnete Planmäßigkeitsprinzip. Das Baugesetzbuch bestimmt in § 1 Abs. 1 BauGB die Bauleitplanung zum zentralen städtebaulichen Gestaltungsinstrument. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass die städtebauliche Entwicklung nicht vollständig dem “Spiel der freien Kräfte” (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Januar 1967 – 1 BvR 169.63 – BVerfGE 21, 73 ≪82 f.≫) oder isolierten Einzelentscheidungen nach §§ 34 und 35 BauGB überlassen bleiben soll, sondern der Lenkung und Ordnung durch Planung bedarf (Gierke a.a.O., Rn. 60, 150 zu § 1 BauGB; Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand November 1999, Rn. 19 ff. zu § 1 BauGB; Schmidt-Assmann, in: Festschrift für Schlichter, 1995, S. 3 ≪19 ff.≫ m.w.N.). Die Regelungen in §§ 34 und 35 BauGB sind kein vollwertiger Ersatz für einen Bebauungsplan: Sie gelten als Planersatzvorschriften, nicht als Ersatzplanung (BVerwG, Urteil vom 13. Juni 1969 – BVerwG 4 C 234.65 – BVerwGE 32, 173; stRspr). Wenn sich die Planmäßigkeit der städtebaulichen Entwicklung und Ordnung auch nicht strikt durchhalten lässt, so schließt sie doch in letzter Konsequenz – und unter besonderen Voraussetzungen – auch die Verdichtung des gemeindlichen Planungsermessens zu einer strikten Planungspflicht mit ein. Die prinzipielle Verankerung dieser Planungspflicht in § 1 Abs. 3 BauGB ist mit der Garantie der kommunalen Selbstverwaltung (Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG) vereinbar. Die Bauleitplanung ist der Gemeinde nicht zu beliebiger Handhabung, sondern als öffentliche Aufgabe anvertraut, die sie nach Maßgabe des Baugesetzbuchs im Interesse einer geordneten städtebaulichen Entwicklung zu erfüllen hat. Vor unzumutbaren Eingriffen in die gemeindliche Planungshoheit schützt im Einzelfall der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der auch für kommunalaufsichtliche Planungsverfügungen gilt.
1.2 In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist bisher nicht abschließend geklärt, unter welchen bundesrechtlichen Voraussetzungen sich das gemeindliche Planungsermessen zu einer (nach Maßgabe des Landesrechts durchsetzbaren) Planungspflicht verdichtet.
Die Spruchpraxis des erkennenden Senats zu § 1 Abs. 3 BBauG/BauGB ist durch die Zuständigkeit des Revisionsgerichts in Normenkontrollsachen geprägt. Das hat dazu geführt, dass vor allem die schrankensetzende Funktion der Vorschrift, ihr “Verbotscharakter”, thematisiert und konkretisiert worden ist. Anknüpfungspunkt ist hier die städtebauliche Erforderlichkeit als Planungsschranke. So wird § 1 Abs. 3 BauGB durch Pläne verletzt, die einer positiven Planungskonzeption entbehren und der Förderung von Zielen dienen, für deren Verwirklichung die Planungsinstrumente des Baugesetzbuchs nicht bestimmt sind (Verbot der Negativ-Planung, unzulässige Vorratsplanung). Solche Pläne sind nicht erforderlich im Sinne von § 1 Abs. 3 BauGB. § 1 Abs. 3 BauGB ist ferner verletzt, wenn ein Bebauungsplan nicht vollzugsfähig ist, weil seine Umsetzung auf unüberwindbare tatsächliche oder rechtliche Hindernisse stößt (zuletzt zusammenfassend Senatsurteil vom 21. März 2002 – BVerwG 4 CN 14.00 – BVerwGE 116, 144 ≪146 f.≫). Auf die Grundsätze, die der Senat zum Maßstab der Erforderlichkeit bei der inhaltlichen Kontrolle von Bebauungsplänen entwickelt hat, kann indes nicht zurückgegriffen werden, wenn es um die Begründung des “Ob” und “Wann” der Planung geht. Nicht unmittelbar einschlägig sind ferner Entscheidungen, nach denen ein Bebauungsplan nichtig ist, wenn er “Fehlentwicklungen” im Plangebiet oder dessen Umgebung ermöglicht, “städtebauliche Unordnung” schafft (BVerwG, Beschluss vom 20. November 1995 – BVerwG 4 NB 23.94 – DVBl 1996, 264) oder sich als “grober” und “einigermaßen offensichtlicher Missgriff” erweist (vgl. BVerwG, Urteil vom 7. Mai 1971 – BVerwG 4 C 76.68 – DVBl 1971, 759).
Zur näheren Bestimmung einer gemeindlichen Planungspflicht ungeeignet ist auch der in der Senatsrechtsprechung aufgestellte und häufig wiedergegebene Rechtssatz, erforderlich im Sinne des Gesetzes sei die Aufstellung eines Bebauungsplans (nur), soweit er “nach der planerischen Konzeption der Gemeinde erforderlich ist” (vgl. BVerwG, Urteil vom 7. Mai 1971, a.a.O.; Urteil vom 14. Juli 1972 – BVerwG 4 C 8.70 – BVerwGE 40, 258 ≪263≫ – jeweils zu § 2 Abs. 1 BBauG). Dieser Rechtssatz bestimmt zwar auch die Auslegung von § 1 Abs. 3 BauGB. Er zielt jedoch auf die Planrechtfertigung und die inhaltlichen Schranken der Planungsbefugnis und damit auf die Verbotsqualität der Vorschrift. Die Bindung der städtebaulichen Erforderlichkeit an die “Konzeption der Gemeinde” soll ausdrücken, dass der Erlass eines Bebauungsplans erst dann, weil nicht erforderlich, untersagt ist, wenn und soweit es selbst nach der Konzeption der Gemeinde an der Erforderlichkeit fehlt (deutlich in diesem Sinne die Senatsurteile vom 7. Mai 1971, a.a.O., und vom 14. Juli 1972 a.a.O.). Wollte man die Erforderlichkeit “nach Maßgabe” der gemeindlichen Planungsvorstellungen als Grundvoraussetzung für das Bestehen einer gemeindlichen Planungspflicht ansehen, führte dies unausweichlich zu dem unhaltbaren Ergebnis, dass eine konzeptionslose Gemeinde niemals zum Erlass eines Bebauungsplans verpflichtet sein könnte (so schon Weyreuther, a.a.O., S. 372). Ebenso wenig könnte eine planungsunwillige Gemeinde zur Planung angehalten werden.
1.3 Das Planungsermessen der Gemeinde verdichtet sich im unbeplanten Innenbereich zur strikten Planungspflicht, wenn qualifizierte städtebauliche Gründe von besonderem Gewicht vorliegen (ebenso Gierke, a.a.O., Rn. 193a zu § 1 BauGB). Ein qualifizierter (gesteigerter) Planungsbedarf besteht, wenn die Genehmigungspraxis auf der Grundlage von § 34 Abs. 1 und 2 BauGB städtebauliche Konflikte auslöst oder auszulösen droht, die eine Gesamtkoordination der widerstreitenden öffentlichen und privaten Belange in einem förmlichen Planungsverfahren dringend erfordern (vgl. auch Gaentzsch, a.a.O., Rn. 19, 20 zu § 1 BauGB). Die Gemeinde muss planerisch einschreiten, wenn ihre Einschätzung, die planersetzende Vorschrift des § 34 BauGB reiche zur Steuerung der städtebaulichen Ordnung und Entwicklung aus, eindeutig nicht mehr vertretbar ist (Reidt, a.a.O., Rn. 49). Dieser Zustand ist jedenfalls dann erreicht, wenn städtebauliche Missstände oder Fehlentwicklungen bereits eingetreten sind oder in naher Zukunft einzutreten drohen. Die Planungspflicht entsteht nicht schon dann, wenn ein planerisches Einschreiten einer geordneten städtebaulichen Entwicklung dienen würde und deshalb “vernünftigerweise geboten” wäre. Sie setzt besonders gewichtige Gründe voraus und besitzt Ausnahmecharakter. Anhaltspunkte für das Vorliegen eines qualifizierten planerischen Handlungsbedarfs lassen sich etwa aus der für Sanierungsmaßnahmen geltenden Definition der städtebaulichen Missstände in § 136 Abs. 2 und 3 BauGB gewinnen.
Den generellen Anforderungen an die Begründung einer gemeindlichen Planungspflicht wird das Berufungsurteil gerecht. Die Vorinstanz stützt die Planungspflicht der Klägerin auf § 1 Abs. 3 BauGB und das interkommunale Abstimmungsgebot (§ 2 Abs. 2 BauGB). Die kommunalaufsichtliche Anordnung solle die Interessen der betroffenen Nachbarkommunen durchsetzen, die ihren “Niederschlag in § 1 Abs. 3 i.V.m. § 2 Abs. 2 BauGB” gefunden hätten. Die Genehmigungspraxis nach § 34 Abs. 1 BauGB habe eine städtebauliche Fehlentwicklung eingeleitet. Der “Gewerbepark” habe sich zu einem “großen Einkaufszentrum” mit einer Verkaufsfläche von 120 000 qm (1996) entwickelt und beeinträchtige die benachbarten Städte wesentlich. Der eingetretene Verdrängungswettbewerb sei mit einem deutlichen Kaufkraftabfluss aus den Nachbarstädten in den “Gewerbepark” verbunden gewesen. Eine weitere gravierende Verschlechterung der Situation habe bei Erlass der angefochtenen Anordnung unmittelbar bevor gestanden. Diese Urteilsgründe sind revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden. Im Einzelnen ist hierzu auszuführen:
1.3.1 Das Berufungsgericht geht – unter Bezugnahme auf den während des Klageverfahrens ergangenen Beschluss des Verwaltungsgerichts Koblenz vom 17. Dezember 1997 (VG 1 L 3912/97.KO) – davon aus, dass sich der Maßstab der städtebaulichen Erforderlichkeit in § 1 Abs. 3 BauGB nicht auf die städtebauliche Entwicklung und Ordnung im Gebiet der untätigen Gemeinde beschränkt, deren Planungspflicht in Frage steht. Auch unterhalb der Ebene der Landesplanung sei die Gemeinde in ein “kommunales Planungssystem mit gegenseitigen Verflechtungen integriert”. Die Pflicht zur Berücksichtigung städtebaulicher Entwicklungen ende nicht an der Gemeindegrenze. Insbesondere in einem verdichteten Siedlungsgebiet wie dem Koblenz-Neuwieder-Becken berührten städtebauliche Entwicklungen in einer Gemeinde nahezu unweigerlich auch die städtebauliche Ordnung der Nachbargemeinden.
Diese gemeindegebietsübergreifende Sichtweise bei der Bestimmung des “städtebaulich Erforderlichen” im Sinne von § 1 Abs. 3 BauGB ist zutreffend und geboten. Das gilt in besonderem Maße für die städtebaulich relevanten Auswirkungen von Einkaufszentren und großflächigen Einzelhandelsbetrieben auf zentrale Versorgungsbereiche der Nachbargemeinden. Es liegt auf der Hand, dass die Ansiedlung des großflächigen Einzelhandels in städtischen Randlagen geeignet sein kann, die Verwirklichung der Einzelhandelskonzeption einer Nachbargemeinde erheblich zu beeinträchtigen. Auswirkungen auf die Nahversorgung für den kurzfristigen Bedarf können sich u.a. daraus ergeben, dass innenstadtnahen Einzelhandelsbetrieben durch Kaufkraftabfluss die Existenzgrundlage entzogen wird und eine Unterversorgung der nicht motorisierten Bevölkerung droht (vgl. hierzu bereits Senatsurteil vom 3. Februar 1984 – BVerwG 4 C 54.80 – BauR 1984, 380; ferner Urteil vom 1. August 2002 – BVerwG 4 C 5.01 – BVerwGE 117, 25 ≪35 – 37≫ – Einkaufszentrum Zweibrücken). Die Fernwirkungen eines Einkaufszentrums “auf der grünen Wiese” können auch die Attraktivität eines mit erheblichen Investitionen zum wohnungsnahen Einkaufszentrum umgestalteten Innenstadtbereichs einer Nachbarkommune gefährden (vgl. OVG Koblenz, BauR 2002, 577 ≪580≫ – Einkaufszentrum Zweibrücken). Die Planungsleitlinie in § 1 Abs. 5 Satz 2 Nr. 8 BauGB (Berücksichtigung der “mittelständischen Struktur im Interesse einer verbrauchernahen Versorgung der Bevölkerung”) und ihre rechtliche Konkretisierung in § 11 Abs. 3 Satz 1 BauNVO rechtfertigen die “grenzüberschreitende” Beurteilung großflächiger Einzelhandelsbetriebe und Einkaufszentren. Nach § 11 Abs. 3 Satz 2 BauNVO kommt auch den Fernwirkungen dieser Betriebe auf die Entwicklung zentraler Versorgungsbereiche “in anderen Gemeinden” rechtliche – und das heißt: städtebauliche – Bedeutung zu. Diese räumliche Perspektive ist auch bei der Auslegung von § 1 Abs. 3 BauGB zu beachten.
1.3.2 Zuzustimmen ist ferner dem Ausgangspunkt der Vorinstanz, dass das interkommunale Abstimmungsgebot einen qualifizierten städtebaulichen Handlungsbedarf der Gemeinde im Rahmen von § 1 Abs. 3 BauGB zu begründen vermag.
§ 2 Abs. 2 BauGB verpflichtet benachbarte Gemeinden, ihre Bauleitpläne aufeinander abzustimmen, und stellt zunächst eine besondere gesetzliche Ausprägung des planungsrechtlichen Abwägungsgebots in § 1 Abs. 6 BauGB dar. Insoweit entfaltet die Vorschrift ihre Wirkung in der Planung. Sie setzt dem gemeindlichen Planungsermessen inhaltliche Schranken und dient der Rechtsprechung als Maßstab der Normenkontrolle. Eine verfahrensmäßig-formelle und eine materiell-inhaltliche Abstimmung ist nach den zum Abwägungsgebot entwickelten Grundsätzen geboten, wenn nachbargemeindliche Belange in mehr als geringfügiger Weise nachteilig betroffen werden. Sie ist erst recht erforderlich, wenn aufgrund “unmittelbarer Auswirkungen gewichtiger Art” auf die städtebauliche Ordnung und Entwicklung der Nachbargemeinde im Sinne der Senatsrechtsprechung (vgl. BVerwG, Urteile vom 8. September 1972 – BVerwG 4 C 17.71 – BVerwGE 40, 323 ≪331≫ und vom 15. Dezember 1989 – BVerwG 4 C 36.86 – BVerwGE 84, 209 ≪217≫) ein qualifizierter Abstimmungsbedarf besteht.
In seinem Urteil vom 1. August 2002 – BVerwG 4 C 5.01 – (a.a.O.) greift der erkennende Senat auf den Rechtsgedanken des § 2 Abs. 2 BauGB zurück, um den öffentlichen Belang des Planungserfordernisses zu definieren und einzugrenzen, wenn ein Vorhaben (Einkaufszentrum) infolge einer fehlgeschlagenen (rechtswidrigen) Planung nach § 35 Abs. 2 BauGB zu beurteilen ist. Das Erfordernis einer förmlichen Bebauungsplanung wird durch einen qualifizierten Abstimmungsbedarf im Sinne des § 2 Abs. 2 BauGB indiziert. Es bildet ein verfahrensrechtliches Zulassungshindernis für das zur Genehmigung gestellte Außenbereichsvorhaben. Zur Begründung verweist der Senat darauf, dass das planungsrechtliche Gebot der interkommunalen Abstimmung auch eine gesetzliche Ausformung des in Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG gewährleisteten kommunalen Selbstverwaltungsrechts bildet. Danach steht die grundgesetzlich verbürgte Planungshoheit unter dem “nachbarrechtlichen Vorbehalt” des Gebots wechselseitiger kommunaler Rücksichtnahme. Befinden sich zwei benachbarte Gemeinden objektiv in einer Konkurrenzlage, darf keine ihre jeweilige örtliche Planungshoheit gleichsam “rücksichtslos” zum Nachteil der anderen ausüben. Dieses Rücksichtnahmegebot bedarf der gesetzgeberischen Umsetzung und Ausformung. Das ist in § 2 Abs. 2 BauGB und in § 35 Abs. 2 BauGB in der Gestalt eines öffentlichen Belangs des Planungserfordernisses geschehen. Der Rechtsgedanke der wechselseitigen kommunalen Rücksichtnahme, der in § 2 Abs. 2 BauGB gesetzlichen Niederschlag gefunden hat, kann darüber hinaus auch zur normativen Ableitung einer (objektiv-rechtlichen) Planungspflicht der Gemeinde aus § 1 Abs. 3 BauGB herangezogen werden.
Das gilt insbesondere in Hinblick auf Fallkonstellationen, in denen die Standortgemeinde – wie hier die Klägerin nach den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts – nicht willens ist, einer von ihr selbst seit Jahren erkannten Fehlentwicklung bauleitplanerisch entschieden entgegenzuwirken, und durch bewusste planerische Untätigkeit eine weitere Schädigung der Nachbargemeinden in Kauf nimmt, um möglicherweise drohenden Ersatzansprüchen wegen Planungsschäden (§ 42 BauGB) zu entgehen. Der Senat hat bereits in früheren Entscheidungen angedeutet, dass eine Gemeinde gegen das Abstimmungsgebot des § 2 Abs. 2 BauGB auch dadurch verstoßen kann, dass sie in der Absicht, der gesetzlich angeordneten Abstimmung aus dem Wege zu gehen, von einer an sich erforderlichen Bauleitplanung Abstand nimmt (Urteile vom 15. Dezember 1989 – BVerwG 4 C 36.86 – BVerwGE 84, 209 ≪218≫ und vom 11. Februar 1993 – BVerwG 4 C 15.92 – DVBl 1993, 658 ≪661≫). Der Senat hat diese Rechtsprechung für den Außenbereich im Urteil vom 1. August 2002 – BVerwG 4 C 5.01 – a.a.O. fortentwickelt. Der Grundgedanke dieser Rechtsprechung, einer Umgehung des Abstimmungsgebots zu Lasten benachbarter Gemeinden entgegenzuwirken, kann auf den unbeplanten Innenbereich übertragen und ergänzend zur Begründung dafür herangezogen werden, die untätige Gemeinde einer (kommunalaufsichtlich durchsetzbaren) Planungspflicht aus § 1 Abs. 3 BauGB zu unterwerfen.
1.3.3 Das Berufungsgericht geht ferner gesetzessystematisch zu Recht davon aus, dass die Kommunalaufsichtsbehörden durch die Ableitung einer objektiv-rechtlichen, nach Maßgabe des Landesrechts durchsetzbaren Planungspflicht der Gemeinde aus § 1 Abs. 3 BauGB in die Lage versetzt werden, eine bestehende Rechtsschutzlücke im interkommunalen Nachbarrecht jedenfalls teilweise zu schließen.
Eine Nachbargemeinde kann sich gegen eine auf § 34 Abs. 1 BauGB gestützte Baugenehmigung für großflächigen Einzelhandel an einem Standort, dessen nähere Umgebung bereits durch eine oder mehrere gleichartige Anlagen geprägt ist, nach derzeitiger Rechtslage nicht zur Wehr setzen. § 34 Abs. 1 BauGB enthält keine Zulassungsschranke in Gestalt “öffentlicher Belange”, die durch einen qualifizierten interkommunalen Abstimmungsbedarf (subjektiv-rechtlich) angereichert werden und der betroffenen Nachbargemeinde im Einzelfall ein vorhabenbezogenes Abwehrrecht verleihen könnte. Die Eigenart der näheren Umgebung umfasst nicht die städtebaulich nachteiligen Auswirkungen, die § 11 Abs. 3 Satz 2 BauNVO näher bezeichnet. Fernwirkungen dieser Art sind nach § 34 Abs. 1 BauGB nicht zu berücksichtigen. Einem Vorhaben, welches sich in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt, kann daher ein Planungserfordernis aus Gründen der interkommunalen Abstimmung nicht als Genehmigungsschranke entgegen gehalten werden. Fügt sich ein Einzelhandelsgroßbetrieb in die Eigenart der näheren Umgebung ein, etwa weil dort bereits ein Betrieb dieser Art steht, ist er nach der gesetzlichen Wertung in § 34 Abs. 1 BauGB zuzulassen. Im Rahmen dieser gebundenen Entscheidung ist kein Raum für eine Abwägung widerstreitender interkommunaler Interessen (vgl. Senatsurteil vom 11. Februar 1993, a.a.O., S. 661; Beschluss vom 20. April 2000 – BVerwG 4 B 25.00 – Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 199).
1.3.4 Nach den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz, die das Revisionsgericht binden (§ 137 Abs. 2 VwGO), sind hier die Grenzen, innerhalb derer sich die Ansiedlung großflächiger Einzelhandelsbetriebe auf der Grundlage von § 34 Abs. 1 BauGB (bzw. § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 11 Abs. 3 BauNVO) auch in Hinblick auf die städtebaulichen Belange der betroffenen Nachbarstädte im Sinne einer geordneten städtebaulichen Entwicklung noch steuern lässt, eindeutig überschritten.
Das Berufungsgericht verweist auf die “Bestandsanalyse für das Modellprojekt Interkommunale Einzelhandelskonzeption im Raum Koblenz/Neuwied” des Bundesministeriums für Raumordnung, Städtebau und Bauwesen vom März 1997. Danach habe sich der Kaufkraftabfluss aus Andernach in den “Gewerbepark Mülheim-Kärlich” zwischen 1992 und 1996 “von 9,2 auf 16,2” erhöht. Die kritische Grenze liege je nach Sortiment in einem Bereich zwischen 10 und 30 %. Das Kriterium des Kaufkraftabzuges aus innenstadtnahen Versorgungsbereichen einzelner Nachbargemeinden oder auch der prognostizierte Umsatz eines Einkaufzentrums mag als Anhalt zur Beurteilung der städtebaulichen Verträglichkeit von Einzelhandelsgroßprojekten geeignet sein. Das Bundesverwaltungsgericht hatte bisher keinen Anlass, sich zu den in Rechtsprechung und Schrifttum aufgestellten Erfahrungswerten und Richtlinien planungsrechtlich relevanter Kaufkraftabschöpfung zu äußern. Es hat insbesondere keine numerisch-präzisen Schwellen- oder Rahmenwerte bezeichnet. Der Streitfall nötigt ebenfalls nicht dazu, die von der Vorinstanz angeführten Werte einer rechtlichen Prüfung zu unterziehen.
Nach den nicht mit Revisionsrügen angegriffenen Angaben beider Vorinstanzen und des Beklagten lagen im November 1997 Bauvoranfragen für zwei SB-Warenhäuser (mit 30 600 bzw. 11 000 qm), weitere Bauvoranfragen für Neubauten und Nutzungsänderungen verschiedener Objekte (8 000 qm) sowie Bauvoranfragen betreffend die Nutzungsänderung in Einzelhandel (10 große Verkaufshallen) vor. Angesichts der noch verfügbaren Flächen- und Umnutzungspotentiale in diesem Bereich sei davon auszugehen, dass zukünftig “noch ein Mehrfaches des bisherigen Flächenangebots für den großflächigen Einzelhandel” genutzt werden könne (Beschluss des Verwaltungsgerichts Koblenz vom 17. Dezember 1997). Der Beklagte stützt seine Anordnung u.a. auf die Erwägung, die im Wege einer städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme vorbereitete Wiedernutzung innenstadtnaher Gewerbebrachen der Stadt Andernach und die Planung der Stadt Koblenz, den Zentralplatz und den westlichen Cityrand zum Ausgleich für eingetretene Zentralitätsverluste gerade auch für den Einzelhandel zu entwickeln, seien “extrem gefährdet, wenn der ungeordneten Entwicklung in Mülheim-Kärlich nicht Einhalt geboten wird”. Diese städtebaulichen Auswirkungen übersieht die Revision mit ihrem Einwand, die Planungsverfügung des Beklagten sei ausschließlich “raumordnerisch” begründet.
Nach Einschätzung beider Vorinstanzen ließ das ungehinderte Fortschreiten der Genehmigungspraxis nach § 34 BauGB ernsthaft befürchten, dass die Verkaufsflächen des Einzelhandels und die Attraktivität der Innenstädte für Einzelhändler und Verbraucher insbesondere in den Städten Koblenz, Andernach und Neuwied, aber auch in Bendorf und den Gemeinden der Verbandsgemeinde Weißenthurm, weiterhin erheblich zurückgehen werde. Die Klägerin ist auch dieser Einschätzung nicht substantiiert entgegengetreten. Die gemeindegebietsübergreifende städtebauliche Beurteilung des “Gewerbeparks Mülheim-Kärlich” und seines Entwicklungspotentials ist angesichts der Größenordnung der festgestellten und prognostizierten Einzelhandelsverkaufsfläche ohne weiteres nachvollziehbar und einleuchtend. Sie rechtfertigt den Standpunkt des Beklagten und der Vorinstanzen, dass die Klägerin in dem Zeitpunkt, in dem die angefochtene Verfügung erlassen wurde, mit hoher Dringlichkeit zum planerischen Einschreiten verpflichtet war, um der bereits eingetretenen und der sich konkret abzeichnenden weiteren städtebaulichen Fehlentwicklung in Gestalt des “Gewerbeparks” auf ihrem Stadtgebiet entgegenzuwirken.
2. Dem Berufungsgericht ist ferner darin zuzustimmen, dass die Anordnung des Beklagten vom 18. November 1997 auch in § 1 Abs. 4 BauGB eine Rechtsgrundlage findet. Nach dieser Vorschrift sind die Bauleitpläne den Zielen der Raumordnung anzupassen.
2.1 Danach sind Gemeinden nicht nur zur inhaltlichen Anpassung (Änderung) oder Aufhebung ihrer bestehenden Bauleitpläne, sondern auch zur erstmaligen Aufstellung eines Bebauungsplans im Innen- oder Außenbereich verpflichtet, sobald und soweit dies zur Verwirklichung der Ziele der Raumordnung erforderlich ist. Die gemeindliche Planungspflicht setzt ein, wenn die Verwirklichung der Raumordnungsziele bei Fortschreiten der “planlosen” städtebaulichen Entwicklung auf unüberwindbare (tatsächliche oder rechtliche) Hindernisse stoßen oder wesentlich erschwert würde.
Diese Planungspflicht folgt aus der Grundstruktur des mehrstufigen und auf Kooperation angelegten Systems der räumlichen Gesamtplanung. Die vielfältigen Raumnutzungsansprüche bedürfen der Abstimmung auf verschiedenen Planungsebenen. Das Raumplanungsrecht umfasst eine Abfolge von Planungsentscheidungen auf Bundes- und Landesebene mit fortschreitender Verdichtung auf Landes- und Regionalebene bis hin zu konkreten Festsetzungen auf Gemeindeebene. In diesem mehrstufigen System ist die gemeindliche Bauleitplanung der Landes- und Regionalplanung nachgeordnet; sie stellt die unterste Ebene in der Planungshierarchie dar. Der Raumordnung obliegt die übergeordnete, überörtliche, überfachliche und zusammenfassende Planung und Ordnung des Raumes (§ 1 ROG; vgl. auch BVerfGE 3, 407 ≪425 f.≫). Sie hat im Interesse der räumlichen Gesamtentwicklung alle auftretenden Nutzungsansprüche an den Raum und alle raumbedeutsamen Belange zu koordinieren und in diesem Zusammenhang u. a. verbindliche Vorgaben für nachgeordnete Planungsstufen zu schaffen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. August 1992 – BVerwG 4 NB 20.91 – BVerwGE 90, 329 ≪333 f.≫; Urteil vom 15. Mai 2003 – BVerwG 4 CN 9.01 – zur Veröffentlichung in BVerwGE bestimmt). Die Ziele der Raumordnung (§ 3 Nr. 2 ROG) bedürfen regelmäßig der planerischen Umsetzung (und Konkretisierung) durch nachgeordnete Planungsträger, um ihren Ordnungs- und Entwicklungsauftrag auch gegenüber dem einzelnen Raumnutzer erfüllen zu können. In zahlreichen Fällen bietet erst der Bebauungsplan die Gewähr für die Verwirklichung raumordnerischer Ziele (und sonstiger Erfordernisse der Raumordnung im Sinne von § 3 ROG). Das arbeitsteilige System der räumlichen Gesamtplanung funktioniert daher nur, wenn die Entwicklung des gemeindlichen Planungsraums mit der des größeren Raums in Einklang gebracht wird. Die raumordnerisch bedingte Erstplanungs- und Änderungspflicht der Gemeinde rechtfertigt sich daraus, dass die Ziele der Raumordnung grundsätzlich keine unmittelbare bodenrechtliche Wirkung entfalten.
Vor diesem Hintergrund liegt der Regelungszweck des § 1 Abs. 4 BauGB in der “Gewährleistung umfassender materieller Konkordanz” zwischen der übergeordneten Landesplanung und der gemeindlichen Bauleitplanung. Die Pflicht zur Anpassung, die § 1 Abs. 4 BauGB statuiert, zielt nicht auf “punktuelle Kooperation”, sondern auf dauerhafte Übereinstimmung der beiden Planungsebenen (Schmidt-Aßmann, Fortentwicklung des Rechts im Grenzbereich zwischen Raumordnung und Städtebau, 1977 S. 20 f. – zu § 1 Abs. 3 BBauG). Es ist daher unstreitig und zutreffend, dass die Gemeinde (unter dem Vorbehalt der materiellrechtlichen und zeitlichen Erforderlichkeit im Einzelfall) nicht nur zur Anpassung an die Ziele der Raumordnung verpflichtet ist, wenn sie Bauleitpläne aus eigenem Entschluss und allein aus städtebaulichen Gründen aufstellt oder ändert, sondern dass sie auch dann planerisch aktiv werden muss, wenn allein geänderte oder neue Ziele der Raumordnung eine Anpassung der Bauleitpläne erfordern. Ist in § 1 Abs. 4 BauGB aber auch die Pflicht zum Tätigwerden aus raumordnerischen (landesplanerischen) Gründen angelegt, so ist es nicht gerechtfertigt, den Anwendungsbereich der Vorschrift auf die aktive Anpassung vorhandener Bauleitpläne zu beschränken und eine Pflicht zur erstmaligen Aufstellung eines Plans auszuschließen. Aus der Perspektive des Raumordnungsrechts stellt sich die Entscheidung der Gemeinde zur Nichtplanung als negative Planungsentscheidung dar, die ebenso wie die städtebaulichen Vorstellungen der Gemeinde, die in ihrer Bauleitplanung eine positiv-rechtliche Form gefunden haben, zu korrigieren ist, sobald und soweit dies aus raumordnerischen Gründen erforderlich ist (ebenso Schmidt-Assmann, a.a.O., S. 21). Die Gesetzesmaterialien zu § 1 Abs. 4 BauGB stützen dieses Auslegungsergebnis (vgl. Runkel, in: Ernst/Zinkahn/ Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand November 1999, Rn. 67, 71 zu § 1 BauGB m.w.N.).
2.2 Ziele der Raumordnung müssen hinreichend bestimmt, jedenfalls aber bestimmbar, und rechtmäßig sein, um eine Planungspflicht der Gemeinde auf der Grundlage von § 1 Abs. 4 BauGB auslösen zu können. Der Beklagte gibt der Klägerin im Regelungsteil seiner Anordnung ausdrücklich auf, die baulich-räumliche Entwicklung innerhalb des Plangebietes in Übereinstimmung mit näher bezeichneten Zielen des Landesentwicklungsprogramms III für Rheinland-Pfalz vom 27. Juni 1995 (GVBl 1995, 225 ≪255 f.≫ – Landesentwicklungsprogramm III) zu steuern. Diese Zielvorgaben erfüllen die genannten Voraussetzungen. Die Vorschriften des Landesentwicklungsprogramms III gehören zwar dem irrevisiblen Recht an, können jedoch vom Revisionsgericht selbständig ausgelegt werden, da das Berufungsgericht sich mit ihnen nicht befasst hat (vgl. Urteil vom 30. August 2002 – BVerwG 4 CN 9.00 – BVerwGE 115, 77 ≪85≫).
2.2.1 Die kommunalaufsichtliche Anordnung des Beklagten verweist u.a. auf die unter Ziffer 3.4.1.3 (Handel, Dienstleistungen) normierte Zielaussage des Landesentwicklungsprogramms III zum “Konzentrationsgebot”, die wie folgt lautet:
“Großflächige Einzelhandelsbetriebe sind grundsätzlich in zentralen Orten vorzusehen (Konzentrationsgebot). Betriebe mit mehr als 2 000 qm Geschossfläche kommen in der Regel nur für Mittel- und Oberzentren in Betracht. Dies betrifft sowohl Betriebe, die ganz oder teilweise der Deckung des örtlichen Bedarfs dienen, als auch Fachmärkte mit innenstadtrelevanten Sortimenten.”…
“Durch die Ansiedlung von großflächigen Einzelhandelsbetrieben darf die Funktion benachbarter zentraler Orte und ihrer Versorgungsbereiche nicht wesentlich beeinträchtigt werden.”
Diese Aussagen stellen Ziele der Raumordnung im Sinne von § 3 Nr. 2 ROG dar. Sie verletzen Bundesrecht nicht. Die Standortplanung für Einzelhandelsgroßbetriebe ist nicht auf die Instrumente der gemeindlichen Bauleitplanung beschränkt. Sie kann bereits auf der Ebene der Landesplanung einsetzen und – in unterschiedlicher Gestalt – mit der zentralörtlichen Gliederung (“polyzentrale Siedlungsstruktur”) verbunden werden. Die Verbindung großflächiger Einzelhandelsbetriebe mit einer bestimmten Zentralitätsstufe soll die Versorgung in allen Teilen des Landes entsprechend dem Bedarf in zumutbarer Entfernung auch für die nicht-mobile Bevölkerung sicherstellen und zugleich einer Unterversorgung zentraler Wohnbereiche entgegenwirken, die eintritt, wenn die Konzentration des großflächigen Einzelhandels an Standorten, die gar nicht zum Netz der zentralen Orte gehören oder innerhalb des hierarchisch gegliederten Systems auf einer niedrigen Zentralitätsstufe liegen, zu einem “flächendeckenden” Kaufkraftabzug aus den Versorgungszentren der höherstufigen zentralen Orte führt. Dieser Zielsetzung entspricht auch das im Landesentwicklungsprogramm III enthaltene Verbot, durch die Ansiedlung von Einzelhandelsgroßprojekten die Funktion benachbarter zentraler Orte und das Bestehen ausgeglichener Versorgungsstrukturen wesentlich zu beeinträchtigen. Ein unverhältnismäßiger Eingriff in das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden liegt darin nicht. Das Landesentwicklungsprogramm III gibt dem Senat keinen Anlass, auf die rechtliche Problematik eines sog. “Kongruenzgebots” einzugehen, nach dem großflächige Einzelhandelsbetriebe der zentralörtlichen Versorgungsfunktion und dem “Verflechtungsbereich” des jeweiligen zentralen Ortes entsprechen müssen und den “Verflechtungsbereich” ihrer Standortgemeinde nicht überschreiten dürfen (vgl. hierzu Hoppe, DVBl 2000, 293; Erbguth, NVwZ 2000, 969; Spannowsky, UPR 2003, 248 und NdsVBl 2001, 1 und 32).
2.2.2 Das “Konzentrationsgebot” und das der Klägerin ebenfalls zur Beachtung aufgegebene “städtebauliche Integrationsgebot” unter Ziffer 3.4.1.3 im Landesentwicklungsprogramm III weisen eine Regel-Ausnahme-Struktur auf. Derartige landesplanerische Aussagen können die Merkmale eines Ziels der Raumordnung (§ 3 Nr. 2 ROG) erfüllen, wenn der Planungsträger neben den Regel- auch die Ausnahmevo-raussetzungen mit hinreichender tatbestandlicher Bestimmtheit oder doch wenigstens Bestimmbarkeit selbst festgelegt hat (BVerwG, Urteil vom 18. September 2003 – BVerwG 4 CN 20.02 – zur Veröffentlichung in BVerwGE bestimmt). Diesen Anforderungen werden die vorgenannten Zielaussagen gerecht.
Das “Konzentrationsgebot” ordnet den großflächigen Einzelhandel auf der Grundlage einer typisierenden Betrachtungsweise “grundsätzlich” bzw. “in der Regel” den zentralen Orten (bzw. Mittel- und Oberzentren) zu. Angestrebt wird eine “bedarfsgerechte und gleichwertige Versorgung der Bevölkerung und der Wirtschaft mit Gütern und Dienstleitungen in allen Landesteilen” (so der die Ziffer 3.4.1.3 einleitende Grundsatz). Die regelhafte räumliche Zuordnung des Einzelhandels nach dem zentralörtlichen Gliederungssystem wird mit der weiteren Zielaussage verbunden, durch die Ansiedlung von großflächigen Einzelhandelsbetrieben dürfe die Funktion benachbarter zentraler Orte und ihrer Versorgungsbereiche nicht wesentlich beeinträchtigt werden. Dieses Gebot der Zentrenverträglichkeit ist hinreichend bestimmt, um den landesplanerischen Vorbehalt atypischer Fallgestaltungen auszufüllen und der planenden Gemeinde die Identifizierung eines raumordnerischen Ausnahmefalles zu ermöglichen.
Das “städtebauliche Integrationsgebot” unter Ziffer 3.4.1.3, großflächige Einzelhandelsbetriebe in der Regel in engem räumlichen und funktionalen Zusammenhang mit den zentralen Einkaufsbereichen der Standortgemeinde zu errichten, wird in den nachfolgenden Sätzen, die als Grundsätze der Raumordnung gekennzeichnet sind, durch zwei Ausnahmetatbestände ergänzt, die der planenden Gemeinde hinreichende Anhaltspunkte für das Vorliegen einer landesplanerisch gebilligten Abweichung vom Integrationsgebot geben.
2.3 Es unterliegt nach den tatsächlichen, für das Revisionsgericht bindenden Feststellungen der Vorinstanz auch keinem Zweifel, dass die Konzentration von Einzelhandelsgroßprojekten und die Vielzahl kleinerer Einzelhandelsbetriebe im “Gewerbepark Mülheim-Kärlich” ein planerisches Einschreiten der Klägerin aus raumordnerischen und landesplanerischen Gründen dringend erforderte. Die eingetretene Entwicklung und das Erweiterungspotential des “Gewerbeparks” ließen befürchten, dass die Durchsetzung der Raumordnungsziele zur Steuerung des Einzelhandels nach der zentralörtlichen Gliederung durch die Genehmigungspraxis nach § 34 BauGB unmöglich gemacht, jedenfalls aber wesentlich erschwert würde. Das bedarf vor dem Hintergrund der tatsächlichen Entwicklung (vgl. oben 1.3.4) keiner weiteren Begründung.
3. Ergibt sich die gemeindliche (Erst)Planungspflicht zur Steuerung des großflächigen Einzelhandels wie hier aus § 1 Abs. 3 und 4 BauGB, kommt § 1 Abs. 4 BauGB entgegen der Revision kein Anwendungsvorrang zu, der § 1 Abs. 3 BauGB als pflichtbegründenden Tatbestand verdrängt. Auf der Grundlage der bisherigen Ausführungen stellt sich das Verhältnis zwischen den beiden Vorschriften wie folgt dar:
§ 1 Abs. 3 BauGB setzt voraus, dass die Gemeinde einen städtebaulichen Gestaltungsspielraum besitzt. Grundsätzlich bestimmt sie die Entwicklung und Ordnung der Bodennutzung nach ihren städtebaulichen Vorstellungen. Dieses Ermessen schließt die Entscheidung zur Nicht-Planung ein. Das Planungsermessen verdichtet sich nur dann zur Planungspflicht, wenn die Planlosigkeit die Grenze des Vertretbaren überschreitet und einen qualifizierten Handlungsbedarf auslöst. Aus dem Anpassungsgebot des § 1 Abs. 4 BauGB folgt, dass die Ziele der Raumordnung nicht zur Disposition der Gemeinde stehen, sondern den rechtlichen Rahmen ihrer Bauleitplanung bilden. Die Ziele der Raumordnung selbst sind der bauleitplanerischen Abwägung entzogen. Bestünde das Anpassungsgebot des § 1 Abs. 4 BauGB nicht, wären die Belange der Raumordnung aus der Sicht des Städtebaurechts nur als Bestandteile des Abwägungsmaterials zu berücksichtigen. Die Gemeinde dürfte sich von ihnen leiten lassen; sie müsste es aber nicht, soweit sie anderen Belangen den Vorrang einräumt.
Die Bindungskraft, die das Anpassungsgebot des § 1 Abs. 4 BauGB den Zielen der Raumordnung verleiht, besteht zunächst darin, dass die Gemeinde diese Ziele strikt zu beachten hat, wenn sie sich aus eigenem Antrieb dazu entschließt, einen Bauleitplan aufzustellen, zu ändern oder aufzuheben. Insoweit greifen § 1 Abs. 3 und 4 BauGB “ineinander”: Das Anpassungsgebot des § 1 Abs. 4 BauGB wirkt in jede von der Gemeinde aus städtebaulichen oder landesplanerischen Gründen selbst initiierte Bauleitplanung hinein, lenkt sie in die raumordnerisch vorgegebene Richtung und setzt ihr durch Abwägung nicht überwindbare raumordnerische Schranken. Als eigenständige Rechtsgrundlage einer Pflicht zur (erstmaligen) Aufstellung, zur Änderung oder Aufhebung eines Bauleitplans kann § 1 Abs. 4 BauGB neben § 1 Abs. 3 BauGB treten, wenn die Gemeinde planungsunwillig ist und ein planerisches Einschreiten nicht nur aus städtebaulichen (bodenrechtlichen) Gründen, sondern auch zur konkretisierenden Umsetzung raumordnungsrechtlicher Zielaussagen erforderlich ist. Infolge ihrer unterschiedlichen Zweckrichtung stehen die beiden pflichtbegründenden Tatbestände nicht in einem Rangverhältnis; sie können jeweils allein oder nebeneinander zur Anwendung kommen.
4. Das Berufungsgericht ist schließlich ohne Verstoß gegen Bundesrecht zu dem Ergebnis gelangt, dass der Beklagte die aus § 1 Abs. 3 BauGB folgende Planungspflicht der Klägerin in seiner kommunalaufsichtlichen Anordnung vom 18. November 1997 rechtsfehlerfrei umgesetzt hat.
4.1 § 1 Abs. 3 BauGB verlangt und setzt voraus, dass gemeindliche Planungspflichten nach Maßgabe des jeweiligen Landesrechts effektiv durchgesetzt werden können. Die Vorschrift ersetzt die erforderliche landesrechtliche Ermächtigungsgrundlage jedoch nicht. Bundesrecht schreibt auch nicht vor, welche Mittel zur Durchsetzung einer Planungspflicht aus § 1 Abs. 3 BauGB im Einzelfall einzusetzen sind; es steht aber einer Durchsetzung im Wege der Kommunalaufsicht auch nicht entgegen. Die Vorinstanz sieht die Ermächtigungsgrundlage für die auf Weisung der Bezirksregierung von der Kreisverwaltung erlassene Planungsverfügung in dem zum Landesrecht gehörenden nichtrevisiblen Kommunalrecht (§ 122 GemORhPf). Das ist bundesrechtlich nicht zu beanstanden.
Die im Berufungsurteil erörterte, aber nicht abschließend beantwortete Frage, ob die auf § 1 Abs. 4 BauGB gestützte Planungspflicht der Klägerin ebenfalls mit den Instrumenten der Kommunalaufsicht oder ausschließlich auf der Grundlage des Landesplanungsgesetzes durch die zuständige Landesplanungsbehörde erzwungen werden darf, beurteilt sich ebenfalls nach irrevisiblem Landesrecht und ist wegen der doppelten Begründung der Verfügung und im Hinblick auf das Einschreiten der Kommunalaufsicht hier nicht entscheidungserheblich; eine Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz zur Klärung dieser Rechtsfrage scheidet daher aus.
4.2 Die umstrittene Anordnung erfüllt auch die inhaltlichen Anforderungen an ein kommunalaufsichtliches Planungsgebot.
Planungsgebote müssen so bestimmt sein, dass der Adressat erkennen kann, was von ihm gefordert wird. Sie müssen ferner die Grenzen einhalten, die das kommunale Selbstverwaltungsrecht zieht (Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG). Sie dürfen das Planungsermessen der Gemeinde inhaltlich nur in dem Umfang beschränken, in dem dies zur Verwirklichung der Planungsziele geboten ist. Maßstab ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in allen seinen Erscheinungsformen. Das gilt auch für den Zeitpunkt, in dem das Planungsgebot erlassen wird. Es müssen dringende städtebauliche Gründe vorliegen. Setzt das Planungsgebot eine Frist zur Befolgung, muss diese nach den Umständen des konkreten Falles angemessen sein. Enthält das Planungsgebot in seinem verfügenden Teil verbindliche Planungsvorgaben, müssen diese ihrerseits rechtmäßig sein. Vergleichbare Anforderungen hat der Senat bei der Überprüfung eines Baugebots nach den §§ 39 a, 39b BBauG (jetzt §§ 175, 179 BauGB) aufgestellt (vgl. Urteil vom 15. Februar 1990 – BVerwG 4 C 41.87 – BVerwGE 84, 335).
Die in den verfügenden Teil der Anordnung aufgenommenen Planungsziele, die dem Landesentwicklungsprogramm III entstammen, begegnen wie ausgeführt (vgl. oben 2.2) keinen durchgreifenden raumordnungsrechtlichen Bedenken. Anhaltspunkte dafür, dass die Anordnung in unverhältnismäßiger Weise in die kommunale Planungshoheit der Klägerin eingreift, bestehen nicht. Das Berufungsgericht entnimmt der Anordnung und ihrer Begründung, dass die Klägerin nicht aufgefordert wird, die bereits eingetretene erhebliche Fehlentwicklung rückgängig zu machen. Von ihr werde verlangt, den “auf der grünen Wiese” entstandenen “Gewerbepark” in geordnete Bahnen zu lenken und ein weiteres Fortschreiten der Fehlentwicklung zu verhindern. Der Klägerin werde keineswegs jede Entwicklungsmöglichkeit, sondern lediglich die Möglichkeit genommen, die für ein Grundzentrum bereits weit übersetzten Einzelhandelsflächen auszuweiten. An anderer Stelle, insbesondere in ihrer Ortslage, könne sie Einzelhandelsbetriebe planerisch ermöglichen und hierdurch neue Arbeitsplätze schaffen (vgl. hierzu die im Berufungsurteil in Bezug genommenen Beschlüsse der Vorinstanz vom 20. Januar 1998 und vom 9. Februar 1998, S. 24 bzw. 16).
Soweit die Anordnung die Klägerin zum Erlass einer Veränderungssperre und zur Stellung von Anträgen nach § 15 BauGB verpflichtet, ist sie ebenfalls nicht zu beanstanden. Die Planungspflicht (§ 1 Abs. 3 und 4 BauGB) erstreckt sich auch auf den Einsatz dieser bauplanungsrechtlichen Sicherungsinstrumente. Der Beklagte war nicht gehindert, Einzelhandelsbetriebe jeder Größenordnung in die Veränderungssperre und die Zurückstellung von Baugesuchen einzubeziehen. Dies rechtfertigte nicht nur der verfolgte Sicherungszweck, sondern auch das unter Ziffer 3.4.1.3 des Landesentwicklungsprogramms III aufgestellte Ziel der Raumordnung, der Bildung von “Agglomerationen nichtgroßflächiger Einzelhandelsbetriebe mit innenstadtrelevanten Sortimenten” außerhalb zentraler Orte entgegenzuwirken.
Die Androhung der Ersatzvornahme (vgl. § 123 GemORhPf) verletzt den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht. Die Ersatzvornahme ist das mildere Mittel gegenüber der Bestellung eines Beauftragten, wenn es um die kommunalaufsichtliche Durchsetzung einer einzelnen städtebaulichen Planungsmaßnahme geht. Der Klägerin wird das Recht zur Bauleitplanung als solches nicht entzogen. Eine gesetzliche Regelung, die den Ersatz einer Ortssatzung durch die Aufsichtsbehörde im Wege der Ersatzvornahme ermöglicht, begegnet auch in Hinblick auf die kommunale Selbstverwaltungsgarantie (Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG) keinen grundsätzlichen Bedenken (vgl. BVerwG, Beschluss vom 3. Juli 1992 – BVerwG 7 B 149.91 – Buchholz 445.4 § 29 WHG Nr. 3; vgl. auch Beschluss vom 13. Oktober 1976 – BVerwG 7 B 44.75 – Buchholz 421.2 Hochschulrecht Nr. 49; Urteil vom 25. April 1972 – BVerwG 1 C 3.70 – Buchholz 451.45 § 75 HwO Nr. 1)
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Unterschriften
Dr. Paetow, Dr. Lemmel, Halama, Prof. Dr. Rojahn, Dr. Jannasch
Fundstellen
Haufe-Index 1079483 |
BVerwGE 2004, 25 |
BauR 2004, 375 |
BauR 2004, 443 |
IBR 2004, 96 |
ZfIR 2004, 542 |
GewArch 2004, 80 |
ZUR 2004, 179 |
ZfBR 2004, 171 |
BayVBl. 2004, 376 |
DVBl. 2004, 239 |
GV/RP 2004, 183 |
KomVerw 2004, 161 |
UPR 2004, 137 |
BBB 2004, 53 |
BRS-ID 2004, 1 |
FSt 2004, 657 |
FuBW 2004, 354 |
FuB 2004, 100 |
FuHe 2004, 354 |
G+S 2004, 53 |