Entscheidungsstichwort (Thema)

Kostenerstattung im isolierten Vorverfahren. Beweisaufnahmegebühr. Beweisaufnahme in Musterungs- und Tauglichkeitsüberprüfungsverfahren. ärztliche Tauglichkeitsbeurteilung. Sachverständigenbeweis. Mitwirken des Rechtsanwalts bei einer Beweisaufnahme

 

Leitsatz (amtlich)

Ärztliche Tauglichkeitsbeurteilungen Wehrpflichtiger in Musterungs- und Tauglichkeitsüberprüfungsverfahren stellen behördlich angeordnete Beweisaufnahmen in Gestalt der Erhebung von Sachverständigenbeweis dar.

Das für eine Beweisaufnahmegebühr des Rechtsanwalts nach § 118 Abs. 1 Nr. 3 BRAGO erforderliche Mitwirken bei Beweisaufnahmen setzt voraus, daß der Rechtsanwalt bei einer durchgeführten Beweisaufnahme anwesend war.

 

Normenkette

WPflG §§ 8a, 17, 19; VwVfG §§ 26, 80; BRAGO §§ 31, 118

 

Verfahrensgang

VG Frankfurt am Main (Urteil vom 22.03.1994; Aktenzeichen 2 E 3599/93(1))

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 22. März 1994 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

 

Tatbestand

I.

Der Kläger war im Oktober 1991 als wehrdienstfähig – Signierziffer 3 – eingestuft worden. Auf seinen Widerspruch wurde er im Frühjahr 1992 erneut zur Untersuchung durch den ärztlichen Dienst vorgeladen, der ihn seinerseits an einen Lungenfacharzt überwies. Seine bevollmächtigten Rechtsanwälte rügten, daß der Überweisungsschein unvollständig ausgefüllt sei, und kündigten an, der Kläger werde sich erst nach einer Neufassung des Überweisungsscheines fachärztlich untersuchen lassen. Zu dieser Untersuchung kam es nicht. Aufgrund der Stellungnahme des ärztlichen Dienstes half das Kreiswehrersatzamt dem Widerspruch mit Bescheid vom 11. August 1993 ab und stufte den Kläger als nicht wehrdienstfähig ein. Gleichzeitig entschied es, dem Kläger seien die notwendigen Aufwendungen zu erstatten und die Zuziehung eines Rechtsanwalts im Vorverfahren sei notwendig gewesen.

Der Kläger beantragte, bei der Kostenfestsetzung u.a. eine Beweisaufnahmegebühr von 7,5/10 zu berücksichtigen, weil er von seinen Rechtsanwälten auf die Beweisaufnahme (ärztliche Untersuchung) vorbereitet worden sei. Das Kreiswehrersatzamt lehnte dies ab; der Widerspruch blieb erfolglos.

Der Kläger hat Klage erhoben mit dem Antrag, die Beklagte zu verurteilen, an ihn weitere 285,54 DM nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen. Zur Begründung hat er geltend gemacht: Die ärztliche Untersuchung stelle eine Beweisaufnahme dar; daß sie von Amts wegen stattfinde, ändere daran nichts. An dieser Beweisaufnahme hätten seine Bevollmächtigten dadurch mitgewirkt, daß sie auf die Fassung des Überweisungsscheins an den Lungenfacharzt Einfluß genommen und ihn, den Kläger, auf die Beweisaufnahme vorbereitet hätten.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 22. März 1994 abgewiesen und dies wie folgt begründet:

Es könne dahinstehen, ob in Musterungsverfahren die Ermittlung der medizinischen Befunde stets eine Beweisaufnahme darstelle. Jedenfalls fehle es an dem gebührenauslösenden “Mitwirken bei Beweisaufnahmen”. Das Entstehen einer Beweisaufnahmegebühr setze voraus, daß der Bevollmächtigte bei der durchgeführten Beweisaufnahme irgendwie tätig geworden sei. Die Beweisaufnahme beginne bei Anordnung schriftlicher Begutachtung mit Eingang des Gutachtens bei Gericht oder der Behörde. Einer Beweisaufnahmegebühr stehe hier schon entgegen, daß es zur Durchführung der Beweisaufnahme durch den Lungenfacharzt nicht mehr gekommen sei. Das Gericht könne sich nicht der Auffassung anschließen, daß an die Mitwirkung eines Rechtsanwalts im Sinne von § 118 Abs. 1 Nr. 3 BRAGO keine höheren Anforderungen zu stellen seien als im Fall einer Beweisgebühr nach § 31 Abs. 1 Nr. 3 BRAGO. Vielmehr dränge sich eine Differenzierung bereits wegen der unterschiedlichen Legaldefinitionen für die Beweisgebühr und die Beweisaufnahmegebühr auf.

Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Senat zugelassene Revision des Klägers, mit der die Verletzung von materiellem Bundesrecht gerügt wird.

Die Beklagte tritt der Revision entgegen.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist unbegründet (§ 144 Abs. 2 VwGO). Das angefochtene Urteil entspricht im Ergebnis der Rechtslage. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Erstattung einer Beweisaufnahmegebühr nach § 118 Abs. 1 Nr. 3 BRAGO nicht zu. Die Bevollmächtigten des Klägers haben entgegen der Auffassung der Revision nicht “bei Beweisaufnahmen” mitgewirkt.

Der Revision ist allerdings einzuräumen, daß die wehrmedizinischen Tauglichkeitsbeurteilungen Wehrpflichtiger im Musterungsverfahren (§ 17 Abs. 4 WPflG) und im Überprüfungsverfahen (§ 20b Satz 2 WPflG) durch Ärzte im Dienste der Beklagten oder von ihr beauftragte Fachärzte Beweisaufnahmen in Form des Sachverständigenbeweises darstellen (vgl. § 19 Abs. 1 Sätze 1 und 2, § 26 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VwVfG). Die Tauglichkeitsfestsetzung durch das Kreiswehrersatzamt ist nur “nach Maßgabe des ärztlichen Urteils” (§ 8a Abs. 2 WPflG) zulässig. Sie erfordert von Rechts wegen zwingend die Mitwirkung medizinischer Sachverständiger (vgl. Urteile vom 25. Februar 1976 – BVerwG VIII C 21.75 – Buchholz 448.0 § 8a WPflG Nr. 18 S. 12 ≪16 f.≫ und vom 3. Juni 1983 – BVerwG 8 C 153.81 – Buchholz 448.11 § 7 ZDG Nr. 4 S. 1 ≪4 ff.≫). Als solche werden die Ärzte der Beklagten bei der Musterung oder in einem Tauglichkeitsüberprüfungsverfahren tätig. Gleiches gilt auch für die vom Kreiswehrersatzamt angeordnete Begutachtung eines Wehrpflichtigen durch einen anderen (externen) Facharzt (§ 17 Abs. 4 Satz 3 WPflG). Der im Wehrpflichtrecht geltende Amtsermittlungsgrundsatz steht dem nicht entgegen, wie sich schon aus dem Wortlaut des § 19 Abs. 1 Satz 1 WPflG ergibt. Amtsermittlungsgrundsatz und Beweiserhebung schließen sich nicht gegenseitig aus (vgl. BVerfG, Beschluß vom 13. Januar 1988 – 1 BvR 1574/83 – BVerfGE 77, 360 ≪361 f.≫). Eine Beweisaufnahme im Sinne des § 118 Abs. 1 Nr. 3 BRAGO liegt vielmehr immer dann vor, wenn sich ein Gericht oder eine Behörde auf Antrag oder von Amts wegen eines Beweismittels bedient. So verhält es sich hier. Der Kläger hat sich auf Anordnung des Kreiswehrersatzamts einer ärztlichen Tauglichkeitsbegutachtung unterzogen.

Für das Entstehen der Beweisaufnahmegebühr des § 118 Abs. 1 Nr. 3 BRAGO reicht jedoch im Gegensatz zur Beweisgebühr (§ 31 Abs. 1 Nr. 3 BRAGO) eine bloße anwaltliche Vertretung im Beweisaufnahmeverfahren nicht aus. Das verdeutlicht schon der unterschiedliche Wortlaut der beiden Gebührentatbestände. Anders als bei der Beweisgebühr (§ 31 Abs. 1 Nr. 3 BRAGO) fordert das Gesetz bei der Beweisaufnahmegebühr (§ 118 Abs. 1 Nr. 3 BRAGO) nicht nur eine Vertretung im Beweisaufnahmeverfahren, sondern ein Mitwirken des Rechtsanwalts bei Beweisaufnahmen, die von einem Gericht oder von einer Behörde angeordnet worden sind. Der Begriff “Mitwirken” hat nicht die gleiche Bedeutung wie der des “Vertretens”; er geht vielmehr mit seinen inhaltlichen Anforderungen an die Tätigkeit des Rechtsanwalts über jenen hinaus. Mit dem Begriff Mitwirken fordert das Gesetz eine aktive Beteiligung des Rechtsanwalts an der Beweisaufnahme (vgl. BFH, Beschluß vom 16. Dezember 1969 – VII B 45/68 – BFHE 98, 12 ≪13≫; OLG Düsseldorf, Beschluß vom 15. Oktober 1990 – 2 WF 182/90 – FamRZ 1993, 94; OLG Bamberg, Beschluß vom 15. Mai 1985 – 2 WF 76/85 – JurBüro 1985, 1507). Anders als bei der Beweisgebühr genügt es für das Entstehen der Beweisaufnahmegebühr auch nicht, daß der Rechtsanwalt im Beweisaufnahmeverfahren tätig geworden ist. Tätig geworden sein muß der Rechtsanwalt vielmehr “bei Beweisaufnahmen” selbst. Während das Beweisaufnahmeverfahren im Sinne des § 31 Abs. 1 Nr. 3 BRAGO schon mit der Beweisanordnung beginnt (vgl. etwa von Eicken in: Gerold/Schmidt/von Eicken/Madert, BRAGO, 12. Aufl. 1995, § 31 Rn. 97, 98 m.w.N.), kommt die in § 118 Abs. 1 Nr. 3 BRAGO ausdrücklich verlangte Mitwirkung bei einer Beweisaufnahme, die von einem Gericht oder einer Behörde angeordnet worden ist, erst und nur dann in Betracht, wenn diese tatsächlich stattfindet (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluß vom 8. März 1990 – 11 WF 2/90 – JurBüro 1990, 724). Die bloße Mitwirkung bei der Anordnung einer später – aus welchen Gründen auch immer – tatsächlich nicht durchgeführten Beweisaufnahme ist noch keine Mitwirkung bei dieser. Denn deren Anordnung durch ein Gericht oder eine Behörde stellt noch nicht ihren Beginn dar (vgl. BFHE 98, 12 ≪13≫; OLG Köln, Urteil vom 27. November 1967 – 1 U 72/67 – JMBl NW 1968, 239; OLG Bamberg, Beschluß vom 15. Mai 1985, a.a.O. S. 1507). Die Beweisaufnahmegebühr fällt andererseits auch dann nicht an, wenn der bevollmächtigte Rechtsanwalt lediglich von dem Ergebnis einer Beweisaufnahme Kenntnis erhalten und dazu – nach Erörterung mit seinem Mandanten – Stellung genommen hat (vgl. OLG Bamberg, Beschluß vom 15. Mai 1985, a.a.O. S. 1507). Ebensowenig wie vorbereitende Maßnahmen genügen nämlich solche, die sich an die Beweisaufnahme anschließen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluß vom 26. Februar 1991 – 11 WF 5/91 – JurBüro 1991, 826 f.). Für die Annahme eines Mitwirkens bei der Beweisaufnahme ist vielmehr die Anwesenheit des bevollmächtigten Rechtsanwalts bei den angeordneten Beweiserhebungen erforderlich (vgl. Madert in: Gerold/Schmidt/von Eicken/Madert, a.a.O. § 118 Rn. 10 und Swolana/Hansens, BRAGO, 8. Aufl., § 118 Rn. 40). Daran fehlt es hier.

Ob bei der vom Kreiswehrersatzamt angeordneten medizinischen Tauglichkeitsbeurteilung eines Wehrpflichtigen durch den ärztlichen Dienst oder einen externen Facharzt die Beweisaufnahme im Sinne des § 118 Abs. 1 Nr. 3 BRAGO bereits mit der Aufnahme der ärztlichen Untersuchungstätigkeit beginnt oder ob der Vorgang der Beweisaufnahme erst in der Vorlage des schriftlichen Sachverständigengutachtens bei der Behörde (vgl. § 411 Abs. 1 ZPO) zu erblicken ist, mag auf sich beruhen. Darauf kommt es hier nicht an. Anwaltliche Tätigkeiten im Vorfeld der ärztlichen Untersuchung, wie die Vorbereitung des Mandanten auf diese, die Einflußnahme auf den Inhalt des Gutachtenauftrags und die Übersendung eines fachärztlichen Privatgutachtens an den beauftragten Sachverständigen, erfüllen nicht den Gebührentatbestand des § 118 Abs. 1 Nr. 3 BRAGO.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

 

Unterschriften

Dr. Kleinvogel, Prof. Dr. Driehaus, Dr. Silberkuhl, Dr. Honnacker, Sailer

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1336762

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