Entscheidungsstichwort (Thema)
Anrechnung von Pausenzeiten auf die Arbeitszeit von Polizeibeamten bei Krankheit
Leitsatz (amtlich)
1. Die Anrechnung von Ruhepausen auf die Arbeitszeit nach § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 AZV setzt eine tatsächliche Dienstausübung voraus. Eine Zeitgutschrift auch für solche Tage, an denen der Beamte wegen Erkrankung keinen Dienst geleistet hat, ist danach ausgeschlossen.
2. Ein Anspruch auf Gutschrift auf dem Arbeitszeitkonto für die Zeit krankheitsbedingter Dienstabwesenheit kann sich aus dem Grundsatz ergeben, dass ausgefallener Dienst vom Beamten nicht nachzuholen ist.
Verfahrensgang
OVG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 29.10.2021; Aktenzeichen 10 A 10225/21) |
VG Trier (Entscheidung vom 07.12.2020; Aktenzeichen 6 K 2762/20.TR) |
Tenor
Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 29. Oktober 2021 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Tatbestand
Rz. 1
Die Beteiligten streiten über die Anrechnung von Ruhepausen auf die Arbeitszeit an solchen Tagen, an denen der Kläger infolge Krankheit keinen Dienst geleistet hat.
Rz. 2
Der Kläger steht als Polizeioberkommissar (Besoldungsgruppe A 10 BBesO) im Dienst des beklagten Bundes. Er war im streitgegenständlichen Zeitraum als Kontroll- und Streifenbeamter einer Dienstgruppe bei der Bundespolizeiinspektion T. im Dienst zu wechselnden Zeiten eingesetzt. Die Dienstzeiten ergaben sich aus monatlichen Schichtplänen. Im Januar und April 2020 wurden die einzuhaltenden Ruhepausen von 30 oder 45 Minuten nur an solchen Tagen auf die Arbeitszeit angerechnet, an denen der Kläger Schichtdienst leistete. An Tagen, an denen er dienstunfähig erkrankt war, unterblieb die Anrechnung.
Rz. 3
Mit Anträgen vom 8. März 2020 und 4. Mai 2020 verlangte der Kläger, ihm für die Zeit vom 15. und 16. Januar 2020 sowie vom 16. bis 29. April 2020 Pausenzeiten von insgesamt 7:45 Stunden auf dem Arbeitszeitkonto gutzuschreiben. Anträge und Widersprüche blieben ohne Erfolg. Der Klage des Klägers, die Beklagte unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide zu verurteilen, ihm diese Stundengutschrift zu erteilen, hilfsweise ihn von Nacharbeit in dem entsprechenden Stundenumfang freizustellen, hat das Verwaltungsgericht im Hauptantrag stattgegeben. Das Oberverwaltungsgericht hat auf die Berufung der Beklagten das erstinstanzliche Urteil geändert und die Klage insgesamt abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die Regelung über die Anrechnung von Ruhepausen auf die Arbeitszeit in der Verordnung über die Arbeitszeit der Beamtinnen und Beamten des Bundes geböten nicht, Ruhepausen auch an solchen Tagen anzurechnen, an denen wegen Erkrankung oder Urlaubs kein Dienst geleistet worden sei. Ein Anspruch des Klägers auf weitere Zeitgutschrift folge auch nicht aus dem aus der Fürsorgepflicht des Dienstherrn abgeleiteten und in den besoldungsrechtlichen Regelungen bei entschuldigtem Fernbleiben vom Dienst zum Ausdruck kommenden Grundsatz, dass ausgefallener Dienst nicht ersatzweise nachzuholen sei. Die Beklagte habe die jeweiligen Sollarbeitszeiten gutgeschrieben, die sich aus den im Schichtplan benannten reinen Anwesenheitszeiten abzüglich der Ruhepausen ergeben hätten. Entstehe durch die Nichtberücksichtigung von Pausenzeiten an dienstfreien Tagen eine Differenz zum gesetzlichen Stundensoll am Ende eines Monats, werde diese über die Schichtplanung ausgeglichen. Nacharbeit sei nicht zu leisten. Deshalb sei auch der Hilfsantrag unbegründet.
Rz. 4
Hiergegen wendet sich die vom Berufungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassene Revision des Klägers, mit der er beantragt,
das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 29. Oktober 2021 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Trier vom 7. Dezember 2020 zurückzuweisen.
Rz. 5
Die Beklagte verteidigt das angegriffene Berufungsurteil und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Rz. 6
Die zulässige Revision des Klägers ist mit der Maßgabe begründet, dass das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache an das Oberverwaltungsgericht zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen ist (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
Rz. 7
Zwar hat das Berufungsgericht zu Recht angenommen, dass dem Kläger gemäß § 87 Abs. 3 Satz 1 BBG i. V. m. § 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung über die Arbeitszeit der Beamtinnen und Beamten des Bundes (Arbeitszeitverordnung - AZV) vom 23. Februar 2006 (BGBl. I S. 427) in der im streitgegenständlichen Zeitraum (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. April 2021 - 2 C 18.20 - BVerwGE 172, 254 Rn. 16) geltenden Fassung des Art. 1 Nr. 4 der Zweiten Verordnung zur Änderung der Arbeitszeitverordnung vom 11. Dezember 2014 (BGBl. I S. 2191), zuletzt geändert durch Art. 49 der Elften Zuständigkeitsanpassungsverordnung vom 19. Juni 2020 (BGBl. I S. 1328), ein Anspruch auf Anrechnung von Ruhepausen auf die Arbeitszeit in Zeiten der krankheitsbedingten Dienstabwesenheit nicht zusteht (1.). Das Berufungsgericht ist weiter zutreffend davon ausgegangen, dass Anspruchsgrundlage für eine Zeitgutschrift der aus der Fürsorgepflicht des Dienstherrn abzuleitende und in den Regelungen der §§ 9 und 9a BBesG zum Ausdruck kommende Grundsatz sein kann, dass krankheitsbedingt ausgefallener Dienst vom Beamten nicht nachzuholen ist (2.). Eine Verletzung revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) liegt aber darin, dass die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen nicht die Annahme des Berufungsgerichts tragen, auch nach diesem beamtenrechtlichen Grundsatz bestehe kein Anspruch des Klägers auf Gutschrift zusätzlicher Stunden für die Zeit seines Dienstausfalls (3.). Dies führt zur Zurückverweisung der Sache an das Oberverwaltungsgericht gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO, weil es für eine abschließende Entscheidung über den Hauptantrag des Klägers noch weiterer tatsächlicher Feststellungen bedarf, die der Senat nicht treffen kann (4.).
Rz. 8
1. Rechtsgrundlage für das Begehren ist § 5 Abs. 2 Satz 1 AZV. Da streitgegenständlich hier Ruhepausen sind, in denen der Kläger krankheitsbedingt keinen Dienst geleistet hat, kommt eine Bewertung als Arbeitszeit nach den Grundsätzen des Senatsurteils vom 13. Oktober 2022 - 2 C 24.21 - (NVwZ 2023, 833 Rn. 12) nicht in Betracht. Die Anrechnung von Ruhepausen als Arbeitszeit ist deshalb nur möglich, soweit mit § 5 Abs. 2 Satz 1 AZV eine ausdrückliche Rechtsgrundlage besteht. Danach werden Ruhepausen auf die Arbeitszeit angerechnet, wenn die Voraussetzungen des § 17a der Erschwerniszulagenverordnung mit der Maßgabe von monatlich mindestens 35 zu leistenden Nachtdienststunden gegeben sind (Nr. 1), oder die zuständige Behörde die Anrechnung bei operativen Tätigkeiten in Einsatzbereichen, in denen die ständige Einsatzfähigkeit gewährleistet werden muss, zum Ausgleich der damit verbundenen Belastungen zulässt (Nr. 2). Nach den Angaben der Beklagten werden die Arbeitszeitkonten fortlaufend geführt, sodass eine Gutschrift der Pausenzeiten auch zum jetzigen Zeitpunkt möglich ist.
Rz. 9
a) Allerdings sind auch die Anrechnungstatbestände des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 AZV bei einer krankheitsbedingten Dienstabwesenheit nicht erfüllt. Sie setzen eine tatsächliche Dienstausübung voraus. Eine Zeitgutschrift auch für solche Tage, an denen der Beamte krankheitsbedingt keinen Dienst geleistet hat, ist danach ausgeschlossen. Dies folgt aus dem Wortlaut der Norm und dem mit ihr nach der Intention des Verordnungsgebers verfolgten Sinn und Zweck.
Rz. 10
aa) Bereits der Wortlaut des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AZV bringt deutlich zum Ausdruck, dass die Anrechnung von Ruhepausen auf die Arbeitszeit nur erfolgen kann, wenn der Beamte tatsächlich Dienst geleistet hat. § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AZV ermöglicht dem Dienstherrn, ausnahmsweise die Anrechnung von Pausenzeiten auf die Arbeitszeit bei "operativen Tätigkeiten in Einsatzbereichen" zuzulassen, "in denen die ständige Einsatzfähigkeit gewährleistet werden muss". Aus der Formulierung dieser Tatbestandsmerkmale folgt, dass die Anrechnung eine tatsächliche Dienstleistung voraussetzt.
Rz. 11
Dieses Verständnis entspricht auch der Intention des Verordnungsgebers. Er hat mit der Einführung des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AZV durch Art. 1 Nr. 4 der Zweiten Verordnung zur Änderung der Arbeitszeitverordnung vom 11. Dezember 2014 (BGBl. I S. 2191) den Zweck verfolgt, eine Kompensation in Form einer Zeitgutschrift für operative Einsatzbereiche zu schaffen, bei denen durch die Dienstgestaltung Zusatzbelastungen hervorgerufen werden, weil Ruhepausen nicht verlässlich planbar und oft nur kurzfristig oder anlassbezogen möglich sind oder angetretene Pausen unter- oder abgebrochen werden müssen. Ziel der Regelung war damit, eine einsatzbedingte tatsächliche individuelle Belastung durch unwägbare Pausenbedingungen auszugleichen (vgl. Verordnungsentwurf zur Zweiten Verordnung zur Änderung der Arbeitszeitverordnung 2014, Begründung S. 6).
Rz. 12
bb) Der Erlass des zuständigen Bundesministeriums des Innern zur Zweiten Verordnung zur Änderung der Arbeitszeitverordnung vom 9. Mai 2017 (Aktenzeichen ZI2-30105/2#2), der ergänzende Erlass des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat vom 25. Juni 2018 (Aktenzeichen B 1 - 30105/1#3) über die generelle Pausenanrechnung in den Dienstgruppen bei den Bundespolizeiinspektionen sowie die auf der Grundlage des § 16 Satz 2 AZV ergangene Umsetzungsverfügung des Bundespolizeipräsidiums vom 13. September 2018 (Aktenzeichen B2 - 11 01 01 - 0028) halten sich in dem durch § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AZV vorgegebenen Rahmen.
Rz. 13
Nach dem vom Berufungsgericht angenommenen Verständnis sehen diese Dienstvorschriften vor, dass die Anrechnung von Ruhepausen auf die Arbeitszeit nur bei tatsächlich wahrgenommenen Dienstgeschäften, nicht aber bei Abwesenheit vom Dienst infolge von Krankheit oder Erholungs- und Sonderurlaub in Betracht kommt. An diese vom Berufungsgericht angenommene Auslegung ist der Senat gebunden. Bei den Dienstvorschriften handelt es sich um Willenserklärungen der Behörde. Die Ermittlung des Inhalts von Erklärungen im Wege der Auslegung gilt revisionsrechtlich als Tatsachenfeststellung i. S. d. § 137 Abs. 2 VwGO (vgl. zuletzt etwa BVerwG, Urteil vom 21. Februar 2019 - 2 C 50.16 - Buchholz 230 § 126 BRRG Nr. 27 Rn. 15 m. w. N.). Ihre Auslegung unterliegt der revisionsgerichtlichen Prüfung nur insoweit, als es um die Einhaltung allgemeiner Erfahrungssätze, von Denkgesetzen oder sonstigen allgemeinen Auslegungsgrundsätzen geht (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 21. September 1993 - 2 B 109.93 - Buchholz 310 § 137 VwGO Nr. 181 S. 33, vom 2. Februar 2010 - 2 B 86.09 - ZBR 2011, 33 Rn. 8 und vom 8. Dezember 2022 - 2 B 19.22 - NVwZ-RR 2023, 411 Rn. 7). Solche Fehler lässt die Auslegung der Dienstvorschriften durch das Berufungsgericht nicht erkennen.
Rz. 14
Verwaltungsvorschriften sind nicht wie Rechtsvorschriften aus sich heraus, sondern als Willenserklärung der anordnenden Stelle unter Berücksichtigung der tatsächlichen Handhabung auszulegen. Maßgebend ist, in welchem Sinne die betreffende Behörde die von ihr herausgegebenen Richtlinien in einem maßgebenden Punkt verstanden wissen wollte und tatsächlich verstanden und angewandt hat (BVerwG, Urteile vom 2. Februar 1995 - 2 C 19.94 - Buchholz 237.6 § 75 NdsLBG Nr. 3 S. 2 f., vom 2. März 1995 - 2 C 17.94 - Buchholz 240 § 17 BBesG Nr. 7 S. 8, vom 10. April 1997 - 2 C 38.95 - Buchholz 236.1 § 3 SG Nr. 16 S. 34, vom 21. September 2006 - 2 C 5.06 - Buchholz 240 § 40 BBesG Nr. 38 Rn. 19 und vom 17. September 2020 - 2 C 2.20 - BVerwGE 169, 254 Rn. 19).
Rz. 15
Nach Wortlaut und Sinnzusammenhang der erlassenen Dienstvorschriften der Beklagten bezweckt die darin zugelassene Anrechnung von Pausenzeiten auf die Arbeitszeit, einen Ausgleich für eine tatsächliche Belastung während tatsächlich wahrgenommener Dienstgeschäfte in operativen Einsatzbereichen - wie in den Dienstgruppen bei den Bundespolizeiinspektionen - oder bei besonderen operativen Einsatzlagen im Einzelfall zu schaffen. Die Anrechnung ist erlaubt, wenn konkrete Einsatzgeschehen im Voraus nicht planbar und der Dienstablauf einschließlich Lage und Dauer der Ruhepausen unvorhersehbar sind. In diesen Fällen kann eine Kompensation in Form einer Zeitgutschrift erfolgen, weil unter solchen Einsatzbedingungen genommene Pausen wegen der zeitlichen und sonstigen Bedingungen nicht den Erholungswert einer Ruhepause ermöglichten.
Rz. 16
Folglich hat das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat die Anfang 2019 im Geschäftsbereich des Bundespolizeipräsidiums festgestellten rechtswidrigen Pausengutschriften mit Erlass vom 8. Juli 2019 (Aktenzeichen B1 - 30105/1#3-VS-NfD) beanstandet und angeordnet, dass eine Pausenanrechnung bei Dienstabwesenheit infolge Krankheit oder Urlaub zu unterlassen und für die Vergangenheit aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität ohne Anerkennung einer Rechtspflicht ab Juli 2019 zu korrigieren ist.
Rz. 17
b) Die in § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AZV vorgesehene Anrechnung von Ruhepausen auf die Arbeitszeit, die keiner Zulassungsentscheidung des Dienstherrn bedarf, setzt ebenfalls eine tatsächliche Dienstleistung voraus. Dies folgt zwar nicht bereits aus dem Wortlaut der Norm, aber aus ihrem Sinn und Zweck, die unter Rückgriff auf die Entstehungsgeschichte und die Gesetzessystematik zu bestimmen sind.
Rz. 18
Der Wortlaut der Regelung ist indifferent. Es lässt auch eine Deutung zu, die nicht auf die tagesbezogene Belastung im Dienst, sondern auf eine Belastung abstellt, die für den Kalendermonat auszugleichen ist, wenn in diesem Monat die Voraussetzungen des § 17a Erschwerniszulagenverordnung und das Nachtschichtpensum von 35 Stunden erfüllt sind.
Rz. 19
Eine solche Deutung entspricht jedoch nicht der Intention des Verordnungsgebers. Die Ausnahmebestimmung des heutigen § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AZV wurde durch Art. 4 Nr. 2 der Verordnung zur Änderung von Vorschriften für Dienst zu wechselnden Zeiten vom 20. August 2013 (BGBl. I S. 3286) in die Arbeitszeitverordnung als § 5 Abs. 1 AZV aufgenommen und hat die bis dahin für Wechselschichtdienst geltende Anrechnungsregelung ersetzt. Intention des Verordnungsgebers war es, den Ausgleich in Form der Gutschrift von Pausenzeiten an der tatsächlichen individuellen Belastung im Dienst zu wechselnden Zeiten auszurichten (vgl. Verordnungsentwurf zur Verordnung zur Änderung von Vorschriften für Dienst zu wechselnden Zeiten vom 24. Mai 2013, Begründung S. 1, 15 f.). Diesen, mit der Pausenanrechnung verfolgten Zweck, hat der Verordnungsgeber bei der Einführung der Neuregelung des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AZV durch Art. 1 Nr. 4 der Zweiten Verordnung zur Änderung der Arbeitszeitverordnung vom 11. Dezember 2014 (BGBl. I S. 2191) bekräftigt. Die Neuregelung, die unverkennbar an eine tatsächliche Dienstleistung in operativen Einsatzbereichen anknüpft, hat er damit begründet, dass ein vergleichbares Regelungsinteresse wie in den Fällen des bisherigen § 5 Abs. 1 AZV 2013 besteht (vgl. Verordnungsentwurf zur Zweiten Verordnung zur Änderung der Arbeitszeitverordnung 2014, Begründung S. 6). Dementsprechend hat der Verordnungsgeber den bisherigen § 5 Abs. 1 AZV 2013 nunmehr in § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AZV geregelt und damit beide Anrechnungstatbestände in einen engen systematischen Zusammenhang gestellt.
Rz. 20
2. Der Anspruch des Klägers auf Gutschrift zusätzlicher Stunden auf dem Arbeitszeitkonto für die Zeit seiner krankheitsbedingten Dienstabwesenheit kann sich aber aus dem aus der Fürsorgepflicht des Dienstherrn abzuleitenden und in den Regelungen der §§ 9 und 9a BBesG zum Ausdruck kommenden Grundsatz ergeben, dass ausgefallener Dienst vom Beamten nicht ersatzweise nachzuholen ist. Im Krankheitsfall ist der Beamte von seiner Dienstleistungspflicht freigestellt. Die in diesem Zeitraum angefallene "Soll-Zeit" ist bei der Arbeitszeiterfassung als "Ist-Zeit" zu berücksichtigen (vgl. BVerwG, Urteil vom 1. April 2004 - 2 C 14.03 - Buchholz 232 § 72 BBG Nr. 40 S. 14 und Beschluss vom 26. November 2012 - 2 B 2.12 - Schütz, BeamtR, ES/B I 2.4 Nr. 102 Rn. 13).
Rz. 21
a) Der geschuldete Dienst bestimmt sich nach der formalen Dienstleistungspflicht des Beamten, während eines bestimmten Zeitraums an einem bestimmten Ort die jeweils übertragenen Dienstpflichten zu erfüllen (vgl. BVerwG, Urteile vom 24. April 1980 - 2 C 26.77 - BVerwGE 60, 118 ≪119 f.≫, vom 10. April 1997 - 2 C 29.96 - BVerwGE 104, 230 ≪232≫, vom 25. September 2003 - 2 C 49.02 - Buchholz 240 § 9 BBesG Nr. 26 S. 42 und vom 1. April 2004 - 2 C 14.03 - Buchholz 232 § 72 BBG Nr. 40 S. 14).
Rz. 22
Die Arbeitszeitverordnung regelt den Umfang der Dienstleistungspflicht in zeitlicher Hinsicht. Gemäß § 87 Abs. 3 Satz 1 BBG i. V. m. § 3 Abs. 1 Satz 1 und § 2 Nr. 1 AZV betrug im streitgegenständlichen Zeitraum die regelmäßige, innerhalb von zwölf Monaten durchschnittlich zu erbringende wöchentliche Arbeitszeit des vollzeitbeschäftigten Beamten 41 Stunden. Bei Verteilung der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit auf Montag bis Freitag (§ 3 Abs. 2 Satz 1 AZV) belief sich die tägliche Regelarbeitszeit auf 8:12 Stunden.
Rz. 23
Im Arbeitszeitmodell des Schichtdienstes, wie des Dienstes zu wechselnden Zeiten, bleibt das zu erfüllende Arbeitszeitvolumen des vollzeitbeschäftigten Beamten gleich (BVerwG, Urteil vom 1. April 2004 - 2 C 14.03 - Buchholz 232 § 72 BBG Nr. 40 S. 12). Die von der täglichen Regelarbeitszeit abweichenden Schichtdienstregelungen dürfen nicht zu Mehrleistungen der betroffenen Beamten führen, sondern nur zu einer zeitlichen Umschichtung der Arbeitszeit. Mehr- oder Minderleistungen werden über einen längeren Zeitraum durch früher erbrachte oder später noch zu erbringende gleich hohe Entlastung oder Mehrbelastung ausgeglichen (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. November 2002 - 2 CN 1.01 - BVerwGE 117, 219 ≪225 f.≫ und Beschluss vom 26. November 2012 - 2 B 2.12 - Schütz, BeamtR, ES/B I 2.4 Nr. 102 Rn. 9).
Rz. 24
Wird in einem Schichtplan die Dienstleistungspflicht der betroffenen Beamten zeitlich konkretisiert, sind diese Zeiten tägliche Soll-Arbeitszeit (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. April 1980 - 2 C 26.77 - BVerwGE 60, 118 ≪119≫ und vom 25. September 2003 - 2 C 49.02 - Buchholz 240 § 9 BBesG Nr. 26 S. 42). Außerhalb dieser Zeiten hat der Beamte keine Dienstleistung zu erbringen (BVerwG, Beschluss vom 26. November 2012 - 2 B 2.12 - Schütz, BeamtR, ES/B I 2.4 Nr. 102 Rn. 10). Erkrankt ein Beamter innerhalb einer verbindlichen Schichtplanung, erfolgt eine Zeitgutschrift auf dem Arbeitszeitkonto in dem Umfang, in dem der Beamte gemäß dem Dienstplan zur Dienstleistung verpflichtet war. Folglich entsteht eine Differenz zur täglichen Regelarbeitszeit von 8:12 Stunden an solchen Tagen, an denen die nach dem Schichtplan festgesetzte Dienstzeit dahinter zurückbleibt. Die nicht im Schichtplan als Dienst ausgewiesene Zeit steht dem Beamten als Freizeit zu Verfügung und wird durch eine früher oder später noch zu erbringende Mehrleistung im Schichtmodell ausgeglichen. Im Krankheitsfall innerhalb einer verbindlichen Dienstplanung besteht ein Anspruch auf Gutschrift dieser arbeitsfreien Zeiten nicht. Damit steht der Beamte bei Erkrankung nicht schlechter, als er ohne die Dienstunfähigkeit gestellt wäre. Er wird arbeitszeitrechtlich so behandelt, als habe er die vorgesehene Dienstleistung im Schichtdienst erbracht und damit seine reguläre Dienstpflicht erfüllt. Die wegen Erkrankung ausgefallene Arbeitszeit wird als "Ist-Zeit" bewertet, sodass diese auch nicht nachgeholt werden muss (vgl. BVerwG, Urteile vom 1. April 2004 - 2 C 14.03 - Buchholz 232 § 72 BBG Nr. 40 S. 14 und vom 27. Oktober 2011 - 2 C 73.10 - Buchholz 240 § 47 BBesG Nr. 13 Rn. 8 ff. sowie Beschluss vom 26. November 2012 - 2 B 2.12 - Schütz, BeamtR, ES/B I 2.4 Nr. 102 Rn. 12 f.).
Rz. 25
b) Ein über diese Grundsätze hinausgehendes allgemeines Verschlechterungsverbot, nach dem der Beamte im Krankheitsfall in jeder Hinsicht so zu stellen ist, als hätte er Dienst geleistet, existiert nicht. Darauf abzielende Begehren - wie beispielsweise die Gutschrift wegen Krankheit nicht geleisteter Mehrarbeit (vgl. VGH München, Beschluss vom 1. März 2018 - 6 ZB 17.2184 - juris) oder einer nicht geleisteten Anzahl von Wochenend- oder Feiertagsdiensten im Schichtsystem (vgl. VGH Mannheim, Urteil vom 19. November 2019 - 4 S 533/19 - Justiz 2020, 238) - liefen darauf hinaus, dass der Beamte besser stünde, als er im Fall der erbrachten Dienstleistung gestanden hätte. Er erhielte über die reguläre Dienstzeit hinaus eine Gutschrift, ohne der entsprechenden besonderen tatsächlichen dienstlichen Beanspruchung ausgesetzt gewesen zu sein.
Rz. 26
3. Von diesen Maßstäben ist das Berufungsgericht zwar zutreffend ausgegangen. Es hat aber seine Überzeugung, dass dem Kläger danach ein Anspruch auf Gutschrift zusätzlicher Stunden für die Zeit seiner Dienstabwesenheit infolge Krankheit nicht zusteht, unter Verstoß gegen die hierfür geltenden Verfahrensregeln (§ 86 Abs. 1 Satz 1 und § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) gewonnen. Die in dem angefochtenen Berufungsurteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen tragen die Ablehnung des Hauptantrags nicht.
Rz. 27
a) Nach den Darlegungen des Oberverwaltungsgerichts bleibt unklar, ob im Fall der regulären Dienstpflichterfüllung im Schichtplanmodell in den Dienstgruppen bei den Bundespolizeiinspektionen die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit (§ 3 Abs. 1 Satz 1 und § 2 Nr. 1 AZV) stets ohne oder nur mit Anrechnung der Pausen erreicht wird.
Rz. 28
Das Berufungsgericht hat einerseits angenommen, dass die Dienstplanung der Frage nach der Anrechnung von Ruhepausen vorgelagert sei, von einer durchschnittlichen Wochenarbeitszeit von 41 Stunden und darauf bezogen von einer täglichen Soll-Arbeitszeit ausgehe, die sich jeweils aus der im Schichtplan benannten reinen Anwesenheitszeit nach Abzug der arbeitszeitrechtlich vorgesehenen Ruhepausen von 30 oder 45 Minuten ergebe (UA S. 14 f.). Andererseits ist es davon ausgegangen, durch die Nichtberücksichtigung von Ruhepausen an dienstfreien Tagen könne es dazu kommen, dass die auf den Monat bezogene Stundensollzeit unterschritten werde und dadurch eine negative Buchungsdifferenz entstehe, die nachfolgend auszugleichen sei (UA S. 16). Damit hat es gedanklich darauf abgestellt, dass die Ruhepausen in die Arbeitssollzeit eingerechnet werden.
Rz. 29
Diese sich widersprechenden Ausführungen haben sich in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nicht durch die informatorische Befragung der Beteiligten auflösen lassen. Die Beklagtenvertreter führten zur Erläuterung aus, die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit der im Schichtdienst tätigen Beamten werde stets ohne Anrechnung der Pausenzeiten erreicht. Auf die Arbeitszeit anzurechnende Ruhepausen würden auf einem Überarbeitszeitkonto geführt. Diese Zeiten seien zur Ableistung der geschuldeten Arbeitszeit nicht erforderlich. Die Klägerbevollmächtigte ist dieser Darstellung indes substantiiert entgegengetreten. Bereits nach den Dienstbuch-Einlegeblättern des Klägers ergebe sich im Krankheitsfall eine negative Buchungsdifferenz zwischen Stunden-Soll und Stunden-Ist, die entgegen der Angaben der Beklagtenvertreter auch nicht nachträglich bei der Arbeitszeiterfassung bereinigt werde. Das fünfwöchige Schichtplanmodell führe erst nach fünf Jahren zu einem ausgeglichenen Arbeitszeitkonto. Durch Krankheit versäumte Ruhepausen, die im Falle der Dienstleistung auf die Arbeitszeit angerechnet würden, seien daher faktisch nachzuarbeiten, weil andernfalls die geschuldete regelmäßige Arbeitszeit nicht erfüllt werde.
Rz. 30
b) Für die Entscheidung kommt es auf die Klärung der Frage an, ob im Fall der regulären Dienstpflichterfüllung die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit (Soll-Arbeitszeit) stets ohne oder nur mit Anrechnung der Pausen erreicht wird. Im ersteren Fall hätte die Beklagte die Pausen als Zeitgutschrift zusätzlich zu der regelmäßig zu erbringenden wöchentlichen Arbeitszeit gewährt. Es würde sich um einen reinen Zeitbonus als Ausgleich für erschwerte Pausenbedingungen im Dienst handeln, der dem Kläger für die Zeit der krankheitsbedingten Dienstabwesenheit nicht zusteht. Der arbeitstagsbezogenen Belastung ist der dienstabwesende Beamte nicht ausgesetzt. Dagegen kann der Kläger im letzteren Fall eine Zeitgutschrift im Umfang der Ruhepausen als "Ist-Zeiten" beanspruchen. Andernfalls müsste er diese Zeiten zwangsläufig nacharbeiten, um die Soll-Arbeitszeit zu erfüllen. Eine solche Verpflichtung besteht nach dem Dargelegten für den dienstunfähig erkrankten Beamten nicht.
Rz. 31
4. Da der Senat die erforderlichen weiteren Tatsachenfeststellungen nicht selbst treffen kann, ist die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO). Dabei wird - ggf. mit sachverständiger Hilfe - aufzuklären sein, von welchen Berechnungsparametern das elektronische Zeiterfassungssystem "e-Plan Bund" bei der prognostischen Vorausplanung des Dienstes ausgeht, wie diese Vorausplanung bei der Festlegung der Sollstundenzahl in den monatlichen Dienstplänen umgesetzt wird und wie davon ausgehend die individuelle Arbeitszeiterfassung der im Schichtdienst tätigen Beamten in Soll- und Ist-Zeiten oder Überzeit erfolgt.
Fundstellen
Haufe-Index 15927385 |
NVwZ-RR 2023, 5 |
NVwZ-RR 2023, 961 |
NVwZ 2023, 9 |
ZBR 2024, 40 |
DÖV 2024, 37 |
JZ 2024, 9 |
VR 2023, 396 |