Entscheidungsstichwort (Thema)
Einnahmenerhöhung, keine Aufhebung der Wohngeldbewilligung für die Vergangenheit auf der Grundlage des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3, Satz 3 SGB X wegen rückwirkender –. Wohngeld, rückwirkende Aufhebung der Bewilligung von –. Rückwirkung der Aufhebung von Wohngeldbewilligung
Leitsatz (amtlich)
§ 29 Abs. 3 Nr. 2, § 30 Abs. 5 WoGG F. 1993 lassen bei einer rückwirkenden Einnahmenerhöhung eine Neuentscheidung über die Leistung von Wohngeld nur von dem in § 29 Abs. 3 Nr. 2 WoGG bezeichneten Zeitpunkt an, aber nicht weiter rückwirkend zu. Diese Regelung geht der Regelung in § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3, Satz 3 SGB X vor (§ 37 Satz 1 SGB I).
Normenkette
WoGG F 1993 § 29 Abs. 3 Nr. 2; WoGG F 1993 § 30 Abs. 5; SGB X § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3, S. 3; SGB I § 37 S. 1, § 31
Verfahrensgang
Sächsisches OVG (Urteil vom 18.12.2000; Aktenzeichen 2 B 376/00) |
VG Chemnitz (Urteil vom 01.03.2000; Aktenzeichen 5 K 1244/98) |
Tenor
Das Urteil des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 18. Dezember 2000 wird aufgehoben.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Chemnitz vom 1. März 2000 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens und des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten über die Berechtigung der Beklagten, Wohngeldbescheide wegen einer nachträglichen Einkommenserhöhung mit Wirkung für die Vergangenheit aufzuheben und das überzahlte Wohngeld zurückzufordern.
Der Kläger hat ab März 1997 Wohngeld bezogen, und zwar aufgrund des Bescheides vom 19. Juni 1997 in Form eines Mietzuschusses in Höhe von 448 DM monatlich für die Zeit vom 1. März 1997 bis 31. August 1997 und gemäß Bescheid vom 20. November 1997 in Höhe von 416 DM monatlich für die Zeit vom 1. September 1997 bis 31. August 1998. Am 27. Januar 1998 teilte der Kläger der Beklagten mit, dass er gemäß Rentenbescheid der Landesversicherungsanstalt Sachsen vom 8. Dezember 1997 eine Erwerbsunfähigkeitsrente, beginnend am 1. Februar 1997, beziehe. Die Nachzahlung in Höhe von 18 225,09 DM für die Zeit vom 1. Februar 1997 bis 31. Januar 1998 wurde einbehalten, weil zunächst die bekannt gewordenen Ansprüche anderer Stellen (z.B. Krankenkasse, Arbeitsamt, Träger der Sozialhilfe, Arbeitgeber), die im Nachzahlungszeitraum bereits Zahlungen geleistet hätten, zu klären seien.
Daraufhin hob die Beklagte die Wohngeldbescheide rückwirkend auf, bewilligte für die Monate März bis August 1997 Wohngeld in Höhe von monatlich (nur noch) 178 DM, für die Zeit vom 1. September 1997 bis 31. August 1998 in Höhe von monatlich (nur noch) 172 DM und forderte nach Aufrechnung mit künftigem Wohngeld in Höhe von 516 DM gemäß § 50 SGB X überzahltes Wohngeld in Höhe von 2 568 DM zurück. Die rückwirkende Bewilligung der Erwerbsunfähigkeitsrente habe zu einer Erhöhung des Familieneinkommens im streitgegenständlichen Zeitraum von mehr als 15 % geführt; als Rechtsgrundlage der Aufhebung und Neuentscheidung wurde § 29 Abs. 3 WoGG i.V.m. § 48 SGB X angeführt.
Auf die nach erfolglosem Widerspruch (Widerspruchsbescheid vom 25. Mai 1998) erhobene Anfechtungsklage hat das Verwaltungsgericht die Aufhebungs- und Rückforderungsbescheide insoweit aufgehoben, als sie für die Zeit von März bis Dezember 1997 die Wohngeldbewilligung um 2 596 DM verringern und insoweit geleistetes Wohngeld zurückfordern: Zwar liege infolge der Festsetzung der Erwerbsunfähigkeitsrente und der daraus resultierenden Rentennachzahlung eine relevante Einnahmenerhöhung beim Kläger vor; eine Neuberechnung für den bereits abgeschlossenen Bewilligungszeitraum komme aber nach § 29 Abs. 3 Nr. 2 WoGG nicht in Betracht und sei auch nicht über § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X zulässig, da dies nicht nur dem Wortlaut des § 29 WoGG, sondern auch der Systematik und dem Zweck des Wohngeldgesetzes zuwiderlaufen würde. Aber auch innerhalb eines laufenden Bewilligungszeitraumes erlaube der Wortlaut des § 29 Abs. 3 Nr. 2 WoGG eine Änderung des Wohngeldes erst vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse an bzw. vom auf die Änderung der Verhältnisse folgenden nächsten Ersten eines Monats an. Dies sei hier der Januar 1998, da der Anspruch auf Auszahlung der Erwerbsunfähigkeitsrente erst mit dem Bescheid der Landesversicherungsanstalt vom 8. Dezember 1997 entstanden sei.
Das Oberverwaltungsgericht dagegen hat auf die Berufung der Beklagten die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:
Die Beklagte habe die die Monate März bis Dezember 1997 betreffenden Wohngeldbescheide rechtmäßig auf der Grundlage von § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 und Satz 3 SGB X i.V.m. § 29 Abs. 3 WoGG teilweise aufgehoben und den Kläger zu Recht gemäß § 50 SGB X zur Erstattung des überzahlten Wohngeldes aufgefordert. Als maßgeblicher Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse sei für die rückwirkend bewilligte Erwerbsunfähigkeitsrente gemäß § 48 Abs. 1 Satz 3 SGB X der 1. Februar 1997 zu fingieren. Der nur auf Einnahmenerhöhung „im laufenden Bewilligungszeitraum” abstellende Wortlaut des § 29 Abs. 3 Nr. 2 WoGG stehe nicht entgegen, denn die Bestimmung enthalte nur eine Regelung für die Zukunft und schließe die Aufhebung eines Wohngeldbescheides nach § 48 SGB X nicht aus; auch die Bestimmung in § 30 Abs. 5 WoGG beziehe sich nach ihrem Wortlaut allein auf die Zukunft. Die Anwendbarkeit des § 48 SGB X hinsichtlich bereits abgelaufener Bewilligungszeiträume werde durch die Gesetzesmaterialien zu § 29 Abs. 3 WoGG, eingefügt durch das Gesetz zur Umsetzung des Föderalen Konsolidierungsprogramms vom 26. Juni 1993, bestätigt; auch die durch das Gesetz zur Änderung des Wohngeldgesetzes und anderer Gesetze vom 22. Dezember 1999 (BGBl I S. 2671) bewirkte Anfügung des neuen Satz 3 an § 29 Abs. 4 WoGG, die ausdrücklich einen abgelaufenen Bewilligungszeitraum betreffe, wäre sinnlos, wenn § 48 Abs. 1 SGB X hinsichtlich abgelaufener Bewilligungszeiträume keine Anwendung fände.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers, mit der er eine Verletzung des § 29 Abs. 3 Nr. 2 WoGG rügt. Die Bestimmung schließe nachträgliche Änderungen für bereits abgelaufene Zeiträume aus. Für das im laufenden Bewilligungszeitraum ab September 1997 zurückzuzahlende Wohngeld hätte die Beklagte beim Rentenversicherungsträger einen Erstattungsanspruch nach dem damals noch geltenden § 30 Abs. 4 WoGG geltend machen müssen, statt vom Kläger die Rückzahlung von Einkommen zu verlangen, welches ihm wegen des Zugriffs anderer Sozialversicherungsträger tatsächlich nie zugeflossen sei.
Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil.
Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht unterstützt in Übereinstimmung mit dem Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen das angefochtene Urteil.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision des Klägers, über die das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 141, Satz 1 i.V.m. § 125 Abs. 1 Satz 1 und § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann, ist begründet. Die Aufhebung der angefochtenen Festsetzungs- und Rückforderungsbescheide durch das Verwaltungsgericht ist rechtens, das Berufungsurteil ist mit Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) nicht vereinbar und unter Zurückweisung der Berufung aufzuheben (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO).
Die angefochtenen Bescheide finden in §§ 48, 50 SGB X i.V.m. § 29 Abs. 3 Nr. 2 WoGG in der hier maßgeblichen Fassung des Gesetzes zur Umsetzung des Föderalen Konsolidierungsprogramms – FKPG – vom 23. Juni 1993 (BGBl I S. 944) keine Rechtsgrundlage. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 29 Abs. 3 Nr. 2 WoGG sind für die streitigen Bewilligungszeiten März bis einschließlich August 1997 und September bis einschließlich Dezember 1997 nicht erfüllt. Einer rückwirkenden Aufhebung der Wohngeldbewilligung auf der Grundlage des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 und Satz 3 SGB X steht der abschließende Charakter der wohngeldrechtlichen Regelungen in §§ 29, 30 WoGG entgegen. Für das Wohngeldgesetz als einen besonderen Teil des Sozialgesetzbuchs gelten nach § 37 Satz 1 SGB I das Erste und Zehnte Buch des Sozialgesetzbuchs, „soweit sich aus den übrigen Büchern nichts Abweichendes ergibt”. §§ 29, 30 WoGG F. 1993 enthalten abweichende Regelungen in diesem Sinne, und zwar sowohl für den bei Neubescheidung (hier im Februar 1998) bereits abgelaufenen wie für den noch laufenden Bewilligungszeitraum.
Nach § 29 Abs. 3 Nr. 2 WoGG F. 1993 ist in dem Falle, dass sich „im laufenden Bewilligungszeitraum … die Einnahmen so erhöht (haben), dass sich dadurch das Familieneinkommen um mehr als 15 vom Hundert erhöht, … über die Gewährung von Wohngeld von Amts wegen vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse an, bei Änderungen im Laufe eines Monats vom auf die Änderung der Verhältnisse folgenden nächsten Ersten eines Monats neu zu entscheiden, wenn dies zu einem Wegfall oder zu einer Verringerung des Wohngeldes führt”. Dass die Aufhebung des Bewilligungsbescheides und Neuberechnung des Wohngeldes für einen bei Eintritt der Änderung bereits abgeschlossenen Bewilligungszeitraum nicht unter diese Bestimmung fällt, weil sie sich nicht auf einen „laufenden Bewilligungszeitraum” bezieht, hat das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt; eine rückwirkende Änderung, wie § 29 Abs. 2 WoGG sie im Anschluss an § 29 Abs. 1 WoGG regelt, und einen Eingriff in abgeschlossene Bewilligungszeiträume sieht § 29 Abs. 3 Nr. 2 WoGG für den Fall höherer Einnahmen nicht vor. Auch aus § 11 Abs. 3 WoGG in seiner 1998 geltenden Fassung (s. jetzt die erweiterte Regelung in § 11 Abs. 4 WoGG F. 2001), der bei einmaligen Einnahmen (bzw. einmaligem Einkommen) zwischen „anfallen” und „zurechnen” unterscheidet, ergibt sich nichts anderes. Die Zurechnung einmaliger Einnahmen zu einem bestimmten Bewilligungszeitraum präjudiziert nicht die Frage, ob und unter welchen Umständen eine Neuberechnung mit dem Ziel einer Wohngeldkürzung zulässig ist.
Zutreffend ist auch die Feststellung des Verwaltungsgerichts, dass es für die Monate September 1997 bis Dezember 1997 an einer Änderung der Verhältnisse fehlt, die nach § 29 Abs. 3 Nr. 2 WoGG F. 1993 Voraussetzung einer Neuentscheidung ist. Höhere Einnahmen infolge der Rentenbewilligung hat der Kläger im Jahre 1997 nicht gehabt; stellt man – wie das Verwaltungsgericht – auf den Zeitpunkt der Rentenbewilligung gemäß Bescheid der Landesversicherungsanstalt vom 8. Dezember 1997 ab, ist eine Neuentscheidung erst vom folgenden Monatsersten an, also jedenfalls nicht mit Wirkung für 1997 möglich.
Die Vorinstanz geht zu Recht davon aus, dass die Regelung in § 29 Abs. 3 Nr. 2 WoGG F. 1993 sich – ebenso wie die zeitgleich eingeführte Auskunftspflicht des § 29 Abs. 4 WoGG F. 1993 – nur auf den „laufenden Bewilligungszeitraum” bezieht und eine Neuregelung erst ab dem Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse (für die Zukunft) vorsieht. Zu Unrecht misst sie aber § 29 Abs. 3 Nr. 2 und § 30 Abs. 5 WoGG F. 1993 keine die Anwendbarkeit des § 48 SGB X einschränkende Bedeutung bei, sondern hält eine Aufhebung der Wohngeldbewilligungen für die Monate März bis Dezember 1997 auf der Grundlage des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X i.V.m. § 48 Abs. 1 Satz 3 SGB X für rechtlich möglich; danach gilt in Fällen der Anrechnung von Einkommen oder Vermögen auf einen zurückliegenden Zeitraum aufgrund der besonderen Teile dieses Gesetzbuchs der Beginn des Anrechnungszeitraumes als Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse. Diese Anwendung des § 48 Abs. 1 SGB X trägt der abschließenden Bedeutung der engeren Regelung der Aufhebungs- und Widerrufsgründe in §§ 29, 30 WoGG F. 1993 nicht Rechnung und widerspricht § 30 Abs. 5 WoGG F. 1993, wonach der Anspruch auf Wohngeld sich „wegen anderer als der in § 29 und den vorstehenden Absätzen … genannten Umstände” nicht ändert.
Entgegen der Auffassung der Vorinstanz schließt der Umstand, dass § 29 Abs. 3 Nr. 2 WoGG F. 1993 eine Neubescheidung erst vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse an vorsieht, eine Aufhebung für die Vergangenheit unter Anwendung des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 und Satz 3 SGB X aus. Wenn es, wie die Vorinstanz aus den Gesetzesmaterialien herleitet, bezweckt war, mit der Einfügung des § 29 Abs. 3 WoGG F. 1993 eine auch in frühere Bewilligungszeiträume rückwirkende Anwendung des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X zu ermöglichen, wäre es nötig gewesen, dies auch in § 29 Abs. 3 WoGG zum Ausdruck zu bringen. Mit der Eröffnung der rechtlichen Möglichkeit einer Neuentscheidung von Amts wegen zur Berücksichtigung von Änderungen während des laufenden Bewilligungszeitraumes ist nur ein Teil des Normprogramms des § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X in das Wohngeldrecht übernommen worden; diese Beschränkung spricht nicht für, sondern gegen die Anwendbarkeit der nicht übernommenen Teile des § 48 SGB X.
Da eine in die Zeit vor dem Zeitpunkt der Veränderung der Verhältnisse und in frühere Bewilligungszeiträume rückwirkende Einkommensänderung nicht zu den in § 29 Abs. 3 und § 30 Abs. 1 bis 3 WoGG F. 1993 genannten Umständen gehört, ändert sich gemäß § 30 Abs. 5 WoGG F. 1993 der Anspruch auf Wohngeld wegen dieser Einkommensänderung nicht. Die Aussage des Satzes „Wegen anderer als der … genannten Umstände ändert sich der Anspruch auf Wohngeld nicht” bezieht sich sprachlich nicht, wie die Vorinstanz meint, allein auf die Zukunft, sondern ist in zeitlicher Hinsicht offen, so dass ohne weiteres auch rückwirkende Änderungen umfasst sind. Wenn der Anspruch auf Wohngeld sich nicht ändert, ändert er sich auch nicht für die Vergangenheit. Dies schließt eine rückwirkende Aufhebung nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X aus.
Diese Auslegung wird durch die der Neufassung durch das Gesetz zur Umsetzung des Föderalen Konsolidierungsprogramms vorausgehende Gesetzesgeschichte der §§ 29, 30 WoGG als sozialrechtliche Sonderregelungen der Widerrufsproblematik bestätigt. Im Gegensatz zum (Ersten) Wohngeldgesetz (Fassung vom 1. April 1965, BGBl I S. 177), welches keine Vorschriften über die Aufhebung von Bewilligungsbescheiden enthielt, so dass insoweit die Grundsätze des allgemeinen Verwaltungsrechts zur Geltung kamen (vgl. zur Entwicklung etwa Schwerz, Das neue Wohngeldrecht, Kommentar, Loseblatt, letzter Stand: 20. Lieferung August 1982, § 30 Anm. 1), enthielt das Zweite Wohngeldgesetz (Gesetz vom 14. Dezember 1970, BGBl I S. 1637) in seinem § 30 eine eigenständige Aufhebungsvorschrift, die dem praktischen Bedürfnis der Verwaltung für feste, leicht zu handhabende und in sich geordnete Regeln zur Aufhebung von Bewilligungsbescheiden dienen sollte. Diese Regelung sah einen Widerruf des Bewilligungsbescheides „von dem folgenden Zahlungsabschnitt an” nur vor, wenn der Wohnraum nicht mehr benutzt oder das Wohngeld nicht zweckentsprechend verwendet wurde (§ 30 Abs. 1 WoGG F. 1970); der Fall einer Einkommenserhöhung während eines laufenden Bewilligungszeitraums blieb aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung als Widerrufsgrund unberücksichtigt (vgl. Schwerz, a.a.O., Anm. 5). Die mit dem In-Kraft-Treten des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (Gesetz vom 18. August 1980, BGBl I S. 1469) verbundene Neufassung des § 30 WoGG sah ein Entfallen des Anspruchs über die genannten Fälle der Nichtbenutzung des Wohnraums (Absatz 1) und einer nicht zweckentsprechenden Verwendung des Wohngeldes (Absatz 2) hinaus auch für den Tod des Antragsberechtigten (Absatz 3) vor; gemäß Absatz 4 entfiel oder verringerte der Anspruch auf Wohngeld sich „wegen anderer Änderungen in den für die Gewährung des Wohngeldes erheblichen Verhältnissen … nicht”. Damit umschrieb § 30 WoGG F. 1980 in abschließender Weise die tatbestandlichen Voraussetzungen eines Widerrufs wegen Änderung der Verhältnisse während eines laufenden Bewilligungszeitraumes und ließ den Fall einer rückwirkenden Einkommenserhöhung auch weiterhin unberücksichtigt. Erst das Gesetz vom 20. Juni 1991 (BGBl I 1250) trug dem Fall der nachträglichen Bewilligung einer weiteren Sozialleistung, die auf das Wohngeld anzurechnen gewesen wäre, durch Einfügung eines neuen § 30 Abs. 4 WoGG Rechnung, der einen Erstattungsanspruch der Wohngeldstelle nach dem Zehnten Buch Sozialgesetzbuch gegen den anderen Sozialleistungsträger vorsah. Diese Bestimmung ist mit Gesetz vom 22. Dezember 1999 (Gesetz zur Änderung des Wohngeldgesetzes und anderer Gesetze, BGBl I S. 2671) mit Wirkung zum 1. Januar 2001 mit der Begründung wieder aufgehoben worden, seit der Einfügung von § 29 Abs. 3 durch das FKPG vom 23. Juni 1993 bedürfe es im Falle einer rückwirkenden Bewilligung anderer Sozialleistungen regelmäßig nicht mehr eines Rückgriffs auf die Erstattungsregelungen des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch, da in der Regel eine Einkommenserhöhung um mehr als 15 v.H. vorliege mit der Folge, dass über die Leistung von Amts wegen neu zu entscheiden sei (vgl. die Begründung zu dem Gesetzentwurf eines Haushaltssanierungsgesetzes, BTDrucks 14/1523 S. 187 bzw. 14/1636 S. 190, von dem das Gesetz vom 22. Dezember 1999 abgetrennt wurde). Diese Entwicklung erhellt, dass der Gesetzgeber unvorhergesehene Einkommenserhöhungen bis zur Einfügung des § 29 Abs. 3 WoGG als Aufhebungs- und Widerrufsgrund unberücksichtigt gelassen hatte. Auch vor diesem Hintergrund kann die Einfügung einer auf die Zeit ab Änderung der Verhältnisse beschränkten Aufhebung durch § 29 Abs. 3 WoGG F. 1993 nicht gleichzeitig als Eröffnung weiterreichender rückwirkender Aufhebungsmöglichkeiten in Anwendung des § 48 Abs. 1 Satz 3 SGB X verstanden werden.
Zwar enthalten – worauf das Berufungsgericht seine Gesetzesauslegung stützt – die Gesetzesmaterialien zu § 29 Abs. 3 WoGG ebenso wie die zu dem oben genannten Gesetz vom 22. Dezember 1999 Hinweise, dass die Verfasser des Gesetzentwurfs zu § 29 Abs. 3 WoGG als Folge der Neuregelung auch eine Aufhebung für die Vergangenheit als rechtlich möglich angesehen hatten. Die vom Berufungsgericht für seine Gesetzesauslegung angeführte Passage der Begründung des Gesetzentwurfs der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP (BTDrucks 12/4401 S. 76) mit dem Wortlaut
„Der (nach § 29 Abs. 3 zu erlassende) neue Bescheid gilt nicht nur für die restlichen Monate des laufenden Bewilligungszeitraumes, sondern setzt einen neuen Bewilligungszeitraum in Gang. In dem neuen Bescheid ist regelmäßig der laufende Bewilligungsbescheid aufzuheben; § 48 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch kommt zur Anwendung. Sofern die Voraussetzungen vorliegen, nimmt die Wohngeldstelle die Aufhebung auch mit Wirkung für die Vergangenheit vor (§ 48 Abs. 1 Satz 2 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch).”
ist allerdings, was den Umfang der für möglich gehaltenen Aufhebung mit Wirkung für die Vergangenheit betrifft, entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts keineswegs eindeutig. Da in der Gesetzesbegründung wie im Gesetzestext selbst jede ausdrückliche Bezugnahme auf vergangene Bewilligungszeiträume fehlt und die Aufhebung für den laufenden Bewilligungszeitraum wegen Einkommenserhöhung neu in das Gesetz aufgenommen wurde, erscheint es als nahe liegend, dass mit dem letzten Satz die Möglichkeit einer Aufhebung auch für die Vergangenheit, und zwar (nur) innerhalb des laufenden Bewilligungszeitraumes, in den Blick genommen werden sollte. Ob dies zutrifft, kann jedoch dahingestellt bleiben; denn auch eine aus der Gesetzesbegründung belegbare Vorstellung, mit der Neufassung des Gesetzes weiterreichende als die ausdrücklich geregelten Änderungen herbeizuführen, hätte im Gesetzestext selbst einen Anhalt finden müssen.
Neben dem Wortlaut und der Systematik des Gesetzes kann den Gesetzesmotiven nur eine ergänzende oder klarstellende Bedeutung zukommen; bloße Anhaltspunkte in Form von Äußerungen in den Materialien reichen nicht aus, um trotz des inhaltlich beschränkten Wortlauts einer Gesetzesänderung von einer wesentlich umfassenderen Änderung der Gesetzeslage ausgehen zu können. Die bloße Mitteilung der Vorstellungen der Verfasser einer Gesetzesbegründung über rechtliche Folgewirkungen einer Gesetzesänderung kann eine den Empfänger von Sozialleistungen belastende Änderung der Gesetzeslage nicht bewirken, wenn sie im Gesetzestext selbst keinen Ausdruck findet. Nach § 31 SGB I dürfen Rechte und Pflichten in den Sozialleistungsbereichen dieses Gesetzbuchs nur begründet, festgestellt, geändert oder aufgehoben werden, soweit ein Gesetz es vorschreibt oder zulässt. Dieser Vorbehalt des Gesetzes stellt an eine gesetzliche Eingriffsermächtigung – hier zur rückwirkenden Aufhebung einer Leistungsbewilligung und zur Heranziehung zur Leistungserstattung – Anforderungen, was die Normenbestimmtheit und -klarheit sowie die davon abhängige Voraussehbarkeit des staatlichen Eingriffs in Rechtspositionen des Leistungsbeziehers betrifft. Eine diesen Anforderungen genügende gesetzliche Grundlage für die angefochtenen Bescheide der Beklagten besteht nicht.
Soweit das Gesetz zur Änderung des Wohngeldgesetzes und anderer Gesetze vom 22. Dezember 1999 (BGBl I S. 2671) mit Wirkung zum 1. Januar 2001 die Mitteilungspflichten des § 29 Abs. 4 WoGG durch den neuen Satz 3 erweitert hat, „wenn sich die Änderungen nach den Nummern 1 und 2 auf einen abgelaufenen Bewilligungszeitraum beziehen, längstens für drei Jahre nach der Änderung der Verhältnisse”, mag künftig zu klären sein, ob damit über den Wortlaut des § 29 Abs. 3 WoGG hinaus eine Überprüfung und Neubescheidung auch für abgelaufene Bewilligungszeiträume ermöglicht werden soll oder als bereits möglich vorausgesetzt wird. Ob dies ausreicht, um unter Berücksichtigung des § 30 Abs. 5 WoGG eine geänderte Gesetzesauslegung im Sinne einer rückwirkenden Neuberechnung und Neufestsetzung des Wohngeldes auf der Grundlage des § 48 VwVfG zu rechtfertigen, kann hier dahingestellt bleiben, denn die Gesetzesänderung kann die Gesetzesauslegung erst ab ihrem In-Kraft-Treten beeinflussen.
Auch eine Berücksichtigung des von der Vorinstanz angeführten gesetzgeberischen Interesses, „Doppelleistungen” zu verhindern bzw. rückgängig zu machen, führt zu keiner anderen Beurteilung. Die Regelungen des Wohngeldrechts über die Einkommensabhängigkeit eines Wohngeldanspruchs haben den wirtschaftlichen Bedarf des begünstigten Personenkreises im Blick. Wann ein Bedarf bzw. eine Mangellage aus wohngeldrechtlicher Sicht im Hinblick auf Einkommen des Anspruchstellers fehlt, regeln die §§ 9 ff. WoGG; sie erfassen Einkommen, das zum Zeitpunkt der Antragstellung im Bewilligungszeitraum zu erwarten ist (vgl. § 11 Abs. 1 Satz 1 WoGG). Änderungen des Einkommens im Bewilligungszeitraum sind zu berücksichtigen, wenn sie zum Zeitpunkt der Antragstellung mit Sicherheit zu erwarten sind; Änderungen, deren Beginn oder Ausmaß nicht ermittelt werden können, bleiben dagegen außer Betracht (§ 11 Abs. 1 Satz 3 WoGG). Letzteres gilt auch für die im Falle des Klägers erst im Dezember 1997 festgestellte Erwerbsunfähigkeitsrente.
Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. September 1992 – BVerwG 8 C 68.90 und 70.90 – (BVerwGE 91, 82) schließlich, auf welches die Vorinstanz sich zur Begründung ihrer Auffassung beruft, enthält keine Aussagen zur vorliegenden rechtlichen Problematik. Es betrifft die Rücknahme rechtswidriger Wohngeldbescheide nach § 45 Abs. 1 SGB X im Falle einer von Anfang an rechtswidrigen, missbräuchlichen Inanspruchnahme von Wohngeld und lässt Rückschlüsse auf die Frage einer rückwirkenden Aufhebung einer Wohngeldbewilligung wegen nachträglicher Änderung der Umstände nach § 48 SGB X nicht zu.
Da nach alledem die angefochtenen Aufhebungs- und Rückforderungsbescheide mangels Rechtsgrundlage keinen Bestand haben, bedarf es nicht mehr der Prüfung, ob die für die Beklagte gemäß § 30 Abs. 4 WoGG F. 1991 gegebene rechtliche Möglichkeit, einen Erstattungsanspruch gegen die Landesversicherungsanstalt geltend zu machen, der Rückforderung vom Kläger entgegensteht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Unterschriften
Dr. Säcker, Prof. Dr. Pietzner, Schmidt, Dr. Rothkegel, Dr. Franke
Fundstellen
Haufe-Index 770904 |
BVerwGE, 161 |
NVwZ-RR 2003, 38 |
FEVS 2002, 490 |
NDV-RD 2002, 61 |
WuM 2003, 160 |
ZfSH/SGB 2002, 739 |
DVBl. 2003, 155 |