Entscheidungsstichwort (Thema)
Einnahmenerhöhung, keine Aufhebung der Wohngeldbewilligung für die Vergangenheit auf der Grundlage des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3, Satz 3 SGB X wegen rückwirkender -. Wohngeld, rückwirkende Aufhebung der Bewilligung. Rückwirkung der Aufhebung von Wohngeldbewilligung
Leitsatz (amtlich)
§ 18 Abs. 3 Nr. 2, § 19 Abs. 3 WoGSoG F. 1993 lassen – entsprechend der Regelung in § 29 Abs. 3 Nr. 2, § 30 Abs. 5 WoGG F. 1993 – bei einer rückwirkenden Einnahmenerhöhung eine Neuentscheidung über die Leistung von Wohngeld nur von dem in § 18 Abs. 3 Nr. 2 WoGSoG bezeichneten Zeitpunkt an, aber nicht weiter rückwirkend zu. Diese Regelung geht der Regelung in § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3, Satz 3 SGB X vor (§ 37 Satz 1 SGB I) – wie BVerwG 5 C 4.01 –.
Normenkette
WoGSoG F. 1993 § 18 Abs. 3 Nr. 2; WoGSoG F. 1993 § 19 Abs. 3; WoGG F. 1993 § 29 Abs. 3 Nr. 2; WoGG F. 1993 § 30 Abs. 5; SGB X § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3, S. 3; SGB I § 37 S. 1, § 31
Verfahrensgang
Sächsisches OVG (Urteil vom 21.11.2000; Aktenzeichen 2 B 383/00) |
VG Dresden (Urteil vom 28.07.1999; Aktenzeichen 14 K 1036/97) |
Tenor
Das Urteil des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 21. November 2000 wird aufgehoben.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden vom 28. Juli 1999 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten über die Berechtigung der Beklagten, Wohngeldbescheide wegen einer nachträglichen Einkommenserhöhung mit Wirkung für die Vergangenheit aufzuheben und das überzahlte Wohngeld zurückzufordern.
Die Klägerin hatte ab Januar 1994 Wohngeld bezogen; zuletzt war ihr durch Bescheid vom 18. Januar 1996 für das Jahr 1996 ein monatlicher Mietzuschuss bewilligt worden. Am 18. April 1996 teilte die Klägerin der Beklagten mit, dass ihre bisherige Altersrente gemäß Bescheid der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte vom 28. März 1996 neu festgestellt worden sei, die monatlichen Rentenzahlungen sich ab 1. Mai 1996 erhöhten und für den Zeitraum vom 1. Juli 1990 bis 30. April 1996 eine Rentennachzahlung erfolgt sei. Daraufhin hob die Beklagte durch auf § 48 SGB X i.V.m. § 18 Abs. 3 WoGSoG gestützte Bescheide vom 20. Mai und 18. Juni 1996 die Wohngeldbewilligung rückwirkend auf den Beginn des jeweiligen Bewilligungszeitraums auf und forderte die Klägerin nach § 50 SGB X zur Erstattung des überzahlten Wohngeldes (insgesamt 2 118 DM, darunter für Mai 1996 ein Betrag von 33 DM) auf.
Die nach erfolglosem Widerspruch (Widerspruchsbescheid vom 13. März 1997) erhobene Klage gegen die Aufhebungs- und Rückforderungsbescheide hat hinsichtlich des Leistungszeitraums bis 30. April 1996 vor dem Verwaltungsgericht Erfolg gehabt: Zwar liege infolge der Neufeststellung der Altersrente und der daraus resultierenden Rentennachzahlung eine relevante Änderung der Einkommensverhältnisse der Klägerin vor; die Vorschrift des § 18 Abs. 3 Nr. 2 WoGSoG erlaube eine Neuberechnung des Wohngeldanspruchs aber nicht für abgeschlossene Bewilligungszeiträume und innerhalb eines laufenden Bewilligungszeitraums erst ab dem Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse (Beginn der Rentenanpassung am 1. Mai 1996); eine Anwendung von § 48 Abs. 1 Satz 3 SGB X liefe auch der Systematik und dem Zweck des Wohngeldsondergesetzes zuwider und stünde § 19 Abs. 3 WoGSoG entgegen, wonach der Anspruch auf Wohngeld sich nur unter bestimmten – hier nicht gegebenen – durch Gesetz abschließend aufgeführten Voraussetzungen ändert.
Das Oberverwaltungsgericht hat dagegen auf die Berufung der Beklagten die Klage (in vollem Umfang) abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:
Die Beklagte habe die den Zeitraum vom 1. Januar 1994 bis 30. April 1996 betreffenden Wohngeldbescheide rechtmäßig auf der Grundlage von § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 und Satz 3 SGB X i.V.m. § 18 Abs. 3 WoGSoG aufgehoben und die Klägerin zu Recht gemäß § 50 SGB X zur Erstattung des überzahlten Wohngeldes aufgefordert. Als maßgeblicher Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse sei für die rückwirkend bewilligte Altersrente gemäß § 48 Abs. 1 Satz 3 SGB X spätestens der 1. Januar 1994 zu fingieren. Der nur auf Einkommenserhöhung “im laufenden Bewilligungszeitraum” abstellende Wortlaut des § 18 Abs. 3 Nr. 2 WoGSoG stehe nicht entgegen, denn die Bestimmung enthalte nur eine Regelung für die Zukunft und schließe die Aufhebung eines Wohngeldbescheides nach § 48 SGB X nicht aus; auch die Bestimmung in § 19 Abs. 3 WoGSoG beziehe sich nach ihrem Wortlaut allein auf die Zukunft. Die Anwendbarkeit des § 48 SGB X hinsichtlich bereits abgelaufener Bewilligungszeiträume werde durch die Gesetzesmaterialien zu § 18 Abs. 3 WoGSoG, angefügt durch das Gesetz zur Umsetzung des Föderalen Konsolidierungsprogramms vom 23. Juni 1993, bestätigt; auch die durch das Gesetz zur Änderung des Wohngeldgesetzes und anderer Gesetze vom 22. Dezember 1999 (BGBl I S. 2671) bewirkte Anfügung des neuen Satzes 3 an § 29 Abs. 4 WoGG, die ausdrücklich einen abgelaufenen Bewilligungszeitraum betreffe, wäre sinnlos, wenn § 48 Abs. 1 SGB X hinsichtlich abgelaufener Bewilligungszeiträume keine Anwendung fände.
Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Revision eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 17. April 2001, beim Bundesverwaltungsgericht eingegangen am 19. April 2001 (Fristablauf: 18. April 2001), begründet. Zur Fristüberschreitung haben die Prozessbevollmächtigten der Klägerin unter Versicherung an Eides statt und Beantragung von Wiedereinsetzung erklärt, die Revisionsbegründungsschrift sei am 17. April 2001 zwischen 18.40 Uhr und 18.45 Uhr von dem Justizboten des Anwaltsservice zusammen mit der Gerichtspost abgeholt worden; sie werde bis spätestens 20.00 Uhr bei dem Postzentrum Eresburgstraße in Berlin abgeliefert; aufgrund der üblichen Postlaufzeit habe mit einem Eingang der Sendung beim Bundesverwaltungsgericht am Tage darauf gerechnet werden können; nach Auskunft der Post wäre eine “Zustellung am 18.04.2001 grundsätzlich möglich gewesen”. In der Sache trägt die Revision vor: Aus systematischen Gründen dürfe im vorliegenden Fall nicht auf § 48 SGB X zurückgegriffen werden; § 18 Abs. 3 WoGSoG ermächtige nur dazu, in laufende Bewilligungszeiträume einzugreifen; würde durch diese Regelung § 48 SGB X nicht verdrängt, wäre sie überflüssig, weil auch gemäß § 48 SGB X in einen laufenden Bewilligungszeitraum eingegriffen werden könne; ließe man eine rückwirkende Aufhebung gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X zu, ergäbe sich ein Wertungswiderspruch zu den §§ 18 und 19 WoGSoG.
Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil.
Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht unterstützt das Berufungsurteil.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist zulässig. Der Klägerin ist wegen Überschreitung der Revisionsbegründungsfrist (§ 139 Abs. 3 Satz 1 VwGO) die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 60 Abs. 1 VwGO); denn sie hat den verspäteten Eingang der Revisonsbegründungsschrift bei Gericht am 19. April 2001 nicht verschuldet. Ihre Prozessbevollmächtigten haben glaubhaft gemacht (§ 60 Abs. 2 Satz 2 VwGO), den Schriftsatz am Tag vor Fristablauf dem Botendienst des Anwaltsservice übergeben zu haben, der solche Sendungen bis spätestens 20.00 Uhr bei dem Postzentrum Eresburgstraße in Berlin abliefere, sodass nach dem Leistungsangebot der Post bei einem reibungslosen Beförderungsablauf eine Zustellung in Berlin am darauf folgenden Werktag erfolge. Unter diesen Voraussetzungen durften die Prozessbevollmächtigten der Klägerin einen rechtzeitigen Eingang ihres Schriftsatzes beim Bundesverwaltungsgericht erwarten. Dem Fall einer außergewöhnlichen Beförderungsdauer brauchten sie auch nicht etwa deshalb Rechnung zu tragen, weil die Frist zur Revisionsbegründung zuvor gemäß § 139 Abs. 3 Satz 3 VwGO verlängert worden war.
Die Revision ist auch begründet.
Die Aufhebung der angefochtenen Festsetzungs- und Rückforderungsbescheide durch das Verwaltungsgericht ist rechtens, das Berufungsurteil ist mit Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) nicht vereinbar und unter Zurückweisung der Berufung aufzuheben (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO).
Dabei kann offen bleiben, ob im vorliegenden Anfechtungsrechtsstreit – wie dies die Vorinstanzen getan haben – noch auf die Bestimmungen des Wohngeldsondergesetzes vom 20. Juni 1991 (BGBl I S. 1250) abgestellt werden darf, auf dessen Grundlage Wohngeld nur im Zeitraum vom 1. Oktober 1991 bis einschließlich 31. Dezember 1996 (§ 1 Satz 1 WoGSoG i.d.F. vom 6. Juni 1995 – BGBl I S. 748 –) gewährt wurde. Der bei Anfechtungsklagen für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage (hier: bei einer Leistungsrückforderung) regelmäßig maßgebliche Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung (hier des Widerspruchsbescheides vom 13. März 1997) lag außerhalb des befristeten zeitlichen Anwendungsbereichs des Wohngeldsondergesetzes. Dies ist im vorliegenden Fall aber ohne Auswirkungen; denn die von den Vorinstanzen – wenn auch mit unterschiedlichem Ergebnis – herangezogenen Vorschriften der §§ 18 und 19 WoGSoG (i.d.F. von Art. 6 Nrn. 6 und 7 des Gesetzes zur Umsetzung des Föderalen Konsolidierungsprogramms – FKPG – vom 23. Juni 1993 – BGBl I S. 944 –) unterscheiden sich in dem hier interessierenden Wortlaut nicht von den gleichzeitig geänderten §§ 29 und 30 WoGG (i.d.F. von Art. 5 Nrn. 3 und 4 FKPG), die im Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides gegolten haben.
Die angefochtenen Bescheide finden in §§ 48, 50 SGB X i.V.m. § 18 Abs. 3 Nr. 2 WoGSoG bzw. § 29 Abs. 3 Nr. 2 WoGG in der hier maßgeblichen Fassung keine Rechtsgrundlage. Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Vorschriften sind für die streitigen Bewilligungszeiten nicht erfüllt. Einer rückwirkenden Aufhebung der Wohngeldbewilligung auf der Grundlage des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 und Satz 3 SGB X steht der abschließende Charakter der wohngeldrechtlichen Regelungen in §§ 18, 19 WoGSoG bzw. §§ 29, 30 WoGG entgegen. Für das Wohngeldgesetz bzw. Wohngeldsondergesetz als einen besonderen Teil des Sozialgesetzbuchs gelten nach § 37 Satz 1 SGB I das Erste und Zehnte Buch des Sozialgesetzbuchs, “soweit sich aus den übrigen Büchern nichts Abweichendes ergibt”. §§ 18, 19 WoGSoG F. 1993 und §§ 29, 30 WoGG F. 1993 enthalten abweichende Regelungen in diesem Sinne, und zwar sowohl für den bei Erlass der Bescheide vom 20. Mai und 18. Juni 1996 bereits abgelaufenen wie für den zu diesen Zeitpunkten noch laufenden Bewilligungszeitraum des Jahres 1996.
Nach § 18 Abs. 3 Nr. 2 WoGSoG F. 1993 bzw. § 29 Abs. 3 Nr. 2 WoGG F. 1993 ist in dem Falle, dass sich “im laufenden Bewilligungszeitraum … die Einnahmen so erhöht (haben), dass sich dadurch das Familieneinkommen um mehr als 15 vom Hundert erhöht, … über die Gewährung von Wohngeld von Amts wegen vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse an, bei Änderungen im Laufe eines Monats vom auf die Änderung der Verhältnisse folgenden nächsten Ersten eines Monats neu zu entscheiden, wenn dies zu einem Wegfall oder zu einer Verringerung des Wohngeldes führt”. Dass die Aufhebung des Bewilligungsbescheides und Neuberechnung des Wohngeldes für einen bei Eintritt der Änderung bereits abgeschlossenen Bewilligungszeitraum nicht unter diese Bestimmungen fällt, weil sie sich nicht auf einen “laufenden Bewilligungszeitraum” bezieht, hat das Verwaltungsgericht – bezogen auf § 18 Abs. 3 Nr. 2 WoGSoG F. 1993 – zutreffend festgestellt; eine rückwirkende Änderung, wie § 18 Abs. 2 WoGSoG sie im Anschluss an § 18 Abs. 1 WoGSoG bzw. § 29 Abs. 2 WoGG im Anschluss an § 29 Abs. 1 WoGG regelt, und einen Eingriff in abgeschlossene Bewilligungszeiträume sehen § 18 Abs. 3 Nr. 2 WoGSoG bzw. § 29 Abs. 3 Nr. 2 WoGG für den Fall höherer Einnahmen nicht vor. Auch aus § 11 Abs. 3 WoGG in seiner 1998 geltenden Fassung (s. jetzt die erweiterte Regelung in § 11 Abs. 4 WoGG F. 2001), der bei einmaligen Einnahmen (bzw. einmaligem Einkommen) zwischen “anfallen” und “zurechnen” unterscheidet, ergibt sich nichts anderes. Die Zurechnung einmaliger Einnahmen zu einem bestimmten Bewilligungszeitraum präjudiziert nicht die Frage, ob und unter welchen Umständen eine Neuberechnung mit dem Ziel einer Wohngeldkürzung zulässig ist.
Zutreffend ist auch die Feststellung des Verwaltungsgerichts, dass es bis einschließlich April 1996 an einer Änderung der Verhältnisse fehlt, die nach § 18 Abs. 3 Nr. 2 WoGSoG F. 1993 bzw. § 29 Abs. 3 Nr. 2 WoGG F. 1993 Voraussetzung einer Neuentscheidung ist. Höhere Einnahmen infolge der Rentenbewilligung hat die Klägerin erst ab 1. Mai 1996 gehabt.
Die Vorinstanz geht zu Recht davon aus, dass die Regelung in § 18 Abs. 3 Nr. 2 WoGSoG F. 1993 (bzw. § 29 Abs. 3 Nr. 2 WoGG F. 1993) sich – ebenso wie die zeitgleich eingeführte Auskunftspflicht nach § 18 Abs. 4 WoGSoG F. 1993 (bzw. § 29 Abs. 4 WoGG F. 1993) – nur auf den “laufenden Bewilligungszeitraum” bezieht und eine Neuregelung erst ab dem Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse (für die Zukunft) vorsieht. Zu Unrecht misst sie aber § 18 Abs. 3 Nr. 2 und § 19 Abs. 3 WoGSoG F. 1993 (bzw. § 29 Abs. 3 Nr. 2 und § 30 Abs. 5 WoGG F. 1993) keine die Anwendbarkeit des § 48 SGB X einschränkende Bedeutung bei, sondern hält eine Aufhebung der Wohngeldbewilligungen für bereits abgelaufene Bewilligungszeiträume auf der Grundlage des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X i.V.m. § 48 Abs. 1 Satz 3 SGB X für rechtlich möglich; danach gilt in Fällen der Anrechnung von Einkommen oder Vermögen auf einen zurückliegenden Zeitraum aufgrund der besonderen Teile dieses Gesetzbuchs der Beginn des Anrechnungszeitraumes als Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse. Diese Anwendung des § 48 Abs. 1 SGB X trägt der abschließenden Bedeutung der engeren Regelung der Aufhebungs- und Widerrufsgründe in §§ 18, 19 WoGSoG F. 1993 bzw. §§ 29, 30 WoGG F. 1993 nicht Rechnung und widerspricht § 19 Abs. 3 WoGSoG F. 1993 bzw. § 30 Abs. 5 WoGG F. 1993, wonach der Anspruch auf Wohngeld sich “wegen anderer als der in § 18 WoGSoG (bzw. § 29 WoGG) und den vorstehenden Absätzen … genannten Umstände” nicht ändert.
Entgegen der Auffassung der Vorinstanz schließt der Umstand, dass § 18 Abs. 3 Nr. 2 WoGSoG F. 1993 (bzw. § 29 Abs. 3 Nr. 2 WoGG F. 1993) eine Neubescheidung erst vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse an vorsieht, eine Aufhebung für die Vergangenheit unter Anwendung des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 und Satz 3 SGB X aus. Wenn es, wie die Vorinstanz aus den Gesetzesmaterialien herleitet, bezweckt war, mit der Einfügung des § 18 Abs. 3 WoGSoG F. 1993 (bzw. § 29 Abs. 3 WoGG F. 1993) eine auch in frühere Bewilligungszeiträume rückwirkende Anwendung des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X zu ermöglichen, wäre es nötig gewesen, dies auch in § 18 Abs. 3 WoGSoG F. 1993 (bzw. § 29 Abs. 3 WoGG) zum Ausdruck zu bringen. Mit der Eröffnung der rechtlichen Möglichkeit einer Neuentscheidung von Amts wegen zur Berücksichtigung von Änderungen während des laufenden Bewilligungszeitraumes ist nur ein Teil des Normprogramms des § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X in das Wohngeldrecht übernommen worden; diese Beschränkung spricht nicht für, sondern gegen die Anwendbarkeit der nicht übernommenen Teile des § 48 SGB X.
Da eine in die Zeit vor dem Zeitpunkt der Veränderung der Verhältnisse und in frühere Bewilligungszeiträume rückwirkende Einkommensänderung nicht zu den in § 18 Abs. 3 und § 19 Abs. 1 und 2 WoGSoG F. 1993 bzw. § 29 Abs. 3 und § 30 Abs. 1 bis 3 WoGG F. 1993 genannten Umständen gehört, ändert sich gemäß § 19 Abs. 3 WoGSoG F. 1993 bzw. § 30 Abs. 5 WoGG F. 1993 der Anspruch auf Wohngeld wegen dieser Einkommensänderung nicht. Die Aussage des Satzes “Wegen anderer als der … genannten Umstände ändert sich der Anspruch auf Wohngeld nicht” bezieht sich sprachlich nicht, wie die Vorinstanz meint, allein auf die Zukunft, sondern ist in zeitlicher Hinsicht offen, so dass ohne weiteres auch rückwirkende Änderungen umfasst sind. Wenn der Anspruch auf Wohngeld sich nicht ändert, ändert er sich auch nicht für die Vergangenheit. Dies schließt eine rückwirkende Aufhebung nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X aus.
Diese Auslegung wird durch die der Neufassung durch das Gesetz zur Umsetzung des Föderalen Konsolidierungsprogramms vorausgehende Gesetzesgeschichte der §§ 18, 19 WoGSoG bzw. §§ 29, 30 WoGG als sozialrechtlicher Sonderregelungen der Widerrufsproblematik bestätigt. Im Gegensatz zum (Ersten) Wohngeldgesetz (Fassung vom 1. April 1965, BGBl I S. 177), welches keine Vorschriften über die Aufhebung von Bewilligungsbescheiden enthielt, so dass insoweit die Grundsätze des allgemeinen Verwaltungsrechts zur Geltung kamen (vgl. zur Entwicklung etwa Schwerz, Das neue Wohngeldrecht, Kommentar, Loseblatt, letzter Stand: 20. Lieferung August 1982, § 30 Anm. 1), enthielt das Zweite Wohngeldgesetz (Gesetz vom 14. Dezember 1970, BGBl I S. 1637) in seinem § 30 eine eigenständige Aufhebungsvorschrift, die dem praktischen Bedürfnis der Verwaltung für feste, leicht zu handhabende und in sich geordnete Regeln zur Aufhebung von Bewilligungsbescheiden dienen sollte. Diese Regelung sah einen Widerruf des Bewilligungsbescheides "von dem folgenden Zahlungsabschnitt an" nur vor, wenn der Wohnraum nicht mehr benutzt oder das Wohngeld nicht zweckentsprechend verwendet wurde (§ 30 Abs. 1 WoGG F. 1970); der Fall einer Einkommenserhöhung während eines laufenden Bewilligungszeitraums blieb aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung als Widerrufsgrund unberücksichtigt (vgl. Schwerz, a.a.O., Anm. 5). Die mit dem In-Kraft-Treten des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (Gesetz vom 18. August 1980, BGBl I S. 1469) verbundene Neufassung des § 30 WoGG sah ein Entfallen des Anspruchs über die genannten Fälle der Nichtbenutzung des Wohnraums (Absatz 1) und einer nicht zweckentsprechenden Verwendung des Wohngeldes (Absatz 2) hinaus auch für den Tod des Antragsberechtigten (Absatz 3) vor; gemäß Absatz 4 entfiel oder verringerte der Anspruch auf Wohngeld sich "wegen anderer Änderungen in den für die Gewährung des Wohngeldes erheblichen Verhältnissen … nicht”. Damit umschrieb § 30 WoGG F. 1980 in abschließender Weise die tatbestandlichen Voraussetzungen eines Widerrufs wegen Änderung der Verhältnisse während eines laufenden Bewilligungszeitraumes und ließ den Fall einer rückwirkenden Einkommenserhöhung auch weiterhin unberücksichtigt. Erst das Gesetz vom 20. Juni 1991 (BGBl I 1250) – durch das auch das Wohngeldsondergesetz eingeführt wurde – trug dem Fall der nachträglichen Bewilligung einer weiteren Sozialleistung, die auf das Wohngeld anzurechnen gewesen wäre, durch Einfügung eines neuen § 30 Abs. 4 WoGG Rechnung, der einen Erstattungsanspruch der Wohngeldstelle nach dem Zehnten Buch Sozialgesetzbuch gegen den anderen Sozialleistungsträger vorsah. Diese Bestimmung – die im Wohngeldsondergesetz allerdings keine Entsprechung fand – ist mit Gesetz vom 22. Dezember 1999 (Gesetz zur Änderung des Wohngeldgesetzes und anderer Gesetze, BGBl I S. 2671) mit Wirkung zum 1. Januar 2001 mit der Begründung wieder aufgehoben worden, seit der Einfügung von § 29 Abs. 3 WoGG durch das FKPG vom 23. Juni 1993 bedürfe es im Falle einer rückwirkenden Bewilligung anderer Sozialleistungen regelmäßig nicht mehr eines Rückgriffs auf die Erstattungsregelungen des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch, da in der Regel eine Einkommenserhöhung um mehr als 15 v.H. vorliege mit der Folge, dass über die Leistung von Amts wegen neu zu entscheiden sei (vgl. die Begründung zu dem Gesetzentwurf eines Haushaltssanierungsgesetzes, BTDrucks 14/1523 S. 187 bzw. 14/1636 S. 190, von dem das Gesetz vom 22. Dezember 1999 abgetrennt wurde). Diese Entwicklung erhellt, dass der Gesetzgeber unvorhergesehene Einkommenserhöhungen bis zur Einfügung des § 29 Abs. 3 WoGG als Aufhebungs- und Widerrufsgrund unberücksichtigt gelassen hatte. Auch vor diesem Hintergrund kann die Einfügung einer auf die Zeit ab Änderung der Verhältnisse beschränkten Aufhebung durch § 29 Abs. 3 WoGG F. 1993 nicht gleichzeitig als Eröffnung weiterreichender rückwirkender Aufhebungsmöglichkeiten in Anwendung des § 48 Abs. 1 Satz 3 SGB X verstanden werden. Für die gleichzeitig erfolgte, im Wesentlichen gleich lautende Regelung § 18 Abs. 3 WoGSoG gilt Entsprechendes.
Zwar enthalten – worauf das Berufungsgericht seine Gesetzesauslegung stützt – die Gesetzesmaterialien zu § 29 Abs. 3 WoGG ebenso wie die zu dem oben genannten Gesetz vom 22. Dezember 1999 Hinweise, dass die Verfasser des Gesetzentwurfs zu § 29 Abs. 3 WoGG als Folge der Neuregelung auch eine Aufhebung für die Vergangenheit als rechtlich möglich angesehen hatten. Die vom Berufungsgericht für seine Gesetzesauslegung angeführte Passage der Begründung des Gesetzentwurfs der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP (BTDrucks 12/4401 S. 76) – zu § 18 Abs. 3 WoGSoG in Bezug genommenen (BTDrucks a.a.O., S. 77) – mit dem Wortlaut
“Der (nach § 29 Abs. 3 zu erlassende) neue Bescheid gilt nicht nur für die restlichen Monate des laufenden Bewilligungszeitraumes, sondern setzt einen neuen Bewilligungszeitraum in Gang. In dem neuen Bescheid ist regelmäßig der laufende Bewilligungsbescheid aufzuheben; § 48 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch kommt zur Anwendung. Sofern die Voraussetzungen vorliegen, nimmt die Wohngeldstelle die Aufhebung auch mit Wirkung für die Vergangenheit vor (§ 48 Abs. 1 Satz 2 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch).”
ist allerdings, was den Umfang der für möglich gehaltenen Aufhebung mit Wirkung für die Vergangenheit betrifft, entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts keineswegs eindeutig. Da in der Gesetzesbegründung wie im Gesetzestext selbst jede ausdrückliche Bezugnahme auf vergangene Bewilligungszeiträume fehlt und die Aufhebung für den laufenden Bewilligungszeitraum wegen Einkommenserhöhung neu in das Gesetz aufgenommen wurde, erscheint es als nahe liegend, dass mit dem letzten Satz die Möglichkeit einer Aufhebung auch für die Vergangenheit, und zwar (nur) innerhalb des laufenden Bewilligungszeitraumes, in den Blick genommen werden sollte. Ob dies zutrifft, kann jedoch dahingestellt bleiben; denn auch eine aus der Gesetzesbegründung belegbare Vorstellung, mit der Neufassung des Gesetzes weiterreichende als die ausdrücklich geregelten Änderungen herbeizuführen, hätte im Gesetzestext selbst einen Anhalt finden müssen.
Neben dem Wortlaut und der Systematik des Gesetzes kann den Gesetzesmotiven nur eine ergänzende oder klarstellende Bedeutung zukommen; bloße Anhaltspunkte in Form von Äußerungen in den Materialien reichen nicht aus, um trotz des inhaltlich beschränkten Wortlauts einer Gesetzesänderung von einer wesentlich umfassenderen Änderung der Gesetzeslage ausgehen zu können. Die bloße Mitteilung der Vorstellungen der Verfasser einer Gesetzesbegründung über rechtliche Folgewirkungen einer Gesetzesänderung kann eine den Empfänger von Sozialleistungen belastende Änderung der Gesetzeslage nicht bewirken, wenn sie im Gesetzestext selbst keinen Ausdruck findet. Nach § 31 SGB I dürfen Rechte und Pflichten in den Sozialleistungsbereichen dieses Gesetzbuchs nur begründet, festgestellt, geändert oder aufgehoben werden, soweit ein Gesetz es vorschreibt oder zulässt. Dieser Vorbehalt des Gesetzes stellt an eine gesetzliche Eingriffsermächtigung – hier zur rückwirkenden Aufhebung einer Leistungsbewilligung und zur Heranziehung zur Leistungserstattung – Anforderungen, was die Normenbestimmtheit und -klarheit sowie die davon abhängige Voraussehbarkeit des staatlichen Eingriffs in Rechtspositionen des Leistungsbeziehers betrifft. Eine diesen Anforderungen genügende gesetzliche Grundlage für die angefochtenen Bescheide der Beklagten besteht nicht.
Soweit das Gesetz zur Änderung des Wohngeldgesetzes und anderer Gesetze vom 22. Dezember 1999 (BGBl I S. 2671) mit Wirkung zum 1. Januar 2001 die Mitteilungspflichten des § 29 Abs. 4 WoGG durch den neuen Satz 3 erweitert hat, “wenn sich die Änderungen nach den Nummern 1 und 2 auf einen abgelaufenen Bewilligungszeitraum beziehen, längstens für drei Jahre nach der Änderung der Verhältnisse”, mag künftig zu klären sein, ob damit über den Wortlaut des § 29 Abs. 3 WoGG hinaus eine Überprüfung und Neubescheidung auch für abgelaufene Bewilligungszeiträume ermöglicht werden soll oder als bereits möglich vorausgesetzt wird. Ob dies ausreicht, um unter Berücksichtigung des § 19 Abs. 3 WoGSoG bzw. § 30 Abs. 5 WoGG eine geänderte Gesetzesauslegung im Sinne einer rückwirkenden Neuberechnung und Neufestsetzung des Wohngeldes auf der Grundlage des § 48 VwVfG zu rechtfertigen, kann hier dahingestellt bleiben, denn die Gesetzesänderung kann die Gesetzesauslegung erst ab ihrem In-Kraft-Treten beeinflussen.
Auch eine Berücksichtigung des von der Vorinstanz angeführten gesetzgeberischen Interesses, “Doppelleistungen” zu verhindern bzw. rückgängig zu machen, führt zu keiner anderen Beurteilung. Die Regelungen des Wohngeldrechts über die Einkommensabhängigkeit eines Wohngeldanspruchs haben den wirtschaftlichen Bedarf des begünstigten Personenkreises im Blick. Wann ein Bedarf bzw. eine Mangellage aus wohngeldrechtlicher Sicht im Hinblick auf Einkommen des Anspruchstellers fehlt, regeln die §§ 8 ff. WoGSoG bzw. §§ 9 ff. WoGG; sie erfassen Einkommen, das zum Zeitpunkt der Antragstellung im Bewilligungszeitraum zu erwarten ist (vgl. § 10 Abs. 1 WoGSoG bzw. § 11 Abs. 1 Satz 1 WoGG). Änderungen des Einkommens im Bewilligungszeitraum sind zu berücksichtigen, wenn sie zum Zeitpunkt der Antragstellung mit Sicherheit zu erwarten sind; Änderungen, deren Beginn oder Ausmaß nicht verlässlich ermittelt werden können, bleiben dagegen außer Betracht (vgl. § 10 Abs. 1 Satz 2 WoGSoG bzw. § 11 Abs. 1 Satz 3 WoGG). Letzteres gilt auch für die im Falle der Klägerin erst im März 1996 festgestellte Altersrente.
Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. September 1992 – BVerwG 8 C 68.90 und 70.90 – (BVerwGE 91, 82) schließlich, auf welches die Vorinstanz sich zur Begründung ihrer Auffassung beruft, enthält keine Aussagen zur vorliegenden rechtlichen Problematik. Es betrifft die Rücknahme rechtswidriger Wohngeldbescheide nach § 45 Abs. 1 SGB X im Falle einer von Anfang an rechtswidrigen, missbräuchlichen Inanspruchnahme von Wohngeld und lässt Rückschlüsse auf die Frage einer rückwirkenden Aufhebung einer Wohngeldbewilligung wegen nachträglicher Änderung der Umstände nach § 48 SGB X nicht zu.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Unterschriften
Dr. Säcker, Prof. Dr. Pietzner, Schmidt, Dr. Rothkegel, Dr. Franke
Fundstellen
Haufe-Index 869489 |
NJ 2003, 45 |
WuM 2003, 156 |