Verfahrensgang
OVG für das Land NRW (Beschluss vom 07.08.2007; Aktenzeichen 6 A 503/07) |
VG Gelsenkirchen (Urteil vom 19.01.2007) |
Tenor
Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 7. August 2007 und das Urteil des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen vom 19. Januar 2007 werden aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
I
Der Kläger steht als Studienrat (Besoldungsgruppe A 13) im Dienst des beklagten Landes. Auf seinen Beihilfeantrag für Aufwendungen im Jahr 1999 setzte die Beihilfestelle die Beihilfe unter Abzug der jährlichen Selbstbeteiligung des Klägers von 200 DM (= 102,26 €) fest.
Das Verwaltungsgericht hat den Beklagten zur Gewährung weiterer Beihilfe in Höhe der Selbstbeteiligung verpflichtet. Die Berufung des Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht aus folgenden Gründen zurückgewiesen:
Der Kläger könne die Erstattung der beihilfefähigen Aufwendungen in voller Höhe verlangen, weil die jährliche pauschale Selbstbeteiligung an den Krankheitskosten gemäß § 12a der nordrhein-westfälischen Beihilfenverordnung – BVO NRW – gegen die verfassungsrechtlich verankerte Fürsorgepflicht des Dienstherrn verstoße.
Der Dienstherr erfülle seine Alimentationspflicht in Krankheitsfällen durch ein Mischsystem aus Eigenvorsorge und Zuschüssen aus öffentlichen Mitteln. Ein Anteil der Beamtenbesoldung in Höhe einer durchschnittlichen Versicherungsprämie sei dafür bestimmt, einen Teil der Krankheitskosten durch eine beihilfekonforme Krankenversicherung zu finanzieren. Für die verbleibenden Aufwendungen komme der Dienstherr durch ergänzende Beihilfen auf. Solange dieses System beibehalten werde, könnten die Beamten darauf vertrauen, dass ihre Krankheitskosten durch Versicherungs- und Beihilfeleistungen vollständig gedeckt würden und sie hierfür nicht auf andere Teile der Besoldung zurückgreifen müssten. Die verfassungsrechtliche Fürsorgepflicht verpflichte den Dienstherrn, sich systemgerecht zu verhalten und auf die berechtigten Belange der Beamten Rücksicht zu nehmen. Dies schließe eine pauschale Selbstbeteiligung an den Krankheitskosten aus, weil sie den Vorgaben für die Bemessung der Besoldung widerspräche und nicht versichert werden könne.
Hiergegen wendet sich der Beklagte mit der vom Oberverwaltungsgericht zugelassenen Revision. Er beantragt,
den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 7. August 2007 und das Urteil des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen vom 19. Januar 2007 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Beklagten ist begründet. Das Berufungsurteil verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) und stellt sich auch nicht aus anderen als den vom Oberverwaltungsgericht angeführten Gründen als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO). Der Beklagte war berechtigt, die Beihilfe des Klägers im Jahr 1999 um die Kostendämpfungspauschale gemäß § 12a der nordrhein-westfälischen Beihilfenverordnung – BVO NRW – zu kürzen. Diese Vorschrift ist weder nichtig noch unanwendbar.
1. Gemäß § 12a Abs. 1 BVO NRW in der hier maßgebenden Fassung von Art. II Abs. 8 Nr. 3 des Haushaltssicherungsgesetzes vom 17. Dezember 1998 (GV. NRW S. 750 ≪757≫) wurde die Beihilfe je Kalenderjahr, in dem die beihilfefähigen Aufwendungen entstanden sind, um eine nach fünf Stufen gestaffelte Kostendämpfungspauschale von 200 bis 1 000 DM gekürzt. In den Stufen sind jeweils mehrere Besoldungsgruppen zusammengefasst. Beamte mit einem Amt der Besoldungsgruppe A 13 sind der Stufe 2 (400 DM) zugeordnet. Nach Absatz 5 vermindert sich die Kostendämpfungspauschale um 50 DM für jedes berücksichtigungsfähige Kind oder jedes nicht berücksichtigungsfähige, weil selbst beihilfeberechtigte Kind. Danach beläuft sich die Eigenbeteiligung des Klägers im Jahr 1999 auf 200 DM (= 102,26 €).
§ 12a BVO NRW wirkt sich für diejenigen Beamten, denen im jeweiligen Kalenderjahr beihilfefähige Aufwendungen entstehen, wie eine Besoldungskürzung aus. Denn diese Beamten müssen Kosten, die ihnen ansonsten erstattet worden wären, bis zur Höhe des für sie geltenden Pauschalbetrags aus ihren Bezügen bestreiten. Dies dürfte zahlenmäßig der weit überwiegende Teil der Beamten sein.
2. § 12a BVO NRW verstößt nicht gegen den Vorbehalt des Gesetzes. Nach diesem Verfassungsgrundsatz, der sich aus dem rechtsstaatlichen und demokratischen System des Grundgesetzes (Art. 20 Abs. 1 und 3, Art. 80 Abs. 1 GG) ergibt, sind die grundlegenden Entscheidungen in wesentlichen Regelungsbereichen durch Parlamentsgesetz zu treffen. Dies gilt aufgrund des Homogenitätsgebots gemäß Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG auch für die Landesgesetzgebung, für die Art. 80 Abs. 1 GG nicht unmittelbar anwendbar ist (BVerfG, Beschluss vom 27. Januar 1976 – 1 BvR 2325/73 – BVerfGE 41, 251 ≪266≫ und Urteil vom 22. Februar 1994 – 1 BvL 30/88 – BVerfGE 90, 60 ≪84 ff.≫; BVerwG, Urteil vom 1. Dezember 1978 – BVerwG 7 C 68.77 – BVerwGE 57, 130 ≪137≫).
Der Vorbehalt des Gesetzes gilt auch für das Beihilferecht. Dies folgt aus der außergewöhnlichen Bedeutung der Beihilfe und ihres Wechselbezugs zu den Besoldungs- und Versorgungsbezügen, wobei jedenfalls die Gesetzesbindung der Besoldung zu den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums im Sinne von Art. 33 Abs. 5 GG gehört (Urteil vom 28. April 2005 – BVerwG 2 C 1.04 – BVerwGE 123, 308 ≪310≫). Daher müssen zum einen die tragenden Strukturprinzipien des Beihilfensystems gesetzlich festgelegt werden. Zum anderen muss der parlamentarische Gesetzgeber die Verantwortung für wesentliche Einschränkungen des Beihilfestandards übernehmen. Ansonsten könnte die Exekutive das durch die Besoldungs- und Versorgungsgesetze festgelegte Alimentationsniveau durch Streichungen und Kürzungen von Beihilfeleistungen eigenmächtig absenken (Urteil vom 17. Juni 2004 – BVerwG 2 C 50.02 – BVerwGE 121, 103 ≪106 f.≫).
Aufgrund dessen liegt es nahe, Beihilfekürzungen in Form von Selbstbeteiligungen unmittelbar durch Gesetz zu regeln, wenn sie die Schwelle der Geringfügigkeit überschreiten. Dies betrifft sowohl die Festlegung der Sockelbeträge für die einzelnen Besoldungsgruppen als auch die Voraussetzungen für deren Erhöhung oder Reduzierung.
Die Kostendämpfungspauschale gemäß § 12a BVO NRW genügt dem Gesetzesvorbehalt, obwohl es sich um Verordnungsrecht handelt. Denn der Gesetzgeber hat für den Inhalt der Vorschrift (mit Ausnahme der Regelungen für die W…-Besoldungsgruppen) die volle Verantwortung übernommen. Der Landtag hat § 12a BVO NRW im Rahmen von Artikelgesetzen durch formelles Gesetz erlassen und geändert:
Der Gesetzgeber hat § 12a BVO NRW durch Art. II Abs. 8 Nr. 3 des Haushaltssicherungsgesetzes vom 17. Dezember 1998 (GV. NRW S. 750 ≪757≫) mit Wirkung vom 1. Januar 1999 eingeführt. Durch Art. II Nr. 1 des Gesetzes zur Änderung der Beihilfenverordnung vom 18. Dezember 2002 (GV. NRW S. 660 ≪666≫) hat er die Sockelbeträge in § 12a Abs. 1 der Vorschrift mit Wirkung vom 1. Januar 2003 auf den gegenwärtigen, hier nicht maßgebenden Stand erhöht.
Auch sind die Voraussetzungen erfüllt, die sich aus dem Rechtsstaats- und dem Demokratieprinzip (Art. 20 Abs. 1, Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG) für den Erlass von Verordnungsrecht durch den Gesetzgeber ergeben (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13. September 2005 – 2 BvF 2/03 – BVerfGE 114, 196 ≪238 f.≫):
Zum einen besteht der erforderliche sachliche Zusammenhang mit weiteren gesetzgeberischen Maßnahmen. Denn in den Artikelgesetzen vom 17. Dezember 1998 und vom 18. Dezember 2002 hat der Gesetzgeber jeweils in Artikel I die Haushaltspläne für die Jahre 1999 bzw. 2003 festgestellt und in Artikel II Vorschriften über Ausgabenkürzungen erlassen. So hat er das Haushaltsgesetz 1999 mit einem Haushaltssicherungsgesetz verbunden, das verschiedene Leistungen, darunter Beihilfen nach Maßgabe des neu eingeführten § 12a BVO NRW, eingeschränkt oder die Voraussetzungen hierfür geschaffen hat. Das Haushaltsgesetz 2003 hat der Gesetzgeber mit der Erhöhung der Sockelbeträge in § 12a Abs. 1 BVO NRW verbunden. Es ist sachdienlich, dass der Gesetzgeber mit der Feststellung des Haushaltsplans zugleich haushaltsrechtlich relevante Regelungen trifft, die er für erforderlich hält, um die haushaltspolitischen Ziele zu erreichen.
Zum anderen beruhen die Einführungen der Kostendämpfungspauschale und deren Erhöhung gemäß § 12a BVO NRW auf einer formellen gesetzlichen Grundlage, nämlich auf § 88 Satz 5 des Landesbeamtengesetzes NRW. Nach dem zweiten Halbsatz dieser Vorschrift kann der Beihilfeberechtigte durch Rechtsverordnung über die Eigenvorsorge hinaus zu einer vertretbaren Selbstbeteiligung an den Kosten herangezogen werden. Diese Verordnungsermächtigung ist zusammen mit § 12a BVO NRW durch Art. II Abs. 2b) des Haushaltssicherungsgesetzes vom 17. Dezember 1998 (GV. NRW S. 750 ≪756≫) eingeführt worden. Der Gesetzgeber hat in demselben Gesetz eine Verordnungsermächtigung geschaffen und von ihr Gebrauch gemacht. Daher kann der Bedeutungsgehalt des gesetzlichen Begriffs “vertretbare Selbstbeteiligung” durch den Rückgriff auf die in § 12a Abs. 1 BVO NRW festgelegten Sockelbeträge näher bestimmt werden. Mit der Erhöhung dieser Beträge durch das Gesetz zur Änderung der Beihilfenverordnung hat der Gesetzgeber den selbst vorgegebenen Rahmen ausgeschöpft.
3. Die in § 12a Abs. 1 BVO NRW vorgenommene Abstufung der Sockelbeträge nach Besoldungsgruppen, deren Geltung für mehrere Besoldungsgruppen sowie die Herabsetzung der Sockelbeträge nach (dem Umfang der Teilzeitbeschäftigung und) der Zahl berücksichtigungsfähiger Kinder verstößt nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz gemäß Art. 3 Abs. 1 GG. Der Gesetzgeber war berechtigt, den Unterschieden in der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Beamten in typisierender Weise Rechnung zu tragen. Dies hat der Senat bereits in dem Urteil vom 3. Juli 2003 – BVerwG 2 C 36.02 – (BVerwGE 118, 277 ≪284 f.≫) dargelegt, auf das verwiesen wird.
4. Die Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts, die pauschale Selbstbeteiligung der Beamten an Krankheitskosten sei mit der Fürsorge- und der Alimentationspflicht unvereinbar, ist angesichts der gefestigten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht haltbar. Diese hergebrachten Grundsätze im Sinne von Art. 33 Abs. 5 GG verlangen weder, dass Aufwendungen der Beamten in Krankheitsfällen durch Leistungen einer beihilfekonformen Krankenversicherung und ergänzende Beihilfen vollständig gedeckt werden, noch, dass die von der Beihilfe nicht erfassten Kosten in vollem Umfang versicherbar sind. Ein darauf gerichtetes Vertrauen genießt keinen verfassungsrechtlichen Schutz.
Der Alimentationsgrundsatz im Sinne von Art. 33 Abs. 5 GG verpflichtet den Dienstherrn, Beamten und ihren Familien die Mittel für einen Lebensunterhalt zur Verfügung zu stellen, der nach dem Dienstrang, der mit dem Amt verbundenen Verantwortung und der Bedeutung des Berufsbeamtentums für die Allgemeinheit angemessen ist. Die Beamten müssen über ein Nettoeinkommen verfügen, das ihre rechtliche und wirtschaftliche Unabhängigkeit gewährleistet und über die Befriedigung der Grundbedürfnisse hinaus einen dem Amt angemessenen Lebenszuschnitt ermöglicht (BVerfG, Urteile vom 27. September 2005 – 2 BvR 1387/02 – BVerfGE 114, 258 ≪287 f.≫ und vom 6. März 2007 – 2 BvR 556/04 – BVerfGE 117, 330 ≪351≫; stRspr). Die Pflicht zur Gewährung eines amtsangemessenen Lebensunterhalts erstreckt sich auch auf besondere Belastungssituationen wie Krankheit oder Pflegebedürftigkeit, die mit der Regelalimentation finanziell nicht zu bewältigen sind. In solchen Lebenslagen gebietet auch die verfassungsrechtliche Fürsorgepflicht, dass Beamte nicht mit erheblichen Aufwendungen belastet bleiben, die sie durch zumutbare Eigenvorsorge nicht absichern können (BVerfG, Beschluss vom 7. November 2002 – 2 BvR 1053/98 – BVerfGE 106, 225 ≪233≫; Kammerbeschluss vom 2. Oktober 2007 – 2 BvR 1715/03 – DVBl 2007, 1493 ≪1494≫; BVerwG, Urteil vom 3. Juli 2003 a.a.O. ≪279≫; stRspr).
Gegenwärtig ist für die Sicherung des amtsangemessenen Lebensunterhalts bei Krankheit ein “Mischsystem” eingerichtet. Die Bezüge enthalten einen Eigenvorsorgeanteil zur Finanzierung einer auf die Beihilfen abgestimmten Krankenversicherung. Ergänzend treten Beihilfen als anlassbezogene Leistungen aus öffentlichen Mitteln hinzu (BVerfG, Beschluss vom 7. November 2002 a.a.O. ≪232 f.≫; BVerwG, Urteil vom 3. Juli 2003 a.a.O. ≪280≫).
Dieses “Mischsystem” genießt jedoch keinen verfassungsrechtlichen Bestandsschutz: Zum einen fordert der Alimentationsgrundsatz nicht, dass der Eigenvorsorgeanteil betragsmäßig bestimmt und den jeweiligen Veränderungen des Beihilferechts angepasst wird. Zum anderen stellt das gegenwärtige Beihilfensystem, das die Erstattung anlassbedingter Kosten in Krankheits-, Pflege-, Geburts- und Todesfällen unabhängig von einer finanziellen Notlage vorsieht, keinen hergebrachten Grundsatz im Sinne von Art. 33 Abs. 5 GG dar. Denn es gehört nicht zu dem überlieferten Kernbestand von Strukturprinzipien, die das Berufsbeamtentum während eines längeren, traditionsbildenden Zeitraums, mindestens aber unter Geltung der Weimarer Reichsverfassung maßgeblich geprägt haben (BVerfG, Beschluss vom 7. November 2002 a.a.O. ≪232 f.≫; Kammerbeschluss vom 2. Oktober 2007 a.a.O. ≪1495≫; BVerwG, Urteil vom 3. Juli 2003 a.a.O. ≪279 f.≫).
Ist das Beihilfensystem als solches nicht verfassungsrechtlich verankert, so unterliegt der Gesetzgeber auch hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung keinen Bindungen durch das Alimentationsprinzip. Stellen Absenkungen des Beihilfestandards im Zusammenwirken mit anderen Besoldungseinschnitten die Amtsangemessenheit der Alimentation in Frage, so ist verfassungsrechtlich nicht die Anpassung der Beihilfen, sondern eine entsprechende Korrektur der Besoldungsgesetze geboten, die das Alimentationsprinzip konkretisieren (BVerfG, Beschluss vom 7. November 2002 a.a.O. ≪233≫; Kammerbeschluss vom 2. Oktober 2007 a.a.O. ≪1495≫).
5. Sinkt die Alimentation unter das verfassungsrechtlich gebotene Niveau ab, so führt dies nicht dazu, dass bestimmte Kürzungs- oder Streichungsregelungen außerhalb des Besoldungsgesetzes unwirksam oder unanwendbar sind. Dies gilt auch für Vorschriften über die pauschale Selbstbeteiligung an Krankheitskosten wie § 12a BVO NRW.
Die durch Art. 33 Abs. 5 GG geforderte Amtsangemessenheit der Regelalimentation beurteilt sich nach dem Nettoeinkommen der Beamten. Hierfür ist bei aktiven Beamten die Summe der Besoldungsleistungen, bestehend etwa aus Grundgehalt in der Endstufe, Familienzuschlag, allgemeiner Stellenzulage, jährlicher Sonderzuwendung, Urlaubsgeld und etwaigen Einmalzahlungen, zu ermitteln. Von dem Bruttoeinkommen sind Lohn- und Kirchensteuer sowie der Solidaritätszuschlag abzuziehen (BVerfG, Beschluss vom 24. November 1998 – 2 BvL 26/91 – BVerfGE 99, 300 ≪321≫). Zwar genießen einzelne Besoldungsleistungen wie etwa die jährliche Sonderzuwendung hinsichtlich ihres Bestands und ihrer Höhe keinen verfassungsrechtlichen Schutz. Als Berechnungsfaktoren für die Ermittlung des Nettoeinkommens kommt ihnen jedoch mittelbar verfassungsrechtliche Bedeutung zu. Streicht oder kürzt der Gesetzgeber eine Leistung, so stellt sich die Frage, ob das dadurch verringerte Nettoeinkommen noch ausreicht, um den amtsangemessenen Lebensunterhalt zu gewährleisten. Dies gilt auch für pauschale Selbstbeteiligungen an Krankheitskosten. Sie senken den Beihilfestandard dauerhaft gleichmäßig ab und verringern das Nettoeinkommen aller Beamten, denen beihilfefähige Aufwendungen entstehen.
Ob das jährliche Nettoeinkommen der Beamten den verfassungsrechtlichen Vorgaben des Art. 33 Abs. 5 GG genügt, hängt von der Entwicklung der allgemeinen wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse ab. Maßgebend ist vor allem der Vergleich mit den Nettoeinkommen der tariflich Beschäftigten des öffentlichen Dienstes. Daneben kommt es auf die Entwicklung derjenigen Einkommen an, die für vergleichbare Tätigkeiten außerhalb des öffentlichen Dienstes erzielt werden. Der Gesetzgeber darf die Beamtenbesoldung von der allgemeinen Entwicklung nur ausnehmen, wenn dies durch spezifische, im Beamtenverhältnis wurzelnde Gründe gerechtfertigt ist. Den Beamten dürfen keine Sonderopfer zur Konsolidierung der öffentlichen Haushalte auferlegt werden. Die Besoldung ist nicht mehr amtsangemessen, wenn die finanzielle Ausstattung der Beamten greifbar hinter der allgemeinen Einkommensentwicklung zurückbleibt (BVerfG, Urteil vom 27. September 2005 – 2 BvR 1387/02 – BVerfGE 114, 258 ≪293 f.≫; Beschlüsse vom 20. März 2007 – 2 BvL 11/04 – BVerfGE 117, 372 ≪388≫ und vom 24. September 2007 – 2 BvR 1673/03 – DVBl 2007, 1435 ≪1438≫; BVerwG, Urteil vom 19. Dezember 2002 – BVerwG 2 C 34.01 – BVerwGE 117, 305 ≪309≫).
Zwar verpflichtet Art. 33 Abs. 5 GG den Gesetzgeber, ein verfassungswidrig zu niedriges Alimentationsniveau anzuheben. Damit korrespondiert ein grundrechtsgleiches Recht der Beamten. Allerdings folgen aus dem Alimentationsgrundsatz keine konkreten Handlungsaufträge für den Gesetzgeber. Verfassungsrechtlich ist nur das Ergebnis vorgegeben; die Wahl der Mittel bleibt dem Gesetzgeber überlassen. Ihm ist bei der Gestaltung des Besoldungsrechts ein weiter Spielraum politischen Ermessens eröffnet, der grundsätzlich erst durch Maßnahmen überschritten wird, die sich als evident sachwidrig erweisen (BVerfG, Beschlüsse vom 4. April 2001 – 2 BvL 7/98 – BVerfGE 103, 310 ≪320≫ und vom 6. Mai 2004 – 2 BvL 16/02 – BVerfGE 110, 353 ≪364≫; stRspr). Der Gesetzgeber kann das Alimentationsniveau sowohl dadurch anheben, dass er die Dienstbezüge erhöht, als auch dadurch, dass er besoldungsrelevante Einschnitte rückgängig macht.
Da sich das verfassungsrechtlich relevante Nettoeinkommen aus einer Gesamtschau der besoldungsrechtlichen Regelungen ergibt, kann ein verfassungswidrig zu niedriges Alimentationsniveau seine Ursache darin haben, dass unzureichende Anpassungen der Besoldungsbezüge sowie Kürzungen oder Streichungen besoldungsrelevanter Leistungen kumulativ zusammenwirken. In diesem Fall kann die Verletzung der Alimentationspflicht des Gesetzgebers nicht die Unwirksamkeit oder Unanwendbarkeit einer bestimmten Regelung nach sich ziehen, die eine Leistung kürzt oder streicht, die – wie Beihilfen oder die jährliche Sonderzuwendung – für sich genommen verfassungsrechtlich nicht gewährleistet ist. Dieser Rechtsfolge steht bereits der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers entgegen. Dieser schließt es insbesondere aus, dass die Wirksamkeit oder Anwendbarkeit solcher Regelungen davon abhängt, in welcher zeitlichen Reihenfolge die Verwaltungsgerichte über Kürzungs- und Streichungsmaßnahmen entscheiden. Dies hätte eine nicht hinnehmbare Rechtsunsicherheit zur Folge, wie die Entwicklung der Rechtsprechung in Nordrhein-Westfalen zeigt: Mit der Begründung, die Alimentationspflicht sei verletzt, hat der 1. Senat des Oberverwaltungsgerichts Münster im Rahmen von Klagen auf Gewährung höherer Beihilfen eine “Anwendungssperre” für § 12a BVO NRW ausgesprochen (OVG Münster, Urteil vom 10. September 2007 – 1 A 4955/00 – DVBl 2007, 1297). Demgegenüber hat das Verwaltungsgericht Arnsberg mit inhaltsgleichen Erwägungen im Rahmen einer Klage auf Zahlung von Urlaubsgeld die Streichung dieser Besoldungsleistung durch das Gesetz über die Gewährung einer Sonderzahlung vom 20. November 2003 (GV. NRW S. 696) für verfassungswidrig gehalten und gemäß Art. 100 Abs. 1 GG das Bundesverfassungsgericht angerufen (VG Arnsberg, Urteil vom 27. Dezember 2007 – 2 K 480/06 – juris).
Aufgrund des besoldungsrechtlichen Vorbehalts des Gesetzes und des Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers können Beamten auch dann, wenn die Verfassungsmäßigkeit ihrer Alimentation in Frage steht, keine Besoldungsleistungen zugesprochen werden, die gesetzlich nicht vorgesehen sind. Vielmehr sind sie darauf verwiesen, ihren Alimentationsanspruch dadurch geltend zu machen, dass sie Klagen auf Feststellung erheben, ihr Nettoeinkommen sei verfassungswidrig zu niedrig bemessen. Teilt das Verwaltungsgericht diese Beurteilung, so muss es nach Art. 100 Abs. 1 GG die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungsmäßigkeit des Besoldungsgesetzes einholen, das die Dienstbezüge festlegt. Demnach wird den Beamten im Erfolgsfall zugemutet abzuwarten, bis der Gesetzgeber eine Neuregelung getroffen hat (Teilurteil vom 14. November 1985 – BVerwG 2 C 14.83 – Buchholz 235 § 2 BBesG Nr. 6; Urteile vom 20. Juni 1996 – BVerwG 2 C 7.95 – Buchholz 240 § 2 BBesG Nr. 8 und vom 28. April 2005 – BVerwG 2 C 1.04 – BVerwGE 123, 308 ≪310≫). Aufgrund der Bindung des Gesetzgebers an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG) geht der Senat weiterhin davon aus, dass dieser Weg trotz des damit verbundenen Zuwartens auf ein Tätigwerden des Gesetzgebers mit dem Gebot effektiven Rechtsschutzes gemäß Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG vereinbar ist. In wirtschaftlichen Notlagen kommen möglicherweise unter dem Gesichtspunkt der Fürsorgepflicht vorläufige Zahlungen in Betracht (vgl. Urteil vom 20. Juni 1996 a.a.O.).
Die Feststellungsklage ist gegen das Land zu richten. Denn seit der sog. Föderalismusreform ist es Sache der Landesgesetzgeber, eine verfassungswidrig zu niedrige Alimentation der Landesbeamten zu beseitigen.
Der gemäß Art. 74a GG a.F. für die Besoldung und Versorgung aller Beamten zuständige Bundesgesetzgeber konnte schwerlich gezwungen werden, durch Erhöhung der Bezüge verfassungsrechtlich relevante Alimentationslücken auszugleichen, die ein Landesgesetzgeber durch die Einführung pauschaler Beihilfekürzungen oder die Absenkung der jährlichen Sonderzuwendung herbeigeführt hatte (vgl. OVG Münster, Urteil vom 12. November 2003 – 1 A 4755/00 – ZBR 2005, 272 ≪273≫). Der Grundsatz der bundeseinheitlichen Besoldung und Versorgung ist aber durch die Aufhebung des Art. 74a GG a.F. durch das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 28. August 2006 (BGBl I S. 2034) mit Wirkung vom 1. September 2006 aufgegeben worden. Nach dem neu eingefügten Art. 74 Abs. 1 Nr. 27 GG sind nunmehr ausschließlich die Länder für die Regelung der Besoldung und Versorgung der Beamten der Länder, Gemeinden und anderen Körperschaften des öffentlichen Rechts zuständig.
Zwar gilt gemäß Art. 125a Abs. 1 Satz 1 GG das Bundesbesoldungsgesetz für die Landesbeamten fort; es kann aber nach Satz 2 dieser Vorschrift jederzeit durch ein Landesgesetz ersetzt werden. Die Fortgeltungsklausel verlängert nicht die Zuständigkeit des Bundesgesetzgebers, sondern soll lediglich eine Regelungslücke bis zum Inkrafttreten des Landesgesetzes vermeiden (vgl. Uhle, in: Maunz/Dürig, GG, Stand Dezember 2007, Art. 125a Rn. 25, 27; Stettner, in: Dreier, GG, Bd. 3, 2000, Art. 125a Rn. 3; Degenhart, in: Sachs, GG, 4. Aufl. 2007, Art. 125a Rn. 5 f.; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 9. Aufl. 2007, Art. 125a Rn. 7 f.).
Damit liegt die Zuständigkeit für die Besoldung der Landesbeamten einschließlich des Rechts der Beihilfen und der jährlichen Sonderzuwendung in der Hand der Landesgesetzgeber. Nur sie sind imstande, ein verfassungskonformes Alimentationsniveau der Landesbeamten aufrechtzuerhalten oder nachträglich wiederherzustellen. Im Falle eines verfassungswidrigen Alimentationsdefizits ist es Sache der Landesgesetzgeber, dieses durch ein Landesbesoldungsgesetz zu beheben.
Der Kläger hat in den Tatsacheninstanzen weder ausdrücklich Klage auf Feststellung erhoben, seine Alimentation sei im Jahr 1999 verfassungswidrig zu niedrig bemessen gewesen, noch kann seinem Vortrag ein solches Rechtsschutzbegehren entnommen werden. Mit seiner Klage hat er nur das Ziel verfolgt, Beihilfe für seine Aufwendungen im Jahr 1999 ohne Abzug der Kostendämpfungspauschale gemäß § 12a BVO NRW zu erhalten. Denn nur zu diesem Themenbereich hat der Kläger vorgetragen. Auf die Verfassungsmäßigkeit seiner Besoldung im Jahr 1999 ist er nicht eingegangen. Diese Frage hat er erstmals im Revisionsverfahren aufgeworfen. Sein entsprechender Revisionsvortrag kann nicht berücksichtigt werden, weil die damit verbundene Klageänderung gemäß § 142 Abs. 1 Satz 1 VwGO unzulässig ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Unterschriften
Albers, Prof. Dr. Kugele, Groepper, Dr. Heitz, Thomsen
Fundstellen