Entscheidungsstichwort (Thema)
Heranziehung zum Wehrdienst. Einberufungsbescheid. Abhilfebescheid. Kosten des Widerspruchsverfahrens. Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten
Leitsatz (amtlich)
Es ist auch für einen rechtlich nicht vorgebildeten Wehrpflichtigen, der seiner Einberufung gesundheitliche Gründe entgegensetzen will, nicht generell unzumutbar, ohne anwaltlichen Beistand das Widerspruchsverfahren zu betreiben.
Normenkette
GG Art. 19 Abs. 4; WPflG §§ 20b, 33 Abs. 4 S. 2; VwGO § 162 Abs. 2 S. 2; VwVfG § 80 Abs. 1 S. 1, Abs. 2
Verfahrensgang
VG Minden (Entscheidung vom 25.04.2001; Aktenzeichen 10 K 4024/99) |
Tenor
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Minden vom 25. April 2001 wird aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
I.
Der Kläger wurde mit Bescheid vom 9. Januar 1992 als „wehrdienstfähig” gemustert. Mit Bescheid vom 10. März 1999 wurde er wegen seines fortdauernden Studiums der Wirtschaft an der Fachhochschule bis zum 31. August 1999 zurückgestellt. Unter demselben Datum berief ihn das Kreiswehrersatzamt Detmold mit Wirkung vom 1. November 1999 zur Ableistung des Grundwehrdienstes ein. Daraufhin legte er am 23. März 1999 Widerspruch gegen den Einberufungsbescheid ein und beantragte außerdem eine Überprüfungsuntersuchung gemäß § 20 b WPflG. Die Tauglichkeitseinwendungen im Überprüfungsverfahren betrafen eine geplante fünfzehnmonatige kieferorthopädische Behandlung sowie eine erhebliche Osteochondrose. Im Rahmen eines Antrages nach § 80 Abs. 4 VwGO an die Wehrbereichsverwaltung III brachte der Prozessbevollmächtigte des Klägers u.a. vor, dass dieser ausweislich eines Attestes des Diplompsychologen Lünenschloß vom 6./19. Oktober 1999 unter einer depressiven Dekompensation leide, die ihn vorübergehend wehrdienstunfähig mache und eine Zurückstellung für mindestens ein Jahr erfordere.
Das Kreiswehrersatzamt Detmold hob daraufhin am 13. Oktober 1999 den angegriffenen Einberufungsbescheid vom 10. März 1999 auf, weil über die Tauglichkeit bis zum Gestellungszeitpunkt nicht entschieden werden könne. Gegen den Aufhebungsbescheid erhob der Kläger am 27. Oktober 1999 Widerspruch, weil darin keine Kostenentscheidung getroffen und die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten nicht für notwendig erklärt worden sei.
Am 5. November 1999 erließ das Kreiswehrersatzamt Detmold einen Bescheid, durch welchem dem Widerspruch des Klägers vom 27. Oktober 1999 ausdrücklich „abgeholfen” wurde. Darin heißt es: „Das Verfahren ist kostenfrei. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen werden auf Antrag erstattet. Die Zuziehung eines Rechtsanwalts war nicht notwendig.” Zur Begründung des Bescheides wurde u.a. ausgeführt, aufgrund seines Bildungs- und Erfahrungsstandes sei es dem Kläger möglich gewesen, selbst Widerspruch zu erheben und die Überprüfung seiner Tauglichkeit zu beantragen. Dazu habe er im Übrigen seinerzeit keinen Anlass gesehen, sondern noch im Rahmen der Anhörung vom 25. Februar 1999 lediglich einen weiteren Zurückstellungsantrag gestellt. Gesundheitliche Probleme habe er seinerzeit nicht vorgebracht. Nach der diesem „Abhilfebescheid” beigefügten Rechtsmittelbelehrung wurde der Kläger auf den Klageweg verwiesen.
Mit der vorliegenden Klage verfolgt der Kläger das Ziel, die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Widerspruchsverfahren im Anschluss an den Einberufungsbescheid des Kreiswehrersatzamtes Detmold vom 10. März 1999 und den Aufhebungsbescheid vom 13. Oktober 1999 für notwendig zu erklären.
Das Verwaltungsgericht hat der Klage mit dem angefochtenen Urteil aus folgenden Gründen entsprochen: Die Zuziehung eines Rechtsanwalts für das Vorverfahren sei aus der Sicht einer vernünftigen Partei notwendig gewesen. Der Kläger sei juristischer Laie. Das Heranziehungs-/Einberufungsverfahren hänge überwiegend von der übergeordneten Frage der Verfügbarkeit des Wehrpflichtigen ab. Diese werde wiederum u.a. von der Tauglichkeit bzw. Veränderungen daran bestimmt. Da insoweit jeweils gesonderte Verwaltungsakte ergehen müssten und diese die Rechtmäßigkeit der Verfügbarkeitsentscheidung beeinflussten, sei das stufenweise aufgebaute Verfahren als kompliziert anzusehen. Der Wehrpflichtige brauche sich nicht allein darauf verweisen zu lassen, dass es genüge, eine Änderungsanzeige über seine gesundheitliche Situation nach der Musterungsverordnung abzugeben. Kenntnisse über die richtige Vorgehensweise und die Erfolgsaussichten im Überprüfungsverfahren vermittle im Zweifel der Fachanwalt. Auf ihn zu verzichten, sei dem Wehrpflichtigen daher in der Regel, und so auch hier, nicht zuzumuten.
Mit der vom Senat zugelassenen Revision begehrt die Beklagte die Aufhebung des verwaltungsgerichtlichen Urteils und Abweisung der Klage. Zur Begründung führt sie aus, nach der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung sei die notwendige Vertretung durch einen Rechtsanwalt oder sonstigen Bevollmächtigten im Vorverfahren nicht die Regel, sondern die Ausnahme. Maßgeblich für die Erstattungspflicht sei allein, ob sich ein vernünftiger Bürger mit gleichem Bildungs- und Erfahrungsstand beim Stand des Verwaltungsverfahrens eines Rechtsanwalts oder sonstigen Bevollmächtigten bedient hätte. Der Kläger als Student im Fachbereich Wirtschaft verfüge über einen Bildungs- und Ausbildungsgrad, der über dem Durchschnitt liege. Die Einschaltung eines Rechtsanwalts sei jedenfalls im Zeitpunkt des Verfahrensstandes, in dem es um eine Tauglichkeitsüberprüfung gegangen sei, aus der Sicht eines vernünftigen Bürgers nicht geboten gewesen.
Der Kläger tritt der Revision entgegen und führt zur Begründung aus, der Tatbestand des § 80 Abs. 2 VwVfG sei ungeachtet der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nach dem Wortlaut der Norm auch dann erfüllt, wenn der Bürger das Vorverfahren ohne die Hilfe seines Anwalts nicht erfolgreich abgeschlossen hätte, d.h. wenn die Zuziehung des Bevollmächtigten objektiv notwendig gewesen sei. Dies sei hier der Fall. Der Einberufungsbescheid sei nämlich aufgehoben worden, weil nach Ablauf von mehr als zwei Jahren seit der letzten Überprüfung ein Antrag auf Tauglichkeitsüberprüfung nach § 20 b WPflG gestellt worden sei. Dies sei auf Veranlassung des hinzugezogenen Bevollmächtigten geschehen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Entscheidung kann mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung getroffen werden (§ 101 Abs. 2 VwGO). Die Revision ist zulässig und begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zwar zu Recht als zulässig angesehen; die ausgesprochene Verpflichtung der Beklagten, die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären, verstößt aber gegen Bundesrecht und ist deshalb aufzuheben.
1. Die Klage ist zulässig.
Die zutreffend in der Form der Verpflichtungsklage erhobene Klage ist gemäß § 75 Sätze 1 und 2 VwGO ohne vorherigen Abschluss des Vorverfahrens zulässig. Zwar hat das Kreiswehrersatzamt den seinem Bescheid anhaftenden Mangel, entgegen § 72 VwGO keine Kostenentscheidung zu treffen, im Ergänzungsbescheid vom 5. November 1999 korrigiert. Indem es aber auch dort den vom Kläger erstrebten positiven Ausspruch über die Erstattungsfähigkeit seiner Anwaltskosten versagt hat, hat es insoweit dem Widerspruch nicht abgeholfen mit der Folge, dass die Sache in diesem Umfang gemäß § 73 Abs. 1 Sätze 1 und 2 Nr. 1 VwGO der Wehrbereichsverwaltung als zuständiger Widerspruchsbehörde hätte vorgelegt werden müssen. Da dies unterblieben und deswegen ohne zureichenden Grund in angemessener Frist ein Widerspruchsbescheid nicht ergangen ist, ist die Klage jedenfalls nach Ablauf der Dreimonatsfrist als Untätigkeitsklage zulässig geworden. Dem entspricht es, dass nach allgemeiner Auffassung wegen unrichtiger oder unterbliebener Kostenentscheidung im Widerspruchsbescheid ein erneutes Vorverfahren nicht erforderlich ist (vgl. Urteil vom 25. September 1992 – BVerwG 8 C 16.90 – Buchholz 316 § 80 VwVfG Nr. 33 S. 33; Kopp/Schenke, VwGO, 12. Aufl. 2000, § 73 Rn. 19, § 79 Rn. 11).
Im Übrigen wäre die Verpflichtungsklage hier auch deswegen ohne Durchführung eines Vorverfahrens zulässig, weil die Wehrbereichsverwaltung als zuständige Widerspruchsbehörde für die Beklagte im erstinstanzlichen Verfahren zur Sache Stellung genommen und Klageabweisung beantragt hat.
2. Das Verwaltungsgericht vertritt in seinem Urteil die Ansicht, das Verfahren zur Heranziehung und Einberufung zum Wehrdienst sei so kompliziert, dass die Zuziehung eines Rechtsanwalts für das Vorverfahren aus der Sicht einer vernünftigen Partei notwendig sei. Dies gelte insbesondere mit Rücksicht darauf, dass der Kläger als Student einer Fachhochschule mit der Fachrichtung Wirtschaft auch juristischer Laie gewesen sei. Damit weicht das Verwaltungsgericht unter Verstoß gegen Bundesrecht von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 80 Abs. 2 VwVfG ab (a). Zu einer Änderung dieser Rechtsprechung gibt der Fall keinen Anlass (b). Im Übrigen ergeben sich aus den Umständen des vorliegenden Falls keine Anhaltspunkte für die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Rechtsanwalts (c).
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des früher für Wehrpflichtsachen zuständigen 8. Senats des Bundesverwaltungsgerichts ist die notwendige Vertretung durch einen Rechtsanwalt oder sonstigen Bevollmächtigten im Vorverfahren nicht die Regel, sondern die Ausnahme (vgl. Urteile vom 26. Februar 1993 – BVerwG 8 C 68/91 – Buchholz 316 § 80 VwVfG Nr. 34 = BayVBl 1994, 285 und vom 14. November 1979 – BVerwG 8 C 35.79 – Buchholz 316 § 80 VwVfG Nr. 2). § 80 Abs. 2 VwVfG bringt – ebenso wie die Vorschrift des § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO – zum Ausdruck, dass nach Einschätzung des Gesetzgebers im verwaltungsrechtlichen Vorverfahren eine Vertretung des Bürgers durch Rechtsanwälte oder sonstige Bevollmächtigte in der Regel weder üblich noch erforderlich ist. Aus diesem Grunde ordnen beide Vorschriften eine Einzelfallprüfung der Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten an. Die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren ist unter Würdigung der jeweiligen Verhältnisse vom Standpunkt einer verständigen Partei aus zu beurteilen. Maßgebend ist, ob sich ein vernünftiger Bürger mit gleichem Bildungs- und Erfahrungsstand bei der gegebenen Sachlage eines Rechtsanwalts oder sonstigen Bevollmächtigten bedient hätte. Notwendig ist die Zuziehung eines Rechtsanwalts nur dann, wenn es der Partei nach ihren persönlichen Verhältnissen und wegen der Schwierigkeiten der Sache nicht zuzumuten war, das Vorverfahren selbst zu führen (stRspr; vgl. u.a. Urteile vom 14. November 1979, a.a.O., vom 14. Januar 1983 – BVerwG 8 C 73.80 – Buchholz 316 § 80 VwVfG Nr. 13 S. 15 f., vom 28. Oktober 1983 – BVerwG 8 C 185.81 – Buchholz 316 § 80 VwVfG Nr. 15 ≪n.L.≫, vom 26. November 1985 – BVerwG 8 C 115.83 – Buchholz 316 § 80 VwVfG Nr. 18 ≪n.L.≫, vom 14. August 1987 – BVerwG 8 C 129.84 – Buchholz 316 § 80 VwVfG Nr. 25 und vom 15. Februar 1991 – BVerwG 8 C 83.88 – Buchholz 310 § 72 VwGO Nr. 14).
An dieser Rechtsprechung hat der nunmehr für Wehrpflichtsachen zuständige erkennende Senat festgehalten. Namentlich hat er ausdrücklich der Ansicht widersprochen, die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten in Tauglichkeitsfeststellungsverfahren sei etwa deshalb stets notwendig, weil ihnen typischerweise eine besondere Schwierigkeit innewohne. Es kann nämlich nicht davon ausgegangen werden, dass ein Widerspruch, den ein Wehrpflichtiger ohne anwaltlichen Beistand gegen den Musterungsbescheid einlegt und begründet, von vornherein zum Scheitern verurteilt ist mit der Folge, dass die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten in jedem Stadium des Verfahrens notwendig i.S. von § 80 Abs. 2 VwVfG wäre (vgl. Beschluss vom 14. Januar 1999 – BVerwG 6 B 118.98 – Buchholz 316 § 80 VwVfG Nr. 42 S. 3). Allerdings hat der Senat klargestellt, dass für die Auslegung und Anwendung von § 80 Abs. 2 VwVfG bzw. § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO weniger das Begriffspaar „Regel/Ausnahme” als vielmehr die Feststellung aussagekräftig ist, wonach die Erstattungsfähigkeit von Anwaltskosten im Vorverfahren – anders als diejenige im gerichtlichen Verfahren (§ 162 Abs. 2 Satz 1 VwGO) – nicht automatisch, sondern je nach Lage des Einzelfalls nur unter der Voraussetzung der konkreten Notwendigkeit anzuerkennen ist (Beschluss vom 14. Januar 1999 a.a.O. S. 6; vgl. ferner Beschluss vom 24. Mai 2000 – BVerwG 7 C 8.99 – Buchholz 428 § 38 VermG Nr. 5 S. 4).
b) Der vorliegende Rechtsstreit gibt keine Veranlassung, diese Rechtsprechung zu ändern, und zwar weder aus den Gründen, die im erstinstanzlichen Urteil ausgeführt sind, noch aus solchen, die der Kläger in der Revisionserwiderung vorgetragen hat.
aa) Das Verwaltungsgericht deutet Zweifel an der ständigen Rechtsprechung zu § 80 Abs. 2 VwVfG an, soweit es um ihre Rechtfertigung anhand der Entstehungsgeschichte der Norm geht. Der Gesetzgeber sei bei der in § 80 Abs. 2 VwVfG getroffenen Regelung – „allerdings nicht belegbar” – davon ausgegangen, dass im Vorverfahren eine Bevollmächtigung Dritter, insbesondere eines Rechtsanwalts, nicht üblich und in der Regel auch nicht notwendig sei, und zwar trotz der im Allgemeinen besseren Ausstattung der Behörden mit fachkundigem Personal (Entscheidungsgründe S. 8).
Diese Zweifel sind nicht angebracht. Die heutige Regelung in § 80 Abs. 2 VwVfG geht zurück auf § 76 Abs. 2 des Regierungsentwurfs eines Verwaltungsverfahrensgesetzes (BTDrucks 7/910 S. 25). Zur Begründung der vorgeschlagenen Regelung wurde ausgeführt, die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts oder eines sonstigen Bevollmächtigten seien nach den Maßstäben zu erstatten, nach denen im verwaltungsgerichtlichen Verfahren gemäß § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO über die Kosten des Vorverfahrens zu entscheiden wäre (BTDrucks 7/910 S. 92). Die Regelung in § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO wiederum geht auf den Regierungsentwurf zu § 159 Abs. 2 Satz 2 VwGO zurück (BTDrucks 3/55 S. 20). Zur Begründung dieses Regelungsvorschlages wurde ausgeführt, mit Rücksicht darauf, dass im Verwaltungsverfahren eine besondere Vertretung in der Regel nicht üblich und auch nicht notwendig sei, seien die Kosten für eine besondere Vertretung im Vorverfahren nur dann erstattungsfähig, wenn das Gericht die Zuziehung eines Bevollmächtigten für erforderlich halte (a.a.O. S. 48). Diese Ableitung aus der Entstehungsgeschichte des § 80 Abs. 2 VwVfG ist nachweislich für die ständige Rechtsprechung auch mitbegründend gewesen (vgl. z.B. BVerwG, Urteil vom 26. Februar 1993 a.a.O.; Urteil vom 26. Januar 1996 – BVerwG 8 C 15.95 – Buchholz 316 § 80 Nr. 36).
bb) Das Hauptargument des Klägers liegt darin, dass der Tatbestand des § 80 Abs. 2 VwVfG nach dem Wortlaut der Norm jedenfalls immer dann erfüllt sei, wenn der Bürger das Vorverfahren ohne die Hilfe des Anwalts nicht erfolgreich abgeschlossen hätte. Dieser Argumentation kann nicht gefolgt werden. Maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung der Frage, ob es für Bürger zumutbar ist, das Vorverfahren selbst zu führen, ist derjenige der Hinzuziehung des Rechtsanwalts, d.h. seiner förmlichen Bevollmächtigung (vgl. Urteil vom 26. Januar 1996 a.a.O.; Urteil vom 18. April 1988 – BVerwG 6 C 41.85 – Buchholz 316 § 80 VwVfG Nr. 26 S. 10 ≪14 f.≫). In diesem Zeitpunkt stellt sich für den Widerspruchsführer die Frage, ob es angesichts seiner persönlichen Verhältnisse und wegen der Schwierigkeit der Sache zumutbar ist, das Vorverfahren selbst zu führen (vgl. auch Beschlüsse vom 26. Januar 1994 – BVerwG 4 B 176.93 – Buchholz 310 § 162 VwGO Nr. 28 S. 1 f. und vom 17. Januar 1995 – BVerwG 4 B 1.95 – Buchholz 310 § 162 VwGO Nr. 29 S. 2 ≪3≫). Bei der Beurteilung der Schwierigkeit der Rechtssache ist von der Sachlage auszugehen, wie sie sich dem Widerspruchsführer im Zeitpunkt der Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten darstellt. Ob in Einzelfällen später eintretende Erschwernisse in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht zu berücksichtigen sind und ob dann die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Rechtsanwalts mit kostenrechtlicher Wirkung erst mit diesem späteren Zeitpunkt des Eintritts der Erschwernis anzuerkennen ist, kann hier auf sich beruhen (vgl. Urteil vom 26. Januar 1996 a.a.O. S. 4), weil derartige nachhaltige Veränderungen während der Dauer des Widerspruchsverfahrens betreffend den Einberufungsbescheid vom 10. März 1999 nicht eingetreten sind.
Im Übrigen ist nicht erkennbar, inwieweit der vom Kläger eingeführte Gesichtspunkt der „objektiven Notwendigkeit” seinem Begehren zum Erfolg verhelfen könnte. Hätte der Kläger persönlich Widerspruch eingelegt und diesen unter Vorlage ärztlicher Atteste begründet, so hätte das Widerspruchsverfahren nämlich voraussichtlich denselben Verlauf genommen, wie dies hier tatsächlich unter anwaltlicher Mitwirkung geschehen ist. Eine erneute Untersuchung des Klägers hätte die Beklagte nach der in § 20 b WPflG getroffenen Regelung auch dann veranlassen müssen, wenn der Kläger einen dahin gehenden Antrag nicht ausdrücklich gestellt hätte. Wenn der Kläger von sich aus ein fachärztliches oder psychologisches Attest zu seinem psychischen Gesundheitszustand vorgelegt hätte, so wäre ebenfalls damit zu rechnen gewesen, dass der Einberufungsbescheid mangels positiver Feststellung seiner Wehrdienstfähigkeit zum Gestellungszeitpunkt aufgehoben worden wäre. Angesichts dessen ist die sichere Feststellung, der Erfolg des Widerspruchs sei allein anwaltlicher Hilfe geschuldet, nicht möglich.
c) Das angefochtene Urteil verstößt aus den aufgezeigten Gründen gegen Bundesrecht. Es kann auch nicht deswegen Bestand haben, weil es sich aus anderen Gründen als richtig erwiese (§ 144 Abs. 4 VwGO). Der festgestellte Sachverhalt rechtfertigt es in Anwendung der dargelegten Grundsätze nicht, im vorliegenden Fall die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts im Vorverfahren als notwendig anzuerkennen. Dies gilt namentlich auch mit Blick auf die in der Revisionserwiderung des Klägers hervorgehobenen Aspekte.
Der Kläger hat angeführt, im März 1999 erstmals einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragt zu haben, weil seine juristischen Kenntnisse nicht ausgereicht hätten, sich gegen den Einberufungsbescheid vom 10. März 1999 zu wehren. Sein Bevollmächtigter habe daraufhin für ihn eine ärztliche Nachuntersuchung beantragt, und diese habe schließlich das Kreiswehrersatzamt Detmold dazu veranlasst, mit Bescheid vom 13. Oktober 1999 den Einberufungsbescheid aufzuheben. Dabei sei es nicht vorrangig darauf angekommen, Anhaltspunkte für eine Verschlechterung seines Gesundheitszustandes vorzubringen, sondern darauf, den Umstand auszunutzen, dass ein Anspruch auf Überprüfungsuntersuchung gemäß § 20 b Satz 2 1. Alternative WPflG bestanden habe, nachdem der letzte Tauglichkeitsüberprüfungsbescheid mehr als zwei Jahre zurückgelegen habe. Diese Untersuchung habe er nicht aus eigener Kenntnis oder aufgrund Beratung durch das Kreiswehrersatzamt beantragt, sondern lediglich aufgrund der Hinzuziehung des Bevollmächtigten.
Mit diesem Vorbringen ist die Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten nicht dargetan. Dem Kläger war es vielmehr zuzumuten, den Widerspruch gegen den Einberufungsbescheid persönlich zu erheben. Aufgrund seiner persönlichen Verhältnisse war er in der Lage, seine Rechte in dem zur Aufhebung des Einberufungsbescheids und zu seiner Zurückstellung vom Wehrdienst führenden Vorverfahren ohne Inanspruchnahme eines Rechtsanwalts zweckentsprechend zu verfolgen. Der Kläger war im Zeitpunkt der Einlegung des Widerspruchs Student der Wirtschaft an einer Fachhochschule und somit genügend gewandt, seinen Standpunkt zu formulieren. Er hat sich auch in den zurückliegenden Jahren in unterschiedlichen Phasen des Wehrheranziehungsverfahrens zweckmäßig und im Sinne seiner Interessen erfolgreich verhalten, indem er wiederholt die Zurückstellung von der Ableistung des Wehrdienstes erreicht hat. Von daher ergab sich keine Notwendigkeit, in diesem Fall des Widerspruchs gegen den Einberufungsbescheid vom 10. März 1999 einen Bevollmächtigten hinzuzuziehen.
Entgegen der Annahme des Klägers kann die Notwendigkeit der Hinzuziehung nicht damit begründet werden, der Bevollmächtigte habe den Antrag auf Überprüfungsuntersuchung nach § 20 b WPflG veranlasst, in dessen Folge dem Widerspruch gegen Einberufungsbescheid abgeholfen werden sei. Der Kläger war nicht daran gehindert, Anhaltspunkte für gesundheitliche Mängel innerhalb des Widerspruchsverfahrens selbst und ohne Bevollmächtigten vorzubringen, wie er das in den zurückliegenden Jahren wiederholt getan hatte. Ob der Wehrpflichtige unter gesundheitlichen Beschwerden leidet, welche einer Heranziehung zum Wehrdienst entgegenstehen können, weiß er im Allgemeinen selbst. Von ihm kann daher erwartet werden, dass er Ärzte aufsucht und sich von diesen die festgestellten gesundheitlichen Leiden bescheinigen lässt. Dies gilt auch für psychische Leiden. Ist der Wehrpflichtige sich unsicher, ob der Leidensdruck für eine Nichtheranziehung zum Wehrdienst ausreicht, so ist nicht der Gang zum Rechtsanwalt, sondern derjenige zum Facharzt der richtige Weg. Zwar musste der Kläger die Regelung in § 20 b WPflG nicht kennen. Doch musste sich ihm aufdrängen, dass in seinem Fall, in welchem die letzte Tauglichkeitsüberprüfung zum Zeitpunkt des Einberufungstermins nahezu 3 ½ Jahre zurücklag, die Vorlage aktueller ärztlicher Atteste unvermeidlich zur erneuten Überprüfung seiner Tauglichkeit durch die Beklagte führen musste.
Ebenso lag auf der Hand, dass eine erneute Tauglichkeitsüberprüfung Folgen für den Bestand des Einberufungsbescheids haben konnte. Dies gilt jedenfalls mit Rücksicht darauf, dass der Kläger im Anhörungsschreiben des Kreiswehrersatzamts Detmold vom 25. Februar 1999 darüber unterrichtet worden war, dass er der angekündigten Einberufung gesundheitliche Einwände entgegenhalten könne. Dieser behördliche Hinweis traf auch in der Sache zu. Da der Kläger nach § 20 b Satz 2 WPflG einen Anspruch auf eine erneute Tauglichkeitsüberprüfung hatte, konnte die zuvor ergangene unanfechtbare Entscheidung über seine Tauglichkeit nicht mehr Grundlage für seine Einberufung zum 1. November 1999 sein (vgl. Urteil vom 29. Mai 1991 – BVerwG 8 C 52.89 – BVerwGE 88, 241, 246). Der Kläger konnte daher – für ihn ohne weiteres erkennbar – seine Tauglichkeitseinwände dem Einberufungsbescheid einredeweise entgegensetzen. Er war verfahrensrechtlich nicht gehalten, früher ergangene, unanfechtbare Musterungsentscheidungen mittels einer darauf bezogenen speziellen Antragstellung aus der Welt zu schaffen.
Besonderheiten, die geplante zahnärztliche und kieferorthopädische Behandlungen im Tauglichkeitsfeststellungsverfahren unter Umständen mit sich bringen können (vgl. dazu BVerwGE 108, 122), lagen hier nicht vor. Der Kläger war nicht gehindert, die geplante kieferorthopädische Behandlung der Einberufung ebenso entgegenzusetzen wie seine anderen gesundheitlichen Einwände.
Schließlich ist auch der Wegfall des Suspensiveffekts gemäß § 33 Abs. 4 Satz 2 WPflG jedenfalls im vorliegenden Fall kein Grund, der die Hinzuziehung eines Anwalts im Vorverfahren rechtfertigen konnte. Der Bescheid, durch welchen der Kläger zum 1. November 1999 zum Wehrdienst einberufen wurde, ist bereits am 10. März 1999 ergangen. Der Kläger musste daher seinen Widerspruch gegen den Einberufungsbescheid nicht mit einem gerichtlichen Aussetzungsantrag nach § 80 Abs. 5 VwGO verbinden, um seiner sofortigen Einberufung zu entgehen. Es lag somit nicht jene Parallelität von Widerspruchs- und Aussetzungsverfahren vor, welche anwaltlichen Beistand unentbehrlich machen könnte. Hätte die Beklagte bis zum 1. November 1999 den Einberufungsbescheid weder aufgehoben noch außer Vollzug gesetzt, so hätte sich der Kläger zu gegebener Zeit immer noch rechtzeitig anwaltlichen Beistandes versichern können.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Unterschriften
Bardenhewer, Hahn, Gerhardt, Büge, Graulich
Fundstellen
Haufe-Index 707559 |
ZAP 2002, 494 |