Entscheidungsstichwort (Thema)
Erstattungsanspruch des Sozialhilfeträgers des “Anstaltsortes”, tatbestandliche Rückanknüpfung an einen gewöhnlichen Aufenthalt vor Inkrafttreten des Bundessozialhilfegesetzes in den neuen Bundesländern. Sozialhilferecht, Erstattungsansprüche zwischen Sozialhilfeträgern der alten und neuen Bundesländer. Prozesszinsen auf Erstattungsansprüche zwischen Sozialhilfeträgern
Leitsatz (amtlich)
- Für die Erstattung von Kosten nach § 103 Abs. 1 BSHG F. 1991, die nach dem Inkrafttreten des Bundessozialhilfegesetzes in den neuen Bundesländern (1. Januar 1991) aufgewendet worden sind, kann auch auf einen im Bereich der neuen Bundesländer vor diesem Zeitpunkt begründeten gewöhnlichen Aufenthalt zurückgegriffen werden (wie BVerwGE 107, 52).
- Erstattungsansprüche von Sozialhilfeträgern der alten gegen Sozialhilfeträger der neuen Bundesländer werden durch die Maßgabe Nr. 3b) der Anlage I Kap. X Sachgebiet H Abschnitt III zum Einigungsvertrag weder dem Grunde noch der Höhe nach eingeschränkt (Fortführung von BVerwGE 107, 52).
- Prozesszinsen auch bei Kostenerstattungsansprüchen unter Sozialhilfeträgern.
Normenkette
BSHG § 103; BGB §§ 288, 291
Verfahrensgang
OVG für das Land Brandenburg (Urteil vom 15.04.1999; Aktenzeichen 4 A 220/97) |
VG Cottbus (Entscheidung vom 13.05.1997; Aktenzeichen 3 K 219/94) |
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Brandenburg vom 15. April 1999 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Tatbestand
I.
Der Kläger, überörtlicher Träger der Sozialhilfe im Freistaat Bayern, nimmt den Beklagten, den überörtlichen Träger der Sozialhilfe im Land Brandenburg, nach § 103 BSHG F. 1991 auf Erstattung von Aufwendungen in Anspruch, die ihm durch den Heimaufenthalt des 1981 geborenen, körperlich und geistig schwerstbehinderten Stefan H.… (Hilfeempfänger) in der Zeit ab dem 1. Januar 1991 (In-Kraft-Treten des Bundessozialhilfegesetzes in den neuen Bundesländern) bis zum 26. Juni 1993 entstanden sind.
Der Hilfeempfänger war bis zum 17. April 1990 in einem Pflegeheim in E.… (ehemalige DDR) untergebracht gewesen. Nachdem ihn seine Mutter, die zu dieser Zeit mit einem weiteren Sohn in einer so genannten Ausweichunterkunft für DDR-Flüchtlinge in S.… bei Augsburg wohnte, am 17. April 1990 in E.… abgeholt hatte, beantragte sie am 18. April 1990 die Hilfeleistung des Klägers, der ihr, wie sie im Verwaltungsverfahren behauptete, zuvor mitgeteilt hatte, er verfüge über einen freien Heimplatz. Der Kläger brachte den Hilfeempfänger am 19. April 1990 zunächst in einem Kurzzeitheim für behinderte Kinder und Jugendliche in D.… (Landkreis Ostallgäu) und ab dem 19. November 1990 bis zum 26. Juni 1993 in einem Heim in M.…/Baden unter.
Der Beklagte lehnte eine Kostenerstattung mit der Begründung ab, der Hilfeempfänger habe am 18. April 1990 einen neuen gewöhnlichen Aufenthalt bei seiner Mutter in S.… begründet gehabt, sodass der Kläger zuständig sei. Dessen Klage hat das Verwaltungsgericht abgewiesen, weil der Hilfeempfänger bei seiner Aufnahme in eine Pflegeeinrichtung des Klägers und in den zwei Monaten davor keinen “gewöhnlichen Aufenthalt” im Geltungsbereich des Bundessozialhilfegesetzes gehabt habe.
Das Oberverwaltungsgericht hat der Klage stattgegeben und den Beklagten zur Zahlung von 145 527,30 DM nebst 4 % Zinsen hieraus seit dem 21. März 1994 (Klageerhebung) verurteilt. Dies ist im Wesentlichen wie folgt begründet:
Die Erstattungspflicht eines Sozialhilfeträgers in den neuen Bundesländern nach § 103 BSHG F. 1991 setze nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht voraus, dass der Hilfeempfänger noch im Zeitpunkt der Erstreckung des Geltungsbereichs des Bundessozialhilfegesetzes auf das Beitrittsgebiet dort seinen gewöhnlichen Aufenthalt gehabt habe; es sei davon auszugehen, dass die §§ 103 ff. BSHG nach dem Willen der Parteien des Einigungsvertrages ab dem 1. Januar 1991 ohne Einschränkung auch im Beitrittsgebiet gelten sollten. Die Übersiedlung des Hilfeempfängers von dem Kinderpflegeheim in E.… in das Heim in D.… stelle einen Übertritt im Sinne des § 103 Abs. 1 Satz 2 BSHG F. 1991 dar; das Verlassen der einen und die Aufnahme in die andere Einrichtung seien in einem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang erfolgt: Die Mutter des Hilfeempfängers sei schon vor Abholung ihres Sohnes in E.… entschlossen gewesen, ihn direkt nach Ankunft in Augsburg dort wieder in einem Heim unterzubringen. In ihrer Einraumwohnung in der Ausweichunterkunft für DDR-Flüchtlinge habe sie den Hilfeempfänger – zumal in Anbetracht seiner Schwerstbehinderung – nur kurzfristig vorübergehend aufnehmen können. Die eintägige Verzögerung der Aufnahme in ein Heim des Klägers sei lediglich darauf zurückzuführen gewesen, dass es noch organisatorischer Vorkehrungen des Klägers bedurft habe, um den Hilfeempfänger dort unterzubringen. Der darum dem Grunde nach aus § 103 BSHG F. 1991 gerechtfertigte Kostenerstattungsanspruch werde auch nicht durch die Überleitungsvorschriften des Einigungsvertrages ausgeschlossen oder eingeschränkt. Der (auch) Anstaltsorten in den alten Bundesländern durch § 103 BSHG F. 1991 gewährte Schutz liefe im Verhältnis zu den neuen Bundesländern leer, soweit sie die für zugezogene Hilfeempfänger aufgewendeten Kosten selbst tragen müssten. Ein solches Ergebnis hätte wegen des Vorbehalts des Gesetzes einer ausdrücklichen – hier nicht vorhandenen – gesetzlichen Grundlage bedurft; eine Lückenausfüllung durch Anwendung des in Anlage I Kapitel X Sachgebiet H Abschnitt III Nr. 3 des Einigungsvertrages möglicherweise “aufscheinenden” Rechtsgedankens sei nicht möglich. Die geltend gemachten Prozesszinsen stünden dem Kläger in entsprechender Anwendung der §§ 288, 291 BGB zu.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Beklagten. Er trägt vor, vorliegend sei ein gewöhnlicher Aufenthalt in S.… bei Augsburg begründet worden, da die Mutter des Hilfeempfängers ihren Sohn solange bei sich aufgenommen gehabt habe, bis ein Heimplatz gefunden werde; sie habe sich vorher mit dem Kläger nicht abgestimmt und deshalb nicht davon ausgehen können, dass ein Heimplatz sofort zur Verfügung stehen werde. Ein Übertritt im Sinne von § 103 Abs. 1 Satz 2 BSHG a.F. sei vorliegend offensichtlich nicht gegeben, weil beim Verlassen der ersten Einrichtung nicht festgestanden habe, ob, wo und wann der Hilfeempfänger untergebracht werden könne. Im Übrigen sei der Übertritt, wenn ein solcher unterstellt werde, vor In-Kraft-Treten des Einigungsvertrages und des Bundessozialhilfegesetzes in den neuen Bundesländern erfolgt, worin sich der vorliegende Fall von dem durch Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. Juni 1998 (BVerwGE 107, 52) entschiedenen Fall unterscheide. Diese Entscheidung sei überdies auf Erstattungsansprüche zwischen zwei Sozialhilfeträgern in den neuen Bundesländern beschränkt.
Der Kläger verteidigt das angegriffene Urteil.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist zulässig, aber nicht begründet.
Das Berufungsgericht hat in Übereinstimmung mit Bundesrecht (vgl. § 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) entschieden, dass der Beklagte dem Kläger die für den Heimaufenthalt des Hilfeempfängers Stefan H.… ab dem 1. Januar 1991 entstandenen finanziellen Aufwendungen erstatten muss. Die Revision des Beklagten ist darum zurückzuweisen (§ 144 Abs. 2 VwGO).
1. Der Erstattungsanspruch des Klägers ist nach § 103 Abs. 1 des Bundessozialhilfegesetzes in der hier maßgeblichen Fassung der Bekanntmachung vom 10. Januar 1991 (BGBl I S. 94, ber. S. 808) begründet. Danach sind Kosten, die ein Träger der Sozialhilfe für den Aufenthalt eines Hilfeempfängers in einer Anstalt, einem Heim oder einer gleichartigen Einrichtung oder im Zusammenhang hiermit aufgewendet hat, von dem sachlich zuständigen Träger zu erstatten, in dessen Bereich der Hilfeempfänger seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Zeitpunkt der Aufnahme in die Einrichtung hat oder in den zwei Monaten vor der Aufnahme zuletzt gehabt hat (Satz 1). Tritt jemand aus einer Anstalt, einem Heim oder einer gleichartigen Einrichtung in eine andere Einrichtung oder von dort in eine weitere Einrichtung über, richtet sich der kostenerstattungsverpflichtete Kostenträger nach dem gewöhnlichen Aufenthalt, der für die erste Einrichtung maßgebend ist (Satz 2). Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Bestimmung sind vorliegend erfüllt.
a) Hinsichtlich der Erstattungspflicht des Beklagten dem Grunde nach ist festzustellen:
aa) Der Beklagte stellt seine Erstattungspflicht zu Unrecht mit der Begründung in Abrede, dass der Hilfeempfänger seinen gewöhnlichen Aufenthalt schon vor dem hier streitigen Zeitraum (1. Januar 1991 bis 26. Juni 1993) im Zuständigkeitsbereich des Klägers begründet gehabt habe.
Der Hilfeempfänger hatte, bis ihn seine Mutter am 17. April 1990 aus dem Kinderpflegeheim in E.… in ihre Wohnung in S.… mitnahm, seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Zuständigkeitsbereich des Beklagten gehabt. Er ist von dort im Sinne des § 103 Abs. 1 Satz 2 BSHG F. 1991 in eine andere Einrichtung ”übergetreten”, nämlich zunächst in ein Kurzzeitheim für behinderte Kinder und Jugendliche in D.… und anschließend in ein Heim in M.…; die Kosten für den Aufenthalt in beiden Heimen trug der Kläger. An dem Merkmal eines ”Übertritts” im Sinne des Gesetzes fehlt es auch nicht deshalb, weil der Hilfeempfänger, nachdem ihn seine Mutter aus E.… abgeholt hatte, zunächst bei dieser seinen gewöhnlichen Aufenthalt begründet hätte oder weil von einer rechtserheblichen Unterbrechung seines Heimaufenthaltes auszugehen wäre.
Seinen “gewöhnlichen Aufenthalt” hat jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt (§ 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I). Dafür ist maßgeblich, wo jemand “im Sinne eines zukunftsoffenen Aufenthalts ‘bis auf weiteres’ verbleibt” (vgl. Urteil des Senats vom 18. März 1999 – BVerwG 5 C 11.98 – ≪Buchholz 436.0 § 107 BSHG Nr. 1≫). Nach diesem rechtlichen Maßstab kann der auf einen Tag beschränkte Aufenthalt des Hilfeempfängers bei seiner Mutter nicht als “gewöhnlicher Aufenthalt” gewertet, insbesondere nicht von einem “zukunftsoffenen Verbleib” des Hilfeempfängers außerhalb eines Heims ausgegangen werden.
Zwar bringt die Revision vor, die Mutter des Hilfeempfängers habe ihren Sohn “solange bei sich aufgenommen, bis ein Heimplatz gefunden wird”, sie habe “nicht davon ausgehen (können), dass ein Platz sofort zur Verfügung steht”, “bei dem Verlassen der ersten Einrichtung (habe) überhaupt nicht fest(gestanden), ob und wo und wann der Hilfeempfänger untergebracht werden könnte”. Dieser Sachvortrag ist jedoch rechtsunbeachtlich, weil im Revisionsverfahren mangels einer begründeten Verfahrensrüge von dem durch das Oberverwaltungsgericht festgestellten Sachverhalt auszugehen ist (§ 137 Abs. 2 VwGO). Danach war die Mutter des Hilfeempfängers schon, als sie ihn in E.… mitnahm, entschlossen, ihn direkt nach Ankunft in Augsburg dort wieder in einem Heim unterzubringen, und hat sie nach ihren Wohnverhältnissen weder die Möglichkeit noch den Willen gehabt, ihr Kind mehr als nur kurzfristig vorübergehend bei sich aufzunehmen; die eintägige Verzögerung zwischen der Vorsprache beim Kläger und der erneuten Heimaufnahme war auf organisatorische Vorkehrungen des Klägers zur Unterbringung des Hilfeempfängers zurückzuführen. Bei dieser von der Vorinstanz festgestellten Sachlage war der eintägige Aufenthalt des Hilfeempfängers in der Wohnung seiner Mutter selbst dann kein “zukunftsoffener Verbleib”, wenn seine Aufnahme in ein Heim des Klägers mit diesem – wie der Beklagte behauptet – zuvor noch nicht abgestimmt gewesen sein sollte.
Der eintägige Aufenthalt des Hilfeempfängers in der Wohnung seiner Mutter bedeutete auch keine maßgebliche Unterbrechung seines Aufenthaltes in Heimen. Vielmehr ist der Hilfeempfänger im Sinne von § 103 Abs. 1 Satz 2 BSHG F. 1991 aus einer Einrichtung in eine andere übergetreten. Denn nach dem von der Vorinstanz bindend festgestellten Sachverhalt standen der Heimaustritt des Hilfeempfängers in E.… und sein Heimeintritt in D.… in engem sachlichen und zeitlichen Zusammenhang. Die Hilfe in einem Heim, auf die der Hilfeempfänger unstreitig angewiesen ist, war nicht länger als für den konkreten Heimwechsel erforderlich unterbrochen.
bb) Dem Erstattungsanspruch des Klägers steht nicht entgegen, dass der Übertritt aus dem in Art. 3 des Einigungsvertrages (BGBl 1990 II S. 885) – EV – genannten Gebiet (Beitrittsgebiet) und schon zu einer Zeit erfolgt war (April 1990), als das Bundessozialhilfegesetz dort noch nicht galt. In seinem Urteil vom 15. Juni 1998 – BVerwG 5 C 30.97 – (BVerwGE 107, 52 ≪54≫) hat der Senat bereits festgestellt, dass eine Erstattung nach § 103 BSHG F. 1991 nicht deshalb ausgeschlossen ist, weil der Zeitpunkt der Aufnahme in die Einrichtung vor dem In-Kraft-Treten des Bundessozialhilfegesetzes im Beitrittsgebiet liegt, sondern dass auch auf einen im Bereich der neuen Bundesländer vor diesem Zeitpunkt begründeten Aufenthalt zurückgegriffen werden kann. Den insoweit interessierenden Überleitungsvorschriften des Einigungsvertrages in Gestalt der Maßgaben in Anlage I Kapitel X Sachgebiet H Abschnitt III Nr. 3, ist Abweichendes nicht zu entnehmen (BVerwG, a.a.O., S. 56). Das Kostenerstattungsrecht zwischen Sozialhilfeträgern (§§ 103 ff. BSHG) soll nach dem Willen der vertragschließenden Parteien des Einigungsvertrages ohne Einschränkung auch im Beitrittsgebiet gelten (BVerwG, a.a.O., S. 56). Soweit damit an Aufenthaltsverhältnisse angeknüpft wird, die zeitlich schon vor dem In-Kraft-Treten des Bundessozialhilfegesetzes liegen, ist dies als “unechte Rückwirkung” bzw. “tatbestandliche Rückanknüpfung” verfassungsrechtlich unbedenklich (s. BVerwG, a.a.O., S. 57, unter Hinweis auf BVerfGE 72, 200 ≪242 f.≫; 92, 277 ≪325≫; 95, 64 ≪86≫).
Der Umstand, dass die genannte Entscheidung des Senats einen Erstattungsstreit zwischen Sozialhilfeträgern im Beitrittsgebiet betraf, während es im vorliegenden Rechtsstreit um die Rechtsbeziehung zwischen einem Sozialhilfeträger aus den alten Bundesländern und einem Sozialhilfeträger aus den neuen Bundesländern geht, rechtfertigt keine abweichende Beurteilung.
Der vom Senat aus den Maßgaben der Anlage I Kapitel X Sachgebiet H Abschnitt III Nr. 3 zum Einigungsvertrag gezogene Rückschluss, dass die §§ 103 ff. BSHG nach dem Willen der vertragschließenden Parteien ab dem 1. Januar 1991 “ohne Einschränkung auch im Beitrittsgebiet gelten sollen” (BVerwG, a.a.O., S. 56), erstreckt sich auch auf Rechtsbeziehungen zwischen Sozialhilfeträgern in den alten und solchen in den neuen Bundesländern. “Ohne Einschränkung” bedeutet ohne Einschränkung auch hinsichtlich des Kreises der möglichen Anspruchsberechtigten; mit einer solchen Einschränkung wäre es nicht zu vereinbaren, wenn Sozialhilfeträger in den neuen Bundesländern ein generelles Leistungsverweigerungsrecht gegenüber Sozialhilfeträgern in den alten Bundesländern geltend machen könnten (Beschluss des Senats vom 7. März 2000 – BVerwG 5 B 113.99 –).
b) Der Erstattungsanspruch des Klägers aus § 103 Abs. 1 BSHG F. 1991 ist auch der Höhe nach begründet.
Eine Beschränkung der Höhe nach ist insbesondere nicht – wie dies der Senat in seinem Urteil vom 15. Juni 1998 (a.a.O., S. 56) noch offen lassen konnte – aus “Rücksichtnahme auf die im Beitrittsgebiet vorgefundene, durch ein niedrigeres Einkommens- und Verbrauchsniveau und durch einen kurzfristig nicht behebbaren Mangel an sozialen Diensten und Einrichtungen gekennzeichnete Ausgangslage (geboten), die in Nr. 3b) der (genannten) Maßgaben (des Einigungsvertrages) aufscheint”. Der Senat hat in diesem Urteil bereits festgestellt (a.a.O., S. 56), dass diese Maßgaben dem Wortlaut nach das Kostenerstattungsrecht zwischen Sozialhilfeträgern nicht betreffen. Der aus den Materialien ersichtliche Beweggrund der Parteien des Einigungsvertrages, “Geldleistungen und Einkommensgrenzen zunächst noch abweichend vom Sozialhilferecht der Bundesrepublik unter besonderer Berücksichtigung der allgemeinen Einkommenssituation (im Beitrittsgebiet) zu bemessen” (BTDrucks 11/7817, S. 164, zu Abschnitt III Nr. 3), betrifft nur das Leistungsniveau der Sozialhilfe. Eine Anknüpfung an der Höhe der ersparten Aufwendungen des Erstattungspflichtigen statt an der Höhe der aufgewendeten Kosten des Erstattungsberechtigten ist mit dem Erstattungsrecht der §§ 103 ff. BSHG nicht zu vereinbaren. Nach § 111 BSHG sind die aufgewendeten Kosten zu erstatten, soweit die Hilfe diesem Gesetz entspricht (Absatz 1 Satz 1); dabei gelten die Grundsätze für die Gewährung von Sozialhilfe, die am Aufenthaltsort des Hilfeempfängers zur Zeit der Hilfegewährung bestehen (Absatz 1 Satz 2). Auf Grund dieser Regelung richtet sich die Höhe des Erstattungsanspruchs nach dem Leistungsumfang, der im Zeitpunkt und am Ort der Hilfeleistung maßgeblich ist. Dies schließt es aus, § 103 BSHG F. 1991 mit dem Verwaltungsgericht in Anlehnung an das Recht der ungerechtfertigten Bereicherung bzw. im Sinne eines “Ausgleichsgedankens” so zu verstehen, dass “neben der Sonderbelastung des Erstattungsberechtigten auch eine Begünstigung bzw. Entlastung des Erstattungspflichtigen voraus(ge)setzt” wird (S. 8 des VG-Urteils). Eine solche “Entlastung des Erstattungspflichtigen” stünde auch mit dem Zweck des § 103 BSHG F. 1991 nicht im Einklang. Die Vorschrift dient “dem Schutz der Träger der Sozialhilfe, in deren Bereich sich Anstalten, Heime oder ähnliche Einrichtungen befinden” (BTDrucks 3/1799, S. 58). Der demgegenüber im Schrifttum gezogene und an den Ausschluss bzw. die Einschränkung von Sozialhilfeleistungen aufgrund der ”Überleitungsregelung des Einigungsvertrages zum Schutz der Sozialhilfeträger des Vertragsgebiets vor untragbarer finanzieller Überlastung” anknüpfende Rückschluss “e maiore ad minus”, wonach diese Regelung “erst recht Erstattungsansprüche von Sozialhilfeträgern der alten Bundesländer ausschließen bzw. einschränken (müsse), um diesen Schutzzweck zu erfüllen” (so Putz, NDV 1991, 59 ≪62≫), überzeugt deshalb nicht. Die Überleitungsregelung erfasst, wie dargelegt, das Erstattungsrecht gerade nicht; dessen Regelungen können somit nicht als ein von den Maßgaben des Einigungsvertrages zum sozialhilferechtlichen Leistungsumfang und der Zielsetzung dieser Maßgaben mitumfasstes “minus” angesehen werden.
2. Auch die Zuerkennung von Prozesszinsen durch das Oberverwaltungsgericht ist aus bundesrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden. Der Senat hat – worauf das Berufungsgericht zutreffend Bezug genommen hat – mit Beschluss vom 29. Dezember 1995 – BVerwG 5 B 31.95 – (Buchholz 436.0 § 111 BSHG Nr. 2 = FEVS 47, 9 ≪11≫) entschieden, dass “mit der Aufhebung der eine Verzinsung ausschließenden Spezialnorm des § 111 Abs. 2 Satz 2 BSHG F. 1987 mit Wirkung zum 1. Januar 1994 (Art. 43 Abs. 5 FKPG) in Ermangelung anderweitiger Aussagen des aufhebenden Gesetzes die allgemeinen Grundsätze über Verzinsung öffentlich-rechtlicher Ansprüche insoweit wieder in Geltung gesetzt worden” sind. Dies wird von der Revision zu Unrecht mit der Erwägung in Frage gestellt, dass im Sozialrecht andere Wertungen hinsichtlich der Verzinsung zu gelten hätten. Die Aufhebung der Sonderregelung des § 111 Abs. 2 Satz 2 BSHG F. 1987 spricht, bezogen auf das Sozialhilferecht, für das Gegenteil. Somit steht dem Kläger seit Klageerhebung (21. März 1994) entsprechend §§ 288, 291 BGB ein Anspruch auf Prozesszinsen zu.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit beruht auf § 188 Satz 2 VwGO.
Unterschriften
Dr. Säcker, Prof. Dr. Pietzner, Schmidt, Dr. Rothkegel, Dr. Franke
Fundstellen
BVerwGE, 213 |
NVwZ 2001, 327 |
DÖV 2001, 391 |
FEVS 2000, 546 |
LKV 2001, 75 |
NDV-RD 2000, 103 |
ZfF 2001, 234 |
ZfF 2001, 236 |
ZfSH/SGB 2001, 26 |
DVBl. 2000, 1691 |
SächsVBl. 2000, 288 |
ThürVBl. 2000, 248 |
info-also 2001, 47 |