Entscheidungsstichwort (Thema)
Rückforderung von Lastenausgleichsleistung. Schadensausgleich. auszugleichender Schaden. festgestellter Wegnahmeschaden
Leitsatz (amtlich)
Maßgebliche Grundlage für den Rückforderungsanspruch wegen Schadensausgleichs nach § 349 LAG ist der durch den früheren bestandskräftigen Feststellungsbescheid im Lastenausgleichsverfahren festgestellte Schaden (im Anschluß an Urteile vom 22. Oktober 1998 – BVerwG 3 C 37.97 – BVerwGE 107, 294 und – BVerwG 3 C 16.98 –).
Normenkette
LAG § 342 Abs. 3, § 349
Verfahrensgang
VG Osnabrück (Entscheidung vom 10.03.1999; Aktenzeichen 6 A 182/97) |
Tenor
Auf die Revision des Vertreters der Interessen des Ausgleichsfonds beim Bundesverwaltungsgericht wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Osnabrück vom 10. März 1999 geändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Rechtsstreits.
Tatbestand
I.
Die Parteien streiten darüber, ob die Lastenausgleichsbehörde berechtigt ist, die Kläger nach § 349 LAG zur Rückgewähr erhaltener Lastenausgleichsleistungen zu verpflichten.
Die Kläger sind in ungeteilter Erbengemeinschaft nach der 1960 verstorbenen Erblasserin Eigentümer von Grundvermögen in Bad E. Das zuvor als Pension genutzte Hausgrundstück war seit 1. April 1966 durch einen Verwalter verpachtet. Durch Bescheid vom 28. März 1984 stellte der Landkreis E. einen Wegnahmeschaden an dem Grundvermögen zum Zeitpunkt 1. September 1980 fest. Gemäß Bescheiden vom 28. Mai 1984 wurden den Klägern je 10 250 DM Hauptentschädigung und 1 947,50 DM Zinszuschlag zuerkannt.
Nachdem die Kläger die volle Verfügungsgewalt über das Anwesen wiedererlangt hatten, forderte die Beklagte durch Bescheide vom 27. Februar 1997 die ihnen gewährte Hauptentschädigung zurück.
Nach erfolglosem Beschwerdeverfahren haben die Kläger Anfechtungsklage erhoben. Sie haben vorgetragen, die Hauptentschädigung sei ihnen gewährt worden, weil sie gezwungen gewesen seien, das Anwesen für Erholungszwecke sowjetischer Offiziere zu einem extrem niedrigen Pachtzins zu verpachten. Demzufolge sei mit dem Anspruch auf Hauptentschädigung nach dem Lastenausgleichsgesetz nicht der Eigentumsverlust, sondern entgangene Nutzung geltend gemacht worden. Dieser Schaden sei nach dem 31. Oktober 1989 nicht ausgeglichen worden und damit § 349 LAG nicht anwendbar.
Das Verwaltungsgericht Osnabrück hat der Klage mit Urteil vom 10. März 1999 stattgegeben. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt: Über § 349 Abs. 1 LAG i.V.m. § 342 Abs. 3 LAG könne eine Rückgewähr der Lastenausgleichsleistungen nur verlangt werden, wenn ein Schadensausgleich für einen ursprünglichen Schaden stattgefunden habe, für den die Ausgleichsleistung anfänglich zu Recht gewährt worden sei. Das folge aus dem Zweck des Gesetzes, Doppelentschädigungen zu vermeiden und dem daraus abgeleiteten Grundsatz der Objektidentität. § 349 LAG diene nicht dazu, die wegen Fehlens eines Wegnahmeschadens von Anfang an rechtswidrige Gewähr von Lastenausgleich aus dem zufälligen Anlaß einigungsbedingter Wiedererlangung uneingeschränkter Zugriffsmöglichkeit im nachhinein zu korrigieren. Die Korrektur anfänglich rechtswidriger Gewährungen richte sich ausschließlich nach den Regeln des allgemeinen Verwaltungsrechts über die Rücknahme rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakte. Demzufolge komme es nicht auf die Bestandskraft einer Schadensfeststellung an. Diese Feststellung entfalte im Rahmen des § 349 LAG keine Tatbestandswirkung, der allein an einen tatsächlich eingetretenen und später wieder ausgeglichenen Schaden anknüpfe. An diesem somit für den Schadensausgleich erforderlichen anfänglichen Schaden fehle es hier. Die Lastenausgleichsbehörden hätten den Klägern die Leistungen rechtswidrig unter Verstoß gegen § 4 Abs. 1 BFG gewährt. Diese Bestimmung setze einen vollständigen Verlust des betroffenen Wirtschaftsgutes voraus, eine – wie hier – nur teilweise Beschränkung der Nutzungsmöglichkeiten, bei der der Substanzwert des Wirtschaftsgutes für die Rechtsinhaber erhalten bleibe, genüge nicht. Auch die unter dem Gesichtspunkt der wirtschaftlichen Auszehrung von Grundvermögen von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze seien nicht erfüllt gewesen. Das Wegnahmerundschreiben des Bundesausgleichsamts in der Fassung vom 1. August 1981, auf das sich der Landkreis bei seinem Feststellungsbescheid gestützt habe, könne keine verbindliche Wirkung beanspruchen. Selbst wenn man ihm die Wirkung einer Regelvermutung zubillige, greife diese hier nicht, weil die Kläger in wirtschaftlich noch hinnehmbarem Umfang durch die Bevollmächtigung eines Verwalters über das Hausgrundstück hätten verfügen können.
Gegen dieses Urteil hat der Vertreter der Interessen des Ausgleichsfonds beim Bundesverwaltungsgericht Revision eingelegt und sie wie folgt begründet: Das angefochtene Urteil lege § 349 LAG unrichtig aus. Wortlaut und Sinn der Vorschrift sprächen gegen jede rechtliche Bewertung der Feststellungen im früheren Lastenausgleichsverfahren. Das für § 349 LAG entscheidende Merkmal sei der Schadensausgleich. Hierunter falle neben der Rückgabe auch die Wiedererlangung der vollen Verfügbarkeit. Auf die Frage, ob die ursprünglichen Schadensfeststellungen fehlerhaft waren, komme es nicht an.
Die Kläger treten dem entgegen und verteidigen das angefochtene Urteil.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 VwGO) und erweist sich auch nicht aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO).
Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, die in den angefochtenen Bescheiden des Beklagten angenommenen Voraussetzungen für eine Rückforderung von Lastenausgleichsleistungen lägen nicht vor, beruht auf einer unrichtigen Auslegung des § 349 LAG.
Rechtsgrundlage der angefochtenen Rückforderungsbescheide ist § 349 des Lastenausgleichsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Juni 1993 (BGBl I S. 845) und des im Zeitpunkt der letzten behördlichen Entscheidung geltenden 32. Gesetzes zur Änderung des Lastenausgleichsgesetzes vom 27. August 1995 (BGBl I S. 1090).
Nach § 349 Abs. 1 Satz 1 LAG sind „in den Fällen des § 342 Abs. 3” die zuviel gewährten Ausgleichsleistungen zurückzufordern. Ein Fall des § 342 Abs. 3 LAG liegt vor, wenn nach dem 31. Dezember 1989 ein Schaden ganz oder teilweise ausgeglichen worden ist. Diese Voraussetzungen verneint das Verwaltungsgericht, weil es der Auffassung ist, die Rückforderung setze die Feststellung voraus, daß ursprünglich ein Schaden bestanden habe, für den Ausgleichsleistungen zu Recht gewährt worden seien. Mit dieser rechtlichen Beschränkung der Rückforderung nach § 349 LAG auf frühere – ohne Berücksichtigung der Bestandskraft der im Lastenausgleichsverfahren ergangenen Feststellungs- und Gewährungsbescheide – rechtmäßige Leistungsgewährung verkennt das Verwaltungsgericht den Begriff des Schadens in § 342 Abs. 3 LAG. Maßgeblich ist danach der festgestellte Wegnahmeschaden, der in der wirtschaftlichen Einschränkung der Verfügungsmöglichkeit bestand, die zur Gewährung von Lastenausgleichsleistungen geführt hat und nach dem gesetzlichen Stichtag (31. Dezember 1989) weggefallen ist.
Auf die Relevanz der früheren Bescheide für die Schadensfeststellung, die im Gegensatz zu der vom Verwaltungsgericht unabhängig von diesen Bescheiden geforderten Klärung steht, ob seinerzeit ein klärungsfähiger Schaden vorgelegen habe, hat der Senat bereits in den Urteilen vom 22. Oktober 1989 – BVerwG 3 C 16.98 und BVerwG 3 C 37.97 – (BVerwGE 107, 294) hingewiesen, wenn auch in diesen Entscheidungen die Frage der Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit der ursprünglichen Feststellungen nicht ausdrücklich Gegenstand der Erörterungen war.
Schon der Wortlaut der gesetzlichen Regelung spricht gegen die vom Verwaltungsgericht vertretene Auffassung, wenn man das Tatbestandsmerkmal „Schaden” in § 342 Abs. 3 LAG nicht isoliert betrachtet, sondern in Zusammenhang mit der Schadensausgleichsregelung in § 349 Abs. 3 Satz 1 LAG stellt, in der das Gesetz ausdrücklich von dem „festgestellten” Schaden spricht. Die Vorschrift konkretisiert nach § 349 Abs. 1 Satz 1 LAG die Rückforderungsregelung in den Fällen des § 342 Abs. 3 LAG und zeigt, daß die Frage des erfolgten Schadensausgleichs nach Maßgabe der ursprünglichen Schadensfeststellung zu beantworten ist.
Sinn und Zweck der Regelung des § 349 Abs. 1 Satz 1 LAG, Doppelentschädigungen zu Lasten der öffentlichen Hand zu vermeiden (vgl. BTDrucks 12/2170 S. 11), gebieten die Auslegung, daß der Lastenausgleichsgewährung dann die Grundlage entzogen ist, wenn das Vermögensobjekt, für dessen Entzug Lastenausgleich gezahlt worden ist, nachträglich zurückerlangt wurde. Dann ist jedenfalls der festgestellte Schaden ausgeglichen. Es kann schlechterdings keine Rolle spielen, ob die ursprüngliche Schadensfeststellung rechtmäßig oder rechtswidrig war. Die Auffassung des angefochtenen Urteils, in diesem Fall werde die staatliche Einigung als Vorwand für eine Korrektur einer ursprünglichen Rechtswidrigkeit benutzt, entbehrt jeder Grundlage. Nicht die ursprüngliche Rechtswidrigkeit ist der Grund für die Rückforderung; sie wird in den angefochtenen Bescheiden überhaupt nicht angesprochen. Der Grund ist vielmehr die Wiederherstellung der uneingeschränkten Verfügungsmöglichkeit im Gefolge der deutschen Einheit, deren Verlust seinerzeit als Wegnahme des Vermögensgegenstandes anerkannt wurde. Die in den vorgenannten Urteilen vom 22. Oktober 1989 vorgenommene wirtschaftliche Betrachtung von „Wegnahme” und „Rückgabe” bzw. „Wiedererlangung der vollen Verfügungsbefugnis” ist mit anderen Worten auch dann durchzuführen, wenn die festgestellte Wegnahme nicht – wie bei einer Enteignung – in einem Eigentumsverlust (vgl. § 1 Abs. 1 – 3 VermG) und auch nicht – wie bei der staatlichen Verwaltung – in einer erst durch einigungsbedingte Vorschriften (vgl. § 1 Abs. 4 VermG) aufzuhebenden Einschränkung der Verfügungsbefugnis bestand, sondern „nur” in der dem „Westeigentümer” aufgezwungenen wirtschaftlichen Auszehrung des Eigentums; auch in einem solchen Fall ist die „Wegnahme” bei wirtschaftlicher Betrachtung als Folge der deutschen Einheit entfallen.
Die gegenüber der seinerzeit bereits bestehenden Regelung der Verfahrenswiederaufnahme bei nachträglichem Schadensausgleich (§ 342 Abs. 2 Satz 1, Ziff. 2 LAG) im Hinblick auf die massenhafte Rückgabe von Vermögenswerten nach der deutschen Einheit vom Gesetzgeber eingeführte Vereinfachung der Rückforderungsabwicklung (vgl. BTDrucks 12/2170 S. 11) würde ihren Sinn verlieren und geradezu in das Gegenteil verkehrt, wenn jeweils die materiellrechtliche Rechtmäßigkeit der früheren Schadensfeststellung nachzuprüfen wäre.
Auf der Grundlage dieser Erwägungen kann das angefochtene Urteil keinen Bestand haben.
Die Entscheidung ist auch nicht aus anderen Gründen als im Ergebnis richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO) anzusehen. Die gesetzlichen Voraussetzungen des § 349 LAG für den Erlaß der Rückforderungsbescheide liegen nach den im übrigen nicht beanstandeten Feststellungen des Verwaltungsgerichts vor. Die bestandskräftigen Feststellungsbescheide sind auf den Wegnahmeschaden am Grundvermögen wegen der Verfügungseinschränkungen in der ehemaligen DDR gestützt. Das ergibt sich unmißverständlich aus dem Bescheid. Demgegenüber können die Kläger auch nicht mit Erfolg geltend machen, sie hätten die Hauptentschädigung als Nutzungsentschädigung beantragt. Maßgebend ist der in den Bescheiden festgestellte Grund für die Zuerkennung der Lastenausgleichsleistung. Im übrigen hätten die Kläger unter der von ihnen geltend gemachten Vorgabe keine Lastenausgleichsleistungen erlangen können. Nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 BFG unterliegen die angeführten Nutzungsschäden gar nicht der Schadensfeststellung.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Unterschriften
Prof. Dr. Driehaus, van Schewick, Dr. Borgs-Maciejewski, Kimmel, Dr. Brunn
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 18.05.2000 durch Riebe Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 558273 |
VIZ 2000, 596 |
NJ 2000, 611 |
OVS 2000, 284 |