Entscheidungsstichwort (Thema)
Kostenerstattung im isolierten Vorverfahren. Beweisaufnahmegebühr. Beweisaufnahme in Musterungs- und Tauglichkeitsüberprüfungsverfahren. ärztliche Tauglichkeitsbeurteilung. Sachverständigenbeweis. Mitwirken des Rechtsanwalts bei einer Beweisaufnahme
Leitsatz (amtlich)
Ärztliche Tauglichkeitsbeurteilungen Wehrpflichtiger in Musterungs- und Tauglichkeitsüberprüfungsverfahren stellen behördlich angeordnete Beweisaufnahmen in Gestalt der Erhebung von Sachverständigenbeweis dar.
Das für eine Beweisaufnahmegebühr des Rechtsanwalts nach § 118 Abs. 1 Nr. 3 BRAGO erforderliche Mitwirken bei Beweisaufnahmen setzt voraus, daß der Rechtsanwalt bei einer durchgeführten Beweisaufnahme anwesend war.
Normenkette
WPflG §§ 8a, 17, 19; VwVfG §§ 26, 80; BRAGO §§ 31, 118
Verfahrensgang
VG Darmstadt (Urteil vom 16.02.1995; Aktenzeichen 1 E 2007/93(1)) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Darmstadt vom 16. Februar 1995 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
I.
Der Kläger war nach einer Überprüfungsuntersuchung im Oktober 1991 als wehrdienstfähig – Signierziffer 3 – eingestuft worden. Auf seinen Widerspruch ließ ihn das zuständige Kreiswehrersatzamt erneut durch den ärztlichen Dienst und einen Lungenfacharzt untersuchen und half seinem Widerspruch mit der Feststellung ab, daß der Kläger nicht wehrdienstfähig sei. Zugleich entschied es, dem Kläger seien die notwendigen Aufwendungen zu erstatten und die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren sei notwendig gewesen.
Bei der Kostenfestsetzung beantragte der Kläger u.a. die Festsetzung einer Beweisaufnahmegebühr von 7,5/10, weil sein Rechtsanwalt ihn auf die ärztliche Untersuchung ausführlich vorbereitet habe. Das Kreiswehrersatzamt lehnte dies ab; auch der Widerspruch blieb erfolglos.
Der Kläger hat Klage erhoben mit dem Antrag, die Beklagte zu verpflichten, ihm weitere 285,54 DM nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu erstatten. Zur Begründung hat er ausgeführt: Die von der Behörde angeordnete ärztliche Untersuchung sei eine Beweisaufnahme im Sinne des § 118 Abs. 1 Nr. 3 BRAGO. Sein Rechtsanwalt habe an dieser Beweisaufnahme dadurch mitgewirkt, daß er die Facharztüberweisung auf Richtigkeit und Vollständigkeit überprüft und ihn eingehend auf die ärztliche Untersuchung vorbereitet habe. Ferner habe er anhand eines vom Kläger erstellten Gedächtnisprotokolls den Ablauf der ärztlichen Untersuchung überprüft. Alle diese Tätigkeiten seien durch die Geschäftsgebühr nicht abgedeckt.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung u.a. ausgeführt:
Die beantragte Beweisgebühr sei rechtsfehlerfrei abgelehnt worden, da eine Beweisaufnahme nicht vorliege. Die ärztliche Untersuchung im Musterungsverfahren diene der Feststellung der Wehrdienstfähigkeit als Voraussetzung der Wehrdienstpflicht. Hierzu erforsche das Kreiswehrersatzamt den Sachverhalt von Amts wegen und erhebe die erforderlichen Beweise. Das gesamte Verfahren der ärztlichen Untersuchungen stelle sich als ein einheitlicher Vorgang dar, bei dem Tatsachenaufnahme und fachliche Bewertung in einem ständig korrespondierenden Prozeß in der Feststellung zur Tauglichkeit mündeten, die Beweisaufnahmen also integrale Bestandteile der von der Behörde durchzuführenden Sachverhaltsermittlung seien. Im Falle der Tauglichkeitsuntersuchung erfolge die Verwendung eines Beweismittels zu dem Zweck der Erhebung der Befundtatsachen im Sinne einer umfassenden Stoffsammlung und ihrer fachlichen Bewertung. Das vom Kläger vorgetragene Wortlautargument (“angeordnete Beweisaufnahme”) greife nicht, weil im Verfahren nach § 19 WPflG neben der Tauglichkeitsfeststellung weitere Entscheidungen z.B. über Zurückstellungsgründe nach § 12 WPflG zu treffen seien, bei denen im Gegensatz zur Tauglichkeitsfeststellung Beweisaufnahmen im Sinne des § 118 Abs. 1 Nr. 3 BRAGO durchgeführt werden könnten.
Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Verwaltungsgericht zugelassene Revision des Klägers, mit der er die Verletzung von materiellem Bundesrecht rügt.
Die Beklagte tritt der Revision entgegen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist unbegründet (§ 144 Abs. 2 VwGO). Das angefochtene Urteil entspricht im Ergebnis der Rechtslage. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Erstattung einer Beweisaufnahmegebühr nach § 118 Abs. 1 Nr. 3 BRAGO nicht zu. Die Bevollmächtigten des Klägers haben entgegen der Auffassung der Revision nicht “bei Beweisaufnahmen” mitgewirkt.
Der Revision ist allerdings einzuräumen, daß die wehrmedizinischen Tauglichkeitsbeurteilungen Wehrpflichtiger im Musterungsverfahren (§ 17 Abs. 4 WPflG) und im Überprüfungsverfahren (§ 20b Satz 2 WPflG) durch Ärzte im Dienste der Beklagten oder von ihr beauftragte Fachärzte Beweisaufnahmen in Form des Sachverständigenbeweises darstellen (vgl. § 19 Abs. 1 Sätze 1 und 2, § 26 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VwVfG). Die Tauglichkeitsfestsetzung durch das Kreiswehrersatzamt ist nur “nach Maßgabe des ärztlichen Urteils” (§ 8a Abs. 2 WPflG) zulässig. Sie erfordert von Rechts wegen zwingend die Mitwirkung medizinischer Sachverständiger (vgl. Urteile vom 25. Februar 1976 – BVerwG VIII C 21.75 – Buchholz 448.0 § 8a WPflG Nr. 18 S. 12 ≪16 f.≫ und vom 3. Juni 1983 – BVerwG 8 C 153.81 – Buchholz 448.11 § 7 ZDG Nr. 4 S. 1 ≪4 ff.≫). Als solche werden die Ärzte der Beklagten bei der Musterung oder in einem Tauglichkeitsüberprüfungsverfahren tätig. Gleiches gilt auch für die vom Kreiswehrersatzamt angeordnete Begutachtung eines Wehrpflichtigen durch einen anderen (externen) Facharzt (§ 17 Abs. 4 Satz 3 WPflG). Der im Wehrpflichtrecht geltende Amtsermittlungsgrundsatz steht dem nicht entgegen, wie sich schon aus dem Wortlaut des § 19 Abs. 1 Satz 1 WPflG ergibt. Amtsermittlungsgrundsatz und Beweiserhebung schließen sich nicht gegenseitig aus (vgl. BVerfG, Beschluß vom 13. Januar 1988 – 1 BvR 1574/83 – BVerfGE 77, 360 ≪361 f≫). Eine Beweisaufnahme im Sinne des § 118 Abs. 1 Nr. 3 BRAGO liegt vielmehr immer dann vor, wenn sich ein Gericht oder eine Behörde auf Antrag oder von Amts wegen eines Beweismittels bedient. So verhält es sich hier. Der Kläger hat sich auf Anordnung des Kreiswehrersatzamts einer ärztlichen Tauglichkeitsbegutachtung unterzogen.
Für das Entstehen der Beweisaufnahmegebühr des § 118 Abs. 1 Nr. 3 BRAGO reicht jedoch im Gegensatz zur Beweisgebühr (§ 31 Abs. 1 Nr. 3 BRAGO) eine bloße anwaltliche Vertretung im Beweisaufnahmeverfahren nicht aus. Das verdeutlicht schon der unterschiedliche Wortlaut der beiden Gebührentatbestände. Anders als bei der Beweisgebühr (§ 31 Abs. 1 Nr. 3 BRAGO) fordert das Gesetz bei der Beweisaufnahmegebühr (§ 118 Abs. 1 Nr. 3 BRAGO) nicht nur eine Vertretung im Beweisaufnahnmeverfahren, sondern ein Mitwirken des Rechtsanwalts bei Beweisaufnahmen, die von einem Gericht oder von einer Behörde angeordnet worden sind. Der Begriff “Mitwirken” hat nicht die gleiche Bedeutung wie der des “Vertretens”; er geht vielmehr mit seinen inhaltlichen Anforderungen an die Tätigkeit des Rechtsanwalts über jenen hinaus. Mit dem Begriff Mitwirken fordert das Gesetz eine aktive Beteiligung des Rechtsanwalts an der Beweisaufnahme (vgl. BFH, Beschluß vom 16. Dezember 1969 – VII B 45/68 – BFHE 98, 12 ≪13≫; OLG Düsseldorf, Beschluß vom 15. Oktober 1990 – 2 WF 182/90 – FamRZ 1993, 94; OLG Bamberg, Beschluß vom 15. Mai 1985 – 2 WF 76/85 – JurBüro 1985, 1507). Anders als bei der Beweisgebühr genügt es für das Entstehen der Beweisaufnahmegebühr auch nicht, daß der Rechtsanwalt im Beweisaufnahmeverfahren tätig geworden ist. Tätig geworden sein muß der Rechtsanwalt vielmehr “bei Beweisaufnahmen” selbst. Während das Beweisaufnahmeverfahren im Sinne des § 31 Abs. 1 Nr. 3 BRAGO schon mit der Beweisanordnung beginnt (vgl. etwa von Eicken in: Gerold/Schmidt/von Eicken/Madert, BRAGO, 12. Auflage 1995, § 31 Rn. 97, 98 m.w.N.), kommt die in § 118 Abs. 1 Nr. 3 BRAGO ausdrücklich verlangte Mitwirkung bei einer Beweisaufnahme, die von einem Gericht oder einer Behörde angeordnet worden ist, erst und nur dann in Betracht, wenn diese tatsächlich stattfindet (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluß vom 8. März 1990 – 11 WF 2/90 – JurBüro 1990, 724). Die bloße Mitwirkung bei der Anordnung einer später – aus welchen Gründen auch immer – tatsächlich nicht durchgeführten Beweisaufnahme ist noch keine Mitwirkung bei dieser. Denn deren Anordnung durch ein Gericht oder eine Behörde stellt noch nicht ihren Beginn dar (vgl. BFHE 98, 12 ≪13≫; OLG Köln, Urteil vom 27. November 1967 – 1 U 72/67 – JMBl NW 1968, 239; OLG Bamberg, Beschluß vom 15. Mai 1985, a.a.O. S. 1507). Die Beweisaufnahmegebühr fällt andererseits auch dann nicht an, wenn der bevollmächtigte Rechtsanwalt lediglich von dem Ergebnis einer Beweisaufnahme Kenntnis erhalten und dazu – nach Erörterung mit seinem Mandanten – Stellung genommen hat (vgl. OLG Bamberg, Beschluß vom 15. Mai 1985, a.a.O. S. 1507). Ebensowenig wie vorbereitende Maßnahmen genügen nämlich solche, die sich an die Beweisaufnahme anschließen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluß vom 26. Februar 1991 – 11 WF 5/91 – JurBüro 1991, 826 f.). Für die Annahme eines Mitwirkens bei der Beweisaufnahme ist vielmehr die Anwesenheit des bevollmächtigten Rechtsanwalts bei den angeordneten Beweiserhebungen erforderlich (vgl. Madert in: Gerold/Schmidt/von Eicken/Madert, a.a.O. § 118 Rn. 10 und Swolana/Hansens, BRAGO, 8. Aufl., § 118 Rn. 40). Daran fehlt es hier.
Ob bei der vom Kreiswehrersatzamt angeordneten medizinischen Tauglichkeitsbeurteilung eines Wehrpflichtigen durch den ärztlichen Dienst oder einen externen Facharzt die Beweisaufnahme im Sinne des § 118 Abs. 1 Nr. 3 BRAGO bereits mit der Aufnahme der ärztlichen Untersuchungstätigkeit beginnt oder ob der Vorgang der Beweisaufnahme erst in der Vorlage des schriftlichen Sachverständigengutachtens bei der Behörde (vgl. § 411 Abs. 1 ZPO) zu erblicken ist, mag auf sich beruhen. Darauf kommt es hier nicht an. Anwaltliche Tätigkeiten im Vorfeld der ärztlichen Untersuchung, wie die Aushändigung eines Merkblattes oder eine Einflußnahme auf den Inhalt der Beweisanordnung, erfüllen jedenfalls nicht den Gebührentatbestand des § 118 Abs. 1 Nr. 3 BRAGO.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Unterschriften
Dr. Kleinvogel, Prof. Dr. Driehaus, Dr. Silberkuhl, Dr. Honnacker, Sailer
Fundstellen