Entscheidungsstichwort (Thema)
Assoziationsratsbeschluss. Arbeitnehmer. regulärer Arbeitsmarkt. Arbeitsverhältnis. Aufenthaltsbewilligung. Aufenthaltserlaubnis. Ausbildung. Ausbildungsverhältnis. Auszubildender. Berufsausbildung. Berufsausbildungsverhältnis. Beschäftigung. Entgelt. Position, vorläufige. Lohn- oder Gehaltsverhältnis. Vergütung
Leitsatz (amtlich)
Eine unter den Bedingungen einer Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis ausgeübte Beschäftigung, die nicht wegen ihres geringen Umfangs völlig untergeordnet und unwesentlich ist, begründet die Eigenschaft als Arbeitnehmer i.S.v. Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 unabhängig davon, ob es sich um eine Beschäftigung im Rahmen eines Ausbildungsverhältnisses (hier: als Auszubildender in einem Handwerk) handelt.
Normenkette
EGVtr Art. 48 (jetzt Art. 39 EG); AufenthG/EWG § 1 Abs. 1 Nr. 1; AuslG § 14 Abs. 1 S. 1, § 44 Abs. 1; BBiG §§ 6, 10 Abs. 1; ZPO § 850 a; BAT § 47 Abs. 8; Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG-Türkei Art. 6 Abs. 1, Art. 7 S. 2
Verfahrensgang
Bayerischer VGH (Entscheidung vom 14.03.2000; Aktenzeichen 10 B 99.1383) |
VG Ansbach (Entscheidung vom 21.01.1999; Aktenzeichen 9 K 98.1761) |
Tenor
Die Revision der Landesanwaltschaft Bayern gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 14. März 2000 wird zurückgewiesen.
Die Landesanwaltschaft Bayern trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
I.
Der 1977 in der Türkei geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Er reiste im Juli 1993 mit seinem Vater und seinen beiden Brüdern zu seiner Mutter in die Bundesrepublik Deutschland ein. Seine Mutter hielt sich seit Januar 1993 im Bundesgebiet auf und war als vom türkischen Staat bezahlte Erzieherin in einem Kindergarten im Stadtbereich der Beklagten tätig. Der Kläger erhielt zunächst eine Aufenthaltserlaubnis und später am 30. Juni 1994 eine bis 15. August 1995 gültige Aufenthaltsbewilligung jeweils mit dem Zusatz „Die Aufenthaltsgenehmigung erlischt mit Beendigung der Beschäftigung der Mutter als Erzieherin in Bayerischen Kindergärten. Gilt nicht zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit”. Im Juli 1994 beantragte der Kläger, der die Berufsschule besucht hatte, eine Änderung der Auflage dahin, dass ihm ab 1. September 1994 eine Ausbildung zum Elektro-Installateur bei einem bestimmten Betrieb erlaubt werde. Ein entsprechender Berufsausbildungsvertrag wurde vorgelegt. Am 25. August 1994 wurde die Auflage in der dem Kläger erteilten Aufenthaltsbewilligung geändert und die Ausbildung zum Elektro-Installateur gestattet. Gleichzeitig wurde er darauf hingewiesen, dass er seine Ausbildung nicht beenden könne, falls seine Mutter vor Beendigung seiner Ausbildung ausreise. Auf den Verlängerungsantrag vom 6. Juli 1995 erteilte die Beklagte am 1. August 1996 dem Kläger eine bis 15. August 1997 gültige Aufenthaltserlaubnis mit unveränderten Nebenbestimmungen. Am 20. Juni 1997 beantragte der Kläger deren Verlängerung und wies darauf hin, dass der Vertrag seiner Mutter aus Kostengründen vom türkischen Staat vorzeitig gekündigt worden sei, so dass diese in die Türkei zurückkehren müsse; er bitte, sein Ausbildungsverhältnis beenden zu dürfen. Daraufhin erhielt er am 14. August 1997 eine bis zum voraussichtlichen Ausbildungsende, dem 31. März 1998, gültige Aufenthaltsbewilligung mit den Nebenbestimmungen „Gilt nicht zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit, ausgenommen die Ausbildung als Elektro-Installateur bei der Firma … Die Aufenthaltsbewilligung erlischt mit Beendigung der Ausbildung bei der Firma …”. Nachdem der Kläger die Gesellenprüfung nicht bestanden hatte, wurde die Aufenthaltsbewilligung mit unveränderten Nebenbestimmungen bis 31. August 1998 verlängert. Zuvor war der Berufsausbildungsvertrag zwischen dem Kläger und dem Ausbildungsbetrieb „bis zur bestandenen Wiederholungsprüfung oder zum 31. August 1998” verlängert worden.
Mit am selben Tage bei der Beklagten eingegangenem Schreiben vom 23. Juli 1998 beantragte der Kläger die Verlängerung seiner Aufenthaltsgenehmigung. Er wies darauf hin, dass er nach Beendigung der Ausbildung in ein festes Arbeitsverhältnis übernommen werde. Weiter legte er ein Arbeitszeugnis vor, demzufolge er vom 1. September 1994 bis zum 21. Juli 1998 das Elektro-Installations-Handwerk erlernt hat und ab 22. Juli 1998 in ein Arbeitsverhältnis übernommen worden ist. Mit Bescheid vom 3. Dezember 1998 lehnte die Beklagte den Antrag auf Erteilung bzw. Verlängerung einer Aufenthaltsgenehmigung ab, forderte den Kläger auf, die Bundesrepublik Deutschland bis spätestens 31. Januar 1999 zu verlassen, und drohte für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise die zwangsweise Abschiebung in die Türkei an.
Das Verwaltungsgericht hat die auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gerichtete Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hatte Erfolg. Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Urteil vom 14. März 2000 im Wesentlichen ausgeführt: Der Kläger habe einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach Art. 6 Abs. 1 zweiter Spiegelstrich ARB 1/80. Es sei unstreitig, dass die Beschäftigung des Klägers ordnungsgemäß gewesen sei. Er habe seine Rechte auch rechtzeitig geltend gemacht. Sein Ausbildungsverhältnis sei nämlich erst am 29. Juli 1998 mit der Folge des Erlöschens der Aufenthaltsbewilligung beendet worden, als er mit Erhalt des Prüfungszeugnisses rechtsverbindlich vom Bestehen der Prüfung erfahren habe. Er sei assoziationsrechtlich als Arbeitnehmer anzusehen, da er im Rahmen seines Ausbildungsverhältnisses für seinen Arbeitgeber nach dessen Weisung eine tatsächliche und echte wirtschaftliche Tätigkeit geleistet habe. Unerheblich sei insoweit, in welchem Rahmen diese Leistungen erbracht würden. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass die von dem Kläger erbrachten Leistungen für seinen Arbeitgeber wirtschaftlich bedeutungslos gewesen seien. Dies ergebe sich bereits aus der an ihn gezahlten Vergütung zwischen 695 DM im ersten und 900 DM im dritten Ausbildungsjahr. Der Kläger habe auch dem regulären Arbeitsmarkt der Bundesrepublik Deutschland angehört. Maßgeblich sei insoweit, ob das Arbeitsverhältnis im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats lokalisiert werden könne bzw. eine hinreichend enge Verknüpfung mit diesem Gebiet aufweise. Diese Voraussetzungen seien gegeben. Der Anwendbarkeit von Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 stehe schließlich nicht entgegen, dass dem Kläger die Einreise und der Aufenthalt im Bundesgebiet zunächst nur zum Zwecke des Familiennachzugs und später zum Zwecke der Berufsausbildung im Rahmen eines Ausbildungsvertrages erlaubt worden seien.
Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision macht die Landesanwaltschaft Bayern geltend: Die ordnungsgemäße Beschäftigung im Sinne des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 setze eine gesicherte und nicht nur vorläufige Position des Betroffenen auf dem Arbeitsmarkt voraus. Daran fehle es im Falle von Auszubildenden. Die wirtschaftliche Leistung für den Arbeitgeber sei nämlich bei Ausbildungsverhältnissen nur ein Nebeneffekt. Hauptzweck der zeitlich begrenzten Ausbildung sei, dass der jeweilige Abschluss erreicht werde. Auch der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften gehe im Urteil Günaydin davon aus, dass Auszubildende keine Ansprüche nach dem Beschluss Nr. 1/80 erwerben könnten.
Die Landesanwaltschaft Bayern beantragt,
das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 14. März 2000 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 21. Januar 1999 zurückzuweisen.
Der Kläger tritt der Revision entgegen und verteidigt das angefochtene Urteil.
Die Beklagte und der Oberbundesanwalt halten die Revision für begründet.
Entscheidungsgründe
II.
Die zulässige Revision ist nicht begründet.
1. Das Berufungsgericht hat zu Recht entschieden, dass der Kläger einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach Art. 6 Abs. 1 zweiter Spiegelstrich des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG-Türkei vom 19. September 1980 (ANBA 1981, 4 = InfAuslR 1982, 33) – ARB 1/80 – hat.
Nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 hat ein türkischer Arbeitnehmer, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehört, in diesem Mitgliedstaat nach einem Jahr ordnungsgemäßer Beschäftigung Anspruch auf Erneuerung seiner Arbeitserlaubnis bei dem gleichen Arbeitgeber, wenn er über einen Arbeitsplatz verfügt (erster Spiegelstrich). Nach drei Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung hat er grundsätzlich das Recht, sich für den gleichen Beruf bei einem Arbeitgeber seiner Wahl zu bewerben (zweiter Spiegelstrich). Nach vier Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung hat er freien Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis (dritter Spiegelstrich).
Wie der Senat im Anschluss an die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften wiederholt entschieden hat, erwachsen einem türkischen Arbeitnehmer, der die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 erfüllt, nicht nur beschäftigungsrechtliche Ansprüche, sondern zugleich auch diejenigen aufenthaltsrechtlichen Ansprüche, deren er bedarf, um seine beschäftigungsrechtlichen Ansprüche effektiv wahrzunehmen (Urteile vom 24. Januar 1995 – BVerwG 1 C 2.94 – BVerwGE 97, 301 ≪304 f.≫; vom 22. Februar 1995 – BVerwG 1 C 11.94 – BVerwGE 98, 31 ≪33≫; vom 23. Mai 1995 – BVerwGE 1 C 3.94 – BVerwGE 98, 298 ≪310≫; vom 27. Juni 1995 – BVerwG 1 C 5.94 – BVerwGE 99, 28 ≪32≫; vom 29. April 1997 – BVerwG 1 C 3.95 – Buchholz 402.240 § 6 1990 AuslG Nr. 10 S. 56 ≪59≫ und vom 29. September 1998 – BVerwG 1 C 14.97 – Buchholz a.a.O. § 24 Nr. 3 S. 11 ≪16 f.≫).
a) Aus Art. 12 des Assoziierungsabkommens EWG-Türkei und aus Art. 36 des Zusatzabkommens vom 23. November 1970 ist herzuleiten, dass die im Rahmen der Art. 48, 49 und 50 EG-Vertrag (jetzt Art. 39 ff. EG) geltenden Grundsätze soweit wie möglich auf die türkischen Arbeitnehmer, die die im Beschluss Nr. 1/80 eingeräumten Rechte besitzen, übertragen werden sollen. Folglich ist für die Auslegung des Begriffs des Arbeitnehmers in Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 die Auslegung dieses Begriffs im Gemeinschaftsrecht heranzuziehen (EuGH, Urteil vom 26. November 1998 – Rs. C-1/97 – Birden, Slg. I-1998, 7747 = InfAuslR 1999, 6 Rn. 23 ff. m.w.N; vgl. auch Urteil vom 24. Januar 1995 – BVerwG 1 C 2.94 – BVerwGE 97, 301 ≪306≫). Der Begriff des Arbeitnehmers ist somit anhand objektiver Kriterien zu definieren, die das Arbeitsverhältnis im Hinblick auf die Rechte der betroffenen Person kennzeichnen. Arbeitnehmer ist danach jeder, der eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausübt, wobei solche Tätigkeiten außer Betracht bleiben, die wegen ihres geringen Umfangs völlig untergeordnet und unwesentlich sind. Das wesentliche Merkmal des Arbeitsverhältnisses besteht darin, dass jemand während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringt, für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhält (EuGH, Urteile vom 3. Juli 1986 – Rs. 66/85 – Lawrie-Blum, Slg. 1986, 2121 Rn. 16 ff. und vom 26. Februar 1992 – Rs. C-3/90 – Bernini, Slg. I-1992, 1071 Rn. 14; ebenso für Art. 6 ARB 1/80 EuGH, Urteil vom 26. November 1998 – Birden, a.a.O. m.w.N.). Weitere Voraussetzungen für die Qualifikation einer Person als Arbeitnehmer stellt das Gemeinschaftsrecht nicht auf (EuGH, Urteil vom 21. Juni 1988 – Rs. 197/86 – Brown, Slg. 1988, 3205 Rn. 21 f.).
Sind die genannten Voraussetzungen gegeben, so steht es nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften der Annahme der Eigenschaft als Arbeitnehmer nicht entgegen, wenn die Tätigkeit im Rahmen eines Berufsausbildungsverhältnisses ausgeübt wird. So ist ein Studienreferendar, der nach Weisung und unter Aufsicht der Schulbehörde Dienstleistungen von einem gewissen wirtschaftlichen Wert erbringt, indem er Unterricht erteilt, und der eine – unter den Mindestbezügen eines vollbeamteten Lehrers am Anfang seiner Laufbahn liegende – Vergütung erhält, als Arbeitnehmer anzusehen. Der Umstand, dass der pädagogische Vorbereitungsdienst,ebenso wie die Lehrzeiten bei anderen Berufen, als eine mit der eigentlichen Ausübung des Berufes verbundene praktische Vorbereitung angesehen werden kann, hindert nicht die Annahme der Arbeitnehmereigenschaft, wenn dieser Dienst unter den Bedingungen einer Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis erbracht wird (EuGH, Urteil vom 3. Juli 1986 – Lawrie-Blum, a.a.O., Rn. 18 ff.; im Originaltext keine Hervorhebung). Auch wer im Rahmen einer Berufsausbildung ein Praktikum ableistet, ist unter diesen Voraussetzungen Arbeitnehmer. Daran ändert nichts, dass die Produktivität eines Praktikanten schwach ist, dass er nur eine geringe Anzahl von Wochenstunden Arbeit leistet und dass er infolgedessen nur eine beschränkte Vergütung erhält (EuGH, Urteil vom 26. Februar 1992 – Bernini, a.a.O, Rn. 14 ff.; vgl. auch Urteil vom 21. Juni 1988 – Brown, a.a.O. zu einer Beschäftigung im Rahmen einer voruniversitären praktischen Ausbildung).
Der Umstand, dass es sich bei § 1 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG/EWG, der für Unionsbürger Freizügigkeit auch zum Zwecke der Berufsausbildung vermittelt, der amtlichen Begründung (BTDrucks 5/4125 vom 23. April 1969, S. 9) zufolge um eine das Recht der Gemeinschaftsangehörigen erweiternde nationale Sonderregelung handeln soll, rechtfertigt keine abweichende Beurteilung (so aber Benassi, InfAuslR 1998, 473 ≪474≫). Vielmehr ist durch die erwähnte zwischenzeitliche Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften geklärt, dass eine unter den Bedingungen einer Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis abgeleistete Beschäftigung im Rahmen eines Ausbildungsverhältnisses die Arbeitnehmereigenschaft im gemeinschaftsrechtlichen Sinne sowie im Sinne von Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 begründet. Dem steht auch nicht die Vorschrift des Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 entgegen, die auf den Abschluss einer Berufsausbildung abstellt. Art. 6 und Art. 7 ARB 1/80 sind nämlich keine einander ausschließenden Vorschriften, sondern kumulativ anwendbar (Senatsurteil vom 24. Januar 1995, a.a.O. S. 305 f.; vgl. auch EuGH, Urteil vom 19. November 1998 – C-210/97 – Akman, InfAuslR 1999, 3 Rn. 34 ff., 48 ff.).
Die Anwendung dieser Grundsätze ergibt, dass der Kläger – wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat – bezogen auf den Zeitraum seiner Ausbildung zum Elektro-Installateur als Arbeitnehmer im dargelegten Sinne anzusehen ist. Er hat im Rahmen seines Ausbildungsverhältnisses für seinen Arbeitgeber nach dessen Weisung eine tatsächliche und echte wirtschaftliche Tätigkeit ausgeübt. Unerheblich ist nach den dargelegten Grundsätzen, dass Hauptzweck eines derartigen den Vorschriften des Berufsbildungsgesetzes unterfallenden Berufsausbildungsverhältnisses die Berufsausbildung, also der Erwerb bestimmter Fertigkeiten und Kenntnisse ist (vgl. § 6 BBiG). Ausreichend ist, dass das Berufsausbildungsverhältnis auch erwerbsbezogene Elemente enthält, welche die Annahme der in Rede stehenden Arbeitnehmereigenschaft rechtfertigen (vgl. auch VGH Kassel, InfAuslR 1998, 207 ≪211 f.≫). Die nach § 10 Abs. 1 Satz 1 BBiG dem Auszubildenden zu gewährende angemessene Vergütung hat zumindest in gewissem Umfang auch Entgeltcharakter für die von diesem erbrachte Arbeitsleistung, auch wenn sie in erster Linie eine finanzielle Hilfe sein und die Heranbildung eines ausreichenden Nachwuchses an qualifizierten Fachkräften gewährleisten soll (BAG, Urteile vom 8. Dezember 1982 – 5 AZR 484/80 – EzB § 10 Abs. 1 BBiG Nr. 31 und vom 13. Dezember 1972 – 4 AZR 89/72 – EzB § 611 BGB Ausbildungsverhältnis Nr. 5; vgl. auch Wohlgemuth, BBiG § 10 Rn. 2 m.w.N.). Diese Vergütung ist zwar kein Entgelt i.S.d. § 47 Abs. 8 BAT (BAG, Urteil vom 20. Oktober 1983 – 6 AZR 590/80 – EzB § 47 Abs. 8 BAT Nr. 1) und unterfällt nach herrschender Auffassung dem Pfändungsschutz nach § 850 a Nr. 6 ZPO. Sie wird aber steuer- und sozialversicherungsrechtlich als Arbeitslohn bzw. als Arbeitsentgelt angesehen (vgl. Wohlgemuth, a.a.O. Rn. 2). Weiter wird das nach § 10 Abs. 1 Satz 2 BBiG vorgesehene Ansteigen der Vergütung auch damit begründet, dass die wirtschaftlichen Leistungen des Auszubildenden mit fortschreitender Ausbildung für den Ausbildenden wirtschaftlich wertvoller werden (vgl. den Schriftlichen Bericht des Ausschusses für Arbeit, BTDrucks 5/4260, S. 9; Honig, HwO, 2. Aufl. 1999 § 10 BBiG Rn. 2; kritisch hierzu Wohlgemuth, a.a.O. Rn. 2). Das Berufungsgericht hat – revisionsrechtlich beanstandungsfrei – aus der dem Kläger gezahlten Vergütung zwischen 695 DM im ersten Ausbildungsjahr und 900 DM im dritten Ausbildungsjahr geschlossen, dass seine wirtschaftliche Leistung nicht völlig untergeordnet und unwesentlich war und zur Begründung auch darauf verwiesen, dass die Vergütung oberhalb der „Geringfügigkeitsgrenze” im Sinne des Sozialversicherungsrechts lag.
Zu Unrecht verweist die Beklagte demgegenüber auf die höheren Vergütungsbedingungen von Facharbeitern und Gesellen und auf den Umstand, dass der Kläger mit Beginn seines Arbeitsverhältnisses wesentlich mehr, nämlich 2 740 DM verdient habe. Hierauf kommt es nach den oben dargestellten in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften entwickelten Grundsätzen nicht an. Nichts Abweichendes ergibt sich aus den Darlegungen des Gerichtshofs im Urteil vom 30. September 1997 – Rs. C-36/96 – Günaydin, Slg. I-1997, 5159 = InfAuslR 1997, 440 Rn. 33 f.) zur Frage der Arbeitnehmereigenschaft in dem hier nicht vorliegenden Fall eines türkischen Staatsangehörigen, der nach Abschluss seiner Berufsausbildung einer Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis nachgeht, um sich auf eine Führungsaufgabe in einem Tochterunternehmen seines Arbeitgebers vorzubereiten.
Der Kläger war nach allem im Rahmen seines Ausbildungsverhältnisses als Arbeitnehmer i.S.v. Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 tätig.
b) Der Kläger gehört auch i.S.v. Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 dem regulären Arbeitsmarkt der Bundesrepublik Deutschland an.
Für die Zugehörigkeit eines Arbeitnehmers zum regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats kommt es darauf an, ob das Arbeitsverhältnis im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats lokalisiert werden kann oder eine hinreichend enge Verknüpfung mit diesem Gebiet aufweist, wobei insbesondere der Ort der Einstellung des türkischen Staatsangehörigen, das Gebiet, in dem oder von dem aus die Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis ausgeübt wird, und die nationalen Vorschriften im Bereich des Arbeitsrechts und der sozialen Sicherheit zu berücksichtigen sind (EuGH, Urteil vom 26. November 1998 – Birden, a.a.O. Rn. 33 f. m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hinsichtlich der Bundesrepublik Deutschland gegeben. Es verweist darauf, dass der Kläger in Deutschland sozialversichert ist und dass sein Anstellungsvertrag dem deutschen Arbeitsrecht unterliegt.
Soweit die Revision und die Beklagte dem Erfordernis der Zugehörigkeit zum regulären Arbeitsmarkt weitere Anforderungen entnehmen (vgl. auch VGH Mannheim, InfAuslR 1993, 361; Hailbronner, Ausländerrecht, Kom.D, 5.4 Rn. 18), berücksichtigen sie folgendes nicht: Dieser im Beschluss Nr. 1/80 neben dem Begriff der – hier gegebenen (vgl. unten c) – ordnungsgemäßen Beschäftigung verwendete Begriff kann nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften nicht so verstanden werden, dass er die Rechte, die Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 den türkischen Arbeitnehmern verleiht, dadurch einschränkt, dass er eine zusätzliche Voraussetzung aufstellt, die sich von der Ausübung einer ordnungsgemäßen Beschäftigung durch den Betreffenden während eines bestimmten Zeitraums unterscheidet. Der Gerichtshof leitet u.a. aus einem Vergleich der verschiedenen sprachlichen Fassungen ab, dass der Ausdruck „regulär” synonym mit „legal” ist. Der Begriff „regulärer Arbeitsmarkt” bezeichnet die Gesamtheit der Arbeitnehmer, die den Rechts- und Verwaltungsvorschriften des betroffenen Staates nachkommen und somit das Recht haben, eine Berufstätigkeit in seinem Hoheitsgebiet auszuüben. Er ist nicht dahin auszulegen, dass er den allgemeinen Arbeitsmarkt im Gegensatz zu einem besonderen Arbeitsmarkt bezeichnet (EuGH, Urteil vom 26. November 1998 – Birden, a.a.O. Rn. 48 ff.).
c) Art. 6 Abs. 1 zweiter Spiegelstrich ARB 1/80 setzt weiter eine dreijährige ordnungsgemäße Beschäftigung voraus. Diese Voraussetzung erfüllt der Kläger, da er nach den Feststellungen des Berufungsgerichts in dem Zeitpunkt, als die Aufenthaltsbewilligung vom 4. August 1997 aufgrund der beigefügten auflösenden Bedingung mit Beendigung seiner Ausbildung erlosch (vgl. § 14 Abs. 1 Satz 1, § 44 Abs. 1 AuslG) und er den sinngemäß auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gerichteten Antrag vom 23. Juli 1998 stellte, bei dem selben Arbeitgeber seit mehr als drei Jahren im Einklang mit den arbeitserlaubnis- und aufenthaltsrechtlichen Vorschriften der Bundesrepublik Deutschland beschäftigt war.
Zu Unrecht vertritt die Revision die Auffassung, dass der Kläger nicht über die nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 erforderliche „gesicherte und nicht nur vorläufige Position auf dem Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats” verfügt, die Voraussetzung für eine ordnungsgemäße Beschäftigung ist. Eine in diesem Sinne nur vorläufige Position kann sich namentlich aus verfahrensrechtlichen Vorschriften (etwa betreffend die aufschiebende Wirkung eines Rechtsmittels) ergeben (EuGH, Urteil vom 30. September 1997 – Rs C-98/96 – Ertanir, Slg. I-1997, 5193 = InfAuslR 1997, 434 Rn. 47 ff. m.w.N. auch zur Vorläufigkeit einer durch Täuschung erlangten Position). Beschäftigungszeiten können nämlich so lange nicht als ordnungsgemäß angesehen werden, wie nicht endgültig feststeht, dass dem Betroffenen während des fraglichen Zeitraums das Aufenthaltsrecht von Rechts wegen zustand. Das Aufenthaltsrecht des Klägers während des in Rede stehenden Beschäftigungsverhältnisses war indessen in keiner Weise streitig. Hiergegen lässt sich auch nicht einwenden, dass der Kläger nur eine mit einer auflösenden Bedingung versehene Aufenthaltsbewilligung erhalten hatte. Hierdurch wird das assoziationsrechtliche Aufenthaltsrecht des Klägers nicht berührt. Denn dieser Umstand ändert nichts daran, dass der Kläger die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 zweiter Spiegelstrich ARB 1/80 nicht aufgrund einer bloß vorläufigen Position während des maßgebenden Zeitraums erfüllt hat. Die Mitgliedstaaten sind nämlich nicht befugt, die Ausübung der genau bestimmten und nicht an Bedingungen geknüpften Rechte, die den türkischen Arbeitnehmern aufgrund des Beschlusses Nr. 1/80 zustehen, wenn sie dessen Voraussetzungen erfüllen, Bedingungen oder Einschränkungen zu unterwerfen (EuGH, Urteil vom 30. September 1997 – Ertanir, a.a.O. Rn. 57).
Unerheblich ist weiter der Umstand, dass die Aufenthaltsbewilligung dem Kläger den Abschluss der Ausbildung als Elektro-Installateur ermöglichen sollte. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften kommt es im Rahmen des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 nicht auf den Zweck (z.B. Vertiefung beruflicher Kenntnisse) an, zu dem dem türkischen Arbeitnehmer eine Aufenthaltsgenehmigung erteilt worden ist (Urteil vom 30. September 1997 – Günaydin, a.a.O. Rn. 51 f. m.w.N.). Soweit in dem genannten Urteil (Rn. 32) dargelegt wird, ein Mitgliedstaat sei nicht daran gehindert, einem türkischen Arbeitnehmer die Einreise und den Aufenthalt nur zu dem Zweck zu gestatten, in seinem Hoheitsgebiet eine besondere Berufsausbildung, namentlich im Rahmen eines Ausbildungsvertrags, zu absolvieren, so mag damit die hier nicht gegebene Konstellation eines Ausbildungsverhältnisses gemeint sein, das nicht unter den Bedingungen eines Lohn- oder Gehaltsverhältnisses absolviert wird. Zu einer anderen Beurteilung gibt diese Passage jedenfalls keinen Anlass.
Keiner Entscheidung bedarf, ob die Aufenthaltsbewilligung des Klägers erst am 29. Juli 1998 erloschen ist, wie das Berufungsgericht mit Rücksicht darauf annimmt, dass der Kläger erst mit dem Erhalt des Abschlusszeugnisses rechtsverbindlich von dem Bestehen der Prüfung erfahren habe. Auch wenn man aufgrund der Mitteilung des Prüfungsausschusses an den Arbeitgeber bzw. der Information des Klägers seitens des Arbeitgebers von einem Erlöschen am 21. oder 22. Juli 1998 ausgeht, ergibt sich kein anderes Ergebnis. Der Kläger erfüllte nach dreijähriger ordnungsgemäßer Beschäftigung bereits am 1. September 1997 die Voraussetzungen der zweiten Verfestigungsstufe des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80. Die praktische Wirksamkeit dieser Bestimmung erfordert es, einem arbeitslos gewordenen türkischen Arbeitnehmer einen angemessenen Zeitraum einzuräumen, damit er im jeweiligen Mitgliedstaat – vorbehaltlich des EG-Arbeitnehmern einzuräumenden Vorrangs – sich für den gleichen Beruf bei einem Arbeitgeber seiner Wahl auf ein unter normalen Bedingungen unterbreitetes und bei den Arbeitsämtern dieses Mitgliedstaats eingetragenes anderes Stellenangebot bewerben kann (vgl. Urteil vom 29. September 1998 – BVerwG 1 C 14.97 – Buchholz 402.240 § 24 AuslG 1990 Nr. 3, S. 18). Es bedarf hier keiner abschließenden Entscheidung, wie ein derartiger angemessener Zeitraum zu bemessen ist (vgl. auch das vom EuGH im Urteil vom 23. Januar 1997 – Rs. C-171/95 – Tetik, Slg. I-1997, 329 Rn. 27 in Bezug genommene Urteil des EuGH vom 26. Februar 1991 – Rs. C-292/89 – Antonissen, Slg. I-1991, 745 13 ff., in dem ein Zeitraum von sechs Monaten als grundsätzlich ausreichend angesehen wurde). Jedenfalls hat der Kläger sein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht auch dann nicht verloren, wenn seine Aufenthaltsbewilligung kurz vor der Stellung des Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis am 23. Juli 1998 erloschen sein sollte.
Nach allem ist die Beklagte verpflichtet, dem Kläger eine Aufenthaltserlaubnis nach Maßgabe des Art. 6 Abs. 1 zweiter Spiegelstrich ARB 1/80 zu erteilen. Unerheblich ist, ob der Kläger wieder bei seinem früheren Arbeitgeber beschäftigt werden kann, wie er es bis zu seiner von der Beklagten veranlassten Ausreise beabsichtigt hatte.
Die Voraussetzungen für die Einholung einer Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften nach Art. 234 EG liegen nicht vor.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Unterschriften
Meyer, Mallmann, Hahn, Groepper, Gerhardt
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 19.09.2000 durch Wichmann Justizamtsinspektorin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
NJW 2001, 1513 |
NVwZ 2001, 333 |
InfAuslR 2001, 61 |
ZAR 2001, 36 |
AuAS 2001, 62 |
BayVBl. 2001, 347 |
DVBl. 2001, 220 |