Entscheidungsstichwort (Thema)
Beihilfefähigkeit. Angemessenheit. Krankenhausaufenthalt. Privatklinik. Pflegesätze. Behandlungsvertrag. Krankenhauswahl. Krankenhauspflegesätze. Fürsorgegrundsatz. zivilrechtliche Berechtigung von Forderungen. Zurückverweisung
Leitsatz (amtlich)
Die Angemessenheit der Kosten einer stationären Behandlung orientiert sich nicht an der Vergütung, die nach dem Behandlungsvertrag geschuldet ist.
Der Begriff der beihilferechtlichen Angemessenheit erschließt sich aus der Verpflichtung des Dienstherrn, Beihilfe im Rahmen des medizinisch Gebotenen gewähren zu müssen.
Der Verweis auf eine Behandlung in Universitätskliniken entbindet den Dienstherrn nicht davon, den Nachweis für die Notwendigkeit und Angemessenheit dafür auch im konkreten Fall zu erbringen.
Normenkette
LBG (NRW) § 88; BVO (NRW) § 3 Abs. 1; BVO (NRW) § 4 Abs. 1 Nr. 2; GG Art. 33 Abs. 5 GG
Verfahrensgang
OVG für das Land NRW (Urteil vom 23.05.2007; Aktenzeichen 6 A 1957/05) |
VG Aachen (Urteil vom 10.03.2005; Aktenzeichen 1 K 1650/03) |
Tenor
Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 23. Mai 2007 wird aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Tatbestand
I
Rz. 1
Die Klägerin ist Beamtin und steht im Dienst des Beklagten. 2002 ließ sie sich in der R… Parkklinik behandeln. Diese Privatklinik wandte die Verordnung zur Regelung der Krankenhauspflegesätze – Bundespflegesatzverordnung – nicht an und legte für die stationäre Behandlung einen Pflegesatz zugrunde, der höher war als der seinerzeit nach der Bundespflegesatzverordnung maßgebliche, jedoch vom Verband der privaten Krankenversicherer anerkannt wurde. Für 15 Tage einer voll- und einen Tag einer teilstationären Behandlung stellte die Klinik der Klägerin 5 389,50 € in Rechnung.
Rz. 2
Mit Bescheid vom 25. Juli 2002 erkannte der Beklagte Aufwendungen in Höhe von 4 128,45 € als beihilfefähig an, wobei er einen – nicht angegriffenen – Selbstbehalt in Höhe von 225 € absetzte. Bei einem Bemessungssatz von 70 % gewährte er der Klägerin 2 889,92 € Beihilfe. Die nur teilweise Anerkennung der Aufwendungen begründete er mit dem günstigeren Pflegesatz nach der Pflegesatzverordnung im Universitätsklinikum A…. Bei dem dortigen Pflegesatz von 296,23 € wären die Kosten geringer ausgefallen.
Rz. 3
Widerspruch und Klage sind ohne Erfolg geblieben. Der Berufung hat das Oberverwaltungsgericht stattgegeben: Der Beklagte sei verpflichtet, der Klägerin Beihilfe auf der Grundlage des ungekürzten Tagespflegesatzes zu gewähren. § 4 Abs. 1 Nr. 2 BVO finde weder unmittelbar noch analog Anwendung. Denn die Klinik rechne – was Buchst. a) voraussetze – weder nach der Bundespflegesatzverordnung ab noch – was Buchst. b) voraussetze – verfüge sie über mehrere Pflegeklassen. Nach Maßgabe des somit anzuwendenden § 3 BVO seien die Aufwendungen angemessen. Schränke die BVO die Krankenhauswahl nicht ein, bestimme sich die Angemessenheit der Aufwendungen grundsätzlich danach, was die Klinik nach Bürgerlichem Recht berechtigterweise verlange. Fordere eine Privatklinik mehr als eine Universitätsklinik, sei dies nicht unangemessen, wenn die Vergütung nach dem Behandlungsvertrag rechtlich geschuldet sei. Ob die Kostenunterschiede von einer andersartigen Therapie oder einem höheren Standard bei Unterbringung und Verpflegung herrührten, sei unerheblich. Praktischen Bedürfnissen entspreche, die Anerkennung des Pflegesatzes durch den Verband der privaten Krankenversicherungen als Indiz für die privatrechtliche Berechtigung anzusehen.
Rz. 4
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Beklagten. Er rügt die Auslegung der BVO durch das Oberverwaltungsgericht und beantragt,
das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 23. Mai 2007 zu ändern und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Aachen vom 10. März 2005 zurückzuweisen.
Rz. 5
Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II
Rz. 6
Die Revision des Beklagten ist begründet. Die Auslegung des § 3 der Verordnung über die Gewährung von Beihilfe in Krankheits-, Geburts- und Todesfällen (Beihilfenverordnung – BVO –) in der zum Zeitpunkt der Entstehung der krankheitsbedingten Aufwendungen maßgeblichen Fassung vom 25. September 2001 (GV. NRW S. 708) verstößt gegen Landesrecht, das gemäß § 127 Nr. 2 BRRG insoweit revisibel ist (vgl. nunmehr § 63 Abs. 2 Satz 2 BeamtStG). Ob sich das angegriffene Urteil aus anderen Gründen als richtig erweist, kann der Senat nicht beurteilen, weil das Oberverwaltungsgericht die hierzu erforderlichen tatsächlichen Feststellungen nicht getroffen hat. Die Sache war deshalb zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen, § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO.
Rz. 7
1. Gemäß § 88 Satz 2 des Landesbeamtengesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen (LBG) sind – unter anderem – in Krankheitsfällen Aufwendungen des Beamten beihilfefähig, wenn sie notwendig und angemessen sind. Gemäß Satz 3 dieser Vorschrift ist bei der Bemessung der Beihilfe u.a. die Art der Aufwendungen zu berücksichtigen, in der sie ohne Verzicht auf Leistungen oder Nichtinanspruchnahme von Leistungen zustehen. § 88 Satz 4 LBG enthält die Ermächtigung an den Verordnungsgeber, Näheres dazu zu regeln; Satz 5 ermächtigt darüber hinaus, die Beihilfefähigkeit von Aufwendungen bei bestimmten Kostenpositionen unabhängig von ihrer Notwendigkeit und Angemessenheit zu begrenzen. Mit § 4 Abs. 1 Nr. 2 BVO hat der Verordnungsgeber von dieser Ermächtigung zur Kostenbegrenzung u.a. bei Krankenhausaufenthalten Gebrauch gemacht. Das Oberverwaltungsgericht hat zwar die Anwendbarkeit dieser Vorschrift zutreffend verneint (2.), § 3 BVO jedoch unrichtig ausgelegt (3.) und deshalb von Tatsachenfeststellungen abgesehen, die zur Herbeiführung der Spruchreife erforderlich gewesen wären (4.).
Rz. 8
2. § 4 Abs. 1 Nr. 2 BVO ist nicht anwendbar. Nach Buchst. a) dieser Bestimmung sind die Kosten der Aufwendungen für stationäre oder teilstationäre Behandlungen in Höhe der nach der Bundespflegesatzverordnung für allgemeine Krankenhausleistungen berechnungsfähigen Vergütung (§§ 11 bis 14 BPflV) oder nach Buchst. b) in Höhe des Pflegesatzes der zweiten oder dritten Pflegeklasse einer Krankenanstalt – abzüglich dort näher bestimmter Beträge – beihilfefähig. § 4 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a) BVO setzt voraus, dass die Krankenanstalt der Berechnung ihrer Vergütung die Bundespflegesatzverordnung zugrunde legt. § 4 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b) BVO setzt dies zwar nicht voraus, erfasst jedoch nur Krankenanstalten, die über mehrere Pflegeklassen verfügen. § 4 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b) BVO findet keine Anwendung, weil die von der Klägerin in Anspruch genommene Privatklinik nicht über mehrere Pflegeklassen verfügt. Zudem rechnet diese Klinik nicht nach den Pflegesätzen der Bundespflegesatzverordnung ab, sodass auch die von § 4 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a) BVO geforderte Voraussetzung fehlt. Die Bestimmung dessen, was angemessene Aufwendungen sind, richtete sich deshalb unmittelbar nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 BVO.
Rz. 9
3. Diese Bestimmung hat das Oberverwaltungsgericht unrichtig ausgelegt. Sein Rechtssatz, die Angemessenheit der Aufwendungen bestimme sich grundsätzlich nach dem Behandlungsvertrag, sodass grundsätzlich angemessen sei, was die Privatklinik nach bürgerlichem Recht von dem Beihilfeberechtigten berechtigterweise verlange, verkennt die begrenzende Funktion des Begriffs der Angemessenheit in § 88 Satz 2 LBG und § 3 BVO. Mit diesem Begriff bringt der Gesetzgeber zum Ausdruck, dass der Dienstherr nicht uneingeschränkt alle Kosten für krankheitsbedingte Aufwendungen erstatten muss, zu deren Zahlung der Beamte sich Dritten gegenüber verpflichtet hat. Zwar schließt allein der Beamte den Behandlungsvertrag und hat somit durch die freie Gestaltung des Vertragsinhalts – auch durch den vereinbarten Unterbringungs- und Pflegestandard – maßgeblichen Einfluss auf die Höhe der Behandlungskosten. Der Gesetzgeber hat aber das öffentliche Interesse an einer effektiven und sparsamen Verwendung von Steuergeldern, die zur Erfüllung der verfassungsrechtlichen Fürsorgepflicht zur Verfügung stehen (vgl. Urteil vom 29. Juni 1995 – BVerwG 2 C 15.94 – Buchholz 271 LBeihilfeR Nr. 15), zu berücksichtigen. Daraus folgt, dass die Angemessenheit der Kosten einer stationären Behandlung sich nicht an der Vergütung orientieren kann, die nach dem Behandlungsvertrag rechtlich geschuldet ist. Vielmehr erschließt sich der Begriff angemessener Aufwendungen aus der verfassungsrechtlichen Verpflichtung des Dienstherrn, Beihilfe nur zu Krankenhausleistungen gewähren zu müssen, die sich auf das Maß des medizinisch Gebotenen beschränken (BVerfG, Beschluss vom 7. November 2002 – 2 BvR 1053/98 – BVerfGE 106, 225 ≪233≫). Auch der erkennende Senat hat betont, der Dienstherr sei nur gehalten, eine medizinisch zweckmäßige und ausreichende Versorgung im Krankheitsfall zu gewährleisten (Urteil vom 28. Mai 2008 – BVerwG 2 C 24.07 – Buchholz 232 § 79 BBG Nr. 126 Rn. 23 = ZBR 2009, 41 ≪43≫).
Rz. 10
Soweit das Oberverwaltungsgericht diesen Schluss zieht, verkennt es, dass die Beihilfevorschriften lediglich den rechtlichen Rahmen bilden, innerhalb dessen der Beamte die von ihm als angemessen erscheinende Krankenanstalt auswählen kann, ohne im Ergebnis eigene finanzielle Aufwendungen tätigen zu müssen. Der Dienstherr ist nicht verpflichtet, die Beihilfevorschriften so auszugestalten, dass diese Wahl für den Beamten immer wirtschaftlich neutral ausfällt (vgl. zur Vorsorgefreiheit: BVerfG, Beschluss vom 13. Februar 2008 – 2 BvR 613/06 – ZBR 2008, 318 ≪320≫), selbst wenn die Fürsorgepflicht es gebietet, dass der Beamte bei einer vertretbaren Auslegung gebührenrechtlicher Bestimmungen nicht das Risiko eingehen muss, entweder eine rechtliche Auseinandersetzung über eine zweifelhafte Rechtsposition zu führen oder den an sich auf die Beihilfe entfallenden Anteil des zweifelhaften Rechnungsbetrags selbst zu tragen (Urteil vom 20. März 2008 – BVerwG 2 C 19.06 – Buchholz 270 § 5 BhV Nr. 18). Dass Forderungen von Privatkliniken zivilrechtlich berechtigt sind, hat deshalb nicht zwingend zur Folge, sie auch beihilferechtlich als angemessen anzuerkennen. Ohne Belang ist deshalb die vom Oberverwaltungsgericht zitierte Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 12. März 2003 – IV ZR 278/01 – BGHZ 154, 154), wonach zur Ermittlung eines auffälligen Missverhältnisses zwischen der Vergütung einer Privatklinik und deren Leistungen nicht auf die Vergütungssätze von Krankenhäusern abzustellen ist, die nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz und der Bundespflegesatzordnung bemessen werden. Die dort betonten strukturellen Unterschiede zwischen Privatkliniken und Krankenanstalten, die in öffentlich-rechtliche Strukturen eingebunden sind, beeinflussen den öffentlich-rechtlichen Angemessenheitsmaßstab nicht.
Rz. 11
Diesem Normverständnis steht nicht entgegen, dass sich die Angemessenheit von Aufwendungen im Anwendungsbereich beihilferechtlicher Vorschriften, die keine ausdrückliche Verweisung auf die Gebührenordnungen für Ärzte und Zahnärzte enthalten, gleichwohl nach dem Gebührenrahmen dieser Gebührenordnungen, also den Leistungsansprüchen der Ärzte, richtet. Der Senat hat gerade zum vorliegend maßgeblichen nordrhein-westfälischen Beihilferecht entschieden, dass die Anerkennung als angemessen auch in diesem Fall nur grundsätzlicher Natur und sie von der Annahme getragen ist, dass ärztliche Hilfe in aller Regel nur nach Maßgabe dieser Gebührenordnungen zu erlangen ist (Urteil vom 30. Mai 1996 – BVerwG 2 C 10.95 – Buchholz 270 § 5 BhV Nr. 12). Vorliegend geht es jedoch nicht allein um konkrete ärztliche Behandlungsmaßnahmen, sondern um eine Gesamtheit unterschiedlicher Leistungen, deren Angemessenheit nicht gleichermaßen vermutet werden kann wie bei jenen ärztlichen Leistungen, die in einer standardisierten, von der Bundesregierung erlassenen Gebührenordnung aufgelistet sind.
Rz. 12
4. Der Beklagte hat die Pflegesätze in der Universitätsklinik A… als beihilfefähig anerkannt. Die Begrenzung auf diese Kosten als angemessene Aufwendungen ist nur dann zulässig, wenn dort eine zweckmäßige und ausreichende Versorgung gewährleistet wäre. Ob dies der Fall ist, lässt sich mangels entsprechender tatrichterlicher Feststellungen nicht beurteilen. Zwar spricht einiges dafür, dass dies bei Universitätskliniken als Kliniken der so genannten Maximalversorgung regelmäßig der Fall ist. Das Oberverwaltungsgericht ist – auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung konsequent – jedoch nicht der Frage nachgegangen, ob die vom Beklagten benannte Universitätsklinik tatsächlich eine Therapiebehandlung angeboten hätte, die zwar im Vergleich zu den Kosten der Privatklinik günstiger gewesen wäre, nach Maßgabe des medizinisch Notwendigen zugleich aber auch der von der Klägerin in Anspruch genommenen Therapie, soweit sie medizinisch notwendig ist, entspricht. Dies schließt einerseits die Inanspruchnahme von Privatkliniken nicht aus, verlangt andererseits aber auch nicht, dass das zum Vergleich herangezogene Therapieangebot anderer Kliniken in seiner konkreten Ausgestaltung identisch sein muss. Die Gleichwertigkeit der medizinisch notwendigen Therapien reicht vielmehr aus.
Unterschriften
Herbert, Prof. Dr. Kugele, Dr. Heitz, Thomsen, Dr. Burmeister
Fundstellen
BVerwGE 2009, 67 |
DRiZ 2010, 213 |
ZBR 2009, 389 |
DÖD 2009, 224 |
DÖV 2009, 636 |
RiA 2009, 189 |
VR 2009, 286 |
NPA 2010 |
Städtetag 2009, 45 |
NWVBl. 2009, 350 |